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Ein Licht im Dunkeln

Ars Produktion Schumacher, EAN: 4 260052 382561

A Light in the Dark; Schostakowitsch; Nordwestdeutsche Philharmonie, Erich Polz (Leitung), Sabine Weyer (Klavier)

„A Light into the Dark“ präsentiert ein Konzertprogramm mit Musik von Dmitri Schostakowitsch, begonnen mit der Festlichen Ouvertüre A-Dur op. 96. Darauf folgt das Klavierkonzert Nr. 2 F-Dur op. 102 und die Neunte Symphonie Es-Dur op. 70. Es spielt die Nordwestdeutsche Philharmonie unter Erich Polz, am Klavier sitzt Sabine Weyer.

In den letzten Jahren expandierte der Ruhm des 1975 gestorbenen Komponisten Dmitri Schostakowitsch immer weiter. Internationale Bekanntheit erhielt er bereits als Jugendlicher mit seiner Ersten Symphonie, die er als Abschlusswerk für das Konservatorium schrieb. Vom Regime immer wieder verfolgt, führte er ein Leben in Angst, wobei manche Lichtblicke wie der unbändige Erfolg des „Leningrader“ Symphonie Nr. 7 umso heller strahlten.

Eine Mystik umgibt die Zahl von neun Symphonien. So viele große Symphoniker kamen trotz allen Bestrebens nicht über sie hinaus, und so verbreitete sich förmlich die Angst, eine Neunte Symphonie zu komponieren, da einen vor Vollendung einer Zehnten der Tod ereilen könnte. Schostakowitsch schrieb, aus Trotz und Unbekümmertheit, eine regelrechte Anti-Neunte-Symphonie: Teils traditionell, dann wieder launisch und eigenwillig. An sich wäre sie „klassisch“ viersätzig konzipiert, doch Schostakowitsch extrahierte die Largo-Einleitung zum Finale als eigenen Satz; welch ein Scherz, um mit den Erwartungen zu spielen!

Das Klavierkonzert Nr. 2 schrieb er für seinen Sohn Maxim, der im Alter von 18 Jahren seinen ersten großen Auftritt mit Orchester haben sollte. Die Öffentlichkeit lobte das Konzert in den höchsten Tönen, während es für den Komponisten der Ausgangspunkt einer Schaffenskrise war: Er könne nicht mehr komponieren, schreibe zu homophon und für den Solisten zu leicht. Dass diese Eigenkritik ungerechtfertigt ist, dürfte allein die Anzahl an Aufführungen und Aufnahmen belegen.

Schostakowitsch ist zugleich dankbar wie undankbar zu spielen: Eine Aufführung klingt beinahe immer gut; doch darüber hinauszugehen, erfordert ein feines Gespür sowohl für die harmonische als auch die melodische Spannung.
Sabine Weyer geht virtuos an ihre Klavierstimme heran, setzt auf Klarheit. Dabei nimmt sie den Kopfsatz zu schnell, um darin die markante Klavierstimme noch ausgestalten zu können; durch langsameres Tempo hätte der Satz verspielter, freier und spritziger sein können. Umgekehrt erdrückt der Mittelsatz den Hörer beinahe durch pure Romantik, Weyer nutzt das volle Spektrum an Rubati und Wohlklängen. Hier wäre mehr Kontinuität wünschenswert gewesen, denn es handelt sich eben nicht um Chopin oder Liszt, sondern um ein Werk des mittleren 20. Jahrhunderts. Din gutes Maß an Distanz den Feinsinn beleuchtet diese Musik noch einmal ganz anders als schwelgende Verträumtheit; besonders in den rhythmisch vertrackten 3-gegen-2-Passagen. In den Randsätzen bleibt Weyer dafür prägnant und rhythmisch markant, treibt die Musik immer weiter voran.
Auf durchsichtige Stimmführung achtet auch die Neudwestdeutsche Philharmonie unter Erich Polz. Die einzelnen Solisten stimmen sich aktiv aufeinander ab und das Orchester wirkt allgemein ausgewogen. Selbst in den großen Tutti-Passagen kippt der Klang nicht in Krach, sondern behält Kraft und Volumen. Dafür fehlt manchmal dieser ewige Precipitato-Trieb nach vorne, der den Sätzen (auch, und gerade sogar, den langsamen!) eine Linearität und Struktur hin zu einem Ziel der Erfüllung verleiht. Gelungen sind die Kontraste im ersten Satz der Neunten Symphonie zwischen ‚altbacken‘-klassisch und aufbegehrend neutönerisch. Ebenso hinreißend die Spielfreude und Leichtigkeit in der Festlichen Ouvertüre.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2018]

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