William Lawes 1602-1645
Complete Music for solo lyra viol
Richard Boothby , lyra viol
Harmonia mundi HMU 907625
0 93046 76252 0
Historizismus ist ja gut und recht, und Musik auf dem ältesten noch erhaltenen Instrument zum Leben zu erwecken, ist an und für sich ehrenwert, aber der Rezensent – erfahren in Alter Musik und grundsätzlich sehr bewegt von Gamben-Consort-Musik –hat bei dieser CD mehr als eine Schwierigkeit, diese Töne – und es sind immerhin 35 Sätze, die hier vorgestellt werden – überhaupt als in sich bezügliche, irgendwie auch nur im kleinsten Zusammenhang erfahrbare Musik wahrzunehmen. Abgesehen vom Klang des zeitweise faszinierend klingenden Instrumentes, der Lyra Viol, einer speziellen Gambenart, über die das Booklet informativ berichtet, ist das, was an die Ohren dringt erstens auf die Dauer und zweitens auch im Kleinen richtungslos und folgerichtig ausgesprochen langweilig. Es fehlt jeglicher rhythmische Fluss, der schon im Ansatz fortwährend ausgehebelt wird durch mechanische „Rubati“, die jedes Mal auftreten, wenn ein Akkord die leider auch nicht vorhandene melodische „Linie“ – so man von einer solchen überhaupt ab und an sprechen will – abrupt und wie ein Schluckauf unterbricht. Dabei ist die Melodie ja gerade bei der englischen Gambenmusik der lineare Grund, auf dem dann auch die ausgefallensten Harmonien sich ereignen können, wie man beispielsweise bei Purcells Fancies von 1680 unschwer nachvollziehen kann. Lawes’ Consort-Musik ist doch auch alles andere als ein unzusammenhängendes Lavieren von einem Ton zum anderen.
Und die Frage, ob eine CD, die ein komplettes Werkganzes für eine Besetzung vermitteln will, dieser Musik nicht außerdem einen Bärendienst erweist, sei am Rande zusätzlich eingeworfen. Denn auf diese philologisch akkurat geordnete – und klanglich extrem kontrastarme – Art sind die Stücke auf der Lyra Viol zu Lawes’ Zeit am Stück sicher niemals aufgeführt worden, und waren auch nicht zu solch enzyklopädischem Zweck gedacht. Da hilft selbst das apart aufgemachte Äußere dieser CD dem Gesamteindruck nicht auf die Sprünge.
Hauptkritikpunkt jedoch bleibt der völlige Mangel an erlebbarer melodischer Beziehung zwischen den Tönen, und damit einhergehend natürlich der Verlust der elementaren Tanzcharaktere und die offene Frage, wie denn die Musik als originelle Äußerung eines schöpferischen Geists, der Lawes ja zweifelsohne ist, überhaupt würde.
[Ulrich Hermann, September 2016]