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Kein Püppchen, sondern eine reife Musikerin

Ars Produktion Schumacher, ARS 38 753; EAN: 4 260052 387535

Zala Kravos spielt für Ars Produktion Schumacher die vier Balladen op. 10 von Johannes Brahms, Franz Liszts zweite Ballade in h-Moll S 171, Frédéric Chopins vier Impromptus opp 29, 36, 51 und 66 sowie „Crystal Dream“ von Albena Petrovic-Vratchanska.

Die zur Zeit der Aufnahme gerade einmal 14-jährige Zala Kravos wählte ein heikles Programm für ihre Debut-CD aus: herausfordernd nicht nur in Bezug auf die mechanisch-technischen Anforderungen, sondern auch hinsichtlich des poetischen und musikalischen Gehalts in den zu ausgewählten Werken. Die Balladen op. 10 von Brahms und die beiden Balladen von Liszt, es erklingt deren zweite, sind düstere und innerlich rumorende Werke, die Reife und Ausdrucksstärke mit meist nur schlichten Mitteln verlangen. Das Virtuosentum steht dabei ganz im Hintergrund, der Fokus liegt auf tönender Aussagekraft. Die vier Impromptus von Frédéric Chopin sind leichteren Gemüts, fordern entsprechendes Zartgefühl, innere Ruhe und Reflektiertheit. Keines dieser Werke gehört in das übliche dankbare Repertoire eines Wunderkindes, welches sich der Welt als meisterlicher Tastenakrobat präsentieren will. Eben dies ist, was hier Aufsehen erregt.

Das letzte Werk der CD ist von Albena Petrovic-Vratchanska, eine effektvolle kleine Fantasie, die ihre Wirkung aus einer auf die tiefen Saiten gelegten Halskette bezieht und – der Pianistin gewidmet – über den Namen „Zala“ komponiert wurde.

Das düstere, zwiespältige Cover wirkt beinahe gespenstisch: Auf der einen Hälfte die schöne kindliche Gestalt, auf der anderen das gruselige Negativ mit invertierten Farben. So eindrucksvoll dieses Cover einerseits erscheint, so hätte es mich doch beinahe etwas abgeschreckt. Zu viele Künstler und vor allem Künstlerinnen, die sich so oberflächlich „püppchenhaft“ und wirkungsvoll düster darstellen, spielen wie ein klingendes Pendant zu den Bildern. Doch nicht so Zala Kravos.

Die junge slowenische Musikerin fesselt mit überraschender, ja gar überwältigender Reife und Präsenz. Bewusst über die poetische Aussage steuert Zala Kravos zielsicher durch die komplexen Formen, wodurch selbst die rhapsodisch verzweigte Liszt-Ballade Bündelung und Geschlossenheit aufweist. Die Brahms-Balladen bleiben erdverbunden und unprätentiös in der Darstellung. Verblüffend, wie reflektiert und erfahren sich Zala Kravos den beiden Giganten Brahms und Liszt nähert! Hier tritt kein typisches Wunderkind auf, sondern eine seriöse Musikerin, der es um die innermusikalischen Werte geht. Selbst die Reise zu der farbenreichen Welt Chopins ist bereits weit fortgeschritten, wenngleich der Anschlag noch nicht die Zartheit und die musikalische Wirkung noch nicht die mannigfaltige Introversion und vieldeutige Innerlichkeit aufweist, welche als die wohl wichtigsten Gegensätze zu seinem Zeitgenossen Liszt gelten können. Doch bin ich mir sicher, dass Zala Kravos auch diese Welt schnell für sich gewinnen und mir ihrer erstaunlichen Intuition durchdringen kann. Persönlich halte ich diese Pianistin für eine der vielversprechendsten Entdeckungen der letzten Zeit und hoffe sehr, dass sie den eingeschlagenen Weg weiterverfolgen wird. Wenn sie weiterhin die Musik und nicht das Showbusiness vor Augen hat, dürften wir wohl bald einer neuen Größe mit zeitlosen Qualitäten in unseren Konzertsälen begegnen.

[Oliver Fraenzke, Februar 2018]