Alpha CD 203, Outhere Music, ISBN: 3 760014 192036
Anna Vinnitskaya ist Solistin in den Klavierkonzerten von Dmitri Schostakowitsch, zusammen mit der Kremerata Baltica. Im ersten Konzert wird sie flankiert vom Solotrompeter Tobias Willner und im zweiten sekundiert von den Bläsern der Staatskapelle Dresden sowie dem Dirigenten Omer Meir Wellber. Gemeinsam mit Ivan Rudin folgen das Concertino Op. 94 sowie die Tarantella für zwei Klaviere.
Das vierte Album der jungen Pianistin Anna Vinnitskaya ist vollständig der Musik von Dmitri Schostakowitsch gewidmet, die den pianistischen Werdegang der Russin von Anfang an prägte. Die beiden mit großem Abstand voneinander komponierten Klavierkonzerte sowie zwei Werke für zwei Klaviere bilden das mit unter 50 Minuten recht knappe, dabei durchaus prägnante Programm. Gerade bei den Klavierkonzerten liegen die Ansprüche an eine Aufnahme extrem hoch, spielte doch schließlich der Komponist beide vortrefflich selber ein. So findet sich vom Konzert Op. 35 eine Aufnahme unter Samuil Samosud mit dem Moscow Philharmonic Orchestra und dem Trompeter Josif Volovnik, sowie vom F-Dur-Konzert Op. 102 mit dem Orchestre National de la Radiodiffusion Française unter Leitung des belgisch-deutschen Dirigenten André Cluytens. Diese genannten Platten sind absolut maßstabsetzend, kein Wunsch bleibt offen bei dem harten, präzisen und vor allem kernigen Anschlag Schostakowitschs, der es genau versteht, einen fülligen und vielschichtigen Klang zu erzeugen frei von jeder unnötigen Gewalt und Versteifung, und der jenes unablässige Precipitando-Grundgefühl erzeugt, ohne tatsächlich davonzueilen. Natürlich gilt es nicht, dieses absolut einmalige und unverwechselbare Spiel des Komponisten blind nachzuahmen, doch sollte es einen gewissen Anhaltspunkt geben im Bezug auf den Charakter, die Klanglichkeit der Klavierstimme sowie auf die stimmige Zusammenarbeit mit dem Orchester.
Eben diese Faktoren berücksichtigt Anna Vinnitskaya bei ihrem Spiel, das als höchste Grundprinzipien Klarheit, Präzision und Durchhörbarkeit zu haben scheint. Dennoch findet sie ihren eigenen Stil, nimmt den Konzerten somit an Härte und lässt stattdessen mancherorts einen leichten romantisch angehauchten Schleier über die Melodielinien sinken. Die Kremerata Baltica und die Bläser der Staatskapelle Dresden passen sich der Solistin an und lassen sogar in engen tiefen Lagen jede einzelne Stimme heraushören, was in zahlreichen anderen Interpretationen in ein undurchsichtiges Gebräu abgleitet. Besonders erstaunlich ist das gute Zusammenspiel beim ersten Konzert für Klavier, Trompete und Streicher, welches die Solistin vom Klavier aus dirigiert, was üblicherweise zu weit größeren Auffassungsdifferenzen und Asynchronitäten führt, hier jedoch eine detailgetreu abgestimmte Ausgestaltung des Orchestersatzes nicht verhindert.
So gut das Konzept ihres ausgefeilten Anschlags auch aufgehen mag, so fällt im Vergleich zu den Aufnahmen des Komponisten selbst doch teilweise auf, dass der oft eher weiche und vornehmlich zurückhaltende Tastendruck manche Kulminationen verharmlost und bei Weitem friedlicher, gezähmter dastehen lässt. Auch geht ihr die Fülligkeit des Schostakowitsch’schen Anschlags ab, weshalb passagenweise ein recht dünner Klang entsteht, was allerdings auch zum anpassungsfähigen und somit ebenso Zurückhaltung übenden Orchester passt. Diese Feingliedrigkeit und sanfte Präzision birgt jedoch auch zweifelsfrei einen ganz eigenen Charme und eröffnet neue Räume zur Entfaltung. Und dass sie auch harte Klänge mit nur geringem Maß an Gewaltanwendung beherrscht, beweist Anna Vinnitskaya mehr als einmal, vor allem im vierten Satz des ersten Konzerts. Ein wenig scheint ihr in diesem Satz dennoch der Witz zu fehlen, der der Musik eigentlich so spürbar innewohnt, da hier die Lockerheit im Rausch der Perfektion auf der Strecke bleibt. Der Stil bleibt dabei jedoch durchgehend konstant und so verliert das Konzert nicht den großen Bogen, der alle vier Sätze des Op. 35 zusammenschweißt und ein einheitliches, aus einem einzigen Guss entstehendes Ganzes sich entfalten lässt.
Tobias Willner an der Solotrompete erweist sich als sehr vielseitig und klangfarbenreich, etliche Nuancen kann er seinem Instrument entlocken. Auch er dämpft meist lieber etwas ab, als allzu extrovertiert herauszuspielen, weiß dafür auch die dunklen Klangspektren auszukosten. Auch Omer Meir Wellber als Dirigent im zweiten Klavierkonzert stellt sich als eine vortreffliche Wahl heraus, sehr auf die energetische Spannung fixiert arbeitet er kleinste Orchestermelodien vielgesichtig heraus und schafft eine deckende Fülle, die den Bezug zum Klavier zu keiner Zeit verliert. Bei solch einem Zusammenspiel ist besonders der Eröffnungssatz des Konzerts Op. 102 von farbenprächtiger Differenziertheit und auch der berühmt gewordene Mittelsatz hebt sich deutlich durch das Wahrnehmbarmachen aller Einzelstimmen in dieser Aufnahme ab. Lediglich der Finalsatz erscheint ein wenig eintönig im Vergleich zu dem Rest, was bei den gleichförmig durchgehenden Sechzehntelläufen und den stetig wiederkehrenden Motiven auch schwerlich zu vermeiden ist und fast nur von Schostakowitsch selbst wirklich überzeugend gelöst wurde. Durch ausgeklügelte ausgefeiltes Spiel lenkt Vinnitskaya allerdings die Aufmerksamkeit recht erfolgreich von diesem nicht allzu erheblichen Mangel ab.
Es folgen noch zwei Werke für zwei Klaviere, die Anna Vinnitskaya zusammen mit Ivan Rudin darbietet. Es handelt sich um das häufig in Kombination mit den Klavierkonzerten eingespielte Concertino Op. 94 sowie die fast nie zu hörende Tarantella, die Schostakowitschs letztes Klavierwerk sein sollte. Über beide Werke lassen sich verschiedene Sekundärquellen nur wenig aus, und auch der kurze, aber informative und konzentrierte Bookletttext von Tobias Niederschlag kann außer den Interpreten der ersten Aufführung des Conertinos (Maxim Schostakowitsch, Sohn des Komponisten, und seine Mitschülerin Alla Maloletkowa) keine nennenswerten Informationen bieten. Ebenso wenig allerdings auch die lesenswerte Monographie von Krzysztof Meyer. Beide Werke gehören nicht zu den herausragenden Schöpfungen Schostakowitschs, doch rundet gerade die kurze und virtuose Tarantella die CD gelungen ab, als wäre sie die Zugabe nach einem Konzert. Die beiden Pianisten können sich auch gut aufeinander einstellen und ihr Spiel wirkt zu keiner Zeit stilistisch divergierend. In perfekter Synchronizität sind sie bestens aufeinander eingespielt. Wie auch in den Konzerten findet der Hörer bei weitem weniger Härte als in anderen historischen Aufnahmen wie jenen des Komponisten und auch ein geringeres Maß an Trockenheit, doch gewöhnt man sich schnell an diesen etwas weicher gezeichneten Anschlag, mit dem beide Pianisten trefflich zusammenwirken.
[Oliver Fraenzke, August 2015]