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Roland Leistner-Mayer – eine Würdigung zu seinem 80. Geburtstag

Roland Leistner-Mayer, der am 20. Februar sein 80. Lebensjahr vollendet, kann mittlerweile auf ein Schaffen von 159 Opuszahlen zurückblicken, hinter denen sich Werke unterschiedlichster Gattungen und Besetzungen, von einminütigen Miniaturen für Soloinstrumente bis zur abendfüllenden Chorsymphonie, verbergen. So vielgestaltig dieses Gesamtwerk ist, eines bleibt in ihm immer konstant: die hohe Qualität der Kompositionen. Man kann sich ein beliebiges Stück Leistner-Mayers heraussuchen, und man wird auf ein Meisterwerk stoßen, auf eine mit echter Hingabe geschaffene Arbeit, in welcher der Komponist hinter jedem Ton steht, den er geschrieben hat. Kurz vor Eintritt in sein neuntes Lebensjahrzehnt hat Leistner-Mayer mit seinem Streichquartett Nr. 8 aufs schönste bestätigt, dass er zu den schätzenswertesten Tondichtern unserer Zeit gehört. Das Werk wurde am 27. Januar 2025 durch das Sojka-Quartett Pilsen im Jüdischen Gemeindezentrum Regensburg uraufgeführt und am folgenden Tag im Sudetendeutschen Haus in München ein zweites Mal gespielt. Dort hörte es der Komponist zum ersten Mal.

Roland Leistner-Mayer studierte in München bei Harald Genzmer und Günter Bialas, ohne dass einer dieser Lehrer einen nachhaltigen Einfluss auf ihn ausübte. Eine gewisse Nähe zu Bialas lässt sich in seinem Frühwerk wohl feststellen, doch wurde sein Kompositionsstil schließlich durch ganz andere Eindrücke entscheidend geprägt. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs im böhmischen Graslitz an der Grenze zu Sachsen geboren (heute Kraslice in Tschechien), hatte Leistner-Mayer die Heimat seiner Eltern bereits als Kleinkind verlassen müssen. Tschechien wurde für ihn zu einem Sehnsuchtsort, den zu bereisen ihm erst als Erwachsener möglich war. Er lernte die Musik Leoš Janáčeks kennen, die ihn mit elementarer Kraft in ihren Bann zog und seitdem nicht mehr losgelassen hat. „Wahrheit“ lautet das Wort, mit dem Leistner-Mayer auf die Frage antwortet, was ihm Janáček bedeute. Stets skeptisch gegenüber vorgefertigten Kompositionssystemen und der Idee, der Wert eines musikalischen Werkes lasse sich an seinem „Materialstand“ ablesen, fand Leistner-Mayer in Janáček den künstlerischen Rückhalt, der ihm den endgültigen Durchbruch zu seinem persönlichen Idiom ermöglichte.

Leistner-Mayers Musik lebt von der Einfachheit der tonalen Grundspannungen. Die Melodik basiert auf diatonischen Skalen, die aber selten reines Moll oder Dur sind und in der Regel durch modale Wendungen, häufig phrygische, angereichert werden. Von demonstrativer Handwerkskontrapunktik, hat Leistner-Mayer stets Abstand gehalten, dennoch ist er ein polyphon denkender Komponist, für den sich die Harmonik aus dem Aufeinandertreffen der Stimmen, nicht aus einem System von Akkordfunktionen, ergibt. Seine dissonanten Akkorde erhalten ihre Wucht dadurch, dass sich in ihnen lineare Bewegungen der Stimmen zum gleichzeitigen Erklingen zusammenballen. Der „eingefrorene Vorhalt“ ist fester Bestandteil seines Stiles. An eine Haupttonart fühlt sich Leistner-Mayer häufig nicht gebunden. Es gibt Stücke, die tonal zu ihrem Ausgangspunkt zurückfinden – so kann die Zweite Symphonie als Werk in as-Moll, das Zweite Streichtrio als in d-Moll stehend gelten –, doch meist wechselt das tonale Zentrum im Verlauf des Werkes. Diesen Prozessen hat Leistner-Mayer viel Aufmerksamkeit gewidmet und jedem seiner großen, zyklischen Werke diesbezüglich ein individuelles Erscheinungsbild gegeben. So wird etwa im Siebten Streichquartett eine gewisse Geschlossenheit erzielt, indem beide Ecksätze in Fis schließen. Das Werk beginnt allerdings in C. Eine weitere Spezialität Leistner-Mayers besteht darin, Tonarten anzudeuten, ohne dass sich die Musik entscheidet. Der Kopfsatz des Zweiten Streichquartetts schwankt zwischen G und Es, wobei sich im Es-Bereich Dur und Moll mischen. Zwar wird G anfangs von Es nach wenigen Takten verdrängt, doch schließt der Satz letztlich in G.

Die spezifische Art der Harmonik Leistner-Mayers lässt seine Musik einerseits fest, hart und entschlossen klingen, doch ist dem immer ein melancholischer Gegensatz beigemischt. Sehr deutlich zutage treten die zwei Seiten seines Wesens in dem Streichquartett Nr. 6, das aus Sieben untapferen Bagatellen besteht. In diesen kurzen Sätzen münden kraftvolle Klänge regelmäßig in Zweifel und Unentschiedenheit. Hier findet sich eine künstlerische Gestaltung des Scheiterns, wie sie nur ein großer Formkünstler unternehmen kann. Dass Leistner-Mayer im Übrigen die Kunst, ein Werk zum Ende hin energisch zu steigern, glänzend beherrscht, hat er in zahlreichen seiner Finalsätze eindrucksvoll bewiesen. Überhaupt ist er ein Meister des Allegros, wie sie heutzutage selten sind. Er schreibt Musik, die sich – in schnellen wie in langsamen Tempi und häufig unter Verwendung unregelmäßiger Metren und Rhythmen – tatsächlich bewegt und die immer eine nachvollziehbare Handlung besitzt. In diesem Sinne waltet in seinem Schaffen ein klassischer Geist.

Wie gesagt, umfasst Leistner-Mayers Schaffen Kompositionen zahlreicher Gattungen und Besetzungen. Mit seinen Werken für großes Orchester hat der Komponist weniger Erfolg gehabt als man angesichts ihres offenkundigen Wertes glauben möchte. Zwar existieren Rundfunkproduktionen seiner drei Symphonien, aber keines dieser Werke hat in den letzten 30 Jahren eine weitere Aufführung erlebt. Die Dirigenten und Konzertveranstalter, die diese Zeilen hier lesen, seien deshalb ausdrücklich auf Leistner-Mayers symphonisches Schaffen aufmerksam gemacht. Die ersten beiden Symphonien sind rein instrumentale Stücke von jeweils etwa 23 Minuten Spieldauer. Die Erste op. 14 (1975) besteht aus einem großen Satz, in welchem deklamatorische Themen mehrfach zu heftigen Ausbrüchen gesteigert werden. Die Zweite op. 31 (1984) ist zweisätzig. Nach einem forsch vorandrängenden Kopfsatz beginnt der zweite Satz zunächst langsam, lässt aber dann einen lebhaften Schlussteil folgen, der die Klänge des ersten Satzes aufgreift. Was die Behandlung des Orchesters betrifft, zieht Leistner-Mayer den schroffen Kontrast dem geschmeidigen Mischklang vor. Die Dritte Symphonie op. 81 (1994) kommt als Werk für Sopran- und Bariton-Solo, Chor und Orchester (mit einem prominenten Altsaxophon-Solo, geschrieben für den großen Saxophonisten John-Edward Kelly) einem Oratorium nahe. Auf einen Text Rudolf Mayer-Freiwaldaus komponiert, trägt sie den Titel Das weiße Requiem. Die Farbe weiß symbolisiert dabei die Sphäre der Seligen, mit deren Tanz – im Kontrast zum eröffnenden schwarzen Tanz des Todes – das achtsätzige Werk nach etwa 70 Minuten schließt. Die Vokalstimmen, die im Laufe der Handlung die Toten, die Diesseitigen, die Überirdischen, die Überlebenden und die Seligen verkörpern, sind durchweg präsent, dennoch ist der Stil der Komposition, ähnlich anderen großen Chorsymphonien wie Schostakowitschs Dreizehnter, Petterssons Zwölfter oder Eliassons Quo Vadis, mit denen Leistner-Mayers Werk die Gegenüberstellung nicht zu scheuen braucht, echt symphonisch. Es gibt übrigens mit der Musik für Kontrabass und Orchester op. 38 und dem Konzert für Flöte, Harfe und Streichorchester op. 137 zwei gewichtige Kompositionen Leistner-Mayers, die noch ihrer Uraufführung harren. Welche Musiker möchten sich die Ehre erwerben?

Am stärksten im Schaffen des Komponisten vertreten ist die Kammermusik. Die Vielfalt der Kombinationen, für die Leistner-Mayer geschrieben hat, ist kaum zu überblicken. So hat er mittlerweile acht Streichquartette, drei Streichtrios, ein Nonett für Bläser und Streicher, jeweils ein Quintett für Klavier, Gitarre, Klarinette und Streichquartett, ein Bläserquintett, ein Flötenquartett, ein Quartett für vier Hörner, verschiedene Trios für Klavier in Kombination mit Streichern und/oder Bläsern komponiert. Unter den Duos finden sich große Sonaten für Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass, Klarinette, jeweils mit Klavier. Dazu kommen unzählige kleinere Werke vom Solo bis zum Quartett. Eine gesonderte Gruppe stellen die bislang zehn Poeme dar, kleine Tondichtungen in freier Form für verschiedene Besetzungen. Mit Ausnahme von Nr. 10, die für Violine, Horn und Klavier geschrieben ist, handelt es sich um Duos. Im siebten und achten dieser Stücke ist das Hackbrett zu hören. Mit diesem Instrument verbindet Leistner-Mayer, der mit der Hackbrett-Virtuosin Heidi Ilgenfritz verheiratet ist, eine besondere Beziehung. Für seine Frau hat er eine ganze Hackbrett-Literatur verfasst: Solostücke, Duos für zwei Hackbretter, Kammermusik für ein, zwei oder vier Hackbretter mit anderen Instrumenten, sowie ein Konzert für Hackbrett und Streichorchester. Jedes dieser Werke beweist, dass das Hackbrett ein vollwertiges Konzertinstrument ist, dessen klangliches Potential in hochpoetischer Musik trefflich entfaltet werden kann.

Von zahlreichen kammermusikalisch oder kammerorchestral besetzten Werken Leistner-Mayers liegen CD-Aufnahmen vor, von denen die meisten beim Verlag Vogt & Fritz erschienen sind, der auch den Großteil seiner Partituren veröffentlicht hat. Sie sind entweder vom Verlag oder beim Komponisten selbst zu beziehen. In den vergangenen Jahren hat auch TYXart drei CDs mit Kammermusik Leistner-Mayers herausgebracht. Die erste ist ganz seinem Schaffen gewidmet und enthält die Streichquartette Nr. 5–7, gespielt vom Sojka-Quartett. Die beiden anderen kombinieren jeweils eines seiner Werke mit Stücken anderer Komponisten. So sind auf dem Album des Duos Maiss-You (Burkhard Maiss, Violine und Viola, und Ji-Yeoun You, Klavier) neben Leistner-Mayers Sonate für Viola und Klavier noch Violinsonaten von Béla Bartók (Nr. 2) und Leoš Janáček zu hören. Das Deutsche Streichtrio präsentiert als Streichtrios aus Böhmen Leistner-Mayers Streichtrio Nr. 3 gemeinsam mit dem Trio Nr. 2 von Bohuslav Martinů und stellt diesen beiden modernen Stücken Trios aus dem 18. Jahrhundert von Johann Baptist Vanhal und Vaclav Pichl gegenüber. Alle drei Alben sind nicht nur dazu geeignet, den Kompositionen Leistner-Mayers, sondern auch den anderen Werken Freunde hinzuzugewinnen, und können wärmstens empfohlen werden.

Wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag ist nun Leistner-Mayers jüngstes Werk in die Öffentlichkeit getreten, das Streichquartett Nr. 8 op. 159. Wie man aus einer Notiz des Komponisten im Programmheft der Münchner Aufführung vom 28. Januar erfahren konnte, nennt er es Das Wirbelquartett. Der Titel greift die Bemerkung eines ungenannten Komponistenkollegen auf, der meinte, im Finalsatz des Werkes würden die Taktarten „ganz schön durcheinander wirbeln“, denn jeder Takt steht in einer anderen. Mit etwa 35 Minuten Spieldauer ist das viersätzige Werk nicht nur das bislang umfangreichste Streichquartett Leistner-Mayers, sondern auch eines seiner ausgedehntesten zyklischen Werke überhaupt. (Die meisten sonatenartigen Stücke des Komponisten dauern zwischen 15 und 30 Minuten. Die Dritte Symphonie ist eine Ausnahme.) Der äußeren Ausdehnung entspricht das innere Gewicht des Quartetts. Der erste Satz ist ein unruhiges, nervös gespanntes Stück, das ständig zwischen langsamen und raschen Tempi hin und her wechselt. Ihm schließt sich ein Scherzo feurig-tänzerischen Charakters an. Der langsame Satz schlägt in der Stimmung die Brücke zum den Kopfsatz. Ungefähr die Mitte zwischen einer Elegie und einem Trauermarsch haltend, steigert er sich zu einem machtvollen Höhepunkt und verklingt schließlich still. Das bereits erwähnte „Wirbel“-Finale bildet den Abschluss: ein energisch voran stürmender Satz, der Leistner-Mayers Fähigkeit, auch bei ständig wechselnden Takten die Musik in Fluss und Schwung zu halten, das beste Zeugnis ausstellt. Dem Sojka-Quartett (Martin Kos, Martin Kaplan, Tomáš Hanousek und Hana Vítková), das in dem zuvor gespielten Beethoven-Quartett op. 18/4 etwas schwächelte, namentlich im zu rasch genommenen Finale, gelang in diesem Werk eine Darbietung, die von den Qualitäten der Komposition vollends überzeugen konnte. Ist es vermessen zu hoffen, dass auch dieses neueste Streichquartett von Roland Leistner-Mayer bald in einer angemessenen Wiedergabe den Weg auf den Tonträger finden möge? Quartett-Ensembles, die nach guter zeitgenössischer Musik für ihre Konzerte suchen, sollten jedenfalls nicht an ihm vorüber gehen. Erschienen ist es bei edition 49, über welchen Verlag mittlerweile auch die bei Vogt & Fritz publizierten Werke zu beziehen sind.

Dem Komponisten sei zu seinem bald anstehenden 80. Geburtstag gewünscht, dass ihm seine kräftig fließende Inspiration möglichst lange erhalten bleibe, auf dass er der stattlichen Reihe seiner Werke noch zahlreiche Meisterstücke hinzufügen kann. Seine Musik, die sich nie der Mode gebeugt hat und Ausdruck einer leidenschaftlichen, empfindsamen Seele ist, wird schwerlich veralten können und – die Prognose möchte ich wagen – in ferner Zukunft noch so frisch und unverbraucht dastehen wie heute die Musik seines Vorbilds Janáček. Die Musiker brauchen nur hineinzugreifen in diese Fülle.

[Norbert Florian Schuck, Februar 2025]

Zum 150. Geburtstag von Erkki Melartin und Walter Courvoisier

Wie neulich schon im Zusammenhang mit Emil Mattiesen erwähnt, fallen in das laufende Jahr die 150. Geburtstage einer Vielzahl hervorragender Komponisten. Gleich zwei sind am 7. Februar 1875 zur Welt gekommen: der Finne Erkki Melartin und der Schweizer Walter Courvoisier.

Erkki Melartin (1875–1937)

Erkki Melartin, um 1900

Die Rezeption Erkki Melartins zeigt beispielhaft, dass man ein hochbegabter Künstler sein und dennoch aufgrund einer ungünstigen historischen Konstellation ins Hintertreffen geraten kann. Nicht dass Melartins Karriere erfolglos verlaufen wäre – ganz im Gegenteil: Er war eine feste Größe im finnischen Musikleben seiner Zeit, seine Werke wurden regelmäßig gespielt, er genoss Ansehen als Dirigent und Pädagoge und leitete von 1911 an 25 Jahre lang, bis kurz vor seinem Tod, das Konservatorium in Helsinki. Dennoch stand Melartin stets im Schatten des ein knappes Jahrzehnt älteren Jean Sibelius, der zu dem Zeitpunkt, als der jüngere Kollege sich in seiner Heimat zu etablieren begann, gerade im Begriff stand, Weltruhm zu erwerben und in Finnland zur nationalen Identifikationsfigur aufzusteigen. Melartin hat die Stellung des älteren durchaus akzeptiert. Sein eigenes Schaffen zeugt davon, dass auch er zu Sibelius aufsah: Ausladende Melodiebögen mit modalen Wendungen, markante Rhythmen in flüssiger Diktion, dazu die „nordischen“ Lichteffekte in der Instrumentation – jene typisch sibelianischen Stilelemente finden sich auch in Melartins Musik. Er war einer der ersten finnischen Komponisten, die durch die Pflege jener Stilmerkmale dazu beitrugen, dass der Sibeliussche Personalstil zum Inbegriff des „Finnischen“ in der Musik wurde. Damit war zugleich die Rangfrage hinsichtlich des öffentlichen Ansehens geklärt.

Es wäre allerdings grundfalsch, Melartin als einen bloßen Sibelius-Epigonen abzutun. Dazu finden sich in seinem Schaffen zu viele Elemente, die bei Sibelius kein Gegenstück haben. Anhand der sechs Symphonien Melartins zeigt sich exemplarisch, wie unterschiedlich sich beide Komponisten bei ähnlicher Ausgangslage entwickelt haben. Für Sibelius wird die Arbeit mit fest umrissenen Themen immer unwichtiger. Die thematischen Konturen lösen sich immer mehr in Bewegung auf, mit ihnen der klassisch-akademische Tonsatz und die überkommenen Sonatenformen. Dass Kopfsatz und Finale seiner Ersten Symphonie mit dem gleichen Thema beginnen, ist bereits der größte Tribut, den Sibelius dem Konzept der zyklischen Thematik in der Symphonik je erstattet hat. Für Melartin ist diese Idee, die namentlich auf Franz Liszt und César Franck zurückgeht, stets wichtig geblieben. In dieser Hinsicht war er gerade kein Sibelius-Nachfolger. In seinen Symphonien verliert die thematische Arbeit nie ihren Stellenwert. Auch begegnen wir Themen, die sich als Leitgedanken durch mehrere Sätze eines Werkes ziehen. Auf die Idee, das Finale einer Symphonie als Quadrupelfuge zu gestalten, wie es Melartin in seiner Fünften tut, wäre Sibelius gleichfalls nie gekommen. Ein gewisser Einfluss Gustav Mahlers, dessen Musik Melartin 1909 als erster in Finnland zu Gehör brachte, zeigt sich in einer Vorliebe für marschartige Themen und Blechbläsersignale. In Melartin deswegen eine Art „finnischen Mahler“ sehen zu wollen, wäre allerdings verfehlt. Melartins Symphonien sind mit ihren Spieldauern zwischen 26 und 45 Minuten viel kürzer als jede Symphonie Mahlers. Als Musik, die „wie die Welt“ alles umfassen soll, sind sie gleichfalls nicht gedacht.

Melartin begann mit zwei knappen, weniger als halbstündigen Symphonien in c-Moll (1902) und e-Moll (1904), die er offenbar als Werkpaar betrachtete und unter der gemeinsamen Opuszahl 30 zusammenfasste. Ihnen folgten die deutlich längeren, rund dreiviertelstündigen Symphonien Nr. 3 F-Dur op. 40 (1907) und Nr. 4 E-Dur op. 80 (1912). Hebt sich die Dritte durch ein langsames Finale von den übrigen ab, so wartet die Vierte, die den Beinamen Sommer-Symphonie trägt, mit drei wortlosen Frauenstimmen im langsamen Satz auf. Melartin hat seine 1916 vollendete Fünfte Symphonie op. 90 Sinfonia brevis genannt. Allerdings ist dieses Werk, in dessen Kopfsatz sich ein „sibelianisches“ und ein „mahlerisches“ Thema schroff gegenüberstehen, nicht viel kürzer als die beiden vorangegangenen Symphonien und länger als die ersten beiden. Möglicherweise ist das „brevis“ als programmatische Abkehr von der spätromantischen Opulenz zu sehen. Die originellste Symphonie Melartins ist zweifellos die 1924 komponierte Sechste op. 100. Die vier Sätze dieses Werkes sind von den vier Elementen inspiriert und setzen Erde, Wasser, Luft und Feuer in Musik. Verglichen mit den früheren Symphonien gibt es hier keine einheitsstiftende Haupttonart. Das Werk beginnt in c-Moll und endet in Es-Dur. In der Instrumentation herrschen dunkle Farben vor, besonderes Gewicht kommt den Blechbläsern zu, wodurch die Härten der Harmonik noch hervorgehoben werden. Beschließt Sibelius zur gleichen Zeit die Reihe seiner Symphonien in apollinischer Heiterkeit, so entwickelt sich Melartin am Ende seines Weges als Symphoniker zum Expressionisten. Wohin dieser Weg Melartin in seiner Siebten, Achten und Neunten Symphonie geführt hätte, lässt sich leider kaum sagen. Der Komponist hatte für diese Werke bereits Opusnummern reserviert, schaffte es aber nur noch, einen Entwurf zum Kopfsatz der Siebten Symphonie zu beenden. Alles übrige blieb im Stadium unterschiedlich weit gediehener Skizzen.

Dass Melartin aus dem Schatten von Sibelius nicht herauskam, liegt nicht zuletzt an der Tatsache, dass er wesentlich weniger Glück mit Verlegern hatte. So blieben, mit Ausnahme der Sechsten, alle seine Symphonien zu Lebzeiten ungedruckt. Lange standen für Aufführungen nur schlechte Kopien der Manuskripte zur Verfügung. Die Dritte Symphonie musste es sich gefallen lassen, jahrzehntelang nur in zusammengestrichener Gestalt zu erklingen. Erst Anfang des 21. Jahrhunderts wurden im Auftrag der Erkki-Melartin-Gesellschaft die Manuskripte des Komponisten gesichtet und kritische Editionen aller Symphonien erstellt. Die Partituren dieser und weiterer Werke können auf der Seite der Gesellschaft angesehen werden.

Die Symphonien Melartins sind wohl der bedeutendste, aber zahlenmäßig nur ein kleiner Teil eines riesigen Gesamtwerks, das weit über 500 Einzeltitel in nahezu allen Gattungen umfasst. So schrieb Melartin außerdem die Oper Aino, das Ballett Die blaue Perle, Bühnenmusiken, vier Streichquartette und weitere Kammermusikwerke für verschiedene Besetzungen, zahlreiche Klavierstücke und Chorwerke. Besonders geschätzt wird sein reiches Liedschaffen, in welchem sich Vertonungen finnischer, schwedischer, deutscher und französischer Texte finden.

Walter Courvoisier (1875–1931)

Starb Erkki Melartin, der zeitlebens unter einer schwachen Gesundheit litt, bereits eine Woche nach seinem 62. Geburtstag, so erreichte der ebenfalls am 7. Februar 1875 geborene Walter Courvoisier nicht einmal dieses Alter: Im Dezember 1931 fiel er mit 56 Jahren der Tuberkulose zum Opfer.

Walter Courvoisier, um 1929

Courvoisiers Lebensweg begann und endete in der Schweiz, zum Hauptwirkungsort wurde ihm aber München, wo er schließlich zum angesehensten Musikpädagogen Süddeutschlands aufstieg. Eine musikalische Karriere war Courvoisier nicht vorgezeichnet. Als Sohn eines Chirurgen wurde von ihm erwartet, die väterliche Tradition fortzusetzen. So studierte er Medizin, wurde mit einer Arbeit über Prostatakrebs zum Dr. med. promoviert und praktizierte kurze Zeit als Assistent seines Vaters in der Basler Chirurgie. In seiner Freizeit beschäftigte er sich autodidaktisch mit Komposition und hatte bereits größere Kammermusikwerke komponiert, als er sich entschloss, dem Rat des bedeutenden Basler Komponisten Hans Huber zu folgen und ein geregeltes Musikstudium aufzunehmen. Courvoisier erbat sich eine Auszeit vom medizinischen Dienst, ging nach München, um bei Ludwig Thuille zu studieren – und kehrte nie zum Arztberuf zurück. In München wurde Courvoisier bald zu Thuilles Lieblingsschüler und wuchs wie von selbst in die Rolle seines Nachfolgers hinein, als der er sich nach dem frühen Tod des Lehrers glänzend bewährte. Unter seinen Schülern finden sich illustre Namen wie Dora Pejačević, Max Butting, Roberto Gerhard, Paul Ben-Haim, Willy Burkhard, Hermann Reutter und Heinrich Sutermeister.

Courvoisier war ein sehr selbstkritischer Komponist, der in späteren Jahren bedauerte, einige seiner Frühwerke in den Druck gegeben zu haben. Auch zog er das einzige größere Orchesterwerk, das er einer Opuszahl würdig befand, den Symphonischen Prolog zu Carl Spittelers Olympischer Frühling, letztlich zurück. In seinem Nachlass finden sich mehrere aufführungsfertige Werke, die einmal ihren Platz in der offiziellen Liste seiner Kompositionen hatten, dann aber durch andere Stücke ersetzt wurden. Dieser Selbstkritik ist es wohl auch zuzuschreiben, dass Courvoisier große Formen in der Instrumentalmusik weitestgehend mied. Es gibt keine Symphonie von ihm, und aus seiner Reifezeit kein mehrsätziges, sonatenförmiges Kammermusikwerk. Zum Schwerpunkt seines Schaffens wurde die Liedkomposition. Auf diesem Gebiet, das letztlich auf über 200 Einzelstücke anwuchs, ist Courvoisier einer der Großen seiner Zeit gewesen. Seine Lieder leben von der Ausgewogenheit zwischen feiner Ausdeutung des Textes und formstrenger musikalischer Gestaltung. Der Klaviersatz ist motivisch dicht gearbeitet und verrät den meisterhaften Kontrapunktiker. Die Möglichkeiten der nachwagnerischen, spätromantischen Harmonik setzt Courvoisier sehr gezielt ein, um Textworte hervorzuheben oder formale Eckpunkte zu kennzeichnen. Ein Schwelgen um des Schwelgens willen ist ihm ebenso fremd wie stimmliche Virtuosität als Selbstzweck. Den Gipfel seiner Liedkunst markieren wohl die geistlichen Lieder op. 27 und 29, in denen er seine Harmonik mit archaisierenden, modalen Wendungen anreichert und dadurch zu besonders innigem, leidenschaftlichem Ausdruck gelangt. Gerade die als Gebet angelegten Stücke sind von einer Intensität, der man sich schwerlich entziehen kann. Die Lieder sind für Klavierbegleitung geschrieben, eignen sich aber auch für den Vortrag mit Orgel, etwa in kirchlichen Konzerten, wunderbar.

Die Instrumentalmusik Courvoisiers besteht im wesentlichen aus zwei Gattungen: Variationen für Klavier und Suiten für Solostreichinstrumente. Auf beiden Gebieten zeigt sich der Komponist als ein Künstler, der die knapp bemessenen musikalischen Räume der jeweiligen Sätze aufs Reichste auszugestalten vermag. Gerade die sechs Suiten für Violine op. 31 und die zwei Suiten für Violoncello [op. 32] sollte sich kein Violin- oder Cellospieler, der nach wertvollem Solorepertoire sucht, entgehen lassen. Nur Achtungserfolge konnte Courvoisier mit seinen Opern erringen, dem Musikdrama Lanzelot und Elaine und dem Lustspiel Die Krähen, denen sich noch eine nie aufgeführte Eichendorff-Vertonung Der Sünde Zauberei anschloss. Vielleicht könnte man sie einmal konzertant probieren, schlechte Musik enthalten sie gewiss nicht. Unbedingt in die Konzertsäle zurückgeholt werden sollte allerdings Courvoisiers Hauptwerk, die abendfüllende Kantate Auferstehung, eine Gedenkkomposition für die Opfer des Ersten Weltkriegs, die mit der Stimme eines einsamen Rufers beginnt („O Tod, wie bitter bist du“) und mit einer gewaltigen Doppelfuge endet.

[Norbert Florian Schuck, Februar 2025]

Franz Schmidt and his Symphonies – An Interview with Jonathan Berman

Conductor Jonathan Berman has recorded the complete Symphonies of Franz Schmidt with the BBC National Orchestra of Wales for Accentus Music. The recordings were reviewed here. Norbert Florian Schuck spoke with Jonathan Berman about this project, Franz Schmidt’s music and more. The following conversation took place in the rooms of the Franz Schmidt Musikschule in Perchtoldsdorf. The music school possesses many furnitures from the household of Franz Schmidt himself as well as his own pianoforte.

The recording of Franz Schmidt’s piano playing mentioned in the conversation is the first performance of Alfred Einstein’s completion of Wolfgang Amadé Mozart’s Rondo for pianoforte and orchestra in A major K 386 which took place on 12 February 1936. Franz Schmidt was accompanied by the Vienna Symphonic under the direction of Oswald Kabasta. The performance was broadcasted from Austria to the United States, where it was recorded by an unknown radio listener. A collector, who had come into possession of the recording provided it to Norbert Florian Schuck, who showed it to Anthony and Maria Jenner of the Franz Schmidt Musikschule Perchtoldsdorf. The recording was never published commercially.

[Der Dirigent Jonathan Berman hat mit dem BBC National Orchestra of Wales für Accentus Music die sämtlichen Symphonien von Franz Schmidt eingespielt. Die Aufnahmen wurden bereits an dieser Stelle besprochen. Norbert Florian Schuck sprach mit Jonathan Berman über dieses Aufnahmeprojekt, Franz Schmidts Musik und mehr. Das Gespräch fand in den Räumen der Franz Schmidt Musikschule in Perchtoldsdorf statt, in welchen sich zahlreiche Möbelstücke aus Franz Schmidts Wohnung befinden, ebenso sein Klavier.

Bei der erwähnten Aufnahme, in welcher Franz Schmidt am Klavier zu hören ist, handelt es sich um die neuzeitliche Erstaufführung des Rondos für Klavier und Orchester A-Dur KV 386 von Wolfgang Amadé Mozart in der Vervollständigung durch Alfred Einstein, die am 12. Februar 1936 durch Franz Schmidt, begleitet von den Wiener Symphonikern unter Oswald Kabasta, stattfand. Die Aufführung wurde von Österreichischen Rundfunk in die USA übertragen, wo sie von einem unbekannten Radiohörer mitgeschnitten wurde. Dieser Mitschnitt gelangte in den Besitz eines Sammlers, der ihn Norbert Florian Schuck zur Verfügung stellte. Dieser wiederum machte Anthony und Maria Jenner von der Perchtoldsdorfer Franz Schmidt Musikschule mit der Aufnahme bekannt. Der Mitschnitt ist nie kommerziell veröffentlicht worden.]

Jonathan Berman © Rah Petherbridge

TNL: Let’s start the conversation! What were your impressions when you came to Perchtoldsdorf the first time?

JB: I had made contact with Maria Jenner [headmaster of the Franz Schmidt School of Music in Perchtoldsdorf] when we released the CDs of the complete Franz Schmidt Symphonies. However, not really knowing what to expect I came to explore and found a treasure trove of things relating to Schmidt, even including his piano. I was fascinated by his piano as I had written about how the sound of his piano playing give us clues into how to interpret his music in the booklet of my recording. There is this certain approach that Schmidt has in creating his harmonic language out of counterpoint, and we can play and perform it in a way so that it really comes to life. I was thrilled when I played his piano, as it completely confirmed my impression of the sound of his piano playing, and thus his music, which I had found in his notes and throughout my research.

In preparing for the recordings of the Schmidt Symphonies I had studied all of his sketches which I could found, and I had even seen some counterpoint lessons he gave: there’s a book of lessons he gave to Ludovit Rajter, and also some counterpoint exercises of Susie Jeans, which are in the British Library.

That was a real moment for me, because in these exercises Susie Jeans writes a perfect counterpoint, but Schmidt corrects it, not that they are wrong, but his corrections are constantly saying, “This can be more beautiful, this can be stronger, this can have more gravitational pull of the contrapuntal melody.”

So these exercises show Schmidt’s search for beauty and artificiality?

I wouldn’t use the word “artificial”. I’d say he was looking for lines which were “more organic”, “more natural”. Think of the sentence from Goethe which Schmidt liked to quote when he was asked how he writes his music: “I sing how the bird sings” [“Ich singe, wie der Vogel singt”]. He was committed to his music sounding natural, and desired that each sound or tone creates the next ones naturally and organically whilst everything is connected at a fundamental level. It is almost as if Schmidt doesn’t write his music, but once it starts the music creates itself, which is something I searched for in these recordings to try and make the performances sound like the music was creating itself.

I have extrapolated a lot from this idea – even the photographs I commissioned for the CD covers, taken by my great friend here in Vienna, Kristina Feldhammer. They’re all analogue photographs created on film and then in the dark room, which I think mirrors Schmidt’s music (and something we have tried to find in the recordings as well). Kristina’s photographs create a sense of tactility – you can almost touch them, they are not hidden behind a modern shiny veneer which is absolutely my approach to bringing Schmidt’s music to life.

Look at her photo of the Strudlhofstiege steps, there is this sense of architecture, which she combines in the dark room with photographs of nature, of the Wienerwald and of the surrounding areas creating an image which is trying to find in this architecture, nature and the human, or the divine and the earthly. Additionally then, of course, they’re all self-portraits, which creates a sensuality, drawing parallels to the turn-of-the-century Klimt-esque, Schiele-esque, Schnitzler-esque exoticism and eroticism, which we see in the music of Strauss, Wolf, Zemlinsky (actually many composers of that time) and of course, most importantly, all through Schmidt’s music.

Coming back to Schmidt’s piano, I was really thrilled that I found that playing his piano matched what I had found in his music. For instance, certain keys which are traditionally expected to be “bright keys”, like E major… If you look at a passage in Strauss, in Beethoven, in Brahms – even although it’s quite rare for Brahms to write in E major –, it’s a slightly brash key. In Mozart’s operas E major is often almost militaristic: lots of sharps, everything’s a little bit raised and tense, and somewhat bright.

In Schmidt’s music that’s not the case. Playing his piano you hear that it’s the mellowest, softest E major which while it ‘proves’ nothing, for me just adds to weight to the characteristic of the keys which I find in his music.

Schmidt was of course one of the absolute greatest pianists, so his connection to the piano is important. Leopold Godowsky, when asked who was the best pianist of the time, said: “Well, the other is Franz Schmidt.”

Did your imagination of Schmidt as a piano player influence your concept of the recording?

At the time of recording the symphonies I did not know that there was a recording of Schmidt playing the piano (although I searched long and hard for one) so I developed an an idea of how Franz Schmidt might have played the piano, from writings about him, and above all from listening to recordings of other pianists of the era in particular the other students of Schmidt’s teacher Leschetizky, such as Leopold Godowsky. Closest to Schmidt’s playing though – as it was described by his contemporaries – were the recordings of Ernst von Dohnányi.

Interestingly they grew up in Pozsony (Preßburg) which is now Bratislava, only a few years apart from each other. Both played organ in the same church – the next organist of this church was Bartók. They all spoke Hungarian as a first language, Slovakian and German. Still there are a few people in Preßburg-Pozsony-Bratislava, who have this trilingual culture and live this multicultural approach to life. I recently spoke to Adrian Rajter, the son of Ludovit Raijter (a student of Schmidt’s who recorded the complete symphonies), who is a very passionate linguist and still believes in this three-cultural world.

Anyway, I learned a lot about the piano playing of Schmidt from listening to Dohnányi. I’m absolutely not a period performer at all, and I don’t think there is ‘authenticity’ in how to perform music ever. But what I can do is to research as much as I can, so that when I look at a written piece of music and I can use this research (for instances from recordings) to try and open it up, to try and find a key into the music, and discover how to translate the music from the page into sound.

Firstly there is transparency: all of these players play so that you can hear all the voices. There’s none of the heavy post-Soviet piano playing. It didn’t even exist in their minds. So in all the voicings of the chords – thirds are softer, fifths are a bit stronger, tonic bass notes are quite strong always, inner voices are very prominent – there is a sort of transparency of sound while still being resonant and sonorous and singing.

There is a great flexibility with tempo, which comes out of the harmony. It’s not a ‘Chopin-esque‘, or a ‘modern-Chopin-esque’, rubato which functions in order to expresses something about the performer or as some virtuoso trick designed to differentiate yourself from another player. It really is part of the music, and we can find examples of this style of tempo flexibility in the scores of Schmidt’s contemporaries.

Look at Mahler, or Schoenberg, or Webern, or Berg: Every bar, every two bars there’s some tempo marking, there’s an expression marking describing the changing and modulating tempi. With Schmidt’s scores it is very different: mostly there’s just one tempo at the beginning. And it’s very interesting: None of his sketches have tempos or dynamic markings and very rarely are his sketches orchestrated, although occasionally you see a instrumentation written in works around a certain phrase or line. For instance, in the Fourth Symphony very early on in the sketches is a trumpet solo, so he already was thinking in that way. But the drama of the music comes out of the notes he chose, out of pure counterpoint, and the rhythms…..

…the balancing of tension and resolve of harmony…

Exactly! In such a nuanced fashion, even the layering of multiple tensions and resolutions such as having one phrase over 16 bars, one over eight bars, and there is something else going on over four bars… I’m not talking about regularity, but about layering of different narratives so create (literally) deeper music.

Sometimes the music content is about deep or profound ideas as well (such as the 4th symphony), but depth doesn’t have to relate to the content, in music ‘depth’ can just be if there is a lot going on at one point.

To finish the story about the piano:

So now, thanks to both you and Maria [Jenner] I have now heard Schmidt playing, and it is almost exactly what I expected, but more! It’s more imaginative, more fantastical!

If you hear this recording of the Mozart, every gesture is taken care of in a very small scale way, but also as a view of a larger structure. Nothing is repeated the same. It’s what everyone always said about Schmidt: He never played the same thing twice. So if he played the same piece again he would play it differently, not in an improvisatory or extemporising sort of way though, but finding other opportunities which are presented by the notes. This was all because he understood the structure and underlying architecture of the music so well.

The piece is one big moment for him: In this special case the moment is 8 minutes long! In our digital age, you know with Formula 1 talking about 0.01 of a second, we think: “Well, that’s a single moment.” Our zeitgeist is all about discovering the smallest possible denomination of everything – in this case what constitutes a singular event. Actually, though ‘the moment’ in music can be much longer. A whole symphony can be a single moment. Schmidt’s Fourth Symphony is a single ‚moment’, I think the Third as well. The second consists maybe of two ‘moments’, and the first maybe of four. For me there is definitely some time travel needed to recover this idea of expanding ‘the moment’ and connecting more under a single idea (such as the Gestalt Principals of therapy [of Max Wertheimer, Kurt Koffka, and Wolfgang Köhler following Christian von Ehrenfels] do, or Heinrich Schenkers musical analysis do – both from the same time as Schmidt) rather than our modernist was of dissecting until the smallest is found.

Schmidt’s playing uses the structure, playing within its framework, with incredible discipline he found such freedom, fantasy and imagination. When you listen to this recording of him playing, the more you listen, the more you find, and that’s I find with his own music.

I’ve been working on his music now nearly 20 years, and in a great depth for seven years: recording the Symphonies, editing them, learning them, bowing them, spending hours and hours – and I still find more! Even more – I still am in love with his music, (which is not always the case)! There’s some very good music that you spend six months learning, and then a week with an orchestra, and then you’re happy to leave it for a few years. I always want to go back to Schmidt’s music. After a performance the first thing I do is: I open the score and want to explore more……

So every time you come back to Schmidt, it’s a new journey, a new experience for you?

Absolutely! It doesn’t have to be a hugely different journey, I re-experience it every time, but without ignoring the journeys I’ve already been on. I have a very short attention span and I get bored very easily; so, if I tried to just do exactly the same thing again (because that’s what I did the time before) I would get bored, and well before anyone else.

That’s the special sign of quality of Schmidt’s music?

Yes. Although, of course there are other composers who’s music gives you new experiences every time you engage with it. But I do think there is something very special in Schmidt’s music – you can hear it in his piano playing: the sheer vivaciousness, the delicacy, the gestures, the sort of gravity… I don’t mean gravity as in weight, I mean the gravitational pull of a gesture. It’s like a dance.

Considering the recording, I found it interesting that Schmidt criticised his teacher Leschetizky very much for his, as he said, abusive rubato playing. He himself is completely free in tempo, but it is every time in the right way!

The hidden question which you didn’t ask is: What would Schmidt think of my recordings which definitely have quite free tempi? But let’s leave that to the side for the moment.

I think there’s some very interesting things about composers and how they react to their own music, or how they play their own music compared with how composers play other people’s music. They are all connected, but often it’s like a Venn diagram: They don’t quite line up. When you talk about vibrato, when you talk about tempo flexibility, when you talk about rubato, it’s very easy to criticise somebody. It has become a fashion in our times to understand this criticism as a statement of existence or not existence as opposed to a criticism of quality: just think of of the comment of Leopold Mozart that vibrato shouldn’t sound like a meowing cat, a statement which many people have taken to mean that Leopold Mozart hated ALL vibrato (or even more extremely that vibrato didn’t exist) – as opposed to him just saying that vibrato should sound good not bad! So Schmidt criticised Leschetizky about his excessive rubato from which you can only understand that Leschetizky’s rubati didn’t work for Schmidt.

I have a theory about why that might be: When you hear Schmidt’s playing, or you read about his approach to performance, the most important aspect for him is that everything comes out of the music – out of the notes. However, we don’t know much about Schmidt’s relationship with composers where melodic inflection is one of the main modes of expression – Chopin for instance.

We don’t know what Schmidt thought of Chopin’s music or of playing Chopin – or at a least I don’t… Unfortunately, we don’t have a recording of Schmidt playing Chopin. Chopin writes music where the structure underlying the whole piece is simple, but the interest of the music is what happens on a single beat, coloured in very refined ways. So it’s very easy to stretch each moment, and move it around showing off all the minute colourings and small scale relationships.

If you apply that style of rubato then to Mozart or Beethoven, to the larger structures, the large scale harmonic structures of a movement, or the varied repetitions – so when a first subject comes back again, or when a second subject comes back, but in the tonic, not the dominant – the small scale rubato of Chopin just doesn’t work. When you hear someone like Dohnányi playing Beethoven – because there are recordings of him playing Beethoven –, it’s so free, but within this very structured framework.

So, to answer your your hidden question, I have interpreted or translated Schmidt’s criticism of other people of playing with bad rubato, meaning that for Schmidt they weren’t connected to a deeper underlying structure. And whilst I take a lot of tempo flexibilities, I actually try – I don’t know whether that comes off – to create them as a flexible tempo, not rubato. Rubato has this sense of stealing tempo from one moment to give to another. But when performing Schmidt (or Bruckner or Beethoven and many others) I have in my head a sense of pulse and subdivision, and that the tempo is expanding or contracting – a bit like a concertina. You have one movement, one pulse through the piece but, the tempo, the (modernist or absolute) metronome mark might change.

My flexibility often happens over whole phrases. So one phrase will go slower or faster than another phrase. This idea of time keeping is very pre-digital, pre-atomic-clocks, pre-idealised sense of regular time. So it’s much more about felt time: If a pulse feels the same, it is the same.

As a practical example look at the Third Symphony: the first subject of the first movement. It comes four times over the whole movement, and for me I play each time at slightly different tempi to create a sense of a phrase over the whole movement hopefully creating a sense of structure over the whole movement. The first time (right at the opening) is the first time you have heard the material, then you get the second time which is the repetition of the first time (repeat of the exposition), it has to say something different!

It reacts at this point to the music which has been heard before.

Exactly, and you recognise it but it can’t say the same thing twice! So, I take it slightly faster (and phrase it slightly differently connecting it under a longer phrase). Then at the beginning of the development, there is one with a diminished type harmony, which for me has to go slightly slower, because it’s a moment of questioning. The recapitulation then seems to comes out of nowhere, and can come back to a much more relaxed state. Finally the last manifestation of this first theme begins the coda. It is in a very foreign harmonic area and functions as the lowest point of the movement and so for me the slowest point of the movement. I hope that this will create a real journey and relationship between the opening phrase and the beginning of the coda.

You mean a moment of complete relaxation?

Well, it’s not complete relaxation but it’s a moment of complete unknowing of where you’re going, and it’s created by the harmony, the texture, and the orchestration. This music is different the last time we hear it in this movement, and what I have done is I’ve tried to make clear and amplify those characteristics I find in the music, so that as a listening, it is clear that the music is not just carrying on you have a feeling of “Oh what’s going to happen? Oh – what’s – going – to happen?”

You may criticise my performances, say that they are too obvious, say that I lose people, you may say my tempo flexibility is too much. But that’s fine, I want people to listen and react, and if they feel that this is the case, it’s great!

So the beginning of the coda is the moment you create the type of tension which makes the people curious about the second movement?

Exactly! And that for me is much more tempo flexibility as opposed to rubato, although there is some freedom in the phrases. I have no idea what Schmidt would think of it. I, of course, hope he would like it.

I do work a lot with living composers though, and again this idea of authenticity or correctness just doesn’t exist. Performing music is all about life, it’s about giving music life and drawing your listener on a journey! So I think Schmidt would have been very pleased with our recordings.

Of course, when the composer writes something, it is performed, it is out in the world, and it begins living on itself like the child begins to live without the parent.

Yes, you can affect it, and you can hope for it and be a part of it. It’s the same with making recordings. I mean, these are the first recordings I’ve made. I’ve done sessions for the radio, but a recording is not a live performance. It has to have life, but again you have to let it go.

I, of course, hope people put this on a really good stereo or really good headphones, they sit down, they take 45 minutes, and they listen to the whole thing in that space. I can’t control that, and I shouldn’t control it. People might hear it on Youtube, they might hear it in the Metro, they might hear it in the airplane, they might hear 20 minutes of it, they might turn their radio on in the car. And I hope that, whatever happens, the music grabs them, and they go: “Oh, this is interesting!”

But, like with the composer when composing, I feel that a performer should give everything they can to the recording, but then you have to let it live its own life.

Was it clear for you that you want to make your recording debut with Franz Schmidt, when you started to work as a conductor?

No, not at all. I love recordings, I have a huge record collection at home. It’s so big, I can’t even fit it in my house: CDs, LPs, even tapes… I love the medium of recording, and I think it can be incredibly powerful. What was very clear for me right from the beginning of my career was that I wanted to record meaningfully. The more you know about the record industry and what has been recorded, the more you question: “Why do I record this? Is there a real need for this new recording?”

There are different ways of answering that question, and different reasons. For me they had to be musical reasons, and it had to be something to really affect an audience, to draw them into the love which I feel for the music. So there was a moment, where I was thinking that it would be an interesting project to make a recording, and I was sort of looking around for what might be a meaningful project to record. I found Schmidt much earlier, I’d been performing some of the Symphonies, and I really felt that the music was underplayed, underrepresented by this point. (This was before Paavo Järvi had announced his cycle.) I felt that through the performance and through my study of Schmidt’s music there was a lot in the music which I could bring out to draw people into the music. I felt it was music very close to me, and the more I questioned it, the more meaning I found behind the idea of making a recording of it and of building content around the recording: the Franz Schmidt Project which I’ve set up! So I’ve been interviewing other musicians, putting a recordings list up online, and trying to stimulate performances.

So the Franz Schmidt Project and your plans to record the Symphonies grew organically from the same source?

Yes, they grew out of this sort of meaningfulness that I could find in recording his symphonies. I also was very clear that I didn’t want to make a recording just for me, or for my own career. I felt that recording Schmidt’s symphonies had real musical and societal reasons.

When I was starting to think about this project I approached lots of people and asked them whether they knew Franz Schmidt. Some people didn’t know him at all. Fine, that’s a great opportunity to bring the music to them! But the people who did know it, many of them had had an experience with Schmidt early in life, in their teenage years, where his music had really opened them to the power of music. If we can get people involved in, we can play music that has that power, and if we can show a commitment and a dedication to it then that’s a very positive thing. So I felt there was a personal reason to do it, there was a societal reason to do it, a musical-societal, not a sort of extra musical.

I felt that there was something in the music that I could draw out, which just perhaps hadn’t been drawn out before, either because some of the really great recordings had been back in the 60s, 70s, 80s – you know: the Ludovit Rajter [Symphonies No. 1–4], the Libor Pesek [Symphony No. 3], even the Zubin Mehta recording [Symphony No. 4]. The Neeme Järvi recording [Symphonies No. 1–4] has a certain viewpoint of all of the pieces, and I felt like it was worth presenting a different viewpoint. It’s not like doing a Beethoven cycle where almost every viewpoint has been covered.

You have mentioned Rajter and Järvi and other famous interpreters of Schmidt of the past. Are there some of them who you consider to be references for you?

Not really, no, because I think Schmidt’s been very lucky on that there aren’t really bad recordings, and it’s a testament to the depth of the music that many different viewpoints can work. There’s also a more recent cycle with Vassily Sinaisky from Malmö, which is good and the complete cycles of Rajter, Neeme and Paavo Järvi, Luisi, Sinaisky, they’re all absolutely valid viewpoints – I don’t say that with any cynicism. I do think that Mehta, Pesek, and Bychkov [Symphony No. 2], who did one Symphony each, are possibly the most interesting of the recordings, but the idea of a reference recording is a very specific thing, but I don’t think any of these are that, but they are all valid viewpoints.

One of the most important writers on Schmidt was British composer Harold Truscott. Would you say that there is a specific tradition of Schmidt in Great Britain?

To be honest it doesn’t feel like there is. Very little Schmidt is played now, at least. Until a few years ago I’d never heard his music live in Britain. The Vienna Philharmonic brought the Second Symphony to the proms about 5 years ago, and then the Berlin Philharmonic brought the Fourth to the proms about 4 years ago. But before those two works I’d never heard any of Schmidt’s music live in the UK and I only know of two orchestras who have played his symphonies recently (as I have conducted all those concerts!).

I know that there have been various recordings over time, and I’ve done a lot of research into the radio broadcasts that you can find, which are often very interesting. For instance Alfred Walter did a whole set of broadcasts of the Symphonies with the BBC Northern, which you can listen to at the British Library. Simon Rattle performed the Fourth Symphony, there is an archive broadcast.

Of course, Franz Welser-Möst conducted the Fourth Symphony with the LPO in a very good recording, very different performance from anyone else, which is fascinating. He also conducted Das Buch mit sieben Siegeln at the proms.

Truscott’s book on Schmidt is very good, and Truscott was a wonderful composer, very original, but also it’s very interesting that his music sounds like he could have studied with Schmidt. The other person who came to the UK and was a great supporter of Schmidt was Hans Keller. There are some criticisms and some musicological essays by him which are all quite brilliant. He wrote on Schmidt’s music along with much other music, and he was very involved with the BBC. When he was there he pushed Schmidt’s music, which is why we have some of the broadcasts. But I wouldn’t go as far as to say that there is a particularly British tradition of performing Schmidt’s music.

One of the things that I was very keen to do with the BBC Welsh Orchestra was to discover a Viennese – or a more central European – tradition of playing. We worked really hard at that, and I am proud of the results we got: for instance, making a more resonant tone, not playing too loudly, often slightly slower bow strokes, taking real care over the connection of lines, particularly in instruments like horns where you might not expect real, true legato over big intervals.

Schmidt writes wonderful horn lines, and I don’t think it’s too silly to say that you have to imagine yodeling, which is a real legatissimo multi-tessitura line. When you think of Ländler and yodeling you think of a sound world with transparency, but without losing depth of sound, also a profound understanding that lightness doesn’t have to be a lack of seriousness, which I believe is a very Viennese or central European idea. This ties together the slightly softer, warmer, resonant sound and along with more transparency so that the inner voices coming out, and so on. We really worked very hard at trying to find that. We tried and now it’s up to you to decide how successful we were!

The ‘Viennese tradition’ is wonderfully complex. To start with, it’s not just an Austrian tradition. Vienna has always been, and particularly in Schmidt’s lifetime, a multilingual, multicultural city.

Schmidt himself was not just Austrian, but also Hungarian and Slovak and there are many Hungarian elements in his music. The interesting thing about Schmidt is that for him the Hungarian music, the ‘Hungarisms’, that he writes are not just exoticisms, they are a founding element of style.

So within his Hungarian style he still writes nuanced music.

So to add this Hungarian style into the Viennese playing style means incorporating slightly rougher articulation, too, but still in a very acoustic and resonant way. There’s nothing ever metallic, there’s nothing ever bombastic. As you know, Schmidt’s music can get quite loud, for instance at the end of the Second Symphony, or in the two catastrophe moments in the Fourth Symphony but there’s never a loss of quality in the sound otherwise the harmonic tension of the piece is destroyed.

If you imagine playing a piano, you can play louder and louder and louder, and at a certain point the strings stop resonating fully. There’s certain music which really plays with these sounds that you then get at this point: some contemporary music, but also some old music, for instance Mahler is interested in this extreme area – let’s call it “the not-beautiful”. Schmidt never quite hits anything that’s this extreme in the creation of the sound. There is trauma in what he’s writing about, but not in the instrumental colouring.

What would you say as a conductor are the specific challenges of Schmidt’s writing for orchestra?

Well for all the players it’s ferociously difficult to play. He writes very difficult music to play, but never too difficult. There is this joke that he wrote the Second Symphony to challenge his colleagues in the Vienna Philharmonic. Whatever the truth in that, it is very much on the limit, but yet it is never difficult for purely virtuoso reasons. It’s a bit like Clara Schumann said about Schumann’s music that there is no such thing as passage work in Schumann. It’s the same with Schmidt!

You have to train and rehearse the orchestra, so that these immense difficulties of playing are never heard as difficulties and can be nuanced and phrased and coloured to the same degree as a very simple line in a Haydn symphony.

Another challenge is… although I don’t know if it’s really a difficulty… one of the opportunities that Schmidt gives is that there is very little written in the score. It looks like a Mozart score: There are some dynamics, mostly piano to forte, some ‘mezzo’ dynamics, some crescendos, occasionally fortissimos… The same with tempos: one tempo marking almost per movement – of course the Fourth Symphony has a few more, the variations in the Second Symphony have different tempos. But there is a lot of realising or comprehending that has to be done by the conductor – which is wonderful, because it involves fantasy and imagination: How can you color this, or build it in a slightly different way?

Balancing is not difficult per se, but needs real work and care taken over it, because, again, much of the musical drama or the musical function of any moment comes from the bass line and middle voices, not the melody line. So you have to be able to hear and react to the inner voices, meaning that you might have a single note in the melody which has to change color because of something that’s happening in the violas.

The finding of the sound takes some time in rehearsals (and is very important), the finding of the gestures and the way they function and lead on to each other, without ever becoming too contrite. Schmidt’s music should never sound like the conductor is making choices, it should always sound like the music is demanding the choices itself, or that every choice that is made comes out of the music.

I suppose the the real job of a conductor in the performance of the Schmidt symphonies is about connecting the moment and making it cultured and varied, graceful and nuanced without ever losing track of the whole. So you ask yourself where you’re going, what the function of this moment is within the larger moment of the symphony, because it is deeply architectural structured music, there is no improvisation within Schmidt’s music, its all planned and constructed.

We are surrounded here by Schmidt’s Oriental Furniture [the original furniture of Schmidt’s living room, now situated in the Franz Schmidt Musikschule], and so it’s not too out of place to talk about what I’ve learned from Eastern philosophies and Japanese ideologies: That there’s an idea that two things, which are often seen as contrasted, opposites or dichotomies can be combined to be held under the same singular idea. In Schmidt’s music everything is always objective and subjective, everything is always thought through, created, built and constructed, and it is also felt, emotional, dramatic, storytelling, and if you, as a conductor, or a performer, or a musician, can find a way of drawing those together in the moment of performance – that moment might be 45 minutes long – you’re on to something.

Of course, Schmidt lived in this Viennese Jugendstil sphere, with all these ornaments and floral structures. But when you compare his scores with their sparse articulation and dynamic marks with Mozart, would you say that in his music there is a classical, or even baroque spirit below a Fin-de-siècle surface?

100%! As a comparison you can look at Viennese architecture, at Otto Wagner and Adolf Loos. People often see them as opposites. So Wagner is the ‘floralist‘, the artist of the surface, and Loos is the enemy of ornament, but they are still examples of the same underlying structures. Loos is really opposed to ornaments, but yet the balance, lines and the structures he creates are beautiful, Wagner still has to build buildings that stand and with beautiful lines and structures all in balance, even if they have surface ornamentation.

As an aside, something I love about Otto Wagner’s creations is that things are individual. So you look at a set of windows, which from a distance look all like they have the same motif, but over the six windows there is still a progression one way or another, so there is still an understanding of the structure. And look at his railings! I know, I’m a musician, I shouldn’t be talking about railings, but I find them fascinating.

The railings are not in the style of American minimalism in pattern, they change and they shape; it must have been so expensive to make them (Wagner never takes the cheap of easy option). It’s sort of anti-industrial-revolution, against the thinking of everything has to be the same.

In Vienna between 1890 and 1930 there is this conjoining of architectural structure and ornament. The ornament must be so much part of the structure that it is unseen as an ornament as is the case in both Loos and Wagner but in very different degrees. One of the great examples in literature is Heimito von Doderer, a complex personality with a complex relationship to history. He wrote one of the most highly constructed books, where the structure of the book is meant to represent Die Strudlhofstiege, where you take elongated routes to get to your destinations (again never the easiest of simplest route). Its very ornamented, nothing ever goes in straight lines, and things cross over, but all important moments happen on the steps. I think that Schmidt is absolutely in the heart of that movement. Look at Schoenberg, who’s seen as a modernist – and I’m not saying he wasn’t –, but what is Erwartung or the Sechs kleine Klavierstücke if not a representation of the idea that things should never be the same which is an ideal that Schmidt absolutely stood by.

When I perform Schoenberg I treat him as I treat Schmidt. Of course, in Schoenberg there’s the modernist things and the ideology and the construction of a new framework, but actually that all comes out of a gravitational and contrapuntal thinking where every note has to create the next. When you compare Webern with Schmidt’s Fourth Symphony, you see that Schmidt and Webern occupy a very similar world much like Loos and Wagner.

It you think of the compositions of Franz Schmidt, which would you think would be a good example to introduce this composer to a person who does not yet know his music?

Well, I think the ‚correct’ answer is the slow movement from the Fourth Symphony, because of its approachability. It is something quite concrete: a funeral march with a moment of grief, then a moment of anger, and then a moment of grief returning, which has been changed by the anger. It’s phenomenal music. You follow it, you can’t not get caught up in it. That is a wonderful place to start! However, I think if you start there you might love that, but you might still need to make a jump to the rest of his music, because Schmidt’s music is so created to go from the very beginning to the very end of a symphony, and the apparent concreteness or extra musical ideas behind this second movement are not very present in Schmidt’s other music. So I think, if you enter Schmidt’s music from that point, and you look for this special kind of expression in other pieces of Schmidt, you might be disappointed.

I would really encourage to give yourself 46 minutes, lock the front door – maybe you are with some friends, maybe you’re not –, take a nice glass of wine or whiskey, sit in your most comfortable chair, put on the best headphones or speakers or sound system that you can, and play the Fourth Symphony from the beginning to the end. If you commit 46 minutes to that, you will never go back. I don’t want to say it will change your life – because you’re not going to suddenly grow six feet, or lose weight, and there’s not going to be World Peace –, but your experience of music and of Schmidt will have been changed, and, I think, you will be rewarded for it.

So, if someone never has heard Schmidt: sit down and listen the 46 minutes of Symphony No. 4.

Are there other composers, you can imagine to do the same for them as you did for Schmidt?

Very simply, yes! We are thinking at the moment to do another project with Accentus Music, and we are looking at what that might be. I won’t mention anything yet, because we are in the process of thinking about it, but I am very clear that it must fulfil many of the same criteria. Any new recording must be meaningful and it must be needed. I have no interest in doing something just for me; actually, I don’t want it to be about me – the Franz Schmidt Project was about the Franz Schmidt Symphonies, not about me.

I think there is a lot of music that’s not very well known, and not very often played and that there is great, great need to diversify in classical music programming. We must really find things off this central line, we must find things to believe in and really stand behind, because they are imaginative, honest, daring, vulnerable, fragile. The music that I am attracted to has all of those qualities. So yes, there will be another project!

Thank you very much for this conversation!

Ein Franz-Schmidt-Zyklus aus Wales: Jonathan Bermans großartige Gesamtaufnahme der Symphonien

Accentus Music, ACC80544; EAN: 4 260234 833089

Bekanntlich gehört Franz Schmidt zu denjenigen Komponisten, welchen im laufenden Jahr aufgrund eines runden Jubiläums verstärkte Aufmerksamkeit zuteil wird. Im Dezember jährt sich sein Geburtstag zum 150. Male, was sich diskographisch durchaus bemerkbar macht, lässt sich doch unter den CD-Veröffentlichungen der letzten Monate eine erhöhte Dichte an Schmidt gewidmeten Tonträgern feststellen. Zum Teil handelt es sich dabei um aktuelle Einspielungen, zum Teil um historische Aufnahmen, die zum ersten Mal auf CD erscheinen (unter diesen ist vor allem der bei Orfeo erschienene Mitschnitt der Oper Fredigundis aus dem Jahr 1979 bemerkenswert). Noch rechtzeitig vor Anbruch des Schmidt-Jahres 2024 erschien im vergangenen Dezember bei Accentus Music eine neue Gesamteinspielung seiner Symphonien, die erste dieser Art aus Großbritannien.

Der Dirigent Jonathan Berman gehört zu den besten Kennern von Franz Schmidts Leben und Schaffen. Seine Einspielungen der Symphonien mit dem BBC National Orchestra of Wales sind der bedeutendste, aber keineswegs der alleinige Bestandteil seines „Franz Schmidt Project“, das er vor einigen Jahren in Vorbereitung zum 150. Geburtstag des Komponisten ins Leben rief. Parallel zu den zwischen Januar 2020 und Oktober 2022 durchgeführten Aufnahmen hat Berman Interviews mit anderen Musikern über Schmidt geführt und begonnen, eine Schmidt-Diskographie zu erstellen (sie ist noch nicht abgeschlossen) – das Material findet sich auf seiner Internetseite The Franz Schmidt Project.

Was Bermans eigene Aufnahmen betrifft, so ist ihm und seinen walisischen Musikern – dies sei vorweggenommen – eine Leistung geglückt, die sich kein an der Symphonik Franz Schmidts interessierter Hörer entgehen lassen sollte.

Als Prüfstein zur Beurteilung dieser Gesamteinspielung habe ich zunächst den einzigen Satz einer Schmidt-Symphonie gewählt, der mir in vielen Aufnahmen zu lang vorkam, nämlich das Scherzo der Ersten Symphonie. Die Eckteile dieses Satzes erschienen mir nie problematisch, wohl aber der Mittelteil, der aus zwei separaten Stücken besteht, die ineinander übergehen. Das erste dieser Trios (cis-Moll) besteht im Grunde nur aus einem sich über die Intervalle des verminderten und übermäßigen Dreiklangs nach oben schraubenden achttaktigen Thema, das, berücksichtigt man die vorgeschriebenen Wiederholungen, insgesamt elfmal hintereinander zu hören ist, wenngleich auf verschiedenen Stufen. Das kann sehr gleichförmig wirken und seinen Schatten auf das unmittelbar folgende langsame Trio (Des-Dur) werfen, das dann wie eine Durststrecke erscheint. Aber muss dieser Eindruck sein? Berman lenkt im ersten Trio die Aufmerksamkeit auf die Gegenstimmen, macht deutlich, was sich alles um das Thema rankt, wie es bei jedem Durchlauf etwas anders kontrapunktiert und klanglich eingefärbt wird. So wird jedes Erscheinen des Themas zum Ereignis. Die Musik atmet gleichmäßig und holt alle acht Takte Luft. Nirgends klingt es, als trete das Geschehen auf der Stelle. Im Gegenteil hört man bei Berman, wie einfallsreich Schmidt mit diesem Trio das Passacaglia-Prinzip in einen Scherzo-Satz eingebaut hat. Nach dem elften Themendurchlauf legt sich diese Quasi-Passacaglia zur Ruhe und fließt in das langsame zweite Trio über. Berman gestaltet diesen Übergang unaufdringlich zwingend, der Beginn des Des-Dur-Trios erscheint als der natürliche Zielpunkt. Im Folgenden lässt der Dirigent stärkere Rubati zu, aber stets in schöner Übereinstimmung mit dem harmonischen Verlauf der Musik. Die Musik dehnt sich, entspannt sich – durchaus ein erwünschter Effekt nach dem so rigoros durchgeführten cis-Moll-Abschnitt –, aber sie verliert nicht die Orientierung und auch nicht den Fluss. Wenn dann der Hauptteil des Scherzos erneut ansetzt, klingt alles erholt und erfrischt – und es wird klar, welch originelle vierteilige Dramaturgie Schmidt, vom üblichen Scherzo-Schema abweichend, in diesem Satz verfolgt. Im Hauptteil selbst hält Berman die Musik geschickt zwischen ungeschlachter Ländlichkeit und eleganteren, sich ein wenig zierenden Klängen in der Schwebe. Nein, dieser Satz enthält keine Längen, sondern in jedem Takt großartige, spannende Musik!

Was für das Scherzo gilt, gilt für die ganze Symphonie. Das Werk erfährt durch Berman und die Walliser eine rundherum ausgewogene Wiedergabe, die allen Affekten gleichermaßen Rechnung trägt und durch alle Tempi hindurch die Spannung aufrecht erhält. Schmidts Erste ist ein glänzend instrumentiertes Werk, doch geht es Berman hörbar um mehr als um die Vorführung bloßer orchestraler Brillanz. Das Klangbild, das er mit seinem Orchester erzeugt, leuchtet von innen her, da es vom kontrapunktischen Tonsatz aus entwickelt ist. Schmidt ist ein essentiell polyphoner Komponist und seine Harmonik stets als Ergebnis des Zusammentreffens der Stimmen gedacht. Die Herausforderung, die er an die Ausführenden stellt, ist weniger spieltechnischer als geistiger Art (Paul Wittgenstein pflegte den Komponisten, bei denen er Klavierkonzerte in Auftrag gab, das Schmidtsche Es-Dur-Konzert als Musterbeispiel ausgewogener Instrumentation vorzulegen!) und besteht in erster Linie darin, die für Schmidt charakteristische exzessive Chromatik funktional zu erfassen und den linearen Spannungsauf- und abbau in den einzelnen Stimmen nachzuvollziehen. Jonathan Berman hat sich tief in die Feinheiten des Schmidtschen Tonsatzes versenkt und ein Gespür für die Darstellung des polyphonen Geflechts entwickelt, weswegen man in seiner Einspielung die Nebenstimmen auch in lautstarken Momenten deutlich durchklingen hört.

Mehr noch als der Ersten kommt dies der Zweiten Symphonie zu Gute. Bermans Aufführung dieses Werkes entwaffnet all jene vorlauten Kritiker, die in demselben ein überladenes Monstrum sehen wollen und dabei wahlweise von „k.u.k.“- oder „Jugendstil“-Bombast fabulieren. Ja, Schmidt macht in dem Stück, das allein schon im Hinblick auf seine Form zu den hervorragendsten Leitungen des Komponisten gerechnet werden muss, seine handwerkliche Meisterschaft durchaus demonstrativ geltend und schöpft bezüglich der Möglichkeiten, die ihm das große Orchester zur polyphonen Gestaltung bietet, aus dem Vollen, aber überladen klingt das alles doch nur, wenn der Dirigent keinen rechten Überblick über den Tonsatz hat. Man höre nun bei Berman den Schlusschoral des Finalsatzes: Da ist kein undifferenziertes Dröhnen und Rauschen. Das Choralthema führt eindeutig, wird aber nicht so überstark herausgestellt, dass alles Übrige zu einer diffusen Begleitung herabsinkt. Stattdessen wird hörbar, mit welch feinen Ornamenten Schmidt das Thema umrankt. Auch behandelt Berman das Tempo feinfühlig, lässt es an manchen Stellen geringfügig nachgeben, damit eine Nebenstimme deutlicher zu vernehmen ist, achtet aber sorgsam darauf, das Thema nicht zu zerdehnen und das Grundtempo zu halten. Diese Kunst des Rubatos beherrscht Berman auch im Leisen, wie sich beispielhaft in der Mitte der Durchführung des ersten Satzes, in der langsamen Variation vor Beginn des Scherzos im zweiten Satz sowie im Trio des Scherzos zeigt.

Besonders erfreut in dieser Gesamtaufnahme die Darbietung der Dritten Symphonie. Dieses Werk kann gerade deswegen als Schmidts schwierigste Symphonie gelten, weil sie sich verglichen mit ihren Geschwistern so unauffällig gibt. Zusammen mit dem zeitnah entstandenen Zweiten Streichquartett markiert sie in Schmidts Schaffen den Punkt der stärksten Abkehr vom „spätromatischen“ Idiom. Einer auf Äußerlichkeiten aufbauenden Interpretation entzieht sie sich auffällig. In der Ersten Symphonie kann ein Dirigent sich an Gesten jugendlicher Aufbruchsstimmung und an Naturlauten orientieren, aus der Zweiten kann er ein opulentes Fin-de-siècle-Feuerwerk machen, die Vierte gibt immer wieder die Möglichkeit zu nachdrücklicher Emotionalität. Die Dritte dagegen hat keine spektakuläre Außenseite. Wer will, der höre zu und nehme Teil an dieser sanft dahinströmenden, ungemein fein gestalteten Musik, aber man erwarte nicht, dass sie irgendwelche Anstalten macht, den Hörer zu überreden. Schmidts Dritte ist ein leidenschaftlich unrhetorisches Stück. Einem solchen Werk kommt man nur bei, wenn man sich auf die Introspektion der Musik einlässt und nicht nach Gelegenheiten zur Effekthascherei sucht, wo keine sind. Bermans intensives Nachvollziehen der zart gesponnenen melodischen Linienspiele mit ihrer ebenso kühnen wie unaufdringlichen Chromatik ist hier der einzig erfolgversprechende Ansatz. Und so blüht diese Musik auf wie selten zuvor.

Das BBC National Orchestra of Wales zeigt sich in jeder dieser Schmidt-Aufnahmen als ein bestens disponierter Klangkörper, der wie ein großes Kammerensemble agiert: Den Spielern ist die Bedeutung ihrer einzelnen Stimmen offenbar voll bewusst, und man hört einander genau zu. Anders wären die dezenten Rubati und das fein abgetönte polyphone Musizieren auch kaum möglich. Großartige Orchestersolisten stehen für das Trompetensolo am Beginn der Vierten Symphonie und das Cellosolo im langsamen Satz desselben Werkes zur Verfügung. Auch in dieser meistgespielten Symphonie Schmidts zwingt Berman der Musik nichts auf, sondern lässt sie aus der Ruhe und Einsamkeit des einleitenden Trompetenthemas heraus entstehen und durch die allmähliche polyphone Entfaltung wie von selbst immer tiefgründiger und inniger werden. Auch imponiert die Geschlossenheit der Aufführung. Der markerschütternde Aufschrei im Scherzo, der in weniger durchdachten Aufführungen recht plötzlich ertönt und wieder verklingt, wird hier als der Höhepunkt spürbar, auf den die ganze Entwicklung der drei miteinander verbundenen Sätze zuzusteuern scheint, und nach dem es für die Musik tatsächlich keinen anderen Ausweg gibt, als den Anfang des ersten Satzes zu rekapitulieren und mit dem Trompetenthema den Kreis zu schließen.

Als Zugabe erklingen noch die Orchesterstücke aus Schmidts erster Oper Notre Dame, denen Berman und seine Musiker keineswegs weniger Aufmerksamkeit schenken als den Symphonien und anhand deren so recht deutlich wird, dass Schmidt auch als Opernkomponist symphonisch denkt.

Die Edition bereitet nicht nur großes Hörvergnügen, sondern erfreut auch durch ein umfangreiches Beiheft, das neben den Werkeinführungen ein 15-seitiges Interview enthält, in welchem sich der Dirigent ausführlich zu seiner Beschäftigung mit Franz Schmidt äußert.

[Norbert Florian Schuck, Juli 2024]

Zum 75. Geburtstag: Kalevi Ahos Symphonie Nr. 18 uraufgeführt

Am 9. März 2024 vollendete Kalevi Aho sein 75. Lebensjahr. Wie könnte man das Jubiläum eines großen Symphonikers besser begehen als mit der Uraufführung seiner neuesten Symphonie? Als Aho vor genau einem Jahr anlässlich eines Konzerts zu Ehren seines 74. Geburtstags in Wien weilte, hatte er gerade den Kopfsatz seiner Symphonie Nr. 18 vollendet. Die Komposition war von der Saimaa Sinfonietta in Auftrag gegeben worden und wurde im finnischen Mikkeli am 8. Februar 2024 durch dieses Orchester unter der Leitung von Erkki Lasonpalo uraufgeführt. Das Konzert, in welchem Ahos Symphonie auf Beethovens Drittes Klavierkonzert (Solist: Olli Mustonen) folgte, wurde am Geburtstag des Komponisten von yle Radio 1 gesendet.

Ahos Achtzehnte Symphonie ist eine viersätzige Komposition von knapp 40 Minuten Spieldauer. Wie angesichts ihrer Vorgängerwerke nicht anders zu erwarten, spricht auch hier aus jedem Takt der virtuose Beherrscher des großen Orchesters. Feinheiten wie die aufhellende Beimischung eines Harfentons in den Oboenseufzer, der den ersten Satz abschließt, zeugen von Ahos Fertigkeit in der Modellierung von Klangfarben. Er ist ein Komponist, der nicht einfach nur instrumentiert, sondern wirklich orchestral denkt. Kontraste zwischen verschiedenen Orchestergruppen, aber auch zwischen hohen und tiefen Registern, prägen das Werk entscheidend. Der Verlauf, den die Musik nimmt, hängt eng mit der klanglichen Gestaltung zusammen.

Der mäßig bewegte erste und der langsame zweite Satz unterscheiden sich zwar charakterlich deutlich voneinander, entwickeln sich jedoch auf sehr ähnliche Weise. Zu Beginn werden jeweils scharfe Kontraste in den Raum gestellt, aus denen dann ein Dialog entsteht. Der Anfang des Kopfsatzes wird durchweg von martialischen Schlagzeugrhythmen grundiert, über denen Blechbläserakkorde und wellenartige Violinfiguren zu hören sind. Daraufhin erklingen die verhaltenen Rufe einzelner Holzbläser über Streichertremoli. Im zweiten Satz entsteht der Dialog weniger aus der schroffen Gegenüberstellung der Orchestergruppen als aus Registerwechseln: Die Musik beginnt in schimmernder Helligkeit ganz hoher Bläser und Violinen, denen tiefere Instrumente antworten. In beiden Sätzen entwickelt sich aus den Dialogen eine große Steigerung, die das ganze Orchester erfasst. Der zweite Satz verwandelt sich in eine Art Prozession, eingetaktet durch allmählich rascher werdende Paukenschläge. Nach dem Höhepunkt löst sich die Musik in Fragmente auf. Der Kopfsatz endet mit einem Seufzer, der langsame Satz fragend mit einem tiefen Streicherchoral.

Der dritte Satz lässt sich unschwer als das Scherzo dieser Symphonie erkennen. Die Gestaltungsweise der beiden ersten Sätze stellt Aho hier gewissermaßen auf den Kopf: Statt der Dialoge, die sich zu einem komplexeren Geschehen ausweiten, begegnet hier anfangs ein Durcheinander, in dem die verschiedenen Sektionen des Orchesters gleichzeitig das Wort ergreifen. Alle beharren auf ihrem Reden, ohne den übrigen Gehör zu schenken. Es entsteht eine fluktuierende Klangfläche aus rhythmisch verschiedenen Schichten, aus welcher teils die eine, teils die andere Gruppe heraussticht. Im Verlauf des Satzes klärt sich das Gewirr immer mehr auf, doch kehrt der Schlussteil zur Stimmung des Anfangs zurück.

Die Symphonie schließt mit einem lebhaften Finale, das wieder einen Verlauf analog dem ersten und zweiten Satz nimmt. Dem von knappen, vorübereilenden Motiven und grellen Effekten geprägten Anfang steht eine breite Melodie des Fagotts gegenüber, die sich über wogender Holzbläser- und Streicherbegleitung entfaltet. Sie wird später vom Blech aufgenommen und zum Höhepunkt geführt. Nach wuchtigem Schlagwerkeinsatz löst sich auch dieser Satz in seine Einzelteile auf. Ein dissonanter Tutti-Akkord verklingt im Decrescendo und ein Flötentriller mit Triangelschlag markiert das Ende.

Das Werk ist keine schwere, keine tragische Musik. Bei allem Ernst in der Grundhaltung hat sich Kalevi Aho eine spielerische Leichtigkeit bewahrt, die als Freude an brillanten Effekten auch in der Achtzehnten Symphonie durchaus spürbar ist. Im Großen und Ganzen wirkt das Stück sehr einheitlich, wie aus einem Guss. Keiner der Sätze fällt gegenüber den anderen ab. Nirgendwo zieht sich das Geschehen unangenehm in die Länge. Aho zeigt sich ein weiteres Mal als mit sicherer Hand gestaltender Symphoniker, der es meisterlich versteht, Spannung aufzubauen und große Formen zu schaffen. Man kann ihm nur wünschen, dass ihm die Kraft, über die er heute als 75-Jähriger verfügt, noch lange erhalten bleibt. Möge sie sich noch in vielen weiteren Meisterwerken manifestieren!

[Norbert Florian Schuck, März 2024]

Gordon Sherwood zum 10. Todestag

Der Lebenslauf Gordon Sherwoods darf mit Fug und Recht als einer der ungewöhnlichsten gelten, die sich in der Musikgeschichte finden lassen. Frühzeitig preisgekrönt und mit einer Aufführung an exponiertester Stelle ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, anschließend in jahrelangen Aufbaustudien bei besten Lehrern ausgebildet, entschied sich der 1929 geborene US-Amerikaner schließlich gegen eine Laufbahn im etablierten Musikbetrieb und zog jahrzehntelang rastlos kreuz und quer über den Globus. Er sah über 30 Länder auf fünf Kontinenten und durchstreifte als Künstler die Musikkulturen der Welt ebenso wie das klassische Erbe der abendländischen Musik. Den Entbehrungen eines strapaziösen Wanderlebens zum Trotz schuf er, unablässig weiter komponierend, ein sich auf nahezu alle Gattungen der Instrumental- und Vokalmusik erstreckendes Gesamtwerk von bemerkenswerter stilistischer Vielfalt. Vor zehn Jahren, am 2. Mai 2013, endete dieses abenteuerliche Leben im oberbayerischen Peiting. Anlässlich seines Todestages sei hiermit ausführlich an Gordon Sherwood erinnert!

Gordon Holt Sherwood kam am 25. August 1929 in Evanston nahe Chicago zur Welt. Seine musikalische Begabung zeichnete sich früh ab, doch legten seine Eltern keinen Wert darauf. Stattdessen ließen sie ihn zwischen seinem zwölften und fünfzehnten Lebensjahr in Kadettenanstalten unterbringen. Der Drang des empfindsamen Jungen zur Musik wurde durch den militärischen Drill, den er über sich ergehen lassen musste, aber nur gesteigert. Nachdem er 1944 zum ersten Mal Beethovens Siebte Symphonie gehört hatte, stand für ihn fest, dass er Komponist werden würde. 1950 nahm er ein Musikstudium an der Western Michigan University in Kalamazoo auf, das er 1953 mit dem Bachelor of Music abschloss. Ab 1954 studierte er an der University of Michigan in Ann Arbor und erwarb dort 1956 den Master of Music. Bereits während seiner Studienzeit gewann er 1955 den 1. Preis beim nationalen Wettbewerb für junge Komponisten der National Federation of Music Clubs. Während seines Studiums erschloss sich Sherwood die Vielfalt der zeitgenössischen und historischen Kompositionsstile abendländischer Musik. Die stärkste Wirkung übte das Schaffen Johann Sebastian Bachs auf ihn aus, doch beschäftigte er sich intensiv auch mit allem anderen, was ihm an Musik begegnete, bis hin zu Bartók, Stravinsky, Schönberg und den Nachkriegsavantgardisten. Aus einer Prüfungsaufgabe heraus entstand seine Erste Symphonie op. 3, deren letzte beide Sätze er als „Introduction and Allegro“ 1957 zum 12th Gershwin Memorial Award einreichte. Sherwood erhielt den Preis, wobei die Stimme von Dimitri Mitropoulos den Ausschlag gab, der das Werk anschließend mit dem New York Philharmonic Orchestra in der Carnegie Hall uraufführte. Dies schien der Beginn einer vielversprechenden Karriere zu sein. Sherwood konnte sich in Tanglewood kurzzeitig bei Aaron Copland weiterbilden, und, mit Stipendien ausgestattet, den Sprung über den Atlantik wagen. Seine Studienaufenthalte an der Hamburger Musikhochschule bei Philipp Jarnach und in Rom an der Accademia Santa Cecila bei Goffredo Petrassi krönte er 1967 mit einem weiteren Kompositionspreis.

Den scheinbar folgerichtigen Schritt, sich mit diesen optimalen Voraussetzungen um eine feste Position im öffentlichen Musikleben zu bemühen, tat Sherwood jedoch nie. Anstatt in Europa oder Amerika eine abgesicherte Existenz, etwa als Kompositionsprofessor, zu führen, ging er gemeinsam mit seiner Ehefrau Ruth, einer Sängerin aus Hamburg, in den Nahen Osten. Zunächst zogen sie nach Kairo, wo Sherwood die Musik zu Fatin Abdel Wahabs Spielfilm Ard el Nifaq (Land der Heuchelei) komponierte. Von 1968 bis 1970 hielten sie sich in Beirut auf – damals, vor den Verheerungen des Libanesischen Bürgerkriegs, weithin als „Paris des Nahen Ostens“ gerühmt – und verdienten ihren Lebensunterhalt u. a. durch gemeinsame Auftritte in Hotels. Als Bar- und Kinopianist entdeckte Sherwood während dieser Zeit die Welt des Blues, Ragtime und Boogie-Woogie für sich. Nach einem weiteren Aufenthalt in Ägypten und einer Reise durch Griechenland, wandten sich die Sherwoods 1972 nach Kenia und ließen sich in Nairobi nieder, wo sie, unterbrochen durch kürzere Aufenthalte in Mombasa und Nakuru, acht Jahre lang lebten. Hier begann Gordon Sherwood ein Studium in Kisuaheli, das er mit Diplom abschloss. Er bemühte sich um eine Förderung durch die Familie des Staatspräsidenten Jomo Kenyatta, doch letztlich ohne Erfolg. Zunehmende Ehekonflikte und das Auslaufen der Aufenthaltsgenehmigung ließen ihn 1980 einen Schlussstrich unter sein bisheriges Leben ziehen. Er trennte sich von Ruth und begab sich, vom Buddhismus begeistert, auf eine Reise durch Südostasien. Mit seinem letzten Geld flog er von Singapur nach Oslo, von wo man ihn nach London abschob. Nachdem er dort erstmals gebettelt hatte, wurde er in die USA ausgewiesen und fand sich schließlich in einem New Yorker Obdachlosenheim wieder. Nach kurzzeitiger finanzieller Unterstützung durch seinen früheren Studienkollegen George Crumb ging Sherwood 1982 nach Paris.

Zunächst versuchte er dort an ein Geschäftsmodell anzuknüpfen, das er bereits während seiner Zeit im Libanon praktiziert hatte: seine Kompositionen an Passanten zu verkaufen. Bald allerdings merkte er, dass er mehr Geld verdienen konnte, wenn er die Leute direkt um Almosen bat. So entschied er sich für ein Leben nach dem Vorbild buddhistischer Bettelmönche und wurde „Selbst-Sponsor“. Seine Zeit teilte er dabei streng ein: Einen Teil des Jahres widmete er dem Gelderwerb auf der Straße; war er finanziell gut genug abgesichert, zog er sich in Domizile zurück, die ihm Freunde zur Verfügung stellten, um ungestört zu komponieren, oder ging auf Reisen, um sich in fernen Ländern zu eigenem Schaffen inspirieren zu lassen, stets mit einem Diktiergerät und einer Stimmgabel im Gepäck. Vom offiziellen Musikleben mittlerweile völlig abgeschnitten, als Komponist nur einer Anzahl kreuz und quer über die Welt verstreuter Eingeweihter bekannt, wurde er 1995 durch Erdmann Wingerts Filmportrait Der Bettler von Paris einem deutschen Publikum vorgestellt. Die in Deutschland lebende russische Pianistin Masha Dimitrieva sah die Dokumentation zufällig im Fernsehen und nahm sofort Kontakt mit Gordon Sherwood auf, der sich zu dieser Zeit bevorzugt in Costa Rica aufhielt. Ihrem begeisterten Einsatz für sein Schaffen verdanken nicht nur mehrere Kompositionen Sherwoods ihre Entstehung, es gelang ihr auch 2004 dem fast 75-jährigen Komponisten zu seinem CD-Debüt zu verhelfen: Für cpo hatte das Bayerische Landsjugendorchester unter der Leitung Werner Andreas Alberts neben der Ersten Symphonie die Sinfonietta op. 101 und, mit Masha Dimitrieva als Solistin, das Klavierkonzert op. 107 aufgenommen. Nachdem bereits im Jahr 2000 sein in Zusammenarbeit mit der Weltmusikgruppe Die Dissidenten entstandenes, oratorienartiges Werk Memory of the Waters op. 113 (Das Gedächtnis des Wassers, die originale Gattungsbezeichnung lautet „Dokumentar-Oper“) in Berlin erfolgreich uraufgeführt worden war, konnte Sherwood schließlich noch erleben, wie seine Musik allmählich bekannt zu werden begann. Seit 2005 lebte er in der diakonischen Kolonie Herzogsägmühle in Peiting, wo man sein Gesamtwerk digitalisierte. Solange es seine Gesundheit zuließ, unternahm er auch von dort noch Reisen. Er starb 2013, kurz nachdem er die Zusage zur Uraufführung seiner Dritten Symphonie op. 118, der Blues Symphony, erhalten hatte.

Gordon Sherwood war ein unabhängiger Künstler, der ausschließlich Musik schuf, die seinen eigenen Vorstellungen von Schönheit und künstlerischer Vollendung entsprach. So wenig es ihn reizte, auf das Rücksicht zu nehmen, was er einmal als Tagesmode oder Konvention erkannt hatte, so breit gestreut waren seine musikalischen Interessen: Indische Ragas, japanische Tempel- und arabische Volksmusik konnten ihn genauso in ihren Bann schlagen wie Johann Sebastian Bach und die Wiener Klassiker; Thomas „Fats“ Waller und Thelonious Monk nicht weniger als Arnold Schönberg, Béla Bartók und Paul Hindemith. Abneigungen hegte er lediglich gegen primitive Militärmusik und die sentimentalen Lieder Stephen Fosters, die ihn an die traumatischen Erfahrungen seiner Jugendzeit erinnerten und ihm als klingende Entsprechungen materialistischer Weltsicht und entseeltem Funktionierenmüssens erschienen. Reizte ihn dagegen ein klingendes Phänomen zur künstlerischen Auseinandersetzung, so reagierte er darauf ohne Berührungsängste, sei es Musik von der Straße oder Beethovens op. 111.

Eine Entwicklung von einem „Früh-“ zu einem „Spätwerk“ lässt sich bei Sherwood nicht feststellen. Er ist bereits in seinen ersten gültigen Werken ein ebenso stilsicherer wie technisch virtuoser Komponist. Die Vorliebe für kontrapunktischen Tonsatz, dissonanzreiche Harmonik, chromatische Melodik, markante Rhythmen, unregelmäßige Metren und konzise Formung aus tonalen Spannungen heraus lässt ihn als Vertreter einer für die USA der 1950er Jahre typischen Stilrichtung erscheinen, die der Musikhistoriker Walter Simmons als „Modern Traditionalism“ bezeichnet hat. Sherwood pflegte dieses Idiom sein ganzes Leben lang gewissermaßen als seinen „Grundstil“. Die von Blues und Jazz inspirierten Werke bauen ebenso darauf auf wie die folkloristischen. Lediglich wenn er streng auf den Spuren der Wiener Klassiker oder Johann Sebastian Bachs wandelt, beschränkt sich der Komponist auf die Kunstmittel der traditionellen Funktionsharmonik, handhabt diese allerdings auf so charakteristische Weise, dass bei aller Anlehnung an die Vorbilder ein „echter Sherwood“ entsteht.

Sherwood war sich sicher, dass sich seine persönliche Ausdrucksweise in jeder seiner Kompositionen zeige, gleich welchen Aufgaben er sich in dem jeweiligen Stück gestellt hatte. Es störte ihn folglich auch nicht, dass sein Werk für manchen Beobachter eklektisch, ja auf den ersten Blick betont uneinheitlich wirken musste. Dabei lag ihm kaum etwas ferner als ein ungefüges Nebeneinander disparater Elemente. Überblickt man sein Gesamtschaffen, so fällt im Gegenteil auf, dass er ganz genau abwog, welche Stile er in seinen Kompositionen wie zusammenbrachte. Das scheinbar ungefilterte Einströmen verschiedenster akustischer Reize gibt es bei ihm sehr wohl. In der autobiographischen Beggar Cantata op. 99, in der er seine Zeit auf den Straßen von Paris thematisiert, dient es ihm als Mittel zur Darstellung des großstädtischen Chaos, mit dem sich der Held des Werkes herumzuschlagen hat. Auf ähnliche Weise lässt er im Gedächtnis des Wassers, ganz unterschiedliche Musikidiome aufeinander treffen, um das kulturelle und historische Erbe der Donauregion zu verdeutlichen. Doch sind dies programmatisch motivierte Einzelfälle. Im Übrigen liegt den Sherwoodschen Kompositionen die Grundidee der Synthese zugrunde: Der Komponist spürt im musikalischen Material Verbindungen auf, um Einheit zwischen verschiedenen Musiksphären zu stiften. Sein Gespür für tonale Zusammenhänge – in klassischem Dur-Moll wie im Blues, im modern-dissonanten Tonsatz wie in nichtabendländischen Volksmusikmodi – ist ihm dabei ein zuverlässiger Kompass. Stets formbewusst, sorgt Sherwood in allen seinen Werken für eine wohlproportionierte Entfaltung der jeweiligen musikalischen Gedanken und tendiert eher zur Kürze als zur Länge. Die meisten seiner sonatenförmigen Instrumentalwerke dauern deutlich weniger als eine halbe Stunde.

Sherwood hinterließ ein Gesamtwerk von 143 Opuszahlen, darunter drei Symphonien, ein Klavierkonzert, mehrere Dutzend Kammermusikwerke vom Solo bis zum Oktett, vier Klaviersonaten und zahlreiche kleinere Klavierstücke, Chormusik von der A-cappella-Motette bis zur symphonischen Kantate und über 80 Lieder. Zehn Jahre nach seinem Tode liegt nur ein kleiner Teil dieses Schaffens gedruckt vor. Fünf Werke (der Klavierzyklus Boogie Canonicus op. 50, die Sonata in Blue für Klavier zu vier Händen op. 66, 4 Duos für Flöte und Viola op. 102, die Blues Symphony op. 118 und 10 Stücke für Altsaxophon solo op. 125) sind bei Ries & Erler erschienen. Die Beggar Cantata und die 3 Stücke für Chor a cappella op. 35 können vom Verlag Sonus Eterna erworben werden. Letzterer hat auch den Großteil der bislang erschienenen Sherwood-CDs veröffentlicht. Unter Federführung Masha Dimitrievas, der Verwalterin des künstlerischen Nachlasses Sherwoods, entstanden bislang jeweils zwei CDs mit Klavierwerken und Liedern (gesungen von Felicitas Breest). In absehbarer Zeit wird sich ihnen eine Aufnahme der Orgelkompositionen, eingespielt von Kevin Bowyer, anschließen. Von Sherwoods Orchestermusik kann man sich durch das bereits erwähnte cpo-Album mit der Symphonie Nr. 1, dem Klavierkonzert und der Sinfonietta ein Bild machen. Für Telos Music haben Matthias Veit und Henning Lucius die Sonata in Blue aufgenommen. Die 4 Stücke für Harfe op. 135 gibt es auf einer Eigenproduktion der Harfenistin Xenia Narati zu hören, das Posaunenquartett op. 87 auf dem Album „Trombonismos“ von Trombones de Costa Rica. Die Dissidenten haben den Uraufführungsmitschnitt von Memory of the Waters herausgebracht. Bei Archipel erschien 2022 die Aufführung des Finales der Ersten Symphonie durch das New York Philharmonic unter Dimitri Mitropoulos aus dem Jahr 1957.

Für weiterführende Informationen stehen Masha Dimitrieva und der Verlag Sonus Eterna zur Verfügung.

[Norbert Florian Schuck, Mai 2023]

Belebende Gegensätze: Sergiu Celibidache dirigiert Haydn und Tschaikowskij

SWR Classic, SWR19118CD; EAN: 0747313911882

SWR Classic hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Schätze aus den Archiven des Südwest-Rundfunks zu Tage gefördert. Ich erinnere nur an die 30-CD-Packung mit den gesammelten Einspielungen von Carl Schuricht und an die glücklicherweise immer noch fortschreitende Hans-Rosbaud-Edition, von welcher zuletzt hervorragende Aufnahmen mit Symphonien von Jean Sibelius und Werken französischer Komponisten erschienen sind. Mit der Veröffentlichung eines Studiokonzerts aus dem Jahr 1959 ist der Reihe ein weiteres Glanzstück hinzugefügt worden. Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart spielt unter der Leitung von Sergiu Celibidache Joseph Haydns Symphonie B-Dur Hob. I:102 und Pjotr Iljitsch Tschaikowskijs Symphonie Nr. 6 h-Moll Pathétique.

Das Orchester, das Sergiu Celibidache am 17. September 1959 in der Villa Berg dirigierte, hat im Laufe seiner Geschichte mehrfach den Namen gewechselt. 1946 als „Großes Orchester von Radio Stuttgart“ ins Leben gerufen und seit 1949 als „Sinfonieorchester des Süddeutschen Rundfunks geführt“, war es wenige Monate vor dem auf der vorliegenden CD festgehaltenen Konzert in „Südfunk Sinfonieorchester“ umbenannt worden. Den Namen „Radio-Sinfonieorchester Stuttgart“, unter dem es heute vor allem bekannt ist, erhielt es 1975. Durch die Fusionierung zum SWR Sinfonieorchester 2016 beendete der Südwestrundfunk die Geschichte seiner Stuttgarter und Freiburger Orchester als eigenständige Klangkörper. Wie die Rosbaud- und Schuricht-Veröffentlichungen, lässt sich also auch diese Celibidache-CD als musikalisches Denkmal begreifen.

Mit Celibidache verband das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart eine langjährige Zusammenarbeit. Er stand zum ersten Mal 1958 an der Spitze des Orchesters, und kehrte bis 1982, als er sich mit der Übernahme der Münchner Philharmoniker erstmals seit drei Jahrzehnten wieder fest an ein Orchester band, immer wieder nach Stuttgart zurück. Die Verbindung intensivierte sich in den 70er Jahren. Von 1972 bis 1979 war Celibidache ständiger Gastdirigent des Radio-Sinfonieorchesters, das damals keinen Chefdirigenten hatte, und fungierte als dessen künstlerischer Leiter. Da das Orchester als Rundfunkklangkörper, dessen Schwerpunkt auf nicht alltäglichem Repertoire lag, dem Dirigenten viel Einstudierungszeit zur Verfügung stellen konnte, fand Celibidache hier optimale Arbeitsbedingungen vor, um seine künstlerischen Ziele zu realisieren. Bekanntlich nicht an der Produktion von Tonträgern interessiert, duldete Celibidache aber, dass der Rundfunk seine Konzerte aufzeichnete, um sie gelegentlich senden zu können. Mitschnitte zahlreicher Aufführungen aus dieser Zeit (z. B. Symphonien von Bruckner und Brahms, Tondichtungen von Richard Strauss) wurden nach dem Tode des Dirigenten von der Deutschen Grammophon veröffentlicht. Aufzeichnungen von Proben, die den Editionen beigegeben wurden, dokumentieren die äußerste Sorgfalt, mit der Celibidache bei den Einstudierungen zu Werke ging, und die Hingabe, mit der die Stuttgarter Musiker seine Anweisungen in Klang umsetzten.

Mit der neuen SWR-Classic-CD wird dem Bild, das uns die früheren Veröffentlichungen von Celibidaches Wirken in Stuttgart vermittelten, ein weiterer wichtiger Mosaikstein hinzugefügt. Die Platte bietet ein ganzes Konzert des damals 47-jährigen Dirigenten. Es umfasst, wie es Celibidache gerade zu jener Zeit liebte, mit Joseph Haydns B-Dur-Symphonie Hob. I:102 und Pjotr Tschaikowskijs Pathetique zwei Werke, die unterschiedlicher kaum sein könnten: ein Programm extremer Kontraste. Celibidache war keiner jener Dirigenten, die glaubten, durch einseitige Überbetonung bestimmter Aspekte den Charakter eines Werkes besonders deutlich machen zu können, oder gar an den Stücken einen persönlichen Interpretationsstil demonstrieren zu müssen. Solche Darbietungsweisen, die letztlich den Beigeschmack der Einseitigkeit hervorrufen, haben ihn nie interessiert. Stattdessen sichtete er die Partituren phänomenologisch, indem er die Fortschreitung der Harmonien verfolgte, der Beschaffenheit des Tonsatzes auf den Grund ging, die Phrasierung der melodischen Linien in Haupt- und Nebenstimmen bis ins kleinste Detail nachvollzog und über all dem nie vergaß, dass Instrumente Stellvertreter menschlicher Stimmen sind. Seine Dirigate vermitteln den Eindruck eines zwanglosen Entfaltens der in den Partituren angelegten Kräfte, denen nichts von außen hinzugefügt werden muss, um sie zur Wirkung zu bringen.

Und was fördert Celibidache auf diese Weise nicht alles zu Tage! Beide, Haydn und Tschaikowskij, stehen als runde Charaktere vor uns, als scharf profilierte Persönlichkeiten, die man nicht auf wenige Schlagworte reduzieren kann. Natürlich ist Haydn auch unter Celibidache geistvoll, witzig, von nie nachlassendem Spieltrieb durchdrungen, aber bereits die sehr breit genommene Einleitung des ersten Satzes verrät, dass dem Komponisten das Feierliche und Erhabene durchaus vertraut gewesen ist. Die liebevoll ausmusizierten Sechzehntelnoten in breit schwingendem 3/4-Takt verleihen dem langsamen Satz eine Stimmung apollinischer Gelassenheit. Der hervortretende Trompetenton kurz vor seinem Ausklang wird nicht zum groben Effekt, sondern sendet sanftes Licht von innen. Die von langen Noten geprägten Takte in der Coda des Finales klingen wie ferne Choräle in den Trubel dieses Satzes hinein. Dass auch die turbulente Seite der Haydnschen Kunst in Celibidaches Händen bestens aufgehoben ist, davon zeugen etwa der äußerst markant herausgemeißelte Kanon in der Durchführung des Kopfsatzes und der unaufhaltsame Schwung des Finales.

Die bei EMI (später Warner) erschienenen Mitschnitte der letzten drei Symphonien Pjotr Tschaikowskijs mit den Münchner Philharmonikern dokumentieren, dass Celibidache wie kein anderer Dirigent berufen war, die ganze Größe dieses Symphonikers deutlich werden zu lassen. Vergleicht man die hier vorliegende Sechste mit der späteren Aufnahme, fällt zwar auf, dass der 80-jährige Celibidache sich gegenüber den knapp 50 Minuten der Stuttgarter Aufführung insgesamt 10 Minuten mehr Zeit nimmt, doch die Herangehensweise an die Musik ist im Wesentlichen gleich geblieben. Wir erleben denselben Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen, aber stets seinen Prinzipien treu. Diese frühe Pathétique vermittelt unmissverständlich, nicht anders als die späte, wie schlüssig Tschaikowskij komponiert hat. Die extremen Tempo- und Ausdruckskontraste des Kopfsatzes, in welchem zudem mehrfach Themen eingeführt werden, die im weiteren Verlauf nicht wiederkehren, haben schon manchen Kapellmeister dazu verführt, das Stück als bloße Abfolge locker miteinander verbundener Episoden aufzufassen und entsprechend zerrissen darzubieten. Celibidache erkennt, wie eng aufeinander bezogen die einzelnen Abschnitte des Satzes sind, wie ihre stark gegensätzlichen Stimmungen einander gegenseitig beleuchten und wie durch diese Gegensätze die musikalische Handlung vorangetrieben wird. „Verweile doch, du bist so schön“, meint man es aus dem Seitensatz tönen zu hören, wenn der Dirigent in Übereinstimmung mit dem harmonischen Gefälle Phrasenenden leicht verlangsamt, um mit dem jeweils nächsten Phrasenanfang wieder ins Grundtempo zurückzukehren. Und ist dann scheinbar Ruhe eingetreten, bricht mit einer manischen Energie sondergleichen die Durchführung in die friedliche Szenerie herein wie die apokalyptischen Reiter. Das largamente forte possibile vor der Wiederkehr des Andante-Themas hat die Intensität eines alles mit sich reißenden Lavastroms. Aber nicht nur im Extremen ist Celibidache in seinem Element. Auch die feineren Schwankungen arbeitet er trefflich heraus. Man höre etwa im zweiten Satz, wie der Mittelteil durch die deutliche Hervorhebung der lastenden Blechbläsertöne und eine geringfügige Verlangsamung des Tempos einen ganz anderen Klang erhält als der lichte Hauptteil. Die Überleitung, die zu ihm zurückführt, wirkt wie ein erneutes Aufblühen nach vorübergehender Eintrübung. Das vielleicht Wunderbarste an dieser Tschaikowskij-Darbietung ist, dass man merkt, mit welchem Geschick der Komponist Neben- und Gegenstimmen eingesetzt hat. Celibidache hatte die Gabe, seinen Musikern eine konkrete Vorstellung von ihrer Rolle im Ganzen zu vermitteln. Nicht nur wer gerade das Thema hat, hat etwas zu sagen, sondern auch diejenigen, die es begleiten, oder die ihm einen Kontrapunkt zur Seite stellen. Man kann nahezu in jedem Moment darüber staunen, welch ein Leben hier in allen Stimmen pulsiert.

Es besteht also ein guter Grund, SWR Classic für die Veröffentlichung dieser CD dankbar zu sein. Da Haydns Symphonie Nr. 102 in den Celibidache-Editionen von Audite, Deutsche Grammophon und EMI/Warner fehlt, wird zudem eine diskographische Lücke geschlossen. Ein Begleittext, der ein lebendiges Bild von Celibidache als Mensch und Künstler vermittelt, rundet die Produktion trefflich ab.

Norbert Florian Schuck [Dezember 2022]

Musikalischer Chronist der ukrainischen Geschichte – Jewhen Stankowytsch zum 80. Geburtstag

Holodomor, Babyn Jar, Tschernobyl – den Schreckensereignissen der ukrainischen Geschichte hat Jewhen Stankowytsch eindringliche Mahnmale in Tönen errichtet. In den folkloristischen Traditionen seiner Heimat tief verwurzelt, steigerte er deren Elemente zu einem scharf profilierten Personalstil und schuf zahlreiche Orchester-, Kammermusik-, Vokal- und Bühnenwerke. Das Friedensgebet mit dem er seine 2015 entstandene Kammersymphonie Nr. 12 schloss, blieb bis heute unerhört. In einem vom Krieg erschütterten Land beging Jewhen Stankowytsch, einer der großen Komponisten unserer Zeit, am 19. September 2022 seinen 80. Geburtstag.

Jewhen Fedorowytsch Stankowytsch (zur Zeit der Sowjetunion auch in der russischen Form seines Namens als Jewgenij Fjodorowitsch Stankowitsch bekannt, in englischen Veröffentlichungen Yevhen Stankovych geschrieben) stammt aus der Oblast Transkarpatien, dem ethnisch gemischten Grenzgebiet der Ukraine zu Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien. Er kam 1942 in Swaljawa als Sohn einer Lehrerfamilie zur Welt. Im Alter von zehn Jahren erlernte er das Spiel auf dem Bajan (dem osteuropäischen Knopfakkordeon) und versuchte sich bald in der Komposition. An der Musikhochschule der Oblasthauptstadt Ushhorod studierte er Violoncello, bevor er 1961 ans Konservatorium nach Lemberg wechselte, wo er ersten Kompositionsunterricht von Adam Sołtys erhielt. Nach mehrjähriger Unterbrechung durch den Militärdienst setzte er seine Studien 1965 am Kiewer Konservatorium, der heutigen Nationalen Musikakademie der Ukraine P. I. Tschaikowskyj, fort. Sein wichtigster Lehrer war dort Borys Ljatoschynskyj, der herausragende ukrainische Symphoniker seiner Zeit. Nach dessen Tod 1968 schloss Stankowytsch seine Komponistenausbildung bei Myroslaw Skoryk ab.

Stankowytsch wuchs in ein sowjetisches Musikleben hinein, für das Dmitrij Schostakowitsch bereits ein Klassiker war. Auch waren die ersten Regungen eines westlich orientierten Avantgardismus spürbar geworden. In der Ukraine hatte namentlich Walentyn Sylwestrow während der 1960er Jahre mit Kompositionen, die sich der Zwölftonmethode bedienten, für Aufsehen bzw. bei den Kulturbehörden für Unmut gesorgt. Nach wie vor waren in der staatlich geförderten Musikpublizistik jene Stimmen beherrschend, die den „Sozialistischen Realismus“ als ästhetische Richtlinie für das kompositorische Schaffen propagierten. In diesem Umfeld erfuhren Stankowytschs Frühwerke gleichermaßen Zustimmung wie Ablehnung. Einerseits erhielt er Preise, sein Ruf als eines der hervorragendsten Nachwuchstalente der ukrainischen Musik festigte sich, anderseits musste er heftige Kritik über sich ergehen lassen. Die Kulturfunktionäre wussten nicht recht, wie sie ihn einzustufen hatten. Teils erschienen ihnen seine Werke als zu modern, teils als zu – folkloristisch! So wurde seine erste Oper Wenn der Farn blüht 1979 unmittelbar vor der bereits angesetzten Uraufführung verboten (sie kam erst 2017 in Lemberg auf die Bühne). Zwar basiert die Musik des Stückes auf originalen ukrainischen Volksgesängen, doch wurde der Inhalt, der keinerlei Bezüge zur sowjetischen Gegenwart aufweist und stattdessen Kulte der heidnischen Frühzeit und die Lebenswelt der Saporoger Kosaken beschreibt, zum Anlass genommen, das Werk unter dem Vorwurf des Nationalismus aus dem Programm zu verbannen. Auch entfaltet Stankowytsch, der sich nach eigener Aussage vom „Melos der Zentral-Ukraine bzw. von der einzigartigen Mehrstimmigkeit des Saporoger Sitsch, also des Kosakentums, einerseits und von Karpaten- oder Huzulen-Folklore anderseits“ inspirieren ließ, hier mit betont archaisierender Harmonik und dem Einsatz zahlreicher Schlaginstrumente ein Folklorepanorama, dessen Eigenart sich kaum mit Begriffen wie „traditionell“ oder „modernistisch“ erfassen lässt.

Ein Avantgardist ist Stankowytsch in der Tat nie gewesen. Die formbildende Kraft der Tonalität hat er in seinem Schaffen nie verleugnet und auch in der Wahl der Gattungen stets die Anbindung an die Tradition gesucht. Einer bestimmten Stilrichtung oder Schule lässt er sich allerdings kaum zurechnen. Charakteristisch für Stankowytschs Komponieren ist sein breites Spektrum harmonischer Stilmittel. Die Einfachheit der heimatlichen Folklore und des orthodoxen Kirchengesangs fungieren als ein gedachtes Zentrum, von dem ausgehend er zu komplexen Harmoniegebilden gelangt, die jedoch stets die Beziehung zum Ursprung wahren. Von der Diatonik zum Cluster ist es für Stankowytsch nur ein kleiner Schritt – vor allem ein Schritt, bei dem die Richtung klar ist. Seine Fähigkeit zur musikalischen Synthese zeigt sich in seinen Werken besonders dann, wenn er originale Volksmelodien verarbeitet. Sie fügen sich nahtlos in den Kontext einer dissonanzgesättigten modernen Harmonik ein, die letztlich auf den gleichen Grundlagen aufbaut wie die Diatonik der Folklore. Viele Werke Stankowytschs gewinnen ihre Spannung aus der Gegenüberstellung scharf kontrastierender Gedanken. Elementare, grobkörnige Kurzmotive wechseln mit ausgedehnten elegischen Kantilenen. Auch instrumentatorisch werden diese Kontraste hervorgehoben. Überhaupt ist Stankowytschs Einfallsreichtum als Instrumentator schier unerschöpflich. Man höre sich einmal seine zwischen 1973 und 2003 entstandenen sechs Symphonien an, die sich in ihren Besetzungen deutlich voneinander unterscheiden. In Nr. 1 und Nr. 4, der Sinfonia larga und der Sinfonia lirica, verlangt er nur nach 15 bzw. 16 Solostreichern, denen er eine solche Vielfalt an Klängen abgewinnt, dass man mitunter meint, ein vollbesetztes Symphonieorchester zu hören. Nr. 2, die Heroische, und Nr. 6 sind seine einzigen Symphonien für eine „gewöhnliche“ Besetzung. Bei Nr. 3, Ich bestärke mich selbst, handelt es sich um eine Symphoniekantate für Soli, gemischten Chor und Orchester nach Gedichten von Pawlo Tytschyna. Nr. 5, die Symphonie der Pastoralen, nähert sich durch Verwendung einer Solovioline dem Konzertanten. Besonders intensiv hat sich Stankowytsch der Kammersymphonie zugewandt und gehört mit mittlerweile 15 Werken zu den produktivsten Komponisten auf diesem Gebiet. Offensichtlich reizt es ihn besonders, sich auf ein kleines Instrumentarium zu beschränken, um diesem einen maximalen Reichtum an Klängen zu entlocken. Jede der Kammersymphonien ist für eine andere Besetzung geschrieben. Wiederholt weist er einem bestimmten Instrument solistische Aufgaben zu (Nr. 3 Flöte, Nr. 5 Klarinette, Nr. 6 Horn, Nr. 9 Klavier). Das eigentliche Fach der konzertanten Musik hat Stankowytsch mit zwei Viola-, zwei Violoncello- und sieben Violinkonzerten ebenfalls reich bedacht.

Stankowytschs freier Umgang mit traditionellen Formkonzepten lässt sich exemplarisch anhand seiner Zweiten Symphonie studieren. Das Werk besteht aus drei Sätzen, die ohne Pause aufeinander folgen. Der erste stellt einem trotzigen, dreitönigen Streichermotiv ein melodiebetontes Thema in den Bläsern gegenüber und steigert beide in der Durchführung zu apokalyptischen Bildern. Der zweite, langsame Satz beginnt leise und polyphon in den Streichern, nimmt bald das Volkslied O schau, Mutter, schau auf und verarbeitet es auf vielfältige Weise. Er mündet, allmählich lebhafter werdend, nahtlos in das kurze Finale, das weniger ein eigenständiger Satz als eine gemeinsame Coda beider erster Sätze ist und mit Elementen beider die Symphonie zum kräftigen Ausklang führt.

Wiederholt hat Stankowytsch in seinen Werken Ereignisse der ukrainischen Geschichte gestaltet. Die Oper Wenn der Farn blüht, mit ihrer Thematisierung der Frühgeschichte und des Saporoger Kosakenstaates, wurde bereits erwähnt. Seine Taras-Passion (2013) behandelt das Schicksal des Nationaldichters Taras Schewtschenko (1814–1861), der wegen seiner als revolutionär eingestuften Gedichte zehn Jahre in die Verbannung nach Zentralasien geschickt wurde, wo ihm auf ausdrücklichen Befehl des Zaren verboten war, sich künstlerisch zu betätigen. Das 1992 komponierte Requiem für die Opfer der Hungersnot ist dem Gedächtnis der Toten des Holodomor gewidmet, der von der sowjetischen Regierung während der 1930er Jahre zur Schwächung des Bauernstandes gezielt ins Werk gesetzten Hungersnot, die in der Ukraine zu mehreren Millionen Toten führte. Diesem Werk voran ging 1991 das 2006 neu gefasste Kaddisch-Requiem „Babyn Jar“, das der Ermordung von 33.000 Kiewer Juden durch die SS im Jahr 1941 gedenkt. 2011, 25 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, komponierte Stankowytsch das Oratorium Die Mutter von Tschernobyl. Eines der jüngsten Werke dieses musikalischen Chronisten der Ukraine, das auf historische Geschehnisse Bezug nimmt, ist die 2015 entstandene Zwölfte Kammersymphonie. Es handelt sich hierbei um die kammerorchestrale Fassung zweier im Jahr zuvor, nach dem Ausbruch des ukrainischen Bürgerkriegs, komponierter Stücke für Violine und Klavier: Fresko des Maidans und Gebet für den Frieden.

Bis zum heutigen Tage ist Jewhen Stankowytsch, der seit 1988 als Kompositionsprofessor an der Nationalen Musikakademie der Ukraine lehrt und von 2005 bis 2010 als Vorsitzender des Nationalen Komponistenverbands der Ukraine amtierte, ungebrochen schöpferisch tätig. Neben den genannten Kompositionen umfasst sein Werkverzeichnis noch zahlreiche weitere Orchester-, Kammermusik-, Vokal- und Bühnenwerke, die es rechtfertigen, von ihm als dem hervorragendsten unter den lebenden ukrainischen Komponisten zu sprechen. Eine weitere Verbreitung seiner Werke auch außerhalb seiner Heimat erscheint gerade anlässlich seines 80. Geburtstages sehr wünschenswert.

[Norbert Florian Schuck, September 2022]

NB: Der Verfasser dankt Holger Sambale und Christoph Schlüren für wertvolle Hinweisungen und Korrekturen.

Nördlich anmutende Stimmungsbilder und rauer Charme

Toccata Classics, TOCC 0600; EAN: 5 060113 446008

Die dritte Folge der Einspielungen von Orchestermusik des britischen Sinfonikers William Wordsworth (1908–1988) des Labels Toccata präsentiert sein Cellokonzert op. 73 und seine Sinfonie Nr. 5 a-moll op. 68 aus den frühen 1960er Jahren. Es spielt das Sinfonieorchester der lettischen Stadt Liepāja unter der Leitung von John Gibbons; Solist ist Florian Arnicans.

So beachtlich die Diskographie britischer Sinfonik auch ist, die Labels wie Chandos, Hyperion, Lyrita, Naxos und Dutton (um nur einige zu nennen) im Laufe von mittlerweile mehreren Dekaden zusammengetragen haben: es gibt auch auf diesem Gebiet nach wie vor eine ganze Reihe ausgezeichneter Komponisten zu entdecken. Aus den Veröffentlichungen der letzten Jahre wären hier z. B. der Waliser Daniel Jones hervorzuheben, dessen 13 Gattungsbeiträge nun endlich komplett auf Tonträger verfügbar sind (Lyrita), oder der Schotte Thomas Wilson, dessen Sinfonien Nr. 2–5 bei Linn Records erschienen sind. Auch Toccata Classics hat eine Reihe von beachtlichen CDs mit britischer Sinfonik herausgebracht, und insbesondere ist hier die laufende Serie mit Orchesterwerken von William Wordsworth (1908–1988) zu nennen.

Wordsworth, Schüler von Donald Francis Tovey und Nachfahre eines Bruders des gleichnamigen Dichters, hat eine breite Palette von Orchesterwerken hinterlassen, die seine gesamte kompositorische Laufbahn umfassen, darunter acht Sinfonien und eine Sinfonia für Streicher. Im umfangreichen, insbesondere Leben und Persönlichkeit Wordsworths schildernden (und dabei mit einigen recht amüsanten Anekdoten aufwartenden) Essay von Paul Conway im Beiheft werden Sibelius, Bartók, Nielsen sowie („to a lesser extent“) Bax und Vaughan Williams als Einflüsse verortet. In der Tat sind dies die stilistischen Koordinaten, die für eine grobe Einordnung von Wordsworths Musik relevant sein dürften, wobei natürlich klar ist, dass bei einem solch großen Spektrum etwas Differenzierung gefragt ist. Hört man auf der vorliegenden CD etwa die Ecksätze der Fünften Sinfonie, so wird man rein vom Klangbild her sicherlich nicht an Bartók denken: in diesem Punkt unterscheidet sich Wordsworths in breiten Linien dahinströmende, oft von lang gehaltenen Dreiklängen in tieferen Lagen bestimmte und wenigstens mittelbar durchaus in der Romantik verwurzelte Musik deutlich von der Musik des großen Ungarn. Hier liegt der Vergleich zu Sibelius oder eben doch auch Vaughan Williams näher.

Was Wordsworth an Bartóks Musik bewunderte, war insbesondere seine Arbeit mit Motiven und thematischen Fragmenten. In der Sinfonie Nr. 5 etwa wird gleich zu Beginn eine Art „Motto“ vorgestellt, das die gesamte Sinfonie durchzieht und als Skala, harmonische Grundlage und thematisches Gerüst fungiert, nämlich a-b-c-cis-dis-e-f-des-b-as-g-f-e. Hier mag man sich in der Ferne vielleicht etwas an den Beginn von Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta erinnert fühlen, andererseits sind natürlich auch die Unterschiede zu Bartók unverkennbar. Typisch für Wordsworth sind dabei u. a. die in seiner Musik häufig anzutreffenden modalen Elemente und Sekundrückungen, wie man überhaupt feststellen muss, dass seine Musik bei allen genannten Prägungen sehr wohl ihren eigenen Stempel besitzt. Einflüsse modernerer Musik rezipiert Wordsworth vereinzelt, ohne deshalb seine stilistische Grundpositionierung aufzugeben, und wie so oft ist dies eher ein Phänomen, das in seinen späteren Werken auftritt.

Die beiden auf dieser CD vorgestellten Werke entstanden in relativ enger zeitlicher Nachbarschaft (die Sinfonie 1957–60, das Konzert 1962/63), zeigen aber unterschiedliche Facetten von Wordsworths Stil. Insgesamt ist die Sinfonie (speziell in ihren Ecksätzen) in einem traditionelleren Idiom gehalten als das Konzert, und insofern zeigen die beiden Werke ihren Schöpfer wohl auch ein wenig am Scheideweg (wobei von einem echten Bruch nicht die Rede sein kann). Die Sinfonie ist dreisätzig, und an erster Stelle steht ein umfangreiches, von dunklen Farben geprägtes Andante maestoso. Dabei speist sich der Satz zu wesentlichen Teilen aus dem oben bereits diskutierten Mottothema, auch in der Harmonik: zum Beispiel erscheinen cis-moll und b-moll in diesem Kontext als mit der Grundtonart a-moll eng verwandt. So entfaltet sich eine Art Fantasie, ein nördlich anmutendes Stimmungsbild, wobei allerdings nicht zuletzt Wordsworths Vorliebe für Fugatopassagen dem Satz sinfonisches Gewicht verleiht. Immer wieder treten einzelne Instrumente und Instrumentengruppen hervor bis hin zum langen Abgesang der Solovioline am Ende. An zweiter Stelle steht ein deutlich knapperes Scherzo, das mit allerlei Schlagzeugeffekten und dissonant geschärfter Harmonik aufwartet, auch hier teilweise unter Einbeziehung des Mottothemas. Noch stärker vom Motto geprägt ist der Finalsatz, der es mannigfaltig abwandelt, die ihm innewohnende Dur-Moll-Ambiguität nun eher in Richtung A-Dur interpretiert und die Sinfonie schließlich zu einem triumphalen Schluss führt.

Auch das Cellokonzert ist dreisätzig, und wiederum legt Wordsworth viel Wert auf thematisch-motivische Verknüpfungen. Am Beginn steht erneut eine Art Motto, zwei gleichzeitig erklingende gegenläufige Skalenbewegungen (eine steigt auf, die andere ab), aus denen sich ein eher rhapsodisch geprägter, wohl tonaler, aber im Vergleich zur Sinfonie harmonisch verschärfter (dissonanterer, oft auf Quarten und Quinten aufgebauter) Satz entwickelt. Auffällig ist dabei u.a. ein markanter Rhythmus, der sich in etwa ab 3:10 herauskristallisiert und oftmals dynamische Kulminationspunkte markiert. Wiederum ist der zweite Satz deutlich kürzer, in diesem Falle ein herb-verträumtes Nocturne mit kurzem bewegtem Mittelteil, der einen Sturm eher andeutet als wirklich realisiert. Das Finale wirkt ein wenig wie ein stilisierter Tanz, vielleicht eine Art Jig; vieles ist aus dem vorherigen Geschehen abgeleitet (der oben erwähnten rhythmischen Figur aus dem ersten Satz begegnet man sofort wieder, auch die Skalenbewegungen oder das lyrische Seitenthema aus dem ersten Satz werden schnell in Erinnerung gerufen). Prinzipiell ein gut gelaunter Abschluss des Konzerts, aber nicht ganz ohne Vorbehalte. Ohnehin ist dem Konzert eine gewisse Janusköpfigkeit zu eigen, wie z. B. das lyrische Seitenthema des Kopfsatzes illustriert, das in etwa ab 4:08 seine endgültige Gestalt annimmt (und dann sofort erneut variiert bzw. gespiegelt wird): im Grunde genommen eine aufsteigende und eine absteigende Bewegung (insofern den Beginn reflektierend), die aufsteigende in großen Intervallschritten (Quinten), die wohl die Blechbläsergesten der Einleitung aufgreifen, während die absteigende auf Tonleiterbasis erfolgt und die Tonalität H-Dur entschieden festigt, fast ein wenig im Stile eines lyrischen Idylls. Der Eindruck einer gewissen Disparität lässt sich hier nicht ganz von der Hand weisen, wie das Thema auch eher konstruiert als inspiriert anmutet. Sein stärkstes Werk ist Wordsworths Cellokonzert sicher nicht, aber es hat seine Momente, eine Art rauen Charme.

Die Interpretationen durch das Sinfonieorchester Liepāja unter der Leitung von John Gibbons, im Cellokonzert zusammen mit dem Solisten Florian Arnicans, bewegen sich auf einem guten, sehr soliden Niveau. Das Orchester ist bereits in einer ganzen Reihe weiterer Toccata-Produktionen zum Einsatz gekommen und erweist sich einmal mehr als gepflegt aufspielender Klangkörper. Grundsätzlich tendieren die Darbietungen ins Lyrische, breit Ausgespielte mit ruhigen Tempi. Hier fügt sich auch das runde, warme Spiel von Florian Arnicans nahtlos ein. Was dabei allerdings ein wenig auf der Strecke bleibt, sind die Kontraste und die großen Linien, die Entwicklungen der Musik. Dies zeigt sich insbesondere im Vergleich mit den Alternativeinspielungen: ein Rundfunkmitschnitt der Fünften Sinfonie mit Stewart Robertson am Pult des BBC Scottish Symphony Orchestra ist bei Lyrita erschienen (anders als auf jener CD angegeben allerdings in Mono), und vom Cellokonzert existiert eine Rundfunkaufnahme mit Moray Welsh (wohl ein Mitschnitt der im Rundfunk erfolgten Uraufführung), die allerdings niemals kommerziell erschienen ist.

Die Sinfonie nimmt Robertson insgesamt deutlich flüssiger und mit größerem Augenmerk auf ihrer Dramaturgie, was der (ja z. T. durchaus gewollt einheitlich wirkenden) Musik gut bekommt. Hinzu kommt, dass Wordsworth eher kein großer Melodiker ist; im ersten Satz der Sinfonie ist es zum Beispiel vorwiegend das Mottothema, das dem Hörer im Gedächtnis bleibt (die Englischhornmelodie, die im Begleittext als zweites Thema bezeichnet wird, bleibt demgegenüber recht blass). Umso nötiger ist es, die Entwicklungen der Musik stärker in den Fokus zu rücken. Aber auch im Scherzo versteht es Robertson besser, das irrlichternde Moment, den rhythmischen Puls hinter all den bei Gibbons eher isoliert wirkenden Signalen herauszuarbeiten. Ähnlich verhält es sich auch im Cellokonzert: man kann das Werk natürlich eher lyrisch verstehen, aber ein plötzlicher Ausbruch wie gegen 4:00 im Finale (mit auf einmal bemerkenswert harscher Harmonik) kann eigentlich nur dann sinnvoll ins Gesamtbild integriert werden, wenn bereits vorher eine gewisse Spannung herrscht, wenn es unter der Oberfläche stets doch ein wenig brodelt. Hier macht sich auch der variablere, tendenziell nervösere Ton von Moray Welsh bezahlt. Abstriche muss man bei diesen Aufnahmen freilich bei der Klangqualität machen, etwa dann, wenn sich am Schluss der Fünften Sinfonie die Musik wie ein großes Panorama vor dem Hörer entfaltet, was natürlich in moderner Klangqualität eindrucksvoller wirken muss als bei einer (privat auf Tonband mitgeschnittenen) Rundfunkaufnahme.

Insgesamt besitzt Toccatas Wordsworth-Serie große Meriten, weil hier die Orchestermusik eines bis dato kaum mehr denn als Randerscheinung hervorgetretenen sehr respektablen Komponisten systematisch erschlossen wird. Vielleicht besteht ja sogar Hoffnung, eines Tages in diesem Rahmen der (vokalsinfonischen) Sechsten Sinfonie zu begegnen, die meines Wissens bis zum heutigen Tag ungehört geblieben ist.

[Holger Sambale, März 2022]

Tribut an das „unergründliche Leben“ – Halvor Haug zum 70. Geburtstag

Photo © Kristina Fryklöf

Wenn im Schlussteil der Dritten Symphonie Halvor Haugs plötzlich mittels Tonband ein Sprosser (die nordische Nachtigall) zu singen beginnt und sich die Hauptmotive des Werkes um diesen Gesang herum völlig zwanglos gruppieren, dabei zugleich die musikalische Entwicklung so schlüssig zum Ende führen, dass einzig dieser Ausklang für das Stück passend erscheint, dann merkt man als Hörer, dass man Zeuge eines Triumphs künstlerischer Originalität geworden ist, wie er nur einem Komponisten gelingt, dessen für die Welt und für seine innere Stimme gleichermaßen offenes Ohr ihn zu einer Persönlichkeit von ausgeprägter Eigenart hat werden lassen. Dass Haug für den Vogelruf nicht auf ein beliebiges Tondokument zurückgriff, sondern auf eine von ihm selbst gemeinsam mit dem Dirigenten Ole Kristian Ruud während einer Wanderung gemachte Aufzeichnung, verdeutlicht, welch große Bedeutung dem intensiven Erleben der Natur und ihrer elementaren Klangphänomene für seine kompositorische Arbeit zukommt. Eine seiner Tondichtungen setzt im Gewand des Streichorchesters dem Gesang der Tannen ein Denkmal, die vor seinem Arbeitszimmer standen, bis sie einem Bauprojekt zum Opfer fielen. In einer andern übersetzte er eine Winterlandschaft in Musik. Zu seinen Frühwerken, die ihn ab den 1970er Jahren bekannt machten, gehört eine der spannendsten Unternehmungen Die Stille hörbar werden zu lassen – ein veritables kleines Instrumentaldrama für Streichorchester. Von den Tagesmoden des Musikbetriebs unbeirrt, ist der 1952 geborene Norweger stets den Weg gegangen, der ihm als der richtige erschien. Er gehört zu jenen Komponisten, deren Schaffen eine Kategorie für sich bildet, an welchen alle Versuche, sie einer bestimmten „Schule“ oder „Stilrichtung“ zuzuordnen, scheitern müssen. Am 20. Februar wird Halvor Haug, einer der großen skandinavischen Tondichter unserer Zeit, 70 Jahre alt.

Halvor Haug wurde in Trondheim geboren und wuchs in Bærum nahe Oslo auf. In seiner Kindheit spielte Musik eine wichtige Rolle: Er erlernte frühzeitig das Klavier- und Trompetenspiel und gehörte insgesamt neun Jahre lang einem Bläserensemble an. Jedoch war das Musizieren damals nur eines von vielen Interessengebieten eines Jungen, der sich bevorzugt in der freien Natur aufhielt und viel Sport trieb. Mit 17 Jahren begann er, sich intensiver mit klassischer Musik auseinanderzusetzen, und nahm bald darauf ein Studium am Østlandets Musikkonservatorium in Oslo auf, wo sein Theorielehrer Kolbjørn Ofstad (1917–1996) sein Kompositionstalent erkannte und ihn ermutigte, seine ersten Klavierstücke für Orchester zu bearbeiten. 1973 ging Haug nach Helsinki und studierte ein Jahr lang an der Sibelius-Akademie bei Erik Bergman (1911–2006), einem der Pioniere des Modernismus in Finnland, und dem vor allem als Symphoniker bekannten Einar Englund (1916–1999), dem er gründliche Unterweisungen in russisch geprägter Orchestrierungstechnik verdankte. Nachdem er sein Studium in Oslo bei seinem früheren Lehrer Ofstad abgeschlossen hatte, schrieb er mit dem Symphonischen Bild 1975/76 sein erstes von ihm als vollgültig anerkanntes Werk. Das Stück erregte die Aufmerksamkeit der Dirigenten Okko Kamu und Per Dreier, die es in ihre Programme aufnahmen und dadurch dem jungen Komponisten zu ersten Erfolgen verhalfen. 1978 brach Haug zu einem einjährigen Aufenthalt nach London auf, den er vorrangig dazu nutzte, das reiche Konzertleben der Weltstadt auf sich wirken zu lassen. Während seiner Zeit in England war ihm der große Symphoniker und Streichquartettmeister Robert Simpson (1921–1997) ein anregender und verständnisvoller Mentor: „Er half mir, auf das zu vertrauen, was meine innere Stimme mir sagt: Was du fühlst, ist richtig für dich selbst.“

Nach Norwegen zurückgekehrt, arbeitete Haug zwei Jahre lang als Musikkritiker, lebte dann aber nur noch seinem kompositorischen Schaffen. Mit den orchestralen und kammermusikalischen Werken, die er während der 1980er Jahre komponierte, vor allem den ersten beiden Symphonien, etablierte er sich endgültig im norwegischen Konzertleben. Zum wichtigsten Förderer wurde ihm Ole Kristian Ruud, der von 1987 bis 1995 als Chefdirigent des Trondheimer Symphonie-Orchesters wirkte und mehrere Werke Haugs uraufführte. Als einer der meistbeachteten norwegischen Komponisten seiner Generation erhielt Haug zahlreiche Kompositionsaufträge, die teils mit wichtigen öffentlichen Anlässen verbunden waren. Seine letzten drei Symphonien schrieb er 1993 und 2002 für das Symphonie-Orchester Trondheim bzw. 2001 für die Osloer Philharmonie. Die „Symphonische Vision“ Insignia für Kammerorchester wurde 1994 zur Feier der Olympischen Winterspiele in Lillehammer komponiert. 1996 war er offizieller Komponist des Kammermusikfestivals Stavanger, auf welchem sein Zweites Streichquartett zur Uraufführung gelangte. Sein 1997 entstandener symphonischer Liederzyklus Glem aldri henne (Vergiss sie nie) war ein Auftragswerk seiner Geburtsstadt Trondheim im Vorfeld ihrer 1000-Jahr-Feier.

Leider sind seit 20 Jahren keine neuen Werke Halvor Haugs mehr in der Öffentlichkeit bekannt geworden. Die Vierte und Fünfte Symphonie, die kurz hintereinander 2002 zur Uraufführung gelangten, belegen, dass sich der 50-jährige Komponist auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft befand. Angesichts dessen kann man es nur bedauern, dass ihn der Ausbruch einer chronischen Erkrankung anscheinend dauerhaft an der Fortführung seiner schöpferischen Arbeit hindert. Haugs Werke sind in den letzten Jahren gerade in Deutschland auf besonderes Interesse gestoßen, und die noch nicht lange zurückliegende Veröffentlichung dreier bislang ungedruckter Kompositionen im Münchner Verlag Musikproduktion Höflich zeigt, dass der Komponist – dessen Musik hauptsächlich vom schwedischen Verlag Gehrmans herausgegeben wird – weiterhin die Verbreitung seiner Musik aufmerksam verfolgt.

Haugs Werkverzeichnis umfasst etwa 40 Kompositionen. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf symphonischer Musik, doch liegen aus seiner Feder auch eine Anzahl kammermusikalischer Werke vor. Für Singstimmen schrieb Haug nur wenig, und es erscheint charakteristisch, dass die menschliche Stimme bei ihm immer in einem symphonischen Kontext auftaucht: als Mezzosopransolo in dem Orchesterliederzyklus Glem aldri hemme, als Kinderchor in dem „Symphonischen Epos“ Menneskeverd og fred (Menschenwürde und Frieden), und als wortloser Doppelchor für Frauenstimmen in der Zweiten Symphonie.

Photo © Kristina Fryklöf

Stilistisch ist Haug von Anfang an ein ganz eigener Kopf, was sich namentlich zeigt, wenn man seine Musik mit der seiner Lehrer vergleicht. Serielle Techniken, wie überhaupt die Idee eines vorgefertigten musikalischen Materials, wie sie für Erik Bergman zunehmend Bedeutung erlangten, haben für Haug nie eine Rolle gespielt. Auch blieb Einar Englunds klassizistisches Formideal ohne Einfluss auf ihn. Mit Robert Simpson teilt er dagegen die Aufbruchsstimmung ins Unbekannte, die der Anfang seiner Werke regelmäßig hervorruft – nicht ohne Grund trägt ein Orchesterwerk Haugs den Titel Il Preludio dell‘ ignoto – und die freie Formung mittels permanenter Verwandlung weniger motivischer Zellen, die keinerlei Vorhersehbarkeit der musikalischen Entwicklung, sehr wohl aber den Eindruck kräftiger Naturwüchsigkeit aufkommen lässt. Der deutlichste Unterschied zwischen beiden Komponisten liegt in ihrer Tempogestaltung. Während für Simpson gleichsam das Allegro der Normalzustand ist und die langsamen Abschnitte seiner Werke sehr oft einen vorbereitenden oder nachklingenden Charakter aufweisen, bewegt sich Haug bevorzugt in mäßigen und langsamen Tempi, die sich in besonderen Momenten zu rascherer Bewegung steigern. Sein untrügliches Gespür für tonale Bezüge sorgt dafür, dass die Spannung dabei nie verloren geht. Gern lässt er voneinander weit entfernte Harmonien unmittelbar aufeinandertreffen und führt dadurch dem musikalischen Geschehen neue Kraft zu.

Haug beschrieb seinen Schaffensprozess als „nicht bewusst auf intellektuelle Art, eher emotional. Schwierigkeiten, Gegensätze, Spannung trage ich in mir. Energie ist von zentraler Bedeutung.“ Zwar verliert er beim Komponieren nie den Anfang des Stückes aus den Augen, ebenso wenig den Höhepunkt, auf den dieser zustrebt, doch hat ihn der Schaffensprozess – Robert Simpsons Satz, dass Komponieren „kontrollierte Inprovisation“ sei, dürfte auch auf Haug vollkommen zutreffen – mitunter zu Lösungen geführt, die ihn selbst überraschten. So erkannte er erst nach weit fortgeschrittener Arbeit an der Dritten Symphonie die Integration des bereits erwähnten Nachtigallenrufs als bestmöglichen Schluss des Werkes. Dies war sein Tribut an das „Unergründliche Leben“, das der Symphonie den Titel gab.

Haugs Musik macht keine Umschweife und besticht durch ihre emotionale Direktheit. Zu seinem 70. Geburtstag kann man dem Komponisten nur wünschen, dass sie auch weiterhin innerhalb wie außerhalb seiner Heimat treue Freunde und weite Verbreitung finden möge.

Verzeichnis der Werke Halvor Haugs

Halvor Haugs Kompositionen sind bei Gehrmans Musikförlag (Stockholm), Norsk Musikforlag (Oslo) und Musikproduktion Höflich (München) erhältlich. Die nicht verlegten Werke können über den Notendienst der Norwegischen Nationalbibliothek Oslo (NB noter) bezogen werden.

Orchesterwerke:

Symfonisk bilde (Symphonisches Bild), 1975/76 (Gehrmans)

Symfoniske konturer (Symphonische Konturen), 1977 (NB noter)

Konzert für Horn und Orchester, 1978 (NB noter)

Poema Patetica, 1980 (Gehrmans)

Poema Sonora, 1980 (NB noter)

Symphonie Nr. 1, 1981/82 (Norsk Musikforlag)

Sinfonietta, 1983 (Norsk Musikforlag)

Symphonie Nr. 2 für Orchester, wortlosen Frauenchor und Orgel, 1984 (Gehrmans)

Menneskeverd og fred – Symfonisk epos (Menschenwürde und Frieden) für Kinderchor und Orchester, 1985 (NB noter)

Vinterlandskap (Winterlandschaft), 1986 (NB noter)

Symphonie Nr. 3 Det uuntgrunnelige livet (Das unergründliche Leben) für Orchester und Tonband, 1991–1993 (Gehrmans)

Ouvertüre Norske aspekter (Norwegische Ansichten), 1993 (NB noter)

Insignia – Symfonisk vision für Kammerorchester, 1993 (Gehrmans)

Glem aldri henne (Vergiss sie nie), Liederzyklus für Mezzosopran und Orchester nach Gedichten von Gunnar Reiss-Andersen, 1997 (Gehrmans)

Il Preludio dell‘ ignoto (Das Vorspiel zum Unbekannten), 2000 (Gehrmans)

Symphonie Nr. 4, 2001 (Gehrmans)

Symphonie Nr. 5, 2002 (Gehrmans)

Werke für Streichorchester:

Stillhet (Die Stille), 1977 (Norsk Musikforlag)

Furuenes sang (Gesang der Tannen), 1987 (Gehrmans)

Intermezzo aus dem Liederzyklus Glem aldri henne, 1997 (Gehrmans)

Werke für Blasorchester:

Cordiale für Blasorchester, 1982 (NB noter)

Exit für Blasorchester und Orgel ad libitum, 1985 (NB noter)

Concertino für Blechbläser (4 Trompeten, 4 Hörner, 4 Posaunen, 2 Tuben) und Schlagzeug, 1988 (Musikproduktion Höflich)

Kammermusik (2–5 Instrumente):

Sonatine für Violine und Klavier, 1973 (Musikproduktion Höflich)

Duetto Bramoso (Eifersüchtiges Duett) für Violine und Gitarre, 1976 (Musikproduktion Höflich)

Symphony for five für Flöte (Altflöte), Klarinette (Bassklarinette), Horn, Gitarre und Klavier, 1979 (NB noter)

Quintett für zwei Trompeten, Horn, Tenorposaune und Bassposaune (Tuba), 1981 (Norsk Musikforlag)

Streichquartett Nr. 1, 1985 (Gehrmans)

Dialog für zwei Harfen, 1987 (Gehrmans)

Essay für Altposaune und Streichquartett, 1987 (NB noter)

Klaviertrio, 1995 (Gehrmans)

Streichquartett Nr. 2, 1996 (Gehrmans)

Duo für Violine und Violoncello, 2002 (Gehrmans)

Opus for tre naboer – Andante con amore (Werk für drei Nachbarn) für Violine, Violoncello und Klavier, [ohne Datum] (NB noter)

Werke für Soloinstrumente:

Tre „utfall“ (Drei „Ergebnisse“) für Gitarre, 1974 (Norsk Musikforlag)

Drei Inventionen für Gitarre, 1976 (Gehrmans)

Fantasia für Oboe, 1977 (NB noter)

Impression für Klavier, 1980 (Gehrmans)

Sonata Elegica für Violoncello, 1981 (Norsk Musikforlag)

[Norbert Florian Schuck, Februar 2022]

(Der Autor dankt Christoph Schlüren herzlich für die Bereitstellung von Informationen und die Vermittlung der Photographien)

Totgesagte leben länger: Robert Simpsons Symphonien Nr. 5 & 6

Lyrita, SRCD 389 (Vertrieb: Naxos); EAN: 5 020926 038920

Dass die Symphonie tot sei, war sozusagen angesagte Losung einer ganzen Generation von Komponisten, Intendanten, Dirigenten und Musikkritikern. Eine der dümmsten Losungen aller Zeiten, und – so könnte man sagen – „Totgesagte leben länger“. Dieser Versuch der Geschichtsbeeinträchtigung seit Anfang der 1950er Jahre stammt zudem ausgerechnet aus einer Zeit, in welcher einige der größten Symphoniker unbeeindruckt von derartigem ideologischen Quatsch munter weitergewirkt haben – es sei aus der älteren Generation hier nur an Egon Wellesz, Lászlo Lajtha, Sergej Prokofieff, Darius Milhaud, Arthur Honegger, Havergal Brian, Max Butting, Hilding Rosenberg, Willem Pijper, Walter Piston, Roberto Gerhard, Paul Hindemith, Harald Sæverud, Alexander Tansman, Marcel Mihalovici, Alexander Tscherepnin, Carlos Chávez, Ernst Krenek oder Edmund Rubbra erinnert. Und dann natürlich der heute alles überragende Dmitri Schostakowitsch, umgeben von Meistern wie William Walton, Aram Chatschaturian, Eduard Tubin, Karl Amadeus Hartmann, Vittorio Giannini, Michael Tippett, Henk Badings, Sándor Veress, Vagn Holmboe, Daniel Jones, William Schuman oder Witold Lutoslawski. Die meisten werden das wenigste davon kennen, was sich freilich kontinuierlich verändert, denn die ideologischen Barrieren sind längst aufgeweicht. In den folgenden Generationen geht es unverändert so weiter, bis heute wird die Symphonie reich und substanziell gepflegt, wobei gewiss auch zu konstatieren ist, dass sich der Gattungsbegriff generell sehr erweitert hat. Hans Werner Henze, von den deutschen Fachidioten in ihrem geistigen Schrebergärtnertum immer wieder als „letzter Symphoniker“ tituliert (welche Peinlichkeit für die hiesige Musikwissenschaft!), war unter all den Symphonikern seiner Generation beispielsweise eher ein prätentiöser Zwerg, auch wenn er seine Symphonien teils sehr elefantenhäutig instrumentierte (Nr. 7 und 9). Und an dieser Stelle sei nur noch ein Blick auf die Spitze des Eisberges geworfen, also auf die Meister neben und nach Schostakowitsch, die mit einem vergleichbar umfangreichen symphonischen Œuvre hervorgetreten sind: der schwedische Einzelgänger Allan Pettersson mit 16, der sowjetisierte Pole Mieczyslaw Weinberg mit 22, der irophile Brite Robert Simpson mit 11, der St. Petersburger Russe Sergej Slonimsky mit 33 und heute der Finne Kalevi Aho mit bislang 17 Beiträgen.

Äußerster Pol des Unsentimentalen

Unter diesen Serientätern nimmt Robert Simpson (1921–1997) eine einzigartige Position ein. Ohne Umschweife kann man seine Musik als äußersten Pol des Unsentimentalen in der Musik des 20. Jahrhunderts definieren. Er hält sich mit keiner Stimmung, mit keinem Sentiment auf, und sei es noch so verzaubernd und verlockend, wie so oft in seinem Schaffen. Seit geraumer Zeit ist die Gesamteinspielung seiner Symphonien unter Vernon Handley (Hyperion) nicht mehr verfügbar, und daher ist es emphatisch zu begrüßen, dass nun doch noch in seinem Jubiläumsjahr 2021 – mit Unterstützung der Robert Simpson Society – bei Lyrita Records eine CD mit den BBC-Uraufführungsmitschnitten seiner Symphonien Nr. 5 (1972) und Nr. 6 (1977) erschienen ist – diese Werke stehen so ungefähr im zeitlichen Zentrum seines Lebenswerks und bestechen unmittelbar mit der enormen Spannweite des Ausdrucks zwischen harscher, strukturell strikter Offensivkraft und herrlichster lyrischer Introspektion, durchaus in maximalem Kontrastverhältnis zueinander ausgeführt. Dass Simpson sich stark von Haydn und Beethoven, von Bruckner und Carl Nielsen beeinflusst wusste, wird – ganz besonders im Falle Nielsen – hier schnell sinnfällig.

Universelle Gesetzmäßigkeiten

Exzellent ist hier vor allem die Aufführung der Fünften Symphonie durch das London Symphony Orchestra unter dem damals jungen, bis heute für hohe Qualität bürgenden Andrew Davis (1973). Die in einem 39 Minuten langen, durchgehenden Satz sich artikulierende Gesamtform wird von zwei mächtigen Allegrosätzen gerahmt, die das Zeug haben, das Erbe der Beethoven-Bruckner-Tradition in erneuerter Form weiterzutragen. In der Mitte finden wir ein knappes, unerbittlich treibendes Scherzo, und als langsame Zwischenspiele sind zwei intim verwobene Canoni eingefügt, die in scharfem Gegensatz zu den schnellen Sätzen stehen.

Die Aufführung der Sechsten Symphonie 1980 durch das London Philharmonic Orchestra unter Charles Groves ist, wie auch der Bookletautor bezugnehmend auf die Aussagen des Komponisten bestätigt, viel roher, al fresco. Das 33minütige Werk gliedert sich in zwei große Abteilungen und fesselt mit ungeheuerlichem Momentum. Und obwohl die Aufführung fern einer idealen Erfüllung bleibt, ist diese Aufnahme zumindest für all jene unverzichtbar, die bereits wissen, dass Simpson zu den größten Meistern des 20. Jahrhunderts zählt und es sich lohnt, alles von ihm zu haben: Denn es wird hier die Urfassung der Sechsten gespielt, und Simpson hat zum Beispiel den Anfang in der revidierten Fassung komplett geändert. Natürlich wird diese Musik nicht jedem gefallen – also weder den bequemlichen Traditionalisten, die auf Gefälligkeit Wert legen, noch den besserwisserisch belehrenden ideologischen Fanatikern des dystopischen Post-Holocaust-Bruchs mit jeglicher Tradition –, doch wer sich darauf einlässt, kann sich dem Sog kaum entziehen. Und wenn man das Gefühl hat, sich hier auf ein unerbittliches Rauhbein eingelassen zu haben, dann erlebt man umso überraschter, zu welch subtiler Zärtlichkeit Simpson in der Lage, sobald er die Musik in die ganz und gar ungegenständlichen Gefilde jenseits des forschen Drangs, des unaufhaltsamen Momentum wandern lässt – nicht weniger streng, aber dies ist dann ausschließlich die innere Disziplin, die er niemals vermissen lässt. Simpson liebte die Astronomie, und auch in der Musik vertraute er auf universelle Gesetzmäßigkeiten. Nachdrückliche Empfehlung!

[Christoph Schlüren, Dezember 2021]