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Stilvolle Stilkopien

Toccata Classics, Tocc 0346; EAN: 5 060113 443465

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Drei „After-Concertos“ von David Deboor Canfield sind bei Toccata Classics eingespielt. Der amerikanische Komponist schrieb 2007 sein Concerto nach Glière für Altsaxophon und Orchester, 2013 folgte eines für Sopransaxophon nach Tschaikowsky und vergangenes Jahr legte er noch eine Rhapsody nach Gershwin nach, wo die Violine den Solopart erhält. Hayrapet Arakelyan am Saxophon und Rachel Patrick an der Violine übernehmen die Solostimmen, es spielt die Sinfonia Varsovia unter Ian Hobson.

Es ist bedauerlich, dass uns weder Reinhold Moritzewisch Glière noch Pjotr Iljitsch Tschaikowsky ein Saxophonkonzert geschenkt haben (Glasunow hingegen hat in späten Jahren noch eines nachgereicht), sind doch schließlich sämtliche von ihnen erhaltenen Solokonzerte (inklusive des nicht vollendeten Violinkonzerts Glières) wahre Meisterwerke. Und auch, dass George Gershwin nur sein eigenes Instrument, das Klavier, mit Konzert- und Konzertstückliteratur bedacht hat, ist für die anderen Instrumentalisten reichlich ungerecht. So dürfte sich das vielleicht David BeBoor Canfield gedacht haben, als er seine drei „After-  Concertos“ plante. Hier bekommt ein Saxophon endlich einmal die Gelegenheit, auch romantische Literatur im verblüffend originalgetreuen Stil von Glière und Tschaikowsky zu spielen und ein Violinist darf sich über eine gershwineske Solorhapsodie freuen. Nicht auf der CD erschienen sind eine Elegy nach Brahms für Altsaxophon oder Klarinette und Klavier, ein Quintett nach Schumann für Saxophonquartett und Klavier sowie eine Ragtime-Sonate nach Scott Joplin für Altsaxophon und Klavier. Auch Werke ohne „Vorlage“ gibt es aus der Feder des 1950 in Florida geborenen Komponisten, immer in einem zum Heiteren tendierenden, beschwingt-eingängigen Stil, der durchaus auch eine individuelle Note aufweist.

Die drei hier zu hörenden „After-Concertos“ waren eine wirkliche Überraschung für mich. Statt den erwarteten flachen und vermeintlich witzigen Aufgriffen einiger weniger Floskeln des jeweiligen Vorbilds in standardisiert übertriebener Scherzparaphrasierung erhält der Hörer hier drei vollwertige Solokonzerte, die tatsächlich eine ernst gemeinte Musik präsentieren. Es sind auch keine direkten Musikzitate zu finden (jedenfalls fielen mir keine auf), sondern es handelt sich um eigenständige Werke, welche lediglich einem bestimmten Stil huldigen. Oft entsteht der Eindruck, als wenn wirklich gerade ein Stück von Glière, Tschaikowsky oder Gershwin vorgetragen würde, so genau hat sich Canfield den jeweiligen Stil angeeignet. Natürlich gibt es einige Details, welche den „Betrug“ bei genauerem Hinhören sichtbar erscheinen lassen, wie etwa unübliche Instrumentierungen an einer bestimmten Stelle oder alleine schon die Tatsache, dass ein Tschaikowsky-Konzert wesentlich länger als 20 Minuten dauert. Doch das ist unwichtig, schließlich geht es nicht darum, dem Nachgeahmten ein Werk unterzujubeln, sondern vielmehr, eine eigene und unabhängige Stilkopie zu schaffen. Und diese ist, in dreifacher Ausführung, wahrlich gelungen. Canfield schuf drei vielseitige, farbenreiche und für den eingeweihten Hörer oft durchaus amüsante Werke (wobei angemerkt werden sollte: es ist zu keiner Zeit intendiert lustig, dieser Effekt stellt sich eher automatisch ein bei einer gut gemachten Stilkopie), die den nachgeahmten Komponisten eine besondere Würdigung angedeihen lassen und ihrem Genie in der Qualität der Hommage auch gerecht werden.

Beide Solisten, Hayrapet Arakelyan und Rachel Patrick, bieten ihre anspruchsvolle Stimme mit Bravour, sicherer Intonation und reinem Spiel dar. Bei Patrick erscheint es manchmal so, als wäre ihr Spiel vor allem auf äußeren Effekt angelegt und nicht innerlich mitempfunden, wenngleich Phrasierung und Linienführung solide sind. Hayrapet Arakelyan hingegen spielt hörbar mit voller Leidenschaft und Hingabe, ist vollkommen in die Stücke involviert und integriert sich aktiv in den Orchesterapparat. Seinem Instrument entlockt er ungeahnt feine Klangnuancen und lässt lange Dialoge mit dem Orchester, aber auch Monologe in eigenen verschiedenen Stimmlagen ausdrucksvoll entstehen. Die Sinfonia Varsovia unter Ian Hobson hält sich dezent im Hintergrund, bildet aber eine untadelige Klanggrundlage, über der sich die Solisten entfalten können. In mancher Tuttipassage fehlt es manchmal etwas an Klangfülle und -Dichte – doch dies zu kompensieren, sind die Solisten stets schnell wieder zur Stelle.

[Oliver Fraenzke, Juni 2016]