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Anspruchsvolle Musik statt Salon-Romantik

Ars Produktion Schumacher, ARS 38 267; EAN: 4 260052 382677

Gemeinsam mit der Pianistin Iryna Krasnovska spielt die Flötistin Sofia de Salis Arrangements bekannter Werke des 19. Jahrhunderts. Auf dem Programm steht die Sonate a-Moll für Arpeggione und Klavier D 821 (Arr. Konrad Hünteler) von Franz Schubert sowie dessen Ständchen aus Schwanengesang (Arr. Sofia de Salis) und zwei Klavierwalzer (Arr. Tatiana Smirnova), nämlich der Atzenbrugger Tanz Nr. 3 D-Dur D 265 Nr. 29 und Valse sentimentale A-Dur D 779 Nr. 13. Den Mittelpunkt der CD bildet die große Violinsonate A-Dur op. 120 von César Franck (Arr. Douglas Woodfull-Harris). Außerdem hören wir noch Robert Schumanns drei Romanzen für Oboe und Klavier op. 94 (Arr. Jacques Larocque).

Der optische Eindruck dieser CD mag so gar nicht zum musikalischen Inhalt passen. In grünem Kleid steht die Flötistin Sofia de Salis in einem reich verzierten Schloss, auf dem Cover sehen wir sie vor dem Fenster mit Blick auf Berge und einen See. Dazu kommt der schnulzige Titel „Shades of Love“. Es fehlt nur noch sanft-melancholische Musik voller Kitsch und Klischee, und der Eindruck wäre perfekt – doch statt dessen bekommen wir hoch anspruchsvolle Musik inklusive zweier großformatigen Sonaten von Schubert und Franck!

Der Querflöte ist im 19. Jahrhundert nur spärlich bedeutsame Literatur zuteil geworden, wenn man von Schubert und Hummel absieht; erst in der französischen Musik um die Jahrhundertwende blühte das Instrument als Solist voll auf (dieser Musik widmete Sofia de Salis ihr erstes Album). So ist es durchaus legitim, dass sich Flötisten an Werken für andere Besetzungen bedienen und diese für ihr Instrument umdeuten. Oft liest man über solche Bearbeitungen, die Flöte könne dem Charakter des Originals durch gewisse dynamische und phrasierungstechnische Einschränkungen nicht gerecht werden. Doch wer verlangt das? Viel eher sollten wir uns den prächtigen Facetten hingeben, welche ausschließlich eine Flöte aus den Werken herausholen kann; so hören wir die Werke einmal in ganz neuer Beleuchtung.

Sofia de Salis erleben wir hier als phantasievolle Flötistin, die auf eine besondere Farbenpracht in ihrem Spiel Wert legt. In den Arrangements versucht sie, die Charakteristika der Originalinstrumente auf die Flöte zu übertragen und kann dabei in Francks Sonate sogar die Robustheit der Violine gegenüber ihrem Instrument übernehmen, weiß jedoch auch um die Vorzüge ihrer Flöte und gestaltet manche Linien noch sanglicher und feiner, als wir sie vom Original her kennen. Abgesehen kleinerer Ausbrüche in übermäßige Freiheit bei den kleinen Solo-Einwürfen der Schubert-Sonate und im Recitativo der Franck-Sonate verzichtet de Salis darauf, sich in der Musik zu verträumen.

Die klangliche Abstimmung zu ihrer Partnerin Iryna Krasnovsky funktioniert leider trotz der hervorragenden Aufnahmetechnik der SACD überhaupt nicht. In der Arpeggione-Sonate Schuberts geht das Klavier vollkommen unter: Ich vermisse das Wechselspiel des Sechzehntelnoten-Motivs im Kopfsatz und die thematischen Einwürfe des Klaviers im Finale, allgemein die harmonische Stütze, die bei Schubert so dringend notwendig ist. Bei dieser Sonate finde ich im Übrigen auch schade, dass die Musiker das Adagio viel zu schnell nehmen und auch aus dem Allegretto-Finale ein Allegro machen, statt dass sie die Musik atmen lassen und die Ruhe auskosten. Bei Franck ist klanglich das Gegenteil der Fall, hier übertönt das Klavier mitunter die Flöte. Selbst bei einem Geigenpartner muss der Pianist darauf achten, nicht zu sehr zu donnern, umso mehr bei einer Flöte. Doch Iryna Krasnovska beachtet ihre Mitstreiterin wenig, schenkt dem Wechselspiel zwischen Klavier und Flöte keine Aufmerksamkeit und kann selbst die eigenen Stimmen nicht stimmig zusammenfügen, wodurch viele thematischen Motive untergehen, vor allem im berüchtigten zweiten Satz. Die Pianistin scheint zu sehr mit den technischen Herausforderungen beschäftigt zu sein, um anderes zu bemerken. Erst im Finale dieser Sonate finden de Salis und Krasnovska klanglich zusammen und musizieren gemeinsam. Die restlichen Werke der CD sind dankbarer für das Zusammenspiel und musikalisch leichter zu durchdringen, entsprechend stimmigere Resultate hören wir. Im abschließenden „Ständchen“ bemerken wir vielleicht sogar einen kleinen Rückbezug auf den Titel der CD.

[Oliver Fraenzke, Mai 2019]

„Wir fühlten uns auf Anhieb sehr zuhause!“

Sofia de Salis und Iryna Krasnovska gingen für die Aufnahme ihrer Duo-CD in Wuppertals Immanuelskirche in Klausur

Foto @ Stefan Pieper

Kirchenräume bieten eine gute Zuflucht, wenn es draußen heiß ist. Auch die Wuppertaler Immanuelskirche ist ein idealer Ort für Konzentration und Versenkung – in diesem Fall für die russisch-schweizerische Flötistin Sofia de Salis und die ukrainische Pianistin Iryna Krasnovska, die im August 2018 in nur drei Tagen ihre neue CD „Shades of Love“ aufnahmen. Jetzt liegt das Resulat vor – jedes Werk von Franz Schubert, Robert Schumamm und César Frank erzählt dabei eine Liebesgeschichte für sich.

Die kühlen Temparaturen, die in dieser Kirche, die zum Aufnahmeort für das ARS-Label umfunktioniert wurde, herrschen, fördern in diesen „Hundstagen“ die entspannte Routine. Eine ganze Woche war für die Aufnahmen eingeplant, aber schon nach drei Tagen steht alles weitgehend. „Wir fühlten uns auf Anhieb hier sehr zuhause“ –  bekundet Sofia de Salis im Nachhinein. Sie benennt eine wichtige Grundlage für eine gute Aufnahme: „Ich muss mich frei fühlen. Iryna und ich schätzen am Tonmeister Manfred Schumacher, dass er nie bevormundet. Wir können hier machen, was wir wollen. Das ist sehr wichtig, um produktiv zu sein“. 

Was nicht ausschließt, dass Schumacher Vorschläge macht und im richtigen Moment den Blick auf etwas lenkt. Wichtig sei, dass die letztliche Entscheidung bei den Künstlerinnen selbst liegt: „Es gibt Tonmeister, die haben schon irgendeine Version im Ohr und wollen diese dann auf die neue Aufnahme kopieren. Damit degradieren sie die Musiker zum Werkzeug ihrer eigenen Vorstellungen.“

Von so etwas frei, durchdringt bei den Aufnahmesessions viel ansteckende Spielfreude den Kirchenraum, der durch das ARS-Label zum Studio umfunktioniert wurde. Die braucht es auch in diesem Moment, denn eine physisch fordernde Tour de Force bleiben die Werke für die neue CD allemal – nicht zuletzt wegen der riesigen emotionalen Bandbreite und den entsprechend auszugestaltenden Spannungsbögen: „Vor allem Schuberts Arpeggione-Sonate war eine fast sportliche Herausforderung für mich. Für Iryna war Cesar Francks Sonate mit ihrem gigantischen Klaviersatz besonders anspruchsvoll. Aber wir beide sind ein wunderbares Team und haben schon viele Jahre lang gemeinsam gespielt. Iryna weiß, wie sie mich motivieren kann, wenn bei mir die Kraft zur Neige gehen droht – und umgekehrt!“

„Shades of Love“ definiert das Thema für das gewählte Programm für diese CD-Aufnahme: „Alle Kompositionen dieser CD präsentieren sehr verschiedene Farben der Liebe und des Lebens an sich. Jedes Stück leistet seinen eigenen Beitrag dazu. Franz Schuberts Arpeggione-Sonate bringt ein altes Streichinstrument ins Spiel, auf dem Liebende einst gerne vor dem Fenster der Angebeteten musizierten. Robert Schumanns Romanzen sind eine Liebeserklärung an seine Frau Clara. Sie widerspiegeln darüber hinaus Schumanns beginnende psychische Erkrankung. César Francks Sonate hat auch etwas mit Liebe zu tun, denn sie war als Hochzeitsgeschenk für Eugene Isaye gedacht.“

Das gegenseitige Motivieren zwischen Sofia des Salis und Iryna Krasnovsksa sowie die menschliche und fachliche Unterstützung durch Annette und Manfred Schumacher haben das Endresultatet hörbar geprägt: Schuberts a-Moll-“Arpeggione“-Sonate in dieser Version für Flöte und Klavier, ebenso Cesar Francks berühmte A-Dur-Sonate werden auf dieser CD zu einem runderneuerten Hörerlebnis. Spieltechnisch bietet Sofia des Salis einiges auf, dass es den Hörer in die elementare Gefühls-Fieberkurve dieser Komposition hinein zieht. Schumanns Romanzen markieren gewisse elegische Ruhepole nach hitzigen Gefühlskurven der voran gehenden Sonaten. Sofia de Salis ist stolz, dass diese CD auch eine Weltersteinspielung präsentiert. So ist Franz Schuberts „Atzenbrugger Tanz“ zum ersten Mal für Flöte aufgenommen worden.

Wenn die Flötistin Sofia des Salis großes kammermusikalisches Repertoire zur Sache ihres eigenen Instrumentes macht, hat dies immer etwas mit Aneignung zu  tun. „Da ist auch der Wunsch, zu zeigen, wie es auf der Flöte klingt, was für andere Instrumente geschrieben war. Man muss es nicht vergleichen – es ist halt ein anderes Erlebnis.“

Es gibt auch Limitierungen durch das eigene Instrument, die sich Sofia de Salis bewusst sind: „Wenn beispielsweise Schubert oder Franck für ein Streichinstrument schreiben, kommen zwangsläufig Doppelgriffe ins Spiel. Natürlich kann hier eine Violine, eine Viola oder ein Cello mehr.“ Dafür hat die Flöte aber vieles in Sachen Unmittelbarkeit anderen Instrumenten voraus, und genau dieser Aspekt reizt die in Russland geborene, heute in der Schweiz lebende, vielbeschäftigte Musikerin, deren Mutter Gesangslehrerin ist. Auf dem Instrument spielen und Singen liegt für Sofia de Salis sehr eng beieinander. „Ich kann in verschiedenen Tonlagen sehr flexibel die Klanggfarbe verändern, so, als würde ich singen. Ich habe mir hierfür eine spezielle Technik angeeignet, bei der die Luftmenge im Mund konzentriert wird. Vor allem in der Cesar-Franck-Sonate mit seinen Tonlagenwechseln kommt mir das sehr zugute. Ich laufe niemals Gefahr, dass der Ton flach wird, wenn es mal richtig hoch hinaus geht“.

[Stefan Pieper; April 2019]