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Inspirationen für das Horn

TYX Art, 19142; EAN: 4 250702 801429

Auf ihrem Album „Melodies“ präsentieren Hervé Joulain und Ariane Jacob siebzehn Originalthemen für Horn. Auf dem Programm stehen Kompositionen von Reinhold Glière, Alexander Glasunov, Camille Saint-Saëns, Richard Strauss, Maurice Ravel, Luigi Cherubini, Paul-Henri Büsser, Leonard Bernstein, Franz Strauss, Leone Sinigaglia, Nicolaus Freiherr von Krufft, Emmanuel Chabrier, Alexander Scriabin, Jean-Michel Damase, Vincent d’Indy und Laurent Couson.

Das Horn wäre eines der idealsten Instrumente, um sich als Komponist singenden Ausdruck zu verschaffen: nicht nur besitzt es einen enorm umfangreichen Ambitus, auch kommt es nah an die menschliche Stimme heran und offenbart unzählige Möglichkeiten der Klanggestaltung. Dennoch wird es, während ihm im Orchester oft die schönsten Themen zufallen, nur selten als Solo- oder Duoinstrument verwendet. Gemeinsam mit der Pianistin Ariane Jacob geht der Hornist Hervé Joulain auf Entdeckungstour und präsentiert siebzehn Originalthemen für sein Instrument. Dabei gelingen durchaus einige lohnenswerte Funde.

Tatsächlich am wenigsten überzeugt ausgerechnet die einzige Melodie, die ein jeder kennt: Ravels Pavane pour une infante défunte. Ursprünglich als Klavierstück geschrieben, vertraut Ravel in der Orchesterfassung dem Horn die Melodie an, was bei der Streicherbegleitung für hinreißende Effekte sorgt; mit Klavier allerdings wirkt der Unterboden kahl, auch fehlt die fragile Tragfähigkeit, welche Ravels Musik erst ausmacht.

Die meines Erachtens größte Errungenschaft dieser CD ist die Entdeckung von Nicolaus Freiherr von Krufft. Wenngleich Komponieren eine Freizeitbeschäftigung für ihn war, zeigt er profundes technisches Handwerk (er lernte bei Johann Georg Albrechtsberger, aus dessen Schule auch Beethoven, Hummel und Czerny hervorgingen) und – viel wichtiger – einen ausgeprägten Personalstil, der sogar Klangsphären erreicht, wie wir sie sonst ausschließlich und deutlich später von Chopin kennen. Diese verbindet er mit verspielter, klassischer Leichtigkeit und einem geschlossenen Formkonzept.

Des Weiteren lohnt sich die Beschäftigung mit den hier zu hörenden Komponisten Paul-Henri Büsser und Leone Sinigaglia, die heute beinahe vergessen sind. Als einer der bekanntesten Hornisten seiner Zeit komponierte Franz Strauss auch für sein Instrument, wobei er nur recht wenig auszusagen hatte. Lohnenswerter gestaltet sich da der Beitrag seines Sohns Richard Strauss, der das zu hörende Andante seinem Vater zur Silberhochzeit zueignete und in diesem Jugendwerk bereits handwerkliches Können und musikalische Substanz zu einen weiß. Erstaunt war ich, Scriabin unter den Komponisten dieser CD zu lesen, von dem mir kein Kammermusikwerk bekannt war: die Romanze op. 40 offenbart eine interessante Verbindung einer kantablen Melodiestimme mit einem harmonisch ausschweifenden Klavier, wobei der Gesamteindruck eher zu seinem der Romantik verpflichteten Frühwerk tendiert. Klanglichen Reiz entwickeln die spätromantischen Weisen von Glière und Glasunov aus Russland sowie Saint-Saëns aus Frankreich. Besonderen Eindruck hinterlässt das Larghetto von Chabrier, ein echt französisches Stück von reinem Ausdruck und inniger Lieblichkeit.

Hervé Joulain erweist sich als vielseitiger und flexibel veranlagter Hornist, der sowohl die klassisch leichten, romantisch verträumten wie frühmodern expressiven Stücke adäquat umzusetzen weiß. Bei den impressionistisch anmutenden Weisen könnte der Pianissimobereich etwas mehr ausgekostet werden, ansonsten lässt sich absolut nichts an seinem Spiel aussetzen. Joulain behält eine Wärme und Menschlichkeit, die in ihren Bann zieht, spielt mit vollem, weichem und sanglichem Ton. Ariane Jacob bleibt am Klavier eher nüchtern, gibt den Stücken so gewisse Distanz: das farbenfrohe Aufblühen überlässt sie größtenteils dem Horn, was teils interessante Effekte bringt. Dennoch spielt sie keineswegs unbeteiligt. Hoch konzentriert schafft sie so formalen Zusammenhalt mit weichen Übergängen.

[Oliver Fraenzke, August 2020]

Ein belgischer Komponist der besonderen Art

Robert Groslot: Matrix in Persian Blue, Works for  & with string quartet

Liesbeth Devos, Sopran; Jan Michiels, Piano; Asasello Quartet

TXA19123; EAN 4 250702 801238

Bekannt wurde Robert Groslot (Jahrgang 1951) zuerst als Pianist und Dirigent, bevor er in seinen späteren Zwanzigern zu komponieren begann. Schon sein „Rainfall in Pink City“ von 1979 war ein Erfolg. Groslot ist ein zutiefst unabhängiger Geist und lässt sich nicht in irgendeine Schublade stecken. So, wie das ein Musiker heute sein kann, wenn er sich nicht irgendeinem „Mainstream“ oder einer besonderen Modeströmung – ob alt oder neu ist dabei egal – anschließt.  So vermeidet seine Musik den unzugänglichen Elfenbein-Turm ebenso wie den Beifall der etablierten Musik-Kritik, die bemängelt, dass man ihn nicht einordnen kann wie so manche Sumpfblüte der sogenannten Moderne, was auch immer das sein mag.

Schon das erste Stück – er gibt seinen Stücken gerne poetische Titel, ohne eine konkrete programmatische Absicht damit zu verbinden – „Ce lac dur oublié que hante le givre…“ für Klavier und Streichquartett fängt mich vom ersten Ton an ein, und die Klänge, Linien, Verläufe und Verwebungen sind sofort fasslich und verständlich auf einer zwar durchaus auch intellektuellen, aber beileibe nicht abstrakt-denkerischen Ebene.

Dazu ist diese Musik viel zu lebendig und erlebt, Klavier und Streichquartett sind in ständigem belebtesten Austausch, möglichst viele rhythmischen und auch perkussiven Elemente kommen ins Spiel, die Register des Flügels werden von tief bis hoch eingesetzt, man merkt, dass der Komponist ein äußerst versierter Pianist ist, sich aber auch in den Gefilden der Musikgeschichte auskennt. Und so kommt diese Musik eben als das Spiel daher, als das sie ja vom Ursprung der Götter her gemeint ist.

Das zweite Werk, vier Lieder nach Gedichten von Stéphane Mallarmé (1842-1898) für Sopran und Streichquartett „Le bel aujourd’hui“, ist eine gelungene Mélange aus Stimme und den Klängen des Streichquartetts. Es reicht von rhythmisch vertracktesten Impulsen bis zu impressionistischen Klangflächen, alles sehr leicht und durchweg gelungen gespielt und gesungen von den fünf Musikerinnen und Musikern. Es ist durchaus nicht modernistisch atonal, immer ist der tonale Bezug da, spür- und hörbar, dennoch ist die Musik höchst originell und bewegend. Sogar der ab und an hochdramatische Gestus der Sopranstimme ist durchaus angemessen und stört – im Gegensatz zu vielen anderen ihrer Gesangskolleginnen – nicht nur nicht, sondern ist der Vortonung dieser Texte mehr als angemessen. (Und so etwas begegnet mir äußerst selten auf CDs, wenn es um hohe Sopranstimmen geht.)

Sein Streichquartett, das die CD beschließt, nennt Groslot „Matrix in Persian Blue“ und weist damit auf dieses in altpersischen Kacheln und Keramiken verwendete tiefe Blau hin. Schon der zurückhaltende Beginn fasziniert mit seiner Innerlichkeit, wie auch das ganze Stück.

Die Farbigkeit des Streichquartett-Klangs ist immer wieder überraschend, wo doch schon so viele Streichquartette im Lauf der Zeit – und die dauert nun doch schon fast vierhundert Jahre – komponiert wurden. Dennoch fallen dem Belgier Robert Groslot neue, unerhörte, so nie oder noch nicht vernommene Klänge und Möglichkeiten ein und auf. So unmittelbar faszinierend und zugänglich kann „moderne“ Musik – abseits von Musica viva und anderen elitären Zirkeln – sein, wenn ein wahrhaftiger Musiker und Komponist dahinter steht, der aus der vollen Möglichkeit unserer Zeit all das schöpft, was er zu seiner ureigensten Musik und für deren Aussage braucht.

[Ulrich Hermann, Juli 2019]

Sonaten für zwei

TYX Art, TXA18110; EAN: 4 250702 801108

Vorliegende CD birgt Sonaten für Klavier und Violine sowie für Klavier und Viola, wobei Burkhard Maiss die Streichinstrumente spielt und Ji-Yeoun You an den Tasten sitzt. Wir hören die zweite Violinsonate d-Moll op. 121 von Robert Schumann und die 1. Klarinettensonate in der Version für Bratsche und Klavier von Johannes Brahms.

Wenngleich einige Jahrzehnte zwischen den beiden Werken liegt, so herrscht doch eine innere Verbindung zwischen den späten Streichersonaten von Schumann und Brahms – die Idee der Einheit zwischen den Sätzen, der stringenten Entwicklung und des aufgewogenen Wechselspiels gleichberechtigter Partner.

Schumanns zweite Violinsonate ist ein ständiges Mit- und Gegeneinander, ein „Concertieren“ in beiden ursprünglichen Bedeutungen. Nach einer kurzen Einleitung stürmt der Kopfsatz sprudelnd und hetzend voran, verschiebt die Stimmen immer wieder gegeneinander; der noch raschere zweite Satz beginnt im Unisono, die beiden Partner entfernen sich erst später voneinander. Eine der hinreißendsten Inspirationen Schumanns stellt der volksliedhafte dritte Satz dar, dessen Thema schlichter und unprätentiöser kaum sein könnte – bis plötzlich das Scherzo-Thema störend dazwischenfunkt! Das Finale perlt wieder spielfreudig und zerberstet die durch den langsamen Satz hergestellte Harmonie. Eine wahre Berg- und Talfahrt, Aufbegehren und Zurücknehmen wechseln sich ab, Hoffnung wird aufgebaut und sogleich wieder unterminiert.

Die Begegnung mit Richard Mühlfeld, dem Soloklarinettisten der damals hoch angesehenen Meininger Hofkapelle, inspirierte Brahms zu mehreren Kammermusikkompositionen mit diesem Instrument, so auch zu dieser Sonate. Brahms legte zu der Klarinettenstimme auch Varianten für Bratsche und Geige bei, um sie mehr Spielern zugänglich zu machen – und schuf so beiläufig eines der meistgespielten Bratschenwerke der Zeit. In seiner Klarinettensonate aktualisierte Brahms die „unmodern gewordene“ Sonatenform und flößte ihr neues Leben ein: Die Sätze hängen untrennbar zusammen und entwickeln sich auseinander, alles beginnt in einer einzigen Keimzelle. In der Version für Bratsche und Klavier liegt die Schwierigkeit in erster Linie darin, dass die Bratsche anders als die Klarinette in den tiefen Lagen nur schwer durch eine volle Klavierstimme durchhörbar ist.

In ihrer Darbietung fokussieren sich Burkhard Maiss und Ji-Yeoun You auf den großen Bogen und die Zusammengehörigkeit innerhalb der Sätze sowie der Sätze als Ganzes. Sie verlieren sich nicht im Moment, sondern behalten den Fluss. Das Klavier tönt voll und reich an Klangfarben, bewegt sich leichtfüßig durch die vielgriffigen Passagen. Maiss spielt Geige wie Bratsche gleichermaßen beschwingt, lebendig und mühelos. Die beiden hören sich gegenseitig zu beim Spielen und schaffen so selbst für die verschobenen Passagen ein Bewusstsein, feuern den Wettstreit der Instrumente – das Mit- und Gegeneinander – regelrecht an. Nur selten einmal funktioniert die Abstimmung der beiden aufeinander nicht: Im Kopfsatz von Schumanns Violinsonate wechseln sich die Instrumente rasch ab, hier wäre ein einheitlicheres Klangideal wünschenswert gewesen; und bei Brahms hört man teils die Bratsche in den tiefen Lagen nur schwer durch, sie ist zu zart gegen das von Brahms akkordlastig gesetzte Klavier. Doch diese Marginalien seien nicht weiter von Bedeutung: Denn hier liegt zweifelsohne eine hervorragende Aufnahme zweier virtuoser, technisch wie (noch mehr) musikalisch fordernder Sonaten, die von den Musikern auch wirklich verstanden und umgesetzt wurden.

[Oliver Fraenzke, Januar 2019]

Widerborstige Etüden

TYX Art, TXA 18100; EAN: 4 250702 801009

Debussy, Szymanowski; Julian Riem (Klavier)

Wir hören den Pianisten Julian Riem mit einer Etüden-CD: Er spielt die Douze Études 1er Livre von Claude Debussy sowie die Études op. 33 von Karol Szymanowski.

Nachdem Frédéric Chopin die Gattung der Etüde von ihrem rein pädagogischen Zweck befreit und sie konzertreif gemacht hat, blühten die Übungsstücke (oder früher „Handstücke“ genannt) auf und zahllose Meister nahmen sich ihrer an. Die meisten blieben dabei, eine technische Hürde auszukosten und sie dem Pianisten das gesamte Stück über in immer anderen Formen und Variationen abzuverlangen. Andere suchten neue Wege: So schrieb beispielsweise Brahms ein Etüdenwerk in Variationsform, die Paganini-Variationen über dessen berühmte Caprice Nr.24, Schumann schrieb „Symphonische Etüden“ ebenfalls mit Variationscharakter, und Rachmaninoff nannte seine Etüden Etudes Tableaux, also Etüdenbilder: Besonders im op. 33 gelang ihm dadurch eine Symbiose aus pianistischen Hürdenläufen und hinreißenden Klangwelten voller Farbe und Magie.

Ein Jahr, nachdem Rachmaninoff seine Etüden fertigstellt hatte, widmete sich Claude Debussy dem Genre – und präsentiert uns gänzlich andere Dimensionen von Klang und Technik. Die insgesamt 24 Etüden in zwei Bänden sind vielleicht Debussys eigenartigstes Klavierwerk und zeigen doch seine ganze Meisterschaft. Sie bilden einen harten Gegenpol zu den drei Jahren zuvor vollendeten Préludes. Debussy widmet jede seiner Etüden einem Ausgangsmaterial, einem Intervall oder einer bekannten Fingerübung, Ornamenten oder Klängen.

Ein weiteres Jahr später setzte sich Karol Szymanowski mit dem Genre der Etüde auseinander und schuf zwölf nicht weniger eigenwillige und teils gar widerborstige Werke, die zu einer Einheit zusammengehören und mit „attacca“ untrennbar miteinander verbunden sind. Szymanowski experimentierte in ihnen mit der freien Atonalität, die zu dem Zeitpunkt recht neu für ihn war, und bildete komplexe Polyphonien. Für Hörer wie Spieler gestaltet es sich schwierig, die dichten Strukturen zu durchdringen – als einzig wahre logische Konsequenz sah Szymanowski von langen Formen ab und beschränkte sich in allen Etüden auf eine Länge von maximal zwei Minuten.

Julian Riem machte er sich zur Aufgabe, einen Zugang zu diesen beiden verqueren Werken zu finden und, nicht zuletzt, zu vermitteln. Dies gelingt auf erstaunliche Weise, vor allem Debussys Etüdenzyklus ist mir nun wesentlich zugänglicher als vor dem Hören dieser CD. Bei Debussy verzichtet Riem auf virtuose Zurschaustellung und degradiert die technischen Anforderungen zum Randphänomen, konzentriert sich dafür auf die harmonische Struktur und die feine Klang- und Sinnlichkeit der Stücke. Die Akkorde tönen warm, voll und exakt, die einzelnen Intervalle wirken ausgewogen. Rasche Passagen verbindet Riem zu sich aufbäumenden Tonwellen, die frei und zwanglos auf den Hörer niederkommen. Besonders keck kostet Riem die Dissonanzen aus, die Erwartungen unterminieren und das Gefüge der Tonalität langsam lösen.

Szymanowski erklingt pathetischer, wilder und losgelöster. Riem versucht nicht, die einzelnen Stimmen der Polyphonie zu hierarchisieren, er genießt den Dissenz der einzelnen Linien. Der Anschlag bleibt selbst im Getöse weich und durchlässig, Riem phrasiert dabei sogar die kleinsten Melodiefetzen und verleiht ihnen logische Geschlossenheit.

[Oliver Fraenzke, Januar 2019]

Die Flöte im Dialog

TYX Art, TXA 18113; EAN: 4 250702 801139 

Robert Gloslot: Chamber Music; Peter Verhoyen (Flöte, Piccolo), Dimitri Mestdag (Oboe, Englisch Horn), Geert Baeckelandt, Marija Pavlovic (Klarinette), Pieter Nuytten (Fagott), Ann-Sofie Vande Ginste, Gudrun Verbanck (Violine), Bieke Jacobus (Bratsche), Lieselot Watté (Cello), Eliz Erkalp (Horn), Roel Avonds (Bassposaune), Eline Gloslot (Harfe) und Stefan De Schepper (Klavier).

Kammermusik des 1951 geborenen Belgiers Robert Groslot hören wir auf der neuen Erscheinung aus dem Hause TYX Art. Auf dieser CD befinden sich die Stücke: Poème secret, Confused Conversations, Hibernaculum, The Green Duck, The Phoenician Sailor und Statement, Reflection and Conclusion. Die ausführenden Musiker sind Peter Verhoyen (Flöte, Piccolo), Dimitri Mestdag (Oboe, Englisch Horn), Geert Baeckelandt, Marija Pavlovic (Klarinette), Pieter Nuytten (Fagott), Ann-Sofie Vande Ginste, Gudrun Verbanck (Violine), Bieke Jacobus (Bratsche), Lieselot Watté (Cello), Eliz Erkalp (Horn), Roel Avonds (Bassposaune), Eline Gloslot (Harfe) und Stefan De Schepper (Klavier).

In meiner letzten Rezension kritisierte ich, Robert Groslots Werke hätten nicht immer einen konkreten Zusammenhang und fielen gerade in großen Formen auseinander. Nachdem ich nun mehr von der Musik des Belgiers gehört habe, muss ich dieses Urteil nur revidieren und den Schöpfer als ernstzunehmenden wie begabten Komponisten bezeichnen. Es hat etwas Zeit gebraucht, die Musik dieses Komponisten zu verstehen und ihre Qualität zu erkennen. Gloslot schreibt in einem eigenständigen, vielseitigen Stil, der sich größtenteils noch in tonalen Sphären aufhält, sie allerdings auch ausweitet und ihre Grenzen erforscht. Dabei versteht er, die Instrumente geschickt und dankbar einzusetzen, ihre Charakteristika herauszuarbeiten. Formell ist Gloslot ein Neuerer, dem man sich unbefangen nähern muss, um hinter sein Prinzip zu kommen: Er verwendet keine traditionellen Formmodelle, wirft aber die Bausteine seiner Musik auch nicht wahllos auf das Papier; Robert Gloslot entwickelt seine Musik aus dem Prinzip der Konversation, beinahe auf sprachlicher Ebene. Die Wechselwirkung der verschiedenen Instrumente oder von eigenständigen Ebenen einer einzelnen Stimme bringt die Musik voran und entwickelt sie auf eine natürliche, da zutiefst menschliche, Weise. Dabei geht der Komponist über die allgemeine Konversation heraus, erschließt immer neue Wege der Kommunikation, wie sie auch in seinen Titeln oft zu finden sind. The Phoenician Sailor ist ein Musterbeispiel dieses Prinzips, hier agieren die Instrumente teils gegen-, teils miteinander, unterbrechen sich, vervollständigen die Phrasen der anderen, kämpfen gegeneinander an, zweifeln aneinander und versöhnen sich.

Dreizehn Musiker sind auf dieser Einspielung zu hören und sie alle überzeugen durch feines und reflektiertes Spiel. Es gelingt ihnen, auf musikalische Weise miteinander zu kommunizieren und lebhaft herüberzubringen, was Gloslot intendiert. Herauszuheben ist Peter Verhoyen an der Flöte, welche das Hauptinstrument aller hier zu hörenden Stücke ist: Mühelos bewegt er sich durch die virtuosen Passagen und brilliert durch klaren Rhythmus. Als Solist wie auch in den Kammermusikkonstellationen überragt er, gliedert sich in jede Besetzung ein und schafft ein reibungsloses Miteinander aller Beteiligten.

[Oliver Fraenzke, Juli 2018]

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[Rezensionen im Vergleich] Abgründe für vier

TYX Art, TXA17090; EAN: 4 250702 800903

Streichquartette des 1945 geborenen Roland Leistner-Mayer spielte das Sojka Quartett für TYX Art ein. Neben dem unbetitelten Fünften Quartett Op. 147 stehen das Sechste Quartett op. 148 „7 untapfere Bagatellen“ und das Siebte Op. 151, das „Ariadne-Quartett“; sie entstammen alle den Jahren 2014-16.

Suchen und Finden eines eigenen Tons, einer individuellen Klangsprache, wurde gerade in der Stilpluralität des 20. Jahrhunderts zu einer zunehmend schwierigen Aufgabe, der sich zahllose Komponisten verweigerten und sich stattdessen herrschenden Strömungen anschlossen, oberflächliche Wirkung über musikalische Substanz stellten und Erfolg in einer Scheinwelt der vorgeblichen „Originalität“ suchten. Ein Widerläufer dieser Haltung ist der in Böhmen geborene Roland Leistner-Mayer, der sich stets fern hielt vom musikalischen Schubladendenken und nach Ursprünglichkeit und Eigenheit strebte. Leistner-Mayer setzte einen Schwerpunkt seines Schaffens auf die Gattung des Streichquartetts, drei in diesem Jahrzehnt entstandene Beiträge bietet vorliegende CD des Sojka Quartetts.

Schwermut durchzieht alle drei Werke, Dunkelheit und Abgründigkeit sind charakteristisch. Leistner-Mayer weiß, den Hörer in bestimmte Stimmungen zu versetzen, in die Tiefe zu ziehen und dort festzuhalten, wie besonders das über sechs Minuten andauernde, finale Presto precipitando aus dem Ariadne-Quartett beweist, welches immer unaufhaltsamer treibend und überwältigender aufbegehrt, ohne einen Moment der Ruhe. Unaufmerksamkeit oder Entspannung sind nicht mit dem Hören dieser Art eruptiver Musik zu vereinbaren. Der Komponist spielt mit Themen, die er lange Zeit auskosten kann und zwischen den Einsätzen der Musiker sich entwickeln lässt, und schroffen Kontrasten, die unvermittelt das Geschehen in neuem Licht erscheinen lassen. Dabei bleibt ein roter Faden durch das gesamte Werk hindurch erhalten und schweißt die Sätze zusammen, gibt eine unmissverständliche Richtung vor. Die Musik macht Sinn – ein heute viel zu selten beachtetes Qualitätskriterium, welches sich nur schwer verbal ergründen, aber sehr wohl erspüren lässt. Die Werke sind tonsprachlich eindeutig ihrem Komponisten zuzuordnen, wiederkehrende Ausdrucksmittel wie langes Tremolieren oder die treibenden rhythmischen Kontraste und Widersetzlichkeiten, die gegeneinander anspielenden Vierer- und Fünferrhythmen, lassen kein Zweifel daran, wer diese Musik geschrieben hat.

Das Sojka Quartett spielt mit großer Passion (im ursprünglichsten Sinn des Wortes) und entfaltet die aufrührende expressive und klangliche Dichte dieser Quartette in symphonischer Fülle. Kantabel und doch knackig fassen die vier Streicher die Musik an. Wünschenswert wäre lediglich noch eine größere Bandbreite an dynamischen Abstufungen, besonders im Pianissimo- und Fortissimobereich, sowie organischere Übergänge zwischen den Extremen, die so oft gefordert werden und in ihrer Gegensätzlichkeit ausgekostet werden sollen. Deutlich sind die einzelnen Stimmen voneinander abzuheben, die Verdopplungen könnten noch mehr als orchestral gesetzte Parallelität verwirklicht werden.

[Oliver Fraenzke, November 2017]

Was eben erwartet wird

TYX Art, TXA17096; EAN: 4 250702 800965

Der 1995 geborene Pianist Alexander Maria Wagner spielt für TYX Art das Erste Klavierkonzert b-Moll Op. 23 von Peter Ilyich Tschaikowsky ein, sekundiert vom RTV Symphony Orchestra Moscow unter Alexei Kornienko. Im Anschluss spielt das Orchester noch die Zweite Symphonie Alexander Maria Wagners, die nach einem Gedicht von Johanna Kapelari konzipiert wurde, welches inmitten der Symphonie auch von Bettina Schönenberg rezitiert wird.

Es ist ein Bild, das unsere heutigen Vorstellungen und Ansprüche an die „klassische Musik“ genauestens widerspiegelt. Ein Virtuose, Wunderkind, rauscht durch eines der gewaltigen und halsbrecherisch schwierigen Konzerte der romantischen Epoche, fingerfertig und brillant, ohne nur eine der Hürden schwierig oder widerhakig erscheinen zu lassen. Hiernach präsentiert sich der Pianist auch noch als Komponist und legt der Öffentlichkeit mit zweiundzwanzig Jahren bereits seine zweite Symphonie vor, auch ein Gigant wie Schostakowitsch war nicht früher dran mit der Komposition seines zweiten symphonischen Werks. Und am Ende bleibt das Publikum begeistert zurück angesichts solch eines jungen Talents.

Die Aufnahme präsentiert uns alles, was heute von einem Genie erwartet wird, eine glänzende Fassade. Und tatsächlich zeigt Alexander Maria Wagner brillante Fingermechanik, aufregende Emotionen und virtuose Fähigkeiten, die vielleicht erstaunen mögen. Doch leider bleibt es zum Großteil bei eben dieser Fassade, dahinter verbirgt sich sehr wenig, das auf musikalische Substanz hinweisen würde. Der Anschlag ist hart und rau, birgt weder Feinsinn noch Hintergründigkeit, ist auf bloßes Brillieren aus; die Lyrik wird nicht erspürt, sondern einfach konventionell ausgeführt; und die herrlichen Harmonien bleiben ziellos aneinandergereihte Akkordgebilde, die eben mehrere Finger zeitgleich erfordern. Dies ist bedauerlich gerade angesichts dessen, dass doch unverkennbar spürbar wird, dass ein Talent in dem jungen Pianisten steckt. Dieses sollte auf musikalischer Ebene gefördert werden und nicht noch weiter auf die Schiene eines rein oberflächlich agierenden „Notenfressers“ gebracht werden, der höchst komplexe Werke spielen, aber nicht verstehen kann.

Die Symphonie steht ganz im Zeichen der heute in Fachkreisen als alleingültig reklamierten Avantgarde, wilde Geräusche und durcheinandergeworfene Töne dominieren das Bild. Harsche Brüche und Kontraste legen manchen interessanten Moment frei, schneiden sich zugleich stets vom vorherigen ab. Doch der Avantgarde-gewohnte Hörer wird nicht mehr geschockt von derartigen Klängen, die seit nunmehr beinahe hundert Jahren in ähnlich brüsker und oft viel schrofferer Form existieren. Eine erneute Suche nach Struktur und Zusammenhang, nach musikalischem Sinn, wäre in jeder Hinsicht viel wertvoller. Und gerade dies ist in Wagners Zweiter Symphonie nicht einmal ansatzweise aufzuspüren, die einzelnen Ebenen überlagern und unterbrechen sich willkürlich, jeder eventuelle Aufbau einer vielversprechenden Entwicklung wird sogleich unterbrochen. Es gibt auch wenig Eigenes in dieser Musik, sie folgt vorhandenen Trends und sucht Halt in vertrauten Topoi unserer Zeit. Doch macht nicht gerade das „Eigene“ eine Symphonie aus? Man denke nur an Sibelius, an Schostakowitsch, Eliasson, Sæverud, Nørgård, Nordgren, Enescu, Lyatoshinsky oder auch den Tiroler Zeitgenossen Michael Franz Peter Huber, sie alle (und viele andere auch) haben sich in jeder Symphonie neu erfunden, haben Originäres geschaffen, sich von Strömungen nicht vereinnahmen lassen und nicht zuletzt die gesamte Form als bezwingenden Zusammenhang zu artikulieren verstanden. Das geräuschhafte, avantgardistische, findet bei den meisten der genannten Komponisten seinen festen Platz und wird doch schlüssig in den großen Kontext integriert.

Bei meinen Ausführungen geht es keineswegs darum, ein junges Talent an seinem Weg zu hindern, ihm einen Stein in den Weg zu legen oder es plump zu attackieren. Mein Anliegen ist vielmehr, Bewusstsein zu schaffen dafür, eigenständig in der Musik zu forschen und das Wissen um prinzipielle Zusammenhänge zu vertiefen – als Ausführender wie als schaffender Musiker. Wir haben reichlich hochbegabte Virtuosen, aber wir haben nicht genügend wirkliche „Musiker“, denen die Musik mehr bedeutet als der äußere Erfolg. Musik ist etwas so Unergründliches, jeder Zusammenhang ist einmalig, jede Konstellation unwiederholbar – wir sollten sie nicht als gegeben hinnehmen, sondern von Grund auf stetig neu zu erfahren suchen. Ich bin überzeugt, Alexander Maria Wagner hätte die Fähigkeit dazu, ein „Musiker“ zu werden, sofern er denn einen eigenen Weg gehen will und sich nicht leichtfertig der Oberflächlichkeit des Business und seiner Erwartungen unterwirft. So hoffe ich bei diesem Text vielleicht noch mehr als bei anderen, dass er von den richtigen Stellen gelesen und beachtet, nicht in kurzsichtigem Karrierewahn einfach nur als „negative Kritik“ beiseite gelegt wird.

[Oliver Fraenzke, November 2017]

Wanderer zwischen den Welten

SANDRO BLUMENTHAL (1874-1919): Klavierquintette Opp. 2 und 4,  Lieder

Sophie Klussmann, Sopran, Oliver Triendl, Piano, Daniel Giglberger, Violine, Helene Marechaux, Violine, Corina Golomoz, Viola, Bridgetown MacRae, Violoncello

TYX Art, TXA1607; EAN 4 250702 800798

Der in Venedig als Sohn eines Deutschen Bankdirektors geborene Sandro Blumenthal erhielt seine musikalische Ausbildung in Venedig und ab 1896 in München bei Josef Rheinberger. Der ermutigte ihn zu klassischen Kompositionen, von denen seine zwei Klavierquintette auf dieser CD zu hören sind. Zusammen mit vier Liedern – leider fehlen die Texte im Booklet, denn die Textverständlichkeit der Sängerin lässt wieder einmal sehr zu wünschen übrig, schade – geben Sie einen schönen Eindruck von dieser Seite des Komponisten. Seine andere, die ihn dann auch sehr viel berühmter werden ließ, ist die Hinwendung zum Kabarerett. Blumenthal gehörte als „Henkersknecht“ dem  berühmten Münchner Emsemble „Die Zwölf Scharfrichter“ an. Er war zeitweise der musikalische Leiter, trat selbst mit eigenen Liedern zu Gitarre auf und galt als einer der besten Interpreten dieses Genres. Eine kurze Zeit half  seine Herkunft – sein Geld vor allem – das Ensemble trotz größter finanzieller Schwierigkeiten über Wasser zu halten. Nach der Auflösung der Scharfrichter verdingte er sich in verschiedensten Städten als beliebter und gefragter Sänger zur Gitarre, lebte mit seiner Familie in Berlin und starb schon mit 45 Jahren im Jahr 1919.

Zu seinen Kompositionen „ernster“ Musik, die zu den Semester-Abschlusskonzerten erklangen und durchaus auch von der Presse sehr wohlwollend aufgenommen wurden, ist zu bemerken, dass sie sich sowohl durch melodische, als auch harmonische und – vor allem in den Scherzo-Sätzen – rhythmische Finessen auszeichnen. Natürlich ist das alles Musik im Rahmen der Spätromantik, aber durchgehend im eigenem Ton und sehr gewandt komponiert, aber auch von den Ausführenden – die meist mit dem Münchner Kammerorchester verbunden sind – sehr engagiert und lebendig musiziert. Wenig begeistert bin ich dagegen von den vier Liedern, denn die hochdramatische Sopranstimme lässt dem Text und der Verbindung von Poesie und Musik sehr wenig Raum. (Sandro Blumenthal muss als Vortragender seiner Lieder zur Gitarre ein Phänomen an Aussage und Verständlichkeit gewesen sein!) Eine lohnenswerte Entdeckung ist diese CD allemal, lässt sie doch auch neben den Münchner Größen eines Thomas Mann oder eines Richard Strauss eine andere – für die Kultur der damaligen Stadt nicht weniger wichtige Figur -lebendig werden. Ganz persönlich für mich selbst, habe ich doch meine Ausbildung als Sänger und Gitarrist bei Kurt Weinhöppel in München erhalten, dessen Vater – Richard Weinhöppel – unter dem Namen Hannes Ruch ebenfalls einer der maßgeblichen Komponisten der „Zwölf Scharfrichter“ war.

[Ulrich Hermann, Oktober 2017]

Musik als Sprachkonversation

TYX Art, TXA17094; EAN: 4 250702 800941

 

Cellowerke des 1951 geborenen Belgiers Robert Groslot bringt vorliegende CD. Das Programm beginnt mit Conundrum für Cello und Klavier, worauf die Unclouded Conversations für zwei Violoncelli folgen. Abgerundet wird die Aufnahme durch die Sonate für Cello Solo. Es spielen Ilia Yourivich Laporev am Cello, Ilia Laporev jr. als zweiter Cellist in Unclouded Conversations und Dasha Moroz am Klavier.

Konversation ist das Leitthema, das die drei Werke vorliegender Platte verbindet. Am deutlichsten wird dies in den zentral platzierten „Unclouded Conversations“ mit den Sätzen Fable, Debate, Pillow Talk, Questioning und Prophecy, doch auch die anderen Werke leugnen ihren Bezug zur Sprache nicht. Robert Groslot versteht musikalische Struktur wie eine gesprochene Konversationsstruktur, gegliedert in Sätzen, die ebenso aneinandergereiht werden können wie plötzlich abbrechen, sich überlagern und gegenseitig interagieren. Gleich einem unvorbereiteten Gespräch ist die Musik aus der Improvisation gedacht und legt Wert auf Verständlichkeit und Mitvollziehbarkeit für den Hörer.

Tatsächlich besitzt die Musik zwar eine durchhörbare Einfachheit und Klarheit des Aufbaus, doch fehlt in manchen längeren Sätzen ein übergeordneter Zusammenhang. So angenehm die Musik anzuhören ist, so schnell verliert man sich auch in den Weiten der sich auftuenden klingenden Welten. Nichtsdestoweniger gibt es hinreißende Passagen, die erfüllt sind von bezaubernden Ideen und innerlich erfühlten Klängen. Groslot weiß, mit den Instrumenten umzugehen und entlockt ihnen dankbare Effekte, die nie gegen instrumentenspezifische Natürlichkeiten verstoßen, wie man es eigentlich von der „Neuen Musik“, insbesondere der ab den frühen 1960er Jahren, gewohnt ist. Die Stücke bestehen aus aneinandergereihten und manchmal ineinander übergehenden Episoden, von denen viele sehr inspiriert sind. Für kommende Werke wäre noch zu hoffen, dass zwischen den Abschnitten stärkerer Zusammenhang herrschte, die Ideen untereinander metamorphisierten und in Beziehung zueinander träten.

Sehr beglückend ist die Leistung der agierenden Musiker, die sich spürbar mit dieser Musik auseinandergesetzt haben und ihren Teil zu einer gelungenen Einspielung beitragen. Höchst sensibel gehen sie auf die harmonischen Wendungen und melodischen Verläufe ein, versuchen auch, einen gewissen Zusammenhang herzustellen.

 [Oliver Fraenzke, September 2017]