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Isländischer Postminimalismus

Sono Luminus, DSL-92246; EAN: 0 53479 22462 0

Das US-amerikanische Label Sono Luminus hat sein Album „Moonbow“ ganz dem isländischen Komponisten Gunnar Andreas Kristinsson (Jahrgang 1976) gewidmet. Neben dem titelgebenden Streichquartett, gespielt vom Siggi String Quartet, erklingen noch die Ensemblewerke „Sisyfos“, „Roots“ und „Patterns IIb“, die vom international renommierten CAPUT Ensemble unter Leitung von Guðni Franzson dargeboten werden, sowie das Trio „PASsaCAgLia B“ für Harfe, Schlagzeug und Bassklarinette mit dem Duo Harpverk und Ingólfur Vilhjálmsson.

Das in Virginia beheimatete Label Sono Luminus veröffentlicht als eines der ersten seine Eigenproduktionen jeweils auf zwei Scheiben: einmal als normale Compact Disc (Digital Audio) und dann nochmals auf Bluray in verschiedenen hochauflösenden Formaten wie 5.1 DTS HD MA 24/192kHz, Dolby Atmos und 9.1 Auro-3D, so dass sich der High-End-Hörer die für sein Equipment optimale Technik aussuchen kann. Die Gestaltung des Booklets ist ebenso hochwertig, wenn auch die Texte zu den einzelnen vorgestellten Kompositionen eher knapp ausfallen.

Der aus Reykjavik stammende Komponist Gunnar Andreas Kristinsson wurde zunächst in seiner Heimatstadt ausgebildet, ging danach nach Köln, wo er bei Krzysztof Meyer, später in Den Haag bei Martijn Padding, Diderik Wagenaar und Clarence Barlow studierte. 2009 kehrte Kristinsson wieder nach Island zurück. Seine Musik wurde aber bereits auf zahlreichen internationalen Festivals – wie etwa den Darmstädter Ferienkursen – aufgeführt.

Die hier vorgestellten Werke des Isländers – in den eingespielten Fassungen alle nicht älter als zehn Jahre – könnte man am ehesten als „post-minimalistisch“ bezeichnen. Suchte man nach Ähnlichkeiten zu anderen Komponisten, würde man beim ersten Hören wahrscheinlich zuerst auf den kürzlich verstorbenen Louis Andriessen kommen, der ja unter anderem Lehrer von Padding war. Jedenfalls begegnet man einer typisch westeuropäischen Variante des Minimalismus, die weit mehr auf philosophische – bei Kristinsson daneben vor allem mathematische – Hintergründe zurückgreift als bei den US-Gründervätern der minimal music.

Das dargebotene Repertoire ist dabei leider nicht immer auf derselben Höhe. Entwickelt sich die Musik von Sisyfos – ein einsätziges Konzert für Klarinette und 13-köpfiges Ensemble – anfangs aus in verschiedenen Zeitschichten ablaufenden Skalen, so wird die mythologische Vorlage trotzdem nicht wirklich hörbar umgesetzt, schon gar nicht so wie in den Liner Notes beschrieben, als Kampf des Solisten – stark: Ingólfur Vilhjálmsson – gegen sein Instrument. Trotzdem sind die beiden größer besetzten Werke – neben Sisyfos noch die dreisätzigen Roots (2019) – klar die stärksten dieses Albums. Zwar werden auch in diesen Stücken manche Patterns zu Tode geritten, jedoch zumindest die Intensität einiger Klangfarbenkombinationen lässt aufhorchen. Das isländische CAPUT Ensemble – hier unter Leitung von Guðni Franzson – hat mittlerweile über 20 CDs herausgebracht, darunter so horrend schwierige Stücke wie Nikos Skalkottas‘ 3. Klavierkonzert (BIS). Wiederum gelingen ihm eindringliche, präzise und durchsichtige Wiedergaben – phänomenal die genauestens durchgehörte, aus der Obertonreihe gewonnene und am französischen Spektralismus orientierte Mikrotonalität von Roots, die den Hörer gänzlich in Bann hält.

Das Quintett Patterns IIb – ursprünglich für Gamelan- und westliche Instrumente, nun von Xylophon, Vibraphon, Marimba, Violine u. Bassklarinette vorgetragen – und das Streichquartett Moonbow können den Rezensenten hingegen kompositorisch nicht überzeugen: Das ist schlicht nur langweilig, egal wie durchdacht die im Hintergrund ablaufenden mathematischen Prozesse auch sein mögen. Da hilft dann selbst das an sich klanglich spannungsreiche Spiel des Siggi String Quartet wenig. Die monoton wirkenden Wiederholungen einiger Elemente nerven mit der Zeit sogar. So etwas, bis hin zur Stille, konnten Andriessen oder Feldman immer irgendwie mit Sinnhaftigkeit füllen, die mir bei Kristinsson (noch?) fehlt. Deutlich interessanter wieder das Trio PASsaCAgLia B für Harfe, Schlagzeug und Bassklarinette, das sich aus einem scheinbar dem Dies irae angelehnten Modell zur Form eines Pascalschen Dreiecks (darauf verweisen schon die Großbuchstaben im Titel) entwickelt.

Eine exzellent ausgestattete, aufnahmetechnisch schon in der normalen Stereoversion hervorragende Veröffentlichung, die einmal mehr ein positives Licht auf die nicht zu unterschätzende, lebendige Neue-Musik-Szene Islands mit hochengagierten Interpreten wirft.

[Martin Blaumeiser, September 2021]

Bachs meisterliche Übungen

Sono Luminus, DSL-92209; EAN: 0 53479 22092 9

Die sechs Partiten Johann Sebastian Bachs BWV 825-830 erschienen in einer neuen Einspielung mit Jory Vinikour am Cembalo auf drei CDs bei Sono Luminus.

Sie stellen den ersten Teil der Clavierübungen von Johann Sebastian Bach dar, setzen gleichsam die Zyklen der Französischen und der Englischen Suiten als dritte Sechsergruppierung fort: Die Partiten BWV 825-830. Es handelt sich jeweils um große  sechs- bis achtsätzige Tanzsuiten für ein solistisches Tasteninstrument, denen im Gegensatz zu den Französischen Suiten allesamt ein Einleitungsstück vorangestellt ist. Die Sätze sind ausnahmslos in vollster Reife und Meisterschaft gesetzt, von gebündelter Kompaktheit, unausweichlicher Folgerichtigkeit und absoluter Klarheit, vollendeter Ausgeglichenheit und Perfektion. Die dabei an den Ausführenden gestellten Anforderungen sind enorm, übertreffen insgesamt sogar noch diejenigen der Englischen Suiten. Dabei ist Bach nicht einmal auf einen drei- oder mehrstimmigen Satz angewiesen, sogar die zweistimmigen Tänze gehen an die Grenzen des musikalisch Korrelierbaren.

Auf einem zweimanualigen Cembalo spielt Jory Vinikour den gesamten gut zweieinhalbstündigen Zyklus. Es gibt nur sehr wenige Gestaltungsmöglichkeiten auf diesem gezupften Saiteninstrument, und es fehlt dennoch nichts, den großformatigen Werken zu vollem Glanz zu verhelfen. Vinikour spielt klar und verständlich, lässt die Hörer durch seine Tempowahl die Tanzsätze gut mitverfolgen. Durch strahlende Schlichtheit und Ungekünsteltheit brilliert dieser Cembalist! Lediglich manche kurzen Tempoverzögerungen geraten etwas unorganisch und vorhersehbar gleichförmig, was den ansonsten kontinuierlichen Fluss kurzzeitig stocken lässt. Die spärlichen dynamischen Möglichkeiten nutzt Jory Vinikour bis an die Grenzen aus und kann so durchaus Kontraste schaffen und sogar innerhalb der Tänze Auflösungen ans Licht holen, die auf Cembali üblicherweise in Gleichförmigkeit untergehen.

[Oliver Fraenzke, Dezember 2016]