Audax Records; ADX 13722; EAN: 3770004137220
Adriana González (Sopran) und Iñaki Encina Oyón (Klavier) heben mit der Einspielung sämtlicher Mélodies des Komponistenehepaares Robert Dussaut und Hélène Covatti einen bislang unbeachtet gebliebenen Liederschatz.
Es kommt glücklicherweise immer wieder vor, dass sich irgendwo eine Schublade auftut und wertvolle Musik preisgibt. Seit mehreren Jahren widmet sich der Dirigent und Pianist Iñaki Encina Oyón der Erforschung und Veröffentlichung des musikalischen Nachlasses von Robert Dussaut (1896–1969) und Hélène Covatti (1910–2005). Seine Freude darüber, auf die Werke des Pariser Komponistenehepaares gestoßen zu sein, schlägt lebhaft aus dem umfangreichen Einführungstext, mit dem er die hier vorliegende Gesamteinspielung des Liedschaffens beider ausgestattet hat. Um es gleich vorneweg zu sagen: Die Stücke sind durchaus dazu angetan, diese Freude auf den Hörer überspringen zu lassen. Und interessiert nimmt man zur Kenntnis, dass dieser CD weitere folgen sollen, um auch die übrige Musik Dussauts und Covattis umfassend zu präsentieren.
Längere Zeit schien es um die beiden sehr still geworden zu sein, doch sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Liest man ihre Lebensläufe, so merkt man schnell, dass Dussaut und Covatti nicht irgendwelche Unbekannten gewesen sind, sondern anerkannte Akteure des französischen Musiklebens ihrer Zeit, die in respektablen Ämtern am Pariser Conservatoire wirkten. Dussaut hatte dort einst als Schüler von Widor, d’Indy und Busser studiert. 1924 gewann er den Prix de Rome, und unterrichtete ab 1936 selbst an seiner ehemaligen Ausbildungsstätte. Außerdem war er Violinist im Orchester der Pariser Oper und betrieb akustische Forschungen, deren Ergebnisse er in zwei Büchern festhielt. Zu seinen Werken zählen fünf Opern, zwei Symphonien, ein Streichquartett und ein Klavierquintett. Hélène Covatti war gebürtige Griechin und kam mit 15 Jahren nach Paris, wo sie am Conservatoire bei Roger-Ducasse Komposition studierte. Später erhielt sie dort eine Professur für Klavier. Ihre Violinsonate, die allem Anschein nach ihr Hauptwerk ist und auch als Bratschensonate existiert, wurde auf Empfehlung Arthur Honeggers preisgekrönt. Auf die Geschichte des musikalischen Avantgardismus hat sie insofern Einfluss genommen, als dass sie es war, die ihren Klavierschüler Iannis Xenakis an die Kompositionsklasse von Olivier Messiaen empfahl. Im eigenen Schaffen blieb sie dagegen, wie ihr Mann, der Tradition verpflichtet.
Diese Traditionsverbundenheit zeigt sich in den Liedern der Ehepartner auf durchaus verschiedene Art, was wohl vor allem daran liegt, dass es sich bei den Stücken ausschließlich um Frühwerke ihrer Schöpfer handelt. Dussaut, 14 Jahre älter als seine Frau, knüpft stilistisch nahtlos an die Liedkunst des späten 19. Jahrhunderts an. Seine ersten Kompositionen schrieb er noch als Zeitgenosse Faurés, zu einer Zeit, als Chausson und Massenet noch in lebendiger Erinnerung waren. Auch Debussy ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen, wie man in La nymphe de la source hören kann. Formal ist dieser schmale Bestand von 14 Gesängen durchaus abwechslungsreich. Jedem Stück gibt der Komponist seine individuelle Gestalt. Er komponiert nicht einfach an seinen Texten entlang, sondern nimmt sie zum Anlass, poetische Szenen daraus zu gestalten. Besonders vorteilhaft zeigt sich Dussauts Formungskunst in den längeren Stücken, wie dem die CD eröffnenden Je dédie à tes pleurs, in dem er aus einem Vorhaltsmotiv heraus eine große Steigerung entfaltet und auf ganz natürliche Weise zum Anfang zurückfindet; der Hymne à la lumière, deren Klavierbegleitung ein Wechselnotenmotiv abwechslungsreich durchführt; Adieux à l’étranger, das die schmerzliche Abschiedsstimmung durch wiederholten Wechsel zwischen flüssig bewegter und rezitativischer Musik deutlich macht. Klanglich höchst reizvoll ist Les deux ménétriers, in dem der Komponist das Gitarrenspiel der durchs Totenreich reitenden Spielmänner zum Anlass nimmt, eine vierhändige Klavierbegleitung zu schreiben (Iñaki Encina Oyón wird hierbei von Thibaud Epp unterstützt).
Im Gegensatz zu ihrem Mann hat Hélène Covatti, abgesehen von dem einzeln stehenden Je t’ai dit oui, ihre Lieder zu Zyklen gruppiert, einen dreiteiligen (Daphné) und einen vierteiligen (Mélodies grecques). Interessanterweise existieren beide auch in gleichberechtigten Fassungen für Violine und Klavier. In den 1930er Jahren entstanden, gehören sie auch stilistisch einer späteren Zeit an als Dussauts Lieder. Die Klavierstimme erinnert wiederholt daran, dass die Musik Ravels für die Komponistin ein vertrauter Umgang gewesen sein muss. Im Durchschnitt fasst sich Covatti kürzer, nur zwei ihrer Lieder sind länger als drei Minuten (bei Dussaut sind es mehr als die Hälfte), aber es ist eine souveräne Miniaturistin, die wir am Werke finden! Wenn sie in L’audacieuse sérénade aus den Mélodies grecques zunächst das Klavier einen kecken Walzer, der aus dem Takt kommt, intonieren, dann die Singstimme ohne Begleitung anheben lässt, mit beiden geradtaktig fortsetzt, den Gesang wieder unbegleitet lässt und schließlich zum Walzer zurückkommt, der sich in eine Art stille Verklärung auflöst – und das alles in anderthalb Minuten – darf man eine solch dichtgedrängte Ereignisfolge auf so kleinem Raum getrost als bemerkenswert herausstellen. Covattis Begabung, mit wenigen Tönen dem Hörer ein prägnantes Bild vors innere Auge zu stellen, lässt sich besonders schön an Marine aus den Daphné-Liedern nachvollziehen, einer Schilderung von Land und Leuten der bretonischen Küste, in der ein kurzes Motiv mit der sanften Entschiedenheit leicht anbrandender Wellen ritornellartig wiederkehrt.
Nur ein Teil der Lieder Dussauts wurde zu seinen Lebzeiten veröffentlicht, die Lieder Covattis blieben sämtlich bis zu ihrem Tode ungedruckt. Thérése Dussaut, Tochter des Komponistenpaares und selbst Pianistin (von ihr liegen übrigens schöne Aufnahmen Ravelscher und Rameauscher Klavierwerke vor), ist es zu danken, diesen Schatz sorgfältig aufbewahrt zu haben. Dass Iñaki Encina Oyón die Sopranistin Adriana González für die Ersteinspielung gewinnen konnte, ist ein Glücksfall. Weite Melodiebögen spannt sie mit der gleichen Gewandtheit, mit der sie den rezitativischen Stellen Leben einhaucht, und erfreut allgemein durch eine frische und kraftvolle Stimme. Encina Oyón ist ihr ein gewissenhafter Begleiter. An manchen Stellen, wenn das Klavier nur Folgen langer Akkorde oder mäßig bewegte Begleitfiguren spielt, hätte er allerdings den melodischen Verlauf deutlicher herausarbeiten können, denn Melodien, nur in sehr einfacher Form, finden sich in diesen Mélodies auch dort.
Im Großen und Ganzen lässt sich aber feststellen, dass hier echte Bereicherungen des französischen Liedrepertoires in ansprechenden Aufführungen dargeboten worden sind. Hervorheben muss man auch die liebevolle Ausstattung mit ausführlichem Begleittext (in fünf Sprachen) und sämtlichen Liedtexten. Auf weitere Entdeckungen aus dem Hause Dussaut-Covatti darf man gespannt sein.
[Norbert Florian Schuck, Oktober 2020]