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Das allmähliche Wiederaufblühen eines Giganten

Walter Braunfels: Works for piano & Orchestra; Witches‘ Sabbath op. 8, Hebridean Dances op. 70, Concert Piece op. 64; Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Gregor Bühl (Leitung), Tatjana Blome (Klavier)

Die anfänglich rasch aufstrebende Karriere von Walter Braunfels endete abrupt mit der Machtergreifung Hitlers. Erst seit wenigen Jahren bemüht man sich, den vergessenen Meister wiederzuentdecken. Als Halbjude konnte Braunfels im Dritten Reich nicht auftreten und musste sogar von Glück sprechen, nicht deportiert zu werden, obgleich er nicht emigrierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg passte der traditionsverbundene Stil von Braunfels nicht mehr in das neu entstandene elitäre Musikdenken, man könne nach Auschwitz nicht mehr tonal komponieren. Zu einem guten Teil ist die Renaissance des Komponisten dem Label Capriccio zu verdanken, die schon seit mehreren Jahren CDs mit den Werken Braunfels‘ auf den Markt bringen, die zudem durch außergewöhnliches Design ins Auge stechen.

Walter Braunfels schrieb neben seinem Klavierkonzert op. 21 drei Werke für Klavier und Orchester; diesen ist die neueste Produktion von Capriccio gewidmet. Hexensabbat op. 8 stellt das erste Orchesterwerk des Komponisten dar, es entstand noch während seines Studiums bei Thuille in München. Viel lässt der Hexensabbat von den Einflüssen durch die großen Romantiker durchscheinen, Berlioz, Liszt, Wagner und andere bleiben unüberhörbar; dennoch handelt es sich um ein ernstzunehmendes Jugendwerk voller Elan, Kraft und Energie. Erst 1946 entstand das nächste Werk für Klavier und Orchester, das Konzertstück op. 64, welches wesentlich nüchterner und gesetzter wirkt als der Vorgänger. Mit seinem vorletzten Werk kam Braunfels noch einmal auf das Klavier zurück und schrieb sein Divertissement „Hebridentänze“ op. 70 nach schottischen Tänzen – ähnlich, wie er es bei der Schottischen Fantasie op. 46 für Geige und Orchester gemacht hatte. Bei allen dieser Werke erkennt man, dass Braunfels durch und durch Symphoniker war: Das Klavier wird nie als im Rampenlicht stehender Solopart vorgeführt, sondern die Virtuosität dient allein dem Zweck, mit dem Orchester zusammenzuwirken und gemeinsam etwas entstehen zu lassen.

Die Musiker dieser Aufnahme spielen voller Feingefühl und lauschen auf die Wirkung der Musik. So wird beispielsweise der Hexensabbat zu einem dämonischen Tanz wie im Finale von Berlioz‘ Symphonie Fantastique. Die späteren Stücke erscheinen gemäßigter und noch feiner in den Orchesterstimmen. Tatjana Blome spielt sich nie als Solistin auf, sondern verschmilzt mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz zu einer funktionierenden Einheit. Gregor Brühl holt minutiöse Details aus seinem Orchester heraus, wobei er die Werke auch nicht überfrachtet.

[Oliver Fraenzke, Dezember 2018]

Tragisch ausgelöschter Meister der klassischen Moderne

Joachim Mendelson
2. Symphonie (1939), Symphonie de chambre (1938), Quintett für Oboe, Streichtrio und Klavier (1939), Sonate für Violine und Klavier (1937)

Tatjana Blome (Klavier), Frédéric Tardy (Oboe), Ulrike Petersen (Violine), Ignacy Miecznikowski (Viola), Claudio Corbach (Cello), Polnisches Rundfunk-Symphonieorchester, Jürgen Bruns

EDA 040
ISBN: 840387100401

EDA040

Immer wieder zucken wir gerade als Musiker aufs Neue zusammen, wie unsere nationalsozialistischen Vorgänger innerhalb kürzester Zeit im Zuge systematischer Zerstörung insbesondere die polnische Kultur dem Erdboden gleich gemacht haben. So vieles ist unwiederbringlich verloren! Und jetzt präsentiert das Berliner Label EDA, das seit zwei Jahrzehnten mehr tut für die vergessene polnische Musik als alle anderen zusammen, einen Komponisten, den ich bis dahin überhaupt nicht kannte – einen jüdisch-polnischen Komponisten, der 1943 im Warschauer Ghetto getötet wurde. Joachim Mendelson wurde 1892 in Warschau geboren, schrieb sich ursprünglich Mendelssohn und lebte ab 1929 in Paris, bis er 1935 als Dozent für Musiktheorie und Harmonielehre an die Musikakademie seiner Heimatstadt berufen wurde, wo sein Leben wie so viele 1939 in die Hände der Deutschen fiel. Der exzellente Booklettext von Initiator Frank Harders-Wuthenow, einem der beschlagensten, engagiertesten und intelligentesten Musikforscher unserer Zeit, bringt alles vor, was die Recherchen über Mendelson zu so einer Einführung beitragen konnten, und das ist leider sehr wenig, denn fast alles ist vernichtet worden, darunter sämtliche Manuskripte Mendelsons, die bei der Niederbrennung Warschaus 1944 in Flammen aufgingen. Daher kann man es nur als unschätzbaren Glücksfall ansehen, dass fünf Werke Joachim Mendelsons beim französischen Verlagshaus Max Eschig im Druck erschienen sind. Sie sind alles, was erhalten ist: ein etwas früher entstandenes Streichquartett sowie die vier auf vorliegender Portrait-CD enthaltenen Kompositionen: eine Sonate für Violine und Klavier (1937), eine Kammersymphonie (1938), und aus dem Jahr 1939 ein Quintett für Oboe, Violine, Viola, Cello und Klavier sowie die Zweite Symphonie. Bei der Datierung handelt es sich jeweils um das Jahr der Veröffentlichung, die Kompositionen dürften etwas früher entstanden sein, doch kann man anhand der stilistischen Reifung – wie Harders treffend konstatiert – davon ausgehen, dass die Veröffentlichungsreihenfolge einigermaßen der Entstehungabfolge entspricht. Alle vier Kompositionen sind dreisätzig mit der Abfolge schnell-langsam-schnell.

Schon in der Violinsonate zeigt Mendelson eine deutlich eigene Handschrift, die natürlich stark von französischen Vorbildern geprägt ist, jedoch sowohl zum Besten darunter gehört als auch mit einem dezidiert slawischen Einschlag besticht, der gleichwohl viel subtiler vorhanden ist als etwa bei einigen anderen lange in Paris tätigen Kollegen wie etwa Martinu. Besonders zeuberhaft ist der langsame Satz, ein ätherisch melismatisches Andante ma non troppo. Die Kammersymphonie bezeugt bereits eine offenkundige Weiterentwicklung, beispielsweise in der organischen Handhabung der würzigen freien Dissonanzen, und auch hier ist es der langsame Mittelsatz, ein vital schwebendes Larghetto, das besonders eigenartig klingt und mit einer unwiderstehlichen Atmosphäre umfängt. Und man darf staunen, wie herrlich farbenreich und mit welchem Sinn für Balance und Kontraste Mendelson orchestrierte.

Ein großes Meisterwerk ist das Quintett für die seltene Besetzung von Oboe, Streichtrio und Klavier. Hier haben auch die ohnehin so geistreichen schnellen Sätze nochmals sichtlich an Substanz gewonnen, und der kontrapunktisch meisterliche Fluss ist staunenerregend in der Leichtigkeit und freien Anmutung, mit welcher die komplexen Kunststücke inszeniert werden. Mendelson zeigt sich immer mehr als ein vortrefflicher Meister der Formdramaturgie, und nie wird es neoklassizistisch oberflächlich, nie modisch stilisiert, nie schwerfällig tiefgründig. Diese Musik ist durchweg durchflutet von Leben, Charme, hellwachem Geist und Brillanz im Dienste aristokratisch feinsinniger Aussage. Die Zweite Symphonie, wohl sein letztes Werk in Freiheit, krönt sein erhaltenes Schaffen (leider können wir sie nicht der Ersten gegenüberhalten), und ihr Larghetto darf als einer der schönsten Sätze für Orchester in den letzten Zwischenkriegsjahren gelten. Nun möge diese CD anregen, diese Werke auch im Konzertleben zu präsentieren.

Die Einspielungen sind mit großem Engagement und Liebe zur Sache geschehen. Mich stören vor allem zu kurz ausgehaltene Töne, vor allem bei beiden Akteuren in der Violinsonate. Im Orchester sind die lauteren Passagen oft vertikal eher unstrukturiert und zumal in den schnellen Sätzen recht primitiv artikuliert. Lyrische Innigkeiten entschädigen andernorts für derlei Einbußen. Das Klangbild ist in den Kammermusikwerken ansprechender, da präziser und ausgewogener, als in den Orchesteraufnahmen. Insgesamt ist das eine CD, die jeder kennen sollte, dem die Musik der klassischen Moderne ein echtes Anliegen ist, und der sich für höchstkarätige Kammer- und Orchestermusik des 20. Jahrhunderts interessiert.
[Lucien-Efflam Queyras de Flonzaley, März 2016]