Schlagwort-Archive: Tehila Nini Goldstein

Neu- und wiederentdeckte Musik verfolgter Komponisten in Weimar

Weimar, Festsaal Fürstenhaus, 10. September 2021, 20 Uhr: Mit Liedern und Klavierwerken von Günter Raphael (1903–1960), Hans Heller (1898–1969) und Bernhard Sekles (1872–1934) eröffneten Jascha Nemtsov, Klavier, und Tehila Nini Goldstein, Sopran, die Ausstellung „Verfolgte Musiker im nationalsozialistischen Thüringen. Eine Spurensuche II“.

Die 2019 in Weimar durchgeführte Ausstellung Verfolgte Musiker im Nationalsozialistischen Thüringen, der sich eine von den Projektleiterinnen Helen Geyer und Maria Stolarzewicz herausgegebene Buchveröffentlichung anschloss (Verfolgte Musiker im nationalsozialistischen Thüringen. Eine Spurensuche, Köln: Böhlau-Verlag 2020), war damals auf großes Interesse gestoßen. Die im Rahmen der Vorbereitungen zu Tage geförderten Dokumente regten zu weiteren Nachforschungen über die Schicksale zahlreicher von den Nationalsozialisten entrechteter Musikerpersönlichkeiten an, sodass bald eine Fortsetzung der Ausstellung ebenso erwünscht wie nötig erschien. Am 10. September 2021 wurde das Ergebnis dieses zweiten Teils der Spurensuche, das bis zum 31. Oktober im Stadtmuseum Weimar zu sehen sein wird, im Festsaal der Hochschule für Musik Franz Liszt feierlich eröffnet. Nach Grußworten von Vertretern der Hochschule, der lokalen Politik, unterstützender Stiftungen, sowie der die Ausstellung betreuenden Kuratorin Maria Stolarzewicz, hielt Peter Gülke (geboren 1934 in Weimar) einen Vortrag über Nicht kündbares Gedenken – Buchenwald, aus welchem vor allem die Schilderungen seiner persönlichen Erlebnisse als Kind während des Krieges einen Einblick in die Schrecken der damaligen Zeit boten.

Den Hauptpunkt des Programms bildete ein Konzert mit Liedern und Klavierwerken von Komponisten, die während der NS-Zeit wegen ihrer jüdischen Abstammung verfolgt wurden. Der Pianist Jascha Nemtsov und die Sopranistin Tehila Nini Goldstein knüpften damit an ein Konzert an, das sie im November 2020 am gleichen Ort gegeben hatten (siehe Besprechung). Erneut wurden Werke dreier deutscher Komponisten jüdischer Abstammung vorgestellt, die nach dem Willen rassistischer Ideologen für immer hätten verstummen sollen: Günter Raphael, Bernhard Sekles und Hans Heller, der bereits im Konzert von 2020 vertreten war. Jascha Nemtsov, der an der Weimarer Musikhochschule eine Professur für die Geschichte der jüdischen Musik inne hat, muss einmal mehr für seinen Entdeckerspürsinn und seinen unermüdlichen Einsatz für in die Vergessenheit abgedrängte Musik gelobt werden. Wie zahlreiche seiner früheren Konzerte bot auch dieses Ur- und Erstaufführungen. Mit kurzen, auf den Punkt gebrachten Einführungen zwischen den Programmnummern umriss der Pianist zudem den Lebenslauf eines jeden der Komponisten.

Günter Raphael hat als einziger der im Konzert zu Gehör gebrachten Komponisten bislang eine ausgiebige diskographische Würdigung erfahren. Mittlerweile liegt ein großer Teil seiner Orchester- und Kammermusikwerke auf CD vor – verwiesen sei hier namentlich auf die mittlerweile auf sieben CDs angewachsene Günter-Raphael-Edition von Querstand und die beiden Boxen mit Symphonien und Violinmusik von cpo –, doch kann man keineswegs behaupten, alle Schätze aus seinem umfangreichen Schaffen seien gehoben (so fehlt nach wie vor eine Einspielung der Ersten Symphonie). Der 1903 geborene Raphael, in den 1920er Jahren einer der erfolgreichsten jüngeren Tonsetzer Deutschlands, war nie jüdischen Glaubens gewesen, galt aber als Sohn eines zum Protestantismus konvertierten jüdischen Kirchenmusikers der NS-Rassenlehre zufolge als „Halbjude“ und wurde 1934 aus seinem Lehramt am Leipziger Konservatorium entlassen. Ab 1939 war ihm jede musikalische Betätigung untersagt, sodass er nur durch die Hilfe von Freunden überleben konnte. Den Großteil der NS-Zeit verbrachte er in Meiningen. Die Drei geistlichen Lieder op. 3, ein beeindruckend souveränes Frühwerk, zeigen Raphaels künstlerischen Ursprung in der protestantischen Kirchenmusik. Mit ihren choralartigen Harmonien, dem durchweg kontrapunktischen, ostinate Satztechniken bevorzugenden Klaviersatz und einer rhythmisch einfachen, in gleichmäßigen Notenwerten ruhig dahinströmenden Melodik wirken sie betont altmeisterlich, wie ein Bekenntnis zu Bachschem Geist.

Im Gegensatz zu Raphael, der sich immerhin in der Nachkriegszeit als Komponist und Lehrer wieder etablieren konnte, gelang es dem 1898 in Greiz geborenen Hans Heller weder in Amerika, noch in Deutschland nach 1945 erneut Fuß zu fassen. Heller gehörte zum Berliner Schülerkreis Franz Schrekers und floh nach Frankreich, wo er nach dem Einmarsch der Wehrmacht verhaftet wurde. Aus einem Arbeitslager geflohen, hielt er sich mit Hilfe französischer Widerstandskämpfer bis zum Kriegsende versteckt. Er starb 1969. Wie die Klaviersonate, die Jascha Nemtsov 2020 in Weimar spielte, zeigen auch die diesmal vorgestellten Werke, dass Heller ein unbedingt beachtenswerter Komponist ist, dessen Schaffen verdient, der Vergessenheit entrissen zu werden. In seiner Musik verbinden sich „neusachliche“ Kontrapunktik und expressive Harmonien zu eindringlichen Äußerungen einer starken Persönlichkeit. Ein Lied in deutscher und eines in französischer Sprache, die beide durch Goldstein und Nemtsov zum ersten Mal überhaupt vorgetragen wurden, boten Bilder von ausgesprochener Düsternis. Sehr spannungsvoll wirkten auch die sechs kurzen Sätze einer Little Suite für Klavier.

Bernhard Sekles fällt insofern etwas aus dem Rahmen der Veranstaltung, als dass er weder aus Thüringen stammte, wie Heller, noch dort zeitweilig lebte, wie Raphael. Seinen Lebensmittelpunkt bildete Frankfurt am Main, wo er 1872 geboren wurde und 1934 starb. Nichsdestoweniger kann man die Aufnahme seiner Werke in das Konzert nur begrüßen. Sekles ist kein unbekannter Name. Man weiß, dass er viele Jahre das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt leitete und kennt ihn als Lehrer hervorragender Musiker wie Rudi Stephan, Hans Rosbaud und Paul Hindemith. Jazzfreunde werden ihm stets dafür danken, dass er 1925 Mátyas Seiber mit der Einrichtung der ersten Jazzklasse an einem deutschen Konservatorium betraute und damit der akademischen Würdigung des Jazz den Weg wies. Wer Sekles dagegen als Komponisten kennen lernen möchte, dem steht derzeit nur eine einzige CD mit Klavierkammermusik zur Verfügung, die bei Toccata Classics herausgekommen ist. Seine Orchesterwerke, Streichquartette, Opern, Lieder und Klavierstücke warten dagegen noch auf ihre Ersteinspielungen. Womöglich gibt es auch noch Stücke, die bislang gar nicht gespielt worden sind. Einen solchen Fall stellten bis vor kurzem jedenfalls die Fantasietten für Klavier dar, deren Manuskript Jascha Nemtsov im Archiv des Frankfurter Konservatoriums fand. Er stellte sie als erster Pianist der Öffentlichkeit vor, die Weimarer Aufführung war die zweite überhaupt. Es handelt sich um eines der letzten Werke des Komponisten und konnte aufgrund widriger Umstände nicht mehr zeitnah zu seiner Entstehung veröffentlicht werden: 1933 wurde Sekles von der neuen Machthabern aus seinen Lehr- und Verwaltungsämtern gedrängt. Er erkrankte an Tuberkulose und starb eineinhalb Jahre später. Die insgesamt 24 Fantasietten zeigen den Komponisten als einen Meister musikalischer Miniaturkunst. Viele der Stücke dauern keine Minute, doch wirken sie durchweg in sich geschlossen: aphoristisch, nicht fragmentarisch. Innerhalb weniger Takte entfaltet Sekles erlesene harmonische und kontrapunktische Kunst. Vom Abwechslungsreichtum des Zyklus mögen die Titel einiger Stücke einen Eindruck geben: Für die rechte Hand, Für die linke Hand, Rhapsodie, Thema und Variationen, Slawischer Tanz, Triumphmarsch, Trauermarsch, Ländler, Polonaise (im geraden Takt!), Menuetto, Duo. Das Finale bildet eine Fuge über den Ton C, deren Thema tatsächlich nur aus vier gleich langen Cs besteht. Minimalistischer geht es wahrlich nicht! Wie Sekles es schafft, diesem Thema eine interessante kontrapunktische Bearbeitung angedeihen zu lassen und daraus einen bei aller Kürze reichhaltigen musikalischen Verlauf zu entwickeln, verdient Bewunderung. Hoffen wir, dass eine Veröffentlichung dieses hochinteressanten Zyklus bald erfolgen wird! Auch vom Liederkomponisten Sekles gaben Goldstein und Nemtsov einen sehr vorteilhaften Eindruck. Die exotisch angehauchten Lieder aus dem Zyklus Aus dem Schi-King boten zarte, feinsinnige Impressionen der Asien-Sehnsucht des Fin de Siècle.

[Norbert Florian Schuck, September 2021]

NB: Am 23. September 2021 wird im Erfurter Dom Hans Hellers Requiem für den unbekannten Verfolgten seine Uraufführung erleben.

Verdrängte Musik jüdischer Meister zu neuem Leben erweckt

Weimar, Festsaal Fürstenhaus, 13. November 2020, 20 Uhr: Jascha Nemtsov, Klavier, und Tehila Nini Goldstein, Sopran, stellten zum Abschluss einer Tagung über „Verfolgte Musiker im nationalsozialistischen Thüringen“ Lieder und Klavierwerke dreier wiederentdeckenswerter Komponisten jüdischer Herkunft vor: Gustav Lewin (1869–1938), Joachim Stutschewsky (1891–1982) und Hans Heller (1898–1969).

Bereits im Frühjahr 2019 beschäftigte sich in Weimar eine Ausstellung mit dem Thema Verfolgte Musiker im nationalsozialistischen Thüringen. Sie wurde begleitet von einer wissenschaftlichen Tagung, deren Beiträge von den Projektleiterinnen Prof. Dr. Helen Geyer und Dr. Maria Stolarzewicz mittlerweile in Buchform herausgegeben worden sind (Verfolgte Musiker im nationalsozialistischen Thüringen. Eine Spurensuche, Köln: Böhlau-Verlag 2020). Nicht nur hinsichtlich der Beleuchtung zahlreicher Einzelschicksale ist diese Veröffentlichung bedeutsam, wird doch hiermit auch erstmals die Einflussnahme der nationalsozialistischen Ideologie auf das Musikleben eines Landes im historischen Zusammenhang dargestellt, das für den Weg der NSDAP zur Macht von eminenter Bedeutung gewesen ist: Drei Jahre vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler hatte sich 1930 in der damaligen thüringischen Landeshauptstadt Weimar erstmals eine Regierung mit nationalsozialistischer Beteiligung gebildet. Thüringen galt den Nazis als „Mustergau“.

Den Thüringer Musikern, die nach 1933 wegen ihrer jüdischen Abstammung oder politischen Haltung von den NS-Machthabern um ihr Wirken und in vielen Fällen um Heimat und Leben gebracht wurden, eine zweite Tagung zu widmen, lag angesichts der Fülle noch ungesichteter Dokumente in der Natur der Sache. Zwar forderte die Covid-19-Pandemie den Tribut, dass die am 12. und 13. November stattfindende Veranstaltung in den virtuellen Raum verlegt werden musste, doch ist es Maria Stolarzewicz zu danken, dass immerhin alles soweit realisiert werden konnte, wie unter den aktuellen Bedingungen eben möglich. So kam am Abend des 13. November im Festsaal des Weimarer Fürstenhauses, des Hauptgebäudes der Musikhochschule Franz Liszt, auch das Abschlusskonzert zustande, das der Musik der auf der Tagung behandelten Komponisten zu erneuter klingender Existenz verhalf. Aufgrund der Pandemieschutzmaßnahmen war die Zuschauerzahl im Saal auf wenige Hochschulangehörige begrenzt; Interessierte konnten die Aufführungen jedoch als Direktübertragung im Internet verfolgen.

Es handelte sich um einen Klavier- und Liederabend. Als Pianist war Jascha Nemtsov zu hören, der in Weimar als Professor für die Geschichte der jüdischen Musik lehrt und sich seit Jahren um die Wiederentdeckung von Komponisten verdient macht, die im nationalsozialistischen Deutschland bzw. in der Sowjetunion verfolgt und verdrängt worden sind. Wie sehr ihm diese Arbeit am Herzen liegt, wurde anhand der Einführungen deutlich, die er zu jedem der vorgetragenen Werke gab: Mit wenigen prägnanten Sätzen gelang es ihm, dem Publikum profilierte Lebensskizzen der Komponisten Gustav Lewin, Joachim Stutschewsky und Hans Heller darzulegen. Nemtsov zur Seite stand die Sopranistin Tehila Nini Goldstein, deren abwechlungsreicher Vortrag den dargebotenen Liedern sehr zu Gute kam.

Die jüdische Abstammung der Komponisten, ihr Wirken in Thüringen und das Verbot ihrer Werke durch den Nationalsozialismus bildeten das einigende Band des Programms. Stilistisch unterschieden sich die vorgetragenen Werke jedoch stark voneinander, was nicht zuletzt auf Generations- und Herkunftsunterschiede ihrer Autoren zurückgeführt werden kann.

Gustav Lewin, 1869 geboren, assimilierte sich der Gesellschaft des kurz nach seiner Geburt gegründeten Deutschen Reiches und fühlte sich voll und ganz als Deutscher. Gegen seine rassistisch motivierte Entlassung aus dem Dienst an der Weimarer Musikhochschule, wo er 32 Jahre lang als Klavierlehrer, Gesangspädagoge und Dirigent des studentischen Orchesters gewirkt hatte, protestierte er mit einem Brief an das Thüringer Volksbildungsministerium, in dem er bekannte: „Deutschsein im Sinne Richard Wagners war für mich eine Selbstverständlichkeit.“ Zermürbt von antisemitischen Schikanen hungerte er sich 1938 zu Tode. Die dargebotenen Stücke, eine quirlige Caprice für Klavier und fünf Lieder, zeigen ihn als einen handwerklich tadellosen, formsicheren und klanglich abwechslungsreich gestaltenden Komponisten der Kaiserzeit, dessen Wagner-Verehrung in den Liedern immer dann deutlich wird, wenn er rezitativisch gestaltete Takte einbaut. Geschickt versteht er es, diese mit den umgebenden melodiebetonten Abschnitten zu verknüpfen, und auch in der Harmonik begegnet manch feine Wendung.

Einen starken Kontrast zu Lewins von traditionellem Dur und Moll bestimmter Musik boten die Vier jüdischen Tanzstücke von Joachim Stutschewsky, der 1891 in der heutigen Ukraine zur Welt kam. Stutschewsky wuchs in einer Familie von Klezmer-Musikern auf, bevor er mit 18 Jahren nach Deutschland ging. Er ließ sich als Cellist in Jena nieder und begründete dort ein Streichquartett. Nach längeren Aufenthalten in Zürich und Wien, floh er in Folge der Annexion Österreichs 1938 nach Palestina, wo er 1982 starb. Neben seinem Wirken als schaffender und nachschaffender Musiker betätigte sich Stutschewsky auch als Musikwissenschaftler und verfasste grundlegende Schriften über die Volksmusik der osteuropäischen Juden – es ist die Zeit, in der sich in Russland die Komponistengruppe der „Neuen jüdischen Schule“ formiert, und in der auch Ernest Bloch beginnt, in seiner Musik eine jüdische Identität zu kultivieren. Wie sehr sich Musikethnologie und künstlerisches Schaffen in Stutschewskys Werk ergänzen, konnte man anhand der Tanzstücke nachvollziehen. Über einfachen, rhythmischen Bässen entfalten sich in ihnen stufenreiche, melismatische Melodien, in denen sich Affekte des Frohsinns und der Traurigkeit in jener für die Musik der Klezmorim typischen Weise mischen.

Im Gegensatz zu dem nur wenig älteren Stutschewsky konnte sich der 1898 in Greiz geborene Hans Heller vor dem Ersten Weltkrieg nicht mehr als Musiker profilieren. Achtzehnjährig zum Kriegsdienst eingezogen, kehrte er mit einer schweren Armverletzung zurück, die ihm eine Pianistenlaufbahn unmöglich machte. Er wandte sich daraufhin ganz der Komposition zu und wurde in Berlin Schüler Franz Schrekers. Gerade als er anfing, als Komponist zu größerer Bekanntheit zu gelangen, kam Hitler an die Macht. Heller floh nach Frankreich, wo ihn der Nationalsozialismus nach dem deutschen Sieg 1940 einholte. Er wurde inhaftiert und zur Zwangsarbeit gepresst. Unmittelbar bevor er nach Auschwitz deportiert werden sollte, gelang ihm die Flucht. Mitglieder der Resistance versteckten ihn bis Kriegsende. 1946 versuchte er einen Neuanfang in den Vereinigten Staaten, kehrte aber 1959 nach Deutschland zurück. Dass das Vergessen, das sich nach seinem Tode 1969 über ihn breitete, gänzlich unverdient war, zeigt seine Musik deutlich. Zwar erscheint der auf Gedichte von Anton Wildgans komponierte Liederzyklus Vom kleinen Alltag, dessen reimlose Verse in Hellers Vertonung erst recht prosaisch anmuten, eher als Dokument der in den 1920er Jahren beliebten Sachlichkeits- und Sprödigkeitsmode – Hellers Klaviersonate op. 3 jedoch kann man getrost ein Meisterwerk nennen. Das knapp gefasste Stück in drei ineinander übergehenden Sätzen zeigt seinen Komponisten als kühnen, expressionistisch angehauchten Harmoniker und souveränen kontrapunktischen Gestalter. Angesichts eines solchen Werkes fragt man sich, welche Entdeckungen eine weitere Sichtung von Hellers Nachlass noch zu Tage fördern wird? Man liest von einem pazifistischen Oratorium aus seiner amerikanischen Zeit, von Symphonien, Kammermusik für Streicher, Klavierfugen. Offenbar haben wir hier eine bedeutende Stimme vor uns, die mehr Gehör verdient als sie aufgrund widriger Umstände zu Lebzeiten gefunden hat.

Das Konzert machte deutlich, welch verschiedene Wege jüdische Komponisten im Deutschland des frühen 20. Jahrhundert einschlugen, und dass Werke, die jahrzehntelang nicht erklungen sind, blühendes Leben ausstrahlen können, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt. Mögen Jascha Nemtsovs Forschungen weiterhin von solch schönen Erfolgen gekrönt sein!

[Norbert Florian Schuck, November 2020]