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Wiener Klassik und Raritäten

Samstag, 23. Februar 2019 Herkulessaal

Symphonieorchester Wilde Gungl München , Michele Carulli Dirigent

Franz Schubert (1797-1828): Ouvertüre im italienischen Stil C-Dur D 591

Louis Spohr (1784-1859) Symphonie Nr.6 G-Dur op. 116 „Historische“

Ludwig van Beethoven (1770-1827) Symphonie Nr.2 D-Dur op.36

Geärgert soll er sich haben über die Begeisterung seiner Freunde nach einer Rossini-Oper: So eine Ouvertüre könne er auch schnell mal schreiben. Topp, die Wette galt, und „inert kurzem“ waren die beiden Ouvertüren D 590 und D 591 fertig. Mit großem Orchester (ohne Posaunen aber mit Pauke) war Letztere das Einleitungsstück dieses Abends. Durchaus Anklänge an Rossini hörte man, aber natürlich war es ein „echter“ Schubert. Auf ein langsames Einleitungs-Adagio folgt ein schnelleres Allegro. Auf dieses Stück – die beiden italienischen Ouvertüren sind ja nicht völlig unbekannt – folgte eine echte Rarität. Die Frage ist, ob diese sechste Symphonie des damals europaweit bekannten und geschätzten Ausnahme-Geigers, Komponisten und Dirigenten Louis Spohr in München jemals in den vergangenen 150 Jahren zu hören war. In den letzten Jahrzehnten jedenfalls stand sie wohl bei keinem Münchner Orchester auf dem Spielplan. Dabei bietet sie mit ihren vier Sätzen einen durchaus spannenden Einblick in die Musik-Geschichte, so wie der Komponist sie erlebte und hier geschickt verarbeitete.

Der erste Satz greift zurück auf Bach und Händel, die allerdings nur die Vorlage liefern für Spohrs eigene, sehr eigentümliche Musik-Sprache. Natürlich sind Fugen und Pastorale von den beiden Altmeistern abgeleitet, aber durchaus mit Spohr’scher Melodik und Harmonik. Der zweite, langsame Satz greift auf Mozart und Haydn zurück, doch ist auch hier des Komponisten Handschrift eigenständig und kein Plagiat oder bloßes Zitieren. Genau wie im dritten Satz, der sich an Beethoven orientiert. Allerdings war Spohrs Verhältnis zum damals noch nicht so berühmten Kollegen durchaus gespalten, der „Neunten“ konnte er nicht allzu viel abgewinnen. Im letzten Satz geht Spohr „in die Vollen“, – sogar die „gran cassa“, die große Trommel kommt dabei zum durchaus nicht gedämpften Einsatz – allerneueste Periode 1840 steht da. Nun gut, das Orchester ist in allen Stimmen gefordert, es ist nicht unbedingt etwas erschreckend „Modernes“ zu hören, jedenfalls ist die Bekanntschaft mit dieser Symphonie durchaus spannend und hörenswert.

Nach der Pause dann die leider zu selten gespielte zweite Symphonie von Ludwig van Beethoven, für die sich das Orchester – gegen die berühmte dritte, die „Eroica“ – entschied. Und das war ein wunderbarer Griff, denn da konnten wir vom ersten Einsatz des Orchesters hören, „wo der Bartel den Most holt“, um es flapsig auszudrücken. Denn von der Melodik, der Harmonik, der rhythmischen Energie, der ganzen Anlage her ist diese zweite Symphonie ein Wunderwerk, dem die Wilde Gungl mit ihrem Dirigenten Michele Carulli nichts schuldig blieb. In allen Stimmen, bei den wunderbar samtenen Streichern, den intensiven und sehr oft federführenden Bläsern bis hin zum energiegeladenen Paukisten, es entfaltet sich unter dem enormen leiblichen und seelischen Einsatz des Dirigenten eine Musik, die vor allem im himmlischen Larghetto-Satz einfach so schön und mitnehmend erklingt, dass der ganze Saal nicht nur atemlos lauschte, sondern zum Schluss seiner Begeisterung mit lauten Bravo-Rufen Ausdruck verlieh. Diese Begeisterung und Freude gab Michele Carulli dann höchstpersönlich an viele einzelnen Orchester-Musiker*innen weiter, was den Abend sehr persönlich abrundete.

Ceterum censeo… aber das sagte schon der alte Cato, als er auf Miss-Stände seiner Zeit angesprochen wurde. Ich sage jetzt nur: Münchner Feuilleton…?

[Ulrich Hermann, Februar 2019]

Aus Italien

Sommerserenade „Aus Italien“ am 21. Juli 2018 um 20 Uhr im Herkulessaal
Symphonieorchester Wilde Gungl München, Michele Carulli (Leitung), Arnim Rosenbach (Moderation), Susann Král (Oboe)


(Foto von: M. Hallersleben)

Nichts wurde es mit dem Open-Air-Konzert des Orchesters Wilde Gungl: Statt im Brunnenhof fand ihr Konzert im Herkulessaal statt. Aber ob das ein Nachteil war, mag bezweifelt werden, denn es wurde ein besonders memorables Konzert. Nach der wie immer charmanten Moderation des Konzertmeisters Arnim Rosenbach, der die schon seit Jahrhunderten vorhandene Italien-Sehnsucht der Deutschen auch mit einem Goethe-Gedicht belegte, begann Maestro Carulli das Italien-Programm mit der Ouvertüre zu Rossinis Oper Tancredi. Diese zählt nicht zu seinen bekanntesten Bravourstücken, gestaltet sich aber ebenso wirkungsvoll in ihrer Melodik und Instrumentierung.

Die Fortsetzung machten zwei Oboen-Konzerte, von denen das erste in d-moll von Alessandro Marcello sogar Bach zu einer Bearbeitung „verleitete“. Die meisten dürften dieses Werk kennen, aber es live zu hören mit der fabelhaften Solistin Susann Král – Oboistin der Bad Reichenhaller Philharmoniker, mit denen die Wilde Gungl am Himmelfahrts-Tag im Prinzregententheater ein wunderbares Konzert musizierte – das ist eben doch der Unterschied zu einer noch so gelungenen CD. Behutsam und aufmerksam begleitet vom Streichorchester und Cembalo, wurde es zum Erlebnis, genauso wie das folgende Konzert in C-Dur von Domenico Cimarosa von 1780, das eine Entdeckung wahrhaft wert ist.

Nach der Pause ertönte die nächste Ouvertüre, diesmal aus Vincenco Bellinis Norma, einer hochdramatischen Oper, was die Einleitungsmusik sehr deutlich hören ließ. Der musikalische Höhepunkt des Programms war dann zum Schluss das „Capriccio Italien“ von Peter Tschaikowsky. Maestro Carulli verlangte dem Orchester in diesem Stück alles ab, allerdings durchaus auch sich selbst. Er dirigierte mit Leib und Seele, blühte in der Musik voll auf und nahm alle Mitspielenden mit in die Gefilde dieser italienischen Musik, auch wenn sie von einem russischen Komponisten stammt. Denn nicht nur die Deutschen haben diese Sehnsucht nach Bella Italia.

Nach riesigem Beifall gab es als Zugabe das Intermezzo aus der Oper „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni. Und auch da zeigte das Orchester, dass es in den letzten Jahren unter seinem Dirigenten Michele Carulli immer souveräner und musikalisch überzeugender geworden ist, denn dieses wunderbare Kleinod der Musikgeschichte erwies sich als herzbewegender Abschluss des gelungenen Sommerkonzertes der Wilden Gungl.

Hoffentlich kann es unter diesen Umständen nicht mehr allzu lange dauern, bis auch das Münchner Feuilleton endlich dieses fabelhafte Orchester und seine Konzerte zur Kenntnis nimmt.

[Ulrich Hermann, Juli 2018]

Zwei Orchester

Matinée „Familienkonzert der Gung’l-Orchester“ am 10. Mai 2018 um 11 Uhr im Prinzregententheater

Bad Reichenhaller Philharmoniker und Symphonieorchester Wilde Gungl München
Dirigenten: Christian Simonis und Michele Carulli; Moderation: Dr. Arnim Rosenbach;
Solisten: Yan Zhang (Violine); Michele Carulli (Klarinette)

©M. Hallensleben
©M. Hallensleben

Was ist schöner als ein Orchester? Nun, natürlich zwei, davon eins, die Wilde Gungl aus München und eins, die Bad Reichenhaller Philharmoniker aus Reichenhall! Und was für ein prächtiges Bild, diese vielen, vielen Musikerinnen und Musiker mit ihren beiden Dirigenten Michele Carulli und Christian Simonis. Nach einigen Anmerkungen zur Geschichte und zur Verbindung über den Dirigenten und Komponisten Josef Gung’l, den Begründer, begannen sie gemeinsam mit einem Festmarsch von Richard Strauss (1864–1949) von 1888 in strahlendem C-Dur. Schon das zweite Stück, wieder von Strauss, dem damals 13-jährigen Wunderkind, einer Orchester-Serenade, verblüffte durch seine raffinierten Orchesterfarben und lassen die spätere Meisterschaft durchaus erahnen. Wie üblich moderierte Konzertmeister der Wilden Gungl Arnim Rosenbach auf seine charmante Art und sagte als nächstes Stück vor einer Pause die Ouvertüre zur Oper „Die diebische Elster“ von Gioachino Rossini (1792–1868) an. Die beiden Orchester liefen unter dem Dirigat von Maestro Carulli zur Höchstform auf. Mit vollem Einsatz – wie wir es kennen – feuerte er seine Musikerinnen und Musiker an. So lebendig, kraftvoll und begeisternd habe ich dieses Stück noch nie erlebt, großer Jubel und verdienter Beifall auch für die solistischen Passagen und ihre Spielerinnen und Spieler. Nach der Pause übernahm gleich Maestro Simonis die Leitung und begeisterte mit einem Galopp von Josef Gung’l (1809–1889), bevor Michele Carulli als Solist an „seinem“ Instrument, der Klarinette, das zauberhafte Adagio von Heinrich Joseph Baermann (1784–1847) mit den Streichern zusammen anstimmte. Baermann, selber ein hochberühmter Klarinettist und Komponist des 19. Jahrhunderts, wusste dem Instrument in allen Lagen berückende Musik abzugewinnen. Beide Orchester wieder gemeinsam musizierten danach zwei Stücke vom Gründer Gung’l, einen Isar-Lieder-Walzer Opus 209, „den freundlichen Bewohnern Münchens gewidmet“ und einen rasanten Galopp, den „Narrengalopp“ Opus 182. Die Bandbreite des Konzertes reichte von Rossini bis Charles Kálmán (1929–2015), dem Sohn des berühmten Emmerich Kálmán, der für Sologeige und Streichorchester ein Stück namens „Nostalgie“ komponierte. Die Konzertmeisterin der Reichenhaller, Frau Yan Zhang, spielte mit intensivster Tongebung, aufs aufmerksamste begleitet von ihren Mitmusikerinnen und Mitmusikern dieses melancholisch-melodische Kleinod. Rauschender Beifall, bevor es mit Maestro Carulli wieder zum letzten Programmpunkt ging, dem Walzer und Galopp aus der Suite „Maskerade“ vom armenischen Komponisten Aram Chatschaturjan (1903–1978). Auch hier zogen die Spielerinnen und Spieler beider Orchester noch einmal alle Register ihres Könnens, wieder mit unermüdlichem Einsatz von Leib und Seele des Dirigenten. Nach dem tosenden Beifall die erwünschte und geforderte Zugabe: „Unter Donner und Blitz“, Schnellpolka von Johann Strauß (1825–1899)! Blumen über Blumen, Beifall über Beifall und das Ende eines gemeinsamen Konzertes, von dem wir uns alle eine weitere Zusammenarbeit erhoffen und wünschen. So ein tolles Feiertags-Geschenk für die ganze Familie, vielen Dank allen Beteiligten auf, vor und hinter der Bühne!

           

[Ulrich Hermann, Mai 2018]

 

Melodienzauber

Open-Air-Konzert „Sommerserenade“ am 22. Juli 2017 um 20 Uhr im Brunnenhof der Residenz
Symphonieorchester Wilde Gungl München Dirigent: Michele Carulli; Moderation: Dr. Arnim Rosenbach

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Fotos: Matthias Hallensleben

Am Morgen war es noch bedeckt, am Abend allerdings wurde es ein traumhafter Sommerabend. Und dazu diese Sommerserenade im Brunnenhof, der fast voll war, Herz, was willst Du mehr? Das Orchester begann – wie üblich und bei „normalen“ Konzerten leider eben nicht mehr üblich – mit der Anmoderation des Konzertmeisters Arnim Rosenbach. Auf seine sehr ansprechende und informative Art führte er das erste Stück von Gioacchino Rossini ein, die Ouvertüre zu seiner Oper „Il Signor Bruschino“, bei dem der Dirigent Michele Carulli natürlich voll in seinem Element war. Ein wundervoller sommerlicher Auftakt dieses Abends. Als kleines „Schmankerl“ hatte Rossini in diese Instrumentierung für die zweiten Geigen ein Extra hineinkomponiert, denn die durften sich zeitweise als „Klopf-Geister“ mit ihren Bögen auf einem Brett, das sie auf den Schoß gelegt hatten, austoben. Als zweites Stück des Abends stellte Arnim Rosenbach das Trompetenkonzert Es-Dur von Joseph Haydn vor und den Solisten, den 22-jährigen Valentin Hammerl. Der junge Trompeter verzauberte mit seinem strahlenden, aber immer weichen und schönen Ton. Vom Orchester wurde er besonders intensiv und gefühlvoll begleitet, kein Wunder, denn Michele Carulli – selbst mit 19 Jahren Soloklarinettist an der Mailänder Scala – weiß natürlich genau, welch eine Rolle die einfühlsame Begleitung bei einem Solo-Konzert spielt. Besonders der langsame überaus melodiöse zweite Satz geriet zu einem musikalischen und klanglichen Höhepunkt. Schade, dass dieses Konzert fast 150 Jahre lang nach seiner Uraufführung in der Versenkung verschwunden war, es ist ein absolutes Meisterwerk seiner Gattung. Dem jungen Solisten kann man für seinen weiteren Weg nur alle Daumen drücken. Nach der Pause – in der ich mit dem Solisten einige Worte wechselte, und der unter anderem darauf bestand, dass sein Name mit W und nicht wie bei seinem berühmten Namensvetter Karl V. mit Vau ausgesprochen wird – erläuterte Arnim Rosenbach einiges zum folgenden Stück: Johannes Brahms und seiner Orchester-Serenade op. 11. In dem nun folgenden 45 Minuten langen Werk zeigten die Musiker der „Wilden Gungl“ alles, was in ihnen steckt. Die sechssätzige Serenade – fast schon eine Vorstufe zu Brahms’ späteren Symphonien – fordert den Musikern alles ab an Spielfreude, an intensivem Aufeinander-Hören, an Extremen in der Dynamik und an den typisch Brahms’schen rhythmischen Finessen. Und wie das Orchester, in denen einzelne solistisch sehr gefordert waren, z. B. der Paukist, die Bläser, die Kontrabässe, diese Musik sich entfalten und sie so entstehen ließ, war einfach großartig. Und brachte dem Dirigenten Michele Carulli und „seinem“ Orchester großen Beifall und mehrere „Bravos“. Zum Abschluss dieses famosen Musik-Abends erklang noch einmal der Beginn der Reprise des vorletzten Satzes. Und damit ging ein herrlicher Sommerabend im wunderschönen Münchner Brunnenhof zu Ende. Seit ich dieses Orchester und seine Konzerte mitverfolge, wird immer auffälliger, dass natürlich alles besser und intensiver wird, aber besonders auffällig ist die stetige Steigerung bei den Streichern, die mir schon in den letzten Aufführungen sehr deutlich wurde. Schon jetzt freue ich mich auf die nächsten Konzerte mit der „Wilden Gungl“.

Ceterum Censeo: Auch wenn das gesamte berühmte Münchner Zeitungs-Feuilleton diese Konzert wieder mal mit intensiver Nicht-Zur-Kenntnis-Nahme gewürdigt hat, dennoch: Wann wachen die bestimmten Damen und Herren auf und nehmen dieses inzwischen gar nicht mehr zu überhörende Münchner Orchester mit seinem über 153-jährigen Bestehen endlich zur Kenntnis.

[Ulrich Hermann, Juli 2017]

Alles von wild bis berückend zart

Konzert vom Sonntag, den 27. November 2016  19 Uhr; Herkulessaal der Münchner Residenz

Symphonieorchester Wilde Gungl München; Margarita Oganesjan, Klavier, Doren Dinglinger, Violine, Uladzimir Sinkevich, Violoncello; Michele Carulli, Dirigent

Ludwig van Beethoven: Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester (Tripelkonzert) C-Dur op. 56; Johannes Brahms: Symphonie Nr. 1 c-moll op. 68

Photo Matthias Hallensleben
Photo Matthias Hallensleben

Die allererste Frage nach dem Tripelkonzert von Beethoven: Warum, unbegreiflicherweise, hört man diese wundervolle Musik nicht viel öfter im Konzertsaal?  Oder, etwas „cooler“ gefragt: Was ist besser als ein Solist? Eben deren drei, noch dazu von derart exquisitem Zuschnitt wie an diesem Abend. Dass Michele Carulli die Wilde Gungl und sich selbst hinter die drei Solisten postierte – übrigens auf seinen Wunsch, um dem Trio das bessere Zusammenspiel zu ermöglichen –, führte zwar an einigen Stellen zu leichten Irritationen, ist jedoch dennoch bemerkenswert. Und diese beeindruckende Musik unmittelbar beim Entstehen erleben zu können, ist jedesmal ein solches Erlebnis, damit kommt keine noch so gute und perfekte CD mit. Live is Life! Und die Musiker des Orchesters begleiteten die Solisten mit äußerster Intensität und bereiteten ihnen das wünschenswert obligate „Silbertablett“. Michele Carulli dirigierte wie immer mit Leib und Seele, befeuerte seine Instrumentalisten und brachte vor allem wieder einmal die Streichergruppen zum Blühen und zum Klingen. Besonders schön gelang der zweite Satz, das melodiöse Largo, in dem der Cellist zu Hochform auflief. Was allerdings nicht heißen soll, dass die anderen beiden Solisten es ihm nicht gleich getan hätten. Aber die dem Cello einkomponierte Kantilene ist eben besonders beeindruckend und war bei Uladzmir Sinkevich in allerbesten Händen. Margarita Oganesian, die in München schon des öfteren zu hören war, ist eine wunderbare Musikerin, die den Klavierpart nicht nur bravourös spielte, auch das Zusammenspiel der drei war großartig, wozu die Geigerin Doren Dinglinger ihre silberne Geige bestechend ins Spiel brachte. Intensiver Applaus und Blumen….

Nach der Pause stand ein Koloss auf dem ambitionierten Programm: Die erste Symphonie in c-moll op. 68 von Johannes Brahms. Im – im Ticketpreis inbegriffenen – Programmheft war über die vielen Skrupel des Komponisten zu lesen, mit denen die Entstehung seiner späten „Ersten“ befrachtet war. Nach der Aufführung wurde mir klar, warum Arnold Schönberg sich immer auch als Nachfolger und in der Tradition von Brahms stehen sah: So kühn und modern ist sie eben auch heute noch, diese Symphonie.

Nicht, weil sie ein wirklich großes Orchester verlangt mit Kontrafagott, vier Hörnern und drei Posaunen, wobei letztere bis zum letzten Satz warten müssen. Was  den Musikerinnen und Musikern da abverlangt wird, geht hart an die Grenze, da ist nicht mehr von Amateurorchester oder Laienspielern die Rede, da wird alles gefordert, auch vom Dirigenten – der „seine“ Wilde Gungl mit Feuereifer und vollem Körpereinsatz zum Entstehen dieses Werkes anleitete und anregte. Vom wilden Fortissimo bis zum sanftesten Pianissimo ist alles vertreten, bis hin zu den schönsten Klängen oder der berückenden, wohlbekannten Melodie im letzten Satz. Seine „kontrapunktischen Kunststücke“, wie sie Eduard Hanslick bemängelte, machten dessen Urteil nach der Wiener Erstaufführung nicht schlechter, im Gegenteil, er lobte sie als eines der „eigentümlichsten und großartigsten Werke der Sinfonieliteratur.“

Langanhaltender Beifall, wiederholtes Erscheinen des Dirigenten, der dann per Handschlag sich bei allen besonders geforderten Orchester-Solisten – Hörner, Bläser, Pauke usw. – bedankte und seiner Begeisterung mit einer Zugabe – einem Teil aus dem vierten Satz – freien Lauf ließ.

Ein Abend, der wieder einmal zeigte, zu welchem Niveau die Liebe zur Musik und die Arbeit an der Musik im Stande sind. Das Orchester „Wilde Gungl“ ist unter seinem neuen Dirigenten Michele Carulli wieder ein großes Stück gewachsen, was das zahlreich erschienene Publikum begeistert und dankend zu Kenntnis nahm und nimmt.

Ceterum censeo: Es wird Zeit, dass das verschlafene Münchner Zeitungsfeuilleton die „Wilde Gungl“ und ihre Konzerte endlich einmal zur Kenntnis nimmt. Auch das gehört zur Aufgabe einer Münchner Zeitung!

[Ulrich Hermann, November 2016]

Gefilde der seligen Geister

Matinée am 5. Mai 2016 um 11 Uhr im Prinzregententheater
Symphonieorchester Wilde Gungl München
Dirigent: Michele Carulli; Moderation: Arnim Rosenbach

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Am strahlenden Himmelfahrtstag ein strahlendes Konzert im ausverkauften Saal des Prinzregententheaters, das ist ein treffliches Zusammenkommen. Und solch ein Konzert können die Münchner nur mit „ihrer“ WILDEN GUNGL erleben! Aufforderung zum Tanz hieß das Motto nach dem berühmten Stück von Carl Maria von Weber – das natürlich auch zu hören war im bunten Strauß der Stücke, die dieses Himmelfahrts-Konzert ausmachten. Viele davon waren die sogenannten Reißer, der Blumenwalzer aus dem „Nußknacker-Ballett“ von Tschaikowsky, der Kaiserwalzer von Strauß, Kontretänze des jungen Beethoven, zu Beginn ein Mozart-Menuett aus dem Divertimento KV 317. Also alles Stücke, die man durchaus kennt und sicher auch schon oft gehört hat. Auf CD, im Radio oder sonst wo. Aber:

So, wie sie heute die Musikerinnen und Musiker des Symphonieorchesters Wilde Gungl entstehen ließen, wie es eben doch nur bei einem Live-Konzert zu erleben ist, das hat wieder einmal die ganze Kraft und Energie der Tonkunst gezeigt. Keine noch so gute Aufnahme, kein noch so guter Mitschnitt kann eben das leibhaftige Entstehen von Musik ersetzen, da hatte Maestro Celibidache einfach Recht.

Und wie die Kompositionen heute entstanden! Anmoderiert auf seine unnachahmlich charmante Art vom Konzertmeister Arnim Rosenbach ergab sich aus dem Programm mit den vielen Einzelstücken ein wunderbarer Bogen von Mozart bis zu den zwei Zugaben, die sich das begeisterte Publikum erklatschte. Und gerade bei den scheinbar ach so oft gehörten „Ohrwürmern“ kam durch die Klangentfaltung und durch das Wahrnehmen der einzelnen Orchestergruppen oder Solisten das „Gungl-Wunder“ – wie es der Präsident Kurt-Detlef Bock hinterher beschrieb – eben jene Magie auf, die Musiker und Zuhörer gleich verzauberte und mitnahm in die „Gefilde der Seligen Geister.“

Natürlich hatte Maestro Michele Carulli daran den Anteil, den er als Dirigent an all den drei Konzerten, die ich bisher das Vergnügen hatte, zu hören, als „Anfeuerer“, als tänzerischster „Begeisterer“ eben einfach hat. Seine intensive und mitreißende Körpersprache, sein völliges Aufgehen im Augenblick der Gestaltung eines Stückes, sind umwerfend, eben con anima e corpore, wie ich schon einmal schrieb. Nur waren es heute eben Aufforderungen zum Tanz, die ein leider zum Stillsitzen verurteiltes Publikum eben nur innerlich – immerhin – erleben konnte. Der schon beim letzten Konzert im Herkulessaal ausnehmend weiche und dennoch füllende Klang der Streicher wurde aufs Schönste und Passendste ergänzt und gesteigert durch die Bläser und in einigen Stücken natürlich auch durch die Pauke, die Harfe (!) und verschiedenste „Schlagzeuge“. Den Solistinnen und Solisten galt denn auch nach jedem Stück Maestro Carullis Dank, den er – wie zum Schluss auch einigen Damen des Orchesters die Rosen – vollendet „gentlemanlike“ zum Ausdruck brachte.

Im letzten Stück des offiziellen Programms – einem Ausflug nach Brasilien mit der Komposition „Tico-Tico“ von Zequinha de Abreu – brach ein Beifallssturm los, den das Orchester zusammen mit Maestro Carulli mit zwei Zugaben beantwortete. Im letzten, einem Galopp des Namensgebers des Orchesters Josef Gung’l machte er sich mit perfekt geschauspielertem „Entsetzen“ über seine „Rolle“ als Dirigent lustig: nach dem Goethe’schen Motto „Wer sich nicht selbst zum Besten halten kann, der ist gewiß nicht von den Besten!“

Und das kann man von ihm und „seinem“ Orchester“ nach diesem wunderbaren, herzbewegenden Konzert sicher nicht sagen.

(Ceterum censeo: Auch die Münchner Presse täte langsam gut daran, die Konzerte der „Wilden Gungl“ endlich einmal angemessen zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen!)

[Ulrich Hermann, Mai 2016]

Wiener Klassik mit der Wilden Gungl

Samstag, 5. März 2016 Herkulessaal

Wiener Klassik

Marie-Luise Modersohn, Oboe
Michele Carulli, Dirigent
Symphonieorchester Wilde Gungl München

Franz Schubert (1797-1828)
Ouvertüre C-Dur op.26 D 644
zu „Die Zauberharfe“ (später „Rosamunde“)
Andante – Allegro vivace

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Konzert für Oboe und Orchester
C-Dur KV 314

Allegro aperto
Adagio non troppo
Rondo Allegretto

Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Symphonie Nr. 4
B-Dur op. 60

Adagio – Allegro vivace
Adagio
Allegro vivace
Allegro ma non troppo

Beethovens „Vierte“ innerhalb eines Jahres drei Mal in München? BR-Symphonie-Orchester mit Herbert Blomstedt, Bruckner Akademie Orchester unter Jordi Mora, und nun – im vollbesetzten Herkulessaal der Residenz die „Wilde Gungl“ unter ihrem neuen Chefdirigenten Michele Carulli.  Dazu vor der Pause Schuberts Ouvertüre zu „Rosamunde“  und Mozarts Oboenkonzert KV 314, das ganze Konzert unter dem Titel „Wiener Klassik“ Ein hoher Anspruch also, man durfte gespannt sein…
Dass Michele Carulli nicht nur ein exzellenter Solist auf der Klarinette ist, hatte er im Sommerkonzert im Brunnenhof schon glänzend bewiesen. Aber was er mit dem Orchester in den vergangenen Monaten ge- und erarbeitet hat, das war mehr als deutlich zu hören. Mit „anima e corpore“ hatte ich damals geschrieben, um sein Dirigieren zu charakterisieren. Allerdings hatte er diesmal alle Hände frei, und schon beim ersten Stück, der scheinbar allzu bekannten Ouvertüre zu Schuberts „Rosamunde“, bekam man den Eindruck, dass dieses Stück nicht nur melodienselig daherkommt, sondern eben auch sehr temperament- und kraftvoll. Schubert hatte – wie im sehr informativen Programmheft zu lesen war – sein Können schon vorher an zwei Ouvertüren italienischen Typs erprobt, kein Wunder also, dass diese Musik voller Elan und Feuer ist.
Und noch etwas war mir beim Zuhören aufgefallen: Waren die Streicher- und zwar alle von hoch bis tief –  wirklich so weich und dennoch intensiv, wie es mir vorkam? Nicht, dass sie in den vergangenen Konzerten nicht gut gespielt hätten, aber da war etwas Neues zu hören, etwas Verändertes!
Beim Mozart’schen Oboenkonzert würde man ja weitersehen!
Als die junge Solistin in ihrem langen roten Kleid die Bühne betrat, hatte sich das Orchester ein wenig auf „Mozart-Maß“ verkleinert.  Marie-Luise Modersohn ist seit 2005 Solo-Oboistin der Münchner Philharmoniker. Schon im ersten Satz, dem Allegro aperto, wurde deutlich: das Orchester – trotz seines martialischen Namens „Wilde Gungl“ – war alles andere als wild, sondern begleitete die Solistin mit der größtmöglichen Delikatesse. Es wurde eine Sternstunde. Das Spiel der Oboistin war samtweich und melodisch, nie schrill oder unangenehm näselnd, sondern klangschön und hingebungsvoll, so schön, wie Mozarts Musik eben nur sein kann. In aller aufmerksamsten Gelassenheit bescherte das Orchester unter seinem Dirigenten Michele Carulli den drei Sätzen das Silbertablett, wie eine gute Begleitung eben sein kann und sollte. Natürlich weiß Carulli als Bläser, wie sich ein Solist die ideale Begleitung wünscht und vorstellt. Das – vor allem natürlich im klangschönsten singenden zweiten Satz – gelang ausnehmend gut, dazwischen immer wieder die kleineren oder größeren Kadenzen der Solistin, einfach wunderschön. Tosender Beifall, den Marie-Luise Modersohn mit einer Zugabe – einem der fünf Stücke für Oboe solo von Benjamin Britten (1913-1976) nach Metamorphosen von Ovid, nämlich „Pan“ – „belohnte“.  Und es war wirklich etwas Neues im Klang der Streicher, wie deutlich wurde.
Nach der Pause dann die vierte Symphonie von Ludwig van Beethoven, die Schumann ja einmal „eine griechisch schlanke Maid zwischen zwei Nordlandriesen“ genannt hat.
Aber was die „Wilde Gungl“ und Michele Carulli da zu Gehör brachten, war alles andere als ein Zwischenspiel zwischen der Dritten (Eroica) und der Fünften (Schicksalssymphonie). Schon der Beginn des ersten Satzes – geteilt in ein einleitendes Adagio und ein heftiges Allegro vivace – machte klar, dass hier Beethoven und nicht etwa ein anderer Symphoniker zu hören war. Diese Energie, diese unmittelbaren Abbrüche und Aufschwünge, diese Übergänge vom Energischsten zum fast unbewegt Ruhevollen, seine ausgefeilte Melodik und die das ganze Orchester souverän einsetzende Instrumentation und Harmonik, das ist stets aufs Neue bewegend und erhebend.  Der zweite Satz schwelgt natürlich in himmlischen Gefilden, was mich immer wieder davon überzeugt, dass Beethoven eben doch einer der größten Melodiker war und ist.
Die rhythmischen Vertracktheiten des dritten Satzes sind für ein klassisches Scherzo noch immer verwirrend und Rätsel aufgebend: Ist es nun ein Menuett oder eben doch ein „Zwiefacher“? Jedenfalls entfesselte der Dirigent mit all seinem Temperament und seiner Energie das gesamte Potential an Klang und Rhythmus in diesem Satz.
Konnte noch mehr kommen? Ja, es kam ein Finale von überschäumendem Temperament, wie es im Programmheft hieß. Und das kam dann auch, Michele Carulli verdeutlichte mit all seinem Einsatz, welch eine ungeheure Energie diese Beethoven’sche Musik in sich birgt und wie man sie – das Orchester „Wilde Gungl“  und sein Dirigent  – beschwört und erlebbar macht.
Riesengroßer Beifall, Bravo-Rufe, die eine Zugabe nach sich zogen, nämlich nochmal die Reprise des vierten Satzes, mit einer kurzen Unterbrechung, in der Michele Carulli auf die Bedeutung der Beethoven’schen Musik hinwies und sich sehr eindrucksvoll bei „seinem“ Orchester bedankte. Wenn das so weiter geht, wächst da ein nächstes – nicht mehr zu überhörendes und übersehendes – großes Orchester in der Münchner Musik-Landschaft heran, und das kann dieser Stadt und ihren Zeitungen ja nur gut tun.

[Ulrich Hermann, März 2016]