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Magische Flötenklänge an der Mosel

Das Theater Trier brachte DIE ZAUBERFLÖTE von Wolfgang Amadeus Mozart, in einer Inszenierung von Heinz-Lukas Kindermann am 28. Juni 2018 zum vorletzten Mal zur Aufführung. Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier wirkt ebenso mit wie die Statisterie (einstudiert von Christian Niegl) und der Opernchor und Extrachor des Theater Trier unter Leitung von Generalmusikdirektor Victor Puhl. Die Bühne machte Heinz Hauser, Carola Vollath war für Kostüme verantwortlich, die Choreographie stammte von Darwin José Diaz Carrero und Robert Przybyl. Die Rollen waren folgendermaßen besetzt: Sarastro: Irakli Atanelishvili, Tamino: James Elliot, Papageno: Bonko Karadjov, Königin der Nacht: Frauke Burg, Pamina, deren Tochter: Eva Maria Amann, Monostatos: Fritz Spengler, Erste Dame: Evelyn Czesla, Zweite Dame: Sotiria Giannoudi, Dritte Dame: Silvia Lefringhausen, Sprecher: Franz Grundheber, Erster Priester: Carsten Emmerich, Zweiter Priester: Fernando Gelaf, Erster Knabe: Tobias Stephanus, Zweiter Knabe: Héloise Neuberg, Dritter Knabe: Miao Yan Law, Altes Weib (Papagena): Helena Steiner, Erster geharnischter Mann: Gor Arsenyan, Zweiter geharnischter Mann: László Lukács.

Die Zauberflöte in heutigen Zeiten zu inszenieren, erscheint auf den ersten Blick wie ein aussichtsloses Unterfangen. Auch nach über 200 Jahren erfreut sich das letzte Bühnenwerk Mozarts ungebrochener Beliebtheit, was es schwierig macht, eine originelle und erfrischende Inszenierung auf die Beine zu stellen. Nichts desto weniger unternahm das Theater Trier zum Abschluss seiner Saison 2017/18 genau diesen Versuch. Heraus kam eine gleichermaßen interessante, ja kluge, und durchaus phantasievolle Adaption jener Oper, die der ehemalige Intendant des Theaters dieser Stadt, Heinz-Lukas Kindermann, hervorbrachte. Dieser Regisseur, immerhin schon über achtzig Jahre alt, hat nicht nur die Antikenfestspiele Triers ins Leben gerufen, sondern wirkt darüber hinaus (wie sich aus dem informativen, aber nicht überladenen Programmheft entnehmen lässt) regelmäßig in Wien, unter anderem als Präsident des österreich-bayerischen Forums, das sich für die Bewahrung berühmter Opernbüsten und Fresken einsetzt.

Was geschah nun in der Trierer Zauberflöte? Statt konservativem Pomp oder minimalistisch-„moderner“ Kargheit kam hier ein reflektiertes und stellenweise auch schillerndes Szenario zum Vorschein, das die Phantasie der Kinder anregt und Erwachsene zum Nachdenken einlädt. Das Bühnenbild ziert vor allem ein großdimensionierter Spiegel, der nicht nur verschiedenste Effekte erzielte (in Verknüpfung mit übriger Bühnentechnik), sondern auch eine symbolische Hintergründigkeit evoziert, gleichsam, als solle sich jeder einzelne Charakter dieses Singspiels immer wieder reflektieren. Auch andere Facetten der Inszenierung fallen positiv auf: Bei der Arie „Wie stark ist nicht dein Zauberton“ war es seit Schikaneders Zeiten zumeist üblich, Menschen in allerlei Tierkostümen tanzen zu lassen. Kindermann jedoch projiziert stattdessen leuchtende Augenpaare in den Hintergrund, was der recht heiteren Arie eine dunklere, unheimlichere Strömung verleiht und angenehm kitschfrei wirkt.

Reflektiert, ja eigenwillig, wirken denn auch die Kostüme: Zwar bekommt man den Eindruck, als hätte sich Carola Vollath hauptsächlich an Kleidungen des spätviktorianischen England orientiert. Das allein wäre aber zu kurz gedacht. Nahezu jede Szene ist gekennzeichnet durch einen detailgenauen Wechsel der Kostüme, welche den Fortgang der Handlung nachempfinden. Trägt etwa Tamino zu Beginn der Oper noch ein schlichtes Streifenhemd mit einer Latzhose dazu, so zeichnet der edle weiße Umhang am Ende den Helden aus, der seine Prüfungen nun endgültig bestanden hat. Auch die Choreographie der beiden Tänzer Darwin José Diaz Carrero und Robert Przybyl hatten ihre besondere Note. Sparsam eingesetzt, sorgten deren Bewegungsmuster für kräftig-eigenständige Akzente, mal für ein Schmunzeln, mal für Nachdenklichkeit.

An Mühen und Kosten wurde nicht gegeizt, was für ein vergleichsweise kleines Theater wie das von Trier doch beachtlich ist. Auch musikalisch und schauspielerisch merkte man nahezu jedem Mitwirkenden seine Freude an, was vielleicht auch der Tatsache zu verdanken ist, dass es sich hierbei um die letzte Produktion unter der Stabführung von Generalmusikdirektor Victor Puhl handelt. So erklang etwa die Ouvertüre unter seinem Dirigat sehr zügig und schwungvoll. Einzelne Instrumente leuchteten hier besonders hervor, so etwa die Flöten oder die Oboen, und glichen ein paar wenige Läufe im Seitenthema aus, die übereilt vorüberhuschten.

In der ersten Nummer sind es dann die drei Damen Evelyn Czesla, Sotiria Giannoudi und Silvia Lefringhausen, welche stimmlich gut miteinander verschmolzen und auch sichtlich ihre Freude daran hatten, als personifizierte Vamps aus dem Varieté verführerisch aufzutreten. Heimlicher Star des Abends war Bonko Karadjov, der mühelos die meisten Lacher der Zuschauer für sich zu gewinnen verstand. Sei es in der berühmten „Vogelfänger“-Arie, die als kleine Überraschung einen alternativen Text von Michael Ende enthält, sei es aber auch in „Bei Männern, welche Liebe fühlen“, in der seine robuste und kantige Stimme auch lyrisch wurde und sehr schön mit seiner Partnerin Eva Maria Amann harmonierte. Seinen komödiantischen Höhepunkt jedoch fand Karadjov in „Ein Mädchen oder Weibchen“, was er zu einer wahren Farce umgestaltete. So schnappte sich der Sänger keck den Taktierstab von Monsieur Puhl und bot seine eigene Version dieser heutzutage etwas bieder erscheinenden Arie, was dann selbstbewusst lächerlich und sympathisch wirkte.

Nicht zu vergessen sei sein Kompagnon James Elliot als Tamino. Hatte dieser anfangs noch seine Schwierigkeiten, so war dies spätestens bei der „Bildnisarie“ vergessen: Hier zeigte sich sein lyrisch-einfühlsamer und zugleich energischer Tenor englischer Schule. Überhaupt wuchs er den Abend stets über sich hinaus, auch schauspielerisch, und erwies sich als zuverlässiger und musikalischer Partner gerade in Ensemblenummern. Am eindrucksvollsten zeigte sich dies im langen Dialog mit dem Sprecher der Eingeweihten, wo Mozart ein begleitetes Rezitativ komponierte. Hier konnte das Theater einen prominenten Gast und gebürtigen Trierer an jenem Donnerstag begrüßen: Franz Grundheber, der hier trotz seines hohen Alters einen starken und einprägsamen Auftritt hinlegt. Als ungewöhnlich und jenseits vieler gängiger Darstellungsmuster erwies sich die Königin der Nacht, Frauke Burg. So erschien ihr erster Auftritt in „Oh zittre nicht“ nur anfangs als „grandios“. In Wahrheit wirkte sie wie eine fremde Macht, nicht von dieser Welt, ein Eindruck, den Burg durch ihre fluoreszierend-helle Stimme und ihre sichere Führung unterstrich. Schade nur, dass nicht nur an dieser Stelle das Bühnenbild einen erheblichen Haken offenbarte: So wirkungsvoll der Spiegel optisch war, so problematisch erwies er sich für viele Sänger, die dahinter agierten, was sich auf die Textverständlichkeit auswirkte. Wie gut, dass dann die Höllenarie auf dem vorderen Bühnenteil stattfand: Hier offenbarte Frauke Burg eine ganz andere Seite: Die rachsüchtige und zugleich um ihre Macht fürchtende Königin verkörpert sie hier voll und ganz überzeugend. Anstatt auf bloße Bravour zu setzen, wie dies einige Koloratursopräne tun, verstand es Frauke Burg von Anfang bis Ende, Gänsehaut sowie einen Klang voll düsterer Energie und eine Spannungskurve zu erzeugen, wozu ihre bewussten Rubati beitrugen.

Als ebenbürtiger Gegenpol agierte Eva Maria Amman als Pamina: Mit ihrer vollen und intonationssicheren Stimme wusste sie sich auf vielfältige Weise in Szene zu setzen. Ihren größten Auftritt jedoch hatte sie in „Ach, ich fühls“. Die todtraurige Stimmung dieser Arie über den scheinbaren Verlust der Liebe wusste sie nicht nur einzufangen, sondern auch erlebbar zu machen. Bis in die kleinste dynamische Facette sang, rief und hauchte sie ihre Töne voller musikalischer Inbrunst aus. Wiederum als Antipode trat ihr erster Partner des Abends, Fritz Spengler als durchtriebener Moor Monostatos auf. Hier erwies es sich als originelle Idee, statt dem üblichen Spieltenor einen Countertenor zu nehmen. Spengler versteht es, durch die helle Sopranlage seiner Stimme, der Figur eine ironische Leichtigkeit zu verpassen, hinter der Komplexe und Abgründe lauern. Spätestens in seiner Arie „Alles fühlt der Liebe Freunden“ wird das deutlich: Hier zeigte der junge Countertenor, was Monostatos eigentlich umtreibt: Er möchte lieben und geliebt werden, was ihm seinerzeit allerdings allein wegen seiner Hautfarbe verwehrt blieb.

Als Sarastro bestach der georgische Sänger Irakli Atanelishvili. Zwar merkte man ihm seinen sprachlichen Akzent deutlich an, dem musikalischen Genuss tat das jedoch keinen Abbruch. Sowohl bei „O Isis und Osiris“ als auch bei „In diesen heil´gen Hallen“ sang er gleichermaßen kräftig und sonor und mit runder Stimmführung, auch strahlte er trotz seines jungen Alters schon die Autorität aus, welche zum Charakter des Sarastro dazugehört. Präsent, aber auch nicht allzu drollig, sind die drei Knaben auf der Bühne. Auch wenn deren höchste Stimme manchmal Mühe hat, hervorzutreten, so waren die Kinder doch sorgfältig einstudiert. Leider herrschte bei den zwei Geharnischten ein klangliches Ungleichgewicht, hier war es der tiefere der beiden, welcher sich nicht so recht durchzusetzen vermochte, obgleich ja sonst alles stimmte. Auch geriet hier die Begleitung durch das sonst so grundsolide Orchester matt, da der Fluss innerhalb der Polyphonie etwas fehlte. Umso erfreulicher dann der große Schlussauftritt Papagenos, indem dann auch die junge Helena Steiner als Papagena sich stimmlich entfalten durfte und davor eine Spiellust offenbarte, die einen zum Schmunzeln bringt. Und was wäre schließlich eine Zauberflöte ohne Chor? Hier sorgte der verstärkte Opernchor des Theater Trier für einige große Auftritte sowie einen wirkungsvollen Schluss, insbesondere die Männerstimmen überzeugen.

Fazit: Natürlich handelt es sich bei diesem Theater nicht um ein großes Opernhaus wie beispielsweise in Wien, was entsprechend bemerkbar wird, und doch haben die Trierer doch eine mehr als beachtliche, unverkrampfte und alles andere als herkömmliche Zauberflöte kreiert und damit anderthalb Monate lang für ein ausverkauftes Haus gesorgt – zu Recht, wenn man alleine die Leistungen von diesem Abend bedenkt, an dem das Publikum schon gar nicht mehr aufhören wollte zu applaudieren. Emmanuel Schikaneder und Mozart wären sicher stolz auf so viel Zuspruch gewesen!

[Peter Fröhlich, Juli 2018]

Britten in Trier

Benjamin Brittens Oper „A Midsummer Night’s Dream“ erlebte in einer neuen Inszenierung von Sam Brown ihre Première im Theater Trier (Teatrier) am 24. September 2016, weitere Vorstellungen gibt es bis zum 30. Oktober. Es wirken das Philharmonische Orchester der Stadt Trier sowie der Kinder- und Jugendchor (geleitet von Martin Folz) und Statisterie (einstudiert von Christian Niegl) des Theater Trier unter Leitung von Generalmusikdirektor Victor Puhl mit.
Die Bühne machte Simon Lima Holdsworth, Loren Elstein war für Kostüme verantwortlich, Choreograph war Hannes Langolf. Die Rollen waren folgendermaßen besetzt: Benjamin Britten (Prolog): Benjamin Popson, Indischer Junge: Luis Grammatikou, Oberon: Fritz Spengler, Titania: Frauke Burg, Puck: Paul Hess, Theseus: László Lukács, Hippolyta: Bernadette Flaitz, Lysander: Benjamin Popson, Demetrius: Bonko Karadjov, Hermia: Clare Presland (singend) / Ulrike Malotta (spielend), Helena: Eva Maria Amann, Zettel/Pyramus: Don Lee, Quenz/Prolog: Lukas Schmid, Flaut/Thisbe: Rouwen Huther, Schnock/Löwe: Eui-Hyun Park, Schnauz/Wand: Wolfram Winter, Schlucker/Mond: Carsten Emmerich, Spinnweb: Emilia Scharf, Bohnenblüte: Lina Schankweiler, Senfsamen: Zoë Salm, Motte: Laetitia King, Flötenelfe: Clara Folz.

Welch ein großes Ereignis ist eine solche Première für die Stadt Trier! Ein Theater mittlerer Größe führt nicht alle Tage eine groß besetzte, abendfüllende und nur mit größtem Aufwand überhaupt zu realisierende Oper des 20. Jahrhunderts auf wie „A Midsummer Night’s Dream“ von Benjamin Britten nach William Shakespeare auf Libretto eigener Feder unter Mithilfe von Brittens Lebensgefährten und Gesangspartner Peter Pears (mit welchem wundervolle Aufnahmen entstanden, gerade die Liederzyklen Schuberts mit Britten und Pears gehören zu den besten Einspielungen überhaupt). Und Trier machte ein wahres Spektakel daraus, hat tatsächlich alle erdenklichen Mittel aufgefahren, den Abend zum ‚Ereignis’ avancieren zu lassen.

Nach einem stimmungsvollen Prolog, dem eigentlich nicht zur Oper gehörigen, sondern durch die Inszenierung Sam Browns hinzugefügten Lied „The Wanderings of Cain“ (Gedicht: Samuel Taylor Coleridge; aus Brittens Nocturne für Solotenor, sieben obligate Instrumente und Streichorchester Op. 60), öffnet sich der Vorhang und gibt eine bezaubernde Bühnengestaltung preis. Bäume schmücken eine von Simon Lima Holdsworth gestaltete Drehbühne, die durch einen mittig platzierten Hügel zwei Einzelbühnen realisiert, um organische Szenenübergänge ohne Umbau zu ermöglichen. Hinreißende Details wie Klappen im Hügel, aus dem Elfen zum Tanz kommen, oder ein phänomenal blendender Sonnenaufgang (sehr hell für die Zuschauer!) ziehen in ihren Bann. Die Inszenierung ist herrlich, wie ein Traum, abwechslungsreich und farbig schillernd, ebenso die elegant eingebetteten Choreographien von Hannes Langolf.

Stiller Star des Abends ist und bleibt unangefochten Paul Hess als Puck. Zwar hat er nicht eine Note zu singen, doch in seiner Sprechrolle überzeugt er vollkommen. Und noch weitaus mehr mit seinen choreographischen Fähigkeiten: Schon schwingt er sich auf einen Baum, dann fliegt er an Seilen befestigt über die Bühne, unerwartet springt er vom Hügel und rollt sich mit federnder Leichtigkeit ab, dann umschmeichelt er wieder zart seinen Herren Oberon. Puck ist omnipräsent in Browns Inszenierung und verleiht ihr das Phantastische, Märchenhafte, das wesentlich zum Gesamteindruck beiträgt.

Leider indisponiert ist an diesem Abend Fritz Spengler als Oberon. So filigran und übernatürlich könnte die Rolle sein, wäre sie nicht wie hier ohne jeden Glanz, ohne Farbigkeit oder Klangfülle gesungen. Oberon ist die Rolle eines lupenreinen und doch bestimmten, herrschaftlichen (teils überraschend tief gesetzten) Countertenors und nicht die einer heißeren Kopfstimme mit Intonationsschwierigkeiten. Umso mehr fällt dies auf, wenn neben ihm seine Elfenpartnerin Frauke Burg als Titania steht, die mit ihrem brillanten Koloratursopran die Halle zum Schwingen bringt, dass man meinen möchte, alles Glas würde bald zerspringen. Eine vielversprechende Begabung, von der wir noch einiges hören könnten. Überzeugend sind auch die Liebespaare Lysander (Benjamin Popson) und Hermia (Clare Presland, Ulrike Malotta) sowie Demetrius (Bonko Karadjov) und Helena (Eva Maria Amann). Hervorstechen konnte hierunter zumal Clare Presland, welche erst am Premierentag aus London eingeflogen wurde, um der erkrankten Ulrike Malotta ihr Stimme zu leihen. Diese übernahm die gespielte Rolle und bewegte ihren Mund, von der Seite synchronisierte Presland mit so elegantem wie stimmgewaltigem Mezzo-Sopran von atemberaubender Schönheit.

Die Handwerker (Don Lee, Lukas Schmid, Rouwen Huther, Eui-Hyun Park, Wolfram Winter, Carsten Emmerich) waren es, die sich am meisten in die Herzen der Zuschauer sangen. Ihre Rollen sind so herrlich komödiantisch und vielseitig, so charmant tollpatschig und liebenswert geschrieben, dass man sie einfach mögen muss. Vielleicht sind diese Sänger stimmlich nicht die sonorsten, textverständlichsten oder sinnlich überwältigendsten, doch passen sie sich allesamt bestens in ihre Rollen ein und spielen aus voller Überzeugung und mit Herzblut. Stimmlich beeindruckt hat von ihnen am meisten Don Lee als Zettel und Pyramus, der gerade in seiner Eselsgestalt so wunderbar seine Stimme überschlagen lassen kann und sogleich wieder lupenrein weiterzusingen vermag. Auch Flaut beziehungsweise Thisbe, gesungen von Rouwen Huther, überrascht mit seiner wandelbaren Stimme, die er so schön falsch klingen lassen kann, wenn es auf diese Art von Britten vorgesehen ist (der erste Einsatz von Thisbe, die nervös auftritt und deshalb in einer falschen Tonart beginnt). Allgemein charakterisiert die Handwerker, dass sie – sofern angebracht – ihre Passagen mit übermäßiger Unkultiviertheit und überzogener Laienhaftigkeit würzen, wie es die Rollen eben auch verlangen, was für etliche Lacher sorgt.

Bezaubernd sind auch die Jüngsten auf der Bühne, der Kinder- und Jugendchor des Theater Trier, und die daraus hervortretenden Gesangssolisten. Schon die Kleinsten beherrschen die teils aufwändige Choreographie und singen komplett auswendig, eine beachtliche Leistung!

Doch warum ist die Klangbasis teils so farblos, matt, uninspiriert oder gar ängstlich? Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier bietet nicht den facettenreichen Boden, auf dem sich die Sänger ungezwungen entfalten können – dabei bleibt doch nicht zu überhören, dass die Musiker ihre teils äußerst heiklen Passagen gut bewältigen und musikalisch wesentlich mehr herausholen könnten als geschehen. Generalmusikdirektor Victor Puhl scheint seinen Musikern nicht das Feuer überreicht zu haben, die Musik lebendig zu entfalten und aus sich herauszugehen, frei und mutig zu agieren. Statt dessen gibt es nur Notenleserei, die gerade bei den pikanten Glissando-Passagen recht zittrig wird. Puhl könnte so leicht seine graue Routine ablegen, könnte aus dem mittelmäßigen Alltags-Geschäft emporsteigen – es wäre so einfach! Wenn Victor Puhl mit innerer, zerreißender Leidenschaft an die Proben gehen würde, seine Musiker mitzureißen und zu überzeugen vermöchte, wenn er sie vielleicht noch mit herausgemeißelten Details in den Unterstimmen und mit einer lebendigen Musikvorstellung zu überraschen wüsste, dann könnte aus dem teils recht faden und eintönig-introvertierten Orchester in kurzer Zeit ein wirkliches Orchester von Rang werden, Fortschritte wären sicher schon bis zur letzten Vorstellung Ende Oktober sichtbar! Das musikalische Erwachen lohnt sich! (Ebenso wie die große Passage des Erwachens der Liebenden, in einem Eulenspiegel’schen Scherz unterlegt mit einer verzerrten und doch unverkennbaren Reverenz an Strawinskys Sacre!)

Es ist beachtlich, was die Trierer an diesem Abend auf die Beine gestellt haben, diese riesenhafte Oper inklusive informativer Einführung vor dem Konzert durch Peter Fröhlich und ausgedehnter Premierenfeier hinterher, wo alle Beteiligten noch einmal auf die kleine Foyer-Bühne durften. Gerade die ungezwungene Musikalität und Freude mancher Sänger wird mir im Gedächtnis bleiben, fernab von der überkünstelten, makellos polierten Art der heutigen Starsänger, dafür mit wesentlich mehr Esprit.

[Oliver Fraenzke, September 2016]

Trier blickt gen Norden

Die Manfred-Ouvertüre Op. 115 von Robert Schumann, das Klavierkonzert a-Moll Op. 16 Edvard Griegs sowie die dritte Symphonie Op. 44 (ebenfalls in a-Moll) von Sergej Wassilijewitsch Rachmaninoff stehen auf dem Programm des sechsten Sinfoniekonzerts des Philharmonischen Orchesters der Stadt Trier unter Leitung von Generalmusikdirektor Victor Puhl am 31. März 2016. Solist des im Theater Trier stattfindenden Konzerts ist der aus Moldawien stammende Alexander Paley.

Ein anspruchs- und gehaltvolles Programm wählt das Philharmonische Orchester der Stadt Trier für sein 6. Sinfoniekonzert am 31. März. Schon die eröffnende Manfred-Ouvertüre Op. 115 ist ein tiefgreifendes Seelengemälde und erfüllt von Hintergründigkeit. Die düstere Geschichte von Manfred, der sich durch Inzest mit Astarte – vermutlich, doch nicht im Text von Lord Byron wörtlich zu finden, seiner Halbschwester – schuldig machte und so ihren Tod verursachte, läuft durch Magie, Geister und Dämonen unweigerlich auf seinen Tod zu und birgt unermesslichen Stoff zur musikalischen Umsetzung. Schumann schuf daraus ein epochales Melodram-Meisterwerk, das in der Ouvertüre eine gedrängte psychologische Zusammenfassung erfährt. Trotz des vorgezeichneten Es-Dur steht sie eigentlich in es-Moll, todnah und von innerer Zerrissenheit. Nicht weniger ein Meisterwerk ist das einzig vollendete der mindestens vier geplanten Solokonzerte des Schumannverehrers Edvard Hagerup Grieg. Nicht zu Unrecht ist der Geniestreich des in der Mitte seines dritten Lebensjahrzehnts stehenden Norwegers eines der meistgespielten Klavierkonzerte aller Zeiten, und dies trotz der erheblichen Selbstzweifel Griegs an seiner Musik, die ihn dazu brachten, auch dieses Werk mehrfach zu revidieren. Seit der Uraufführung nicht gleichermaßen beliebt ist die dritte Symphonie a-Moll Op. 44 von Sergej Rachmaninoff, fast 30 Jahre nach seiner zweiten Symphonie entstanden. Tatsächlich weist sie wohl doch ein paar Längen auf und besitzt nicht ganz die Stringenz seiner Klavierkonzerte oder der Symphonischen Tänze Op. 45, die sein letztes Werk werden sollten.

Die erste Konzerthälfte ist vor allem durchzogen von Temposchwankungen, die zum Teil äußerst irritierend wirken. Grund dessen sind hauptsächlich die ausladenden und nicht ausschließlich zu musikalischen Zwecken eingesetzten Gesten von Generalmusikdirektor Victor Puhl, die ihm teilweise wörtlich genommen über den Kopf zu wachsen scheinen. So wird es schwierig, die wie magisch miteinander verschweißten Übergänge mitzuverfolgen oder den unweigerlich aufs Ende hin verlaufenden Fluss zu verspüren. Einige klanglich ansprechende Momente gibt es schon, etwa das Versterben vor dem letzten kurzen Aufbegehren gerät recht stimmungsvoll. Insgesamt gelingt es Victor Puhl auch recht gut, den Unterstimmen zur Geltung zu verhelfen und eine stetige polyphone Wirkung zu erreichen, die in allen der dargebotenen Werke durchaus vernehmlich ist, doch von vielen Dirigenten als reine Begleitwirkung vernachlässigt wird.

Eine absolute Premiere findet beim Klavierkonzert a-Moll Op. 16 Edvard Griegs statt: Alexander Paley übernimmt erstmals in diesem Werk öffentlich den Solopart nach jahrzehntelanger Konzerttätigkeit. Rückblickend ist es unvermeidlich, zu sagen: Hätte er es doch mal lieber sein lassen. Der durchaus informative Einführungsvortrag vor dem Konzert warnt bereits, Paley habe einige Eigenheiten und bringe seine persönliche Note in die vorgetragenen Werke. Dass sich diese „Eigenheiten“ in komplett unmusikalischen Freiheiten, vollkommen unpassenden ständigen Rubati und an den Haaren herbeigezogenen Akzentuierungen ausdrücken, war dann doch ernüchternd. Es ist dem Dirigenten unmöglich, den wirren Temposchwankungen zu folgen und der brutalen und gehackten Lautstärke etwas nur halbwegs Passendes entgegenzubringen. Lediglich am Ende des zweiten Satzes scheint Paley zu merken, wie sinnlos und stupide er an der Musik vorbeigeht, und lässt sich einmal von den Noten tragen, statt sie frappierend grotesk zu entstellen. Zu Beginn des Finales ist dies jedoch schon wieder vergessen und er schmettert statt dem schwungvollen Halling einen tosenden Säbeltanz – ein lauter „Hayja“-Schrei seinerseits verstärkt dieses Zerrbild überdies. Von mir unerklärlichen Bravo-Ausrufen angespornt, rattert er noch eine kurze Zugabe herunter, die allerhöchstens als erträglich bezeichnet werden kann. Das Orchester bemüht sich wirklich, etwas Musikalität einzubringen – Paley unterbindet dies resolut und mit Erfolg.

Ein vollkommen anderes Bild bietet sich nach der Pause, Rachmaninoff scheint wesentlich mehr geprobt zu sein als Schumann, und dies ist hörbar! Durch lebendige Hervorbringung der Nebenstimmengeflechts glänzt das umstrittene Werk in Plastizität und Vielseitigkeit, wodurch auch einige der bekannten Längen gar nicht so lang erscheinen. Auch ist der Klang nun wesentlich ausgewogener als zuvor. Zwar bleiben noch immer einige eher blässliche Stellen und die bereits beanstandeten unfunktionellen Temposchwankungen, doch ist alles in allem eine enorme Steigerung gegenüber der ersten Konzerthälfte offenkundig.

Gab es zwar in der ersten Hälfte doch einige Komplikationen, zumal vom Pianisten ausgehend, so kann doch das Schlussstück einigermaßen überzeugen, nicht zuletzt einiger Musiker wegen, die mit ihrem Können und ihrer Einfühlung in teils glänzenden Soli das Publikum in innere Bewegung bringen.

[Oliver Fraenzke, April 2016]