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Armenien und Russland aus Norwegen

Simax classics, PSC1373; EAN: 7033662013739

Genuine wie arrangierte Kammermusik von Aram Khachaturian hören wir als klingendes Resultat von Mariam Kharatyans „Musical Research“-Projekt „Armenian Fingerprints“. Gemeinsam mit dem Violinisten Adam Grüchot, dem Cellisten Leonardo Sesenna und dem Klarinettisten Stig Nordhagen spielt die Pianisten das Klarinettentrio, die Geigensonate, das Song-Poem sowie Säbeltanz und Lullaby aus Gayaneh und das Adagio aus Spartakus (in Bearbeitungen von Pivazyan und Asatryan).

Musical Research ist ein bei uns eher unübliches System, um das wir die Norweger beneiden sollten: Es handelt sich um die Symbiose aus Musikpraxis und Musikwissenschaft, die aus theoretischer Forschung Schlüsse für eine praktische Aufführung zieht. Während bei uns ein Großteil der Musiker kaum Ahnung von den Hintergründen besitzen und die Wissenschaft der Praxis absolut fern ist, geht dies in Norwegen Hand in Hand und bringt Resultate, die überwältigender kaum sein könnten.

Mariam Kharatyan beschäftigte sich in ihrem Projekt „Armenian Fingerprints“ von 2015 bis 2019 mit den Auswirkungen der Musik ihres Heimatlands Armenien auf Kompositionen von Komitas und Khachaturian, präsentiert nun zwei CDs als Ergebnis ihrer Forschung [Rezension zur Komitas-CD hier]. Besonderes Interesse zeigt Kharatyan an den Anklängen der Volksinstrumente in der Musik, die sie durch besondere Pedalisierungen, insbesondere unter Verwendung des mittleren Pedals, imitiert. Allgemein beschäftigt sie sich mit der ursprünglichen Kunst der Volksmusiksänger und -instrumentalisten und sucht deren Pendant in der Musik von Komitas und Khachaturian. Während Komitas sich in den Dienst der genuinen Musik stellt und Melodien durch Transkription und Harmonisierung vor dem Vergessen bewahrte, machte Khachaturian sie konzertfähig und integrierte sie vollends in die Stilwelten der westlichen Tradition.

Das gibt der Musik Khachaturians einen exotischen, für uns teils gar fremdartigen Anklang und macht manch eine seiner Formen schwer zu verstehen: das Improvisatorische Element, die erzählerischen Freiheiten geben sich oft nicht unmittelbar nachzuvollziehen. Dabei verfehlt doch die Musik nicht ihre Wirkung und wir lauschen gespannt diesen Klängen zwischen armenischer Tradition und russischer Schule.

Abgesehen von der fast vergessenen Violinsonate sind die Werke dieser Einspielung relativ bekannt. Doch die hier vorliegende Aufnahme lässt sie in völlig neuem Glanz erstrahlen, so dass man meinen könnte, gänzlich neue Werke zu hören. Mariam Kharatyan besticht durch feinfühliges und feinhöriges Spiel, das so ungekünstelt und frei wirkt, als wäre der Klavierpart im Moment des Spielens entstanden. Ihre Interessen teilt sie mit ihren Kammermusikpartnern, die ebenso natürlich wie unprätentiös diese teils virtuos vertrackten Stimmen in unerhörter Leichtigkeit – man möchte sagen, Unbekümmertheit – meistern. Der Fokus liegt nicht immer auf der großen Form, dafür umso mehr auf dem Hier und Jetzt, auf der minutiösen Klanggestaltung und der Vielseitigkeit einer jeden Melodie.

[Oliver Fraenzke, Februar 2020]

Hvoslefs Klavierkonzert endlich auf CD

Simax Classics, PSC1375; EAN: 7033662013753

Unter drei Dirigenten spielt das Bergen Philharmonic Orchestra drei Werke von Ketil Hvoslef. Zunächst hören wir das Klavierkonzert mit dem Pianisten Leif Ove Andsnes unter Stabführung Edward Gardners, dann „Ein Traumspiel“ unter Eivind Gullberg Jensen und zuletzt „Barabbas“ unter Juanjo Mena.

Vor einigen Jahren hörte ich einen Radiomitschnitt eines Klavierkonzerts: Ich weiß nicht mehr genau, unter welchen Umständen dies war, aber als die Musik begann, vergaß ich Zeit und Raum, war gefangen von diesen einmaligen wie packenden Klängen, die mich bis heut nicht loslassen. Als ich nachher auf die Uhr blickte, waren dreißig Minuten vergangen, die mir vorkamen wie nur wenige Augenblicke. Bei dieser Musik handelte es sich um das 1992 komponierte Klavierkonzert von Ketil Hvoslef, das nun der Widmungsträger Leif Ove Andsnes gemeinsam mit dem Bergen Philharmonic Orchestra unter Edward Gardner auf CD gebrannt hat.

Das Konzert öffnet mit einem Wirbel der großen Trommel und mächtigen Akkorden des Klaviers (beinahe eine Karikatur auf das a-Moll-Konzert Griegs); die Akkorde verklingen nach und nach zu einer Zweitonfigur, bis der Solist seine Finger von den Tasten nimmt – doch noch immer klingt die Figur weiter! Hinter der Bühne steht ein zweiter Flügel, etwas tiefer gestimmt als das Soloinstrument, und erzeugt eine einmalige Echowirkung. Das gesamte Werk strotzt vor solchen Überraschungseffekten, was die Spannung hoch hält. Vom Solisten wird enorme rhythmische Energie und Präzision verlangt, die Akzente der einzelnen Figuren gehen beinahe immer gegen die Taktstruktur und oftmals gegen das gesamte Orchester. So abstrakt die Motive teilweise erscheinen, so sehr gehen sie dabei ins Ohr und schaffen eine stringente Form, die auf enorme Kontraste und perfektes Timing beim Wechsel der einzelnen Abschnitte aufbaut. Im Mittelsatz kehrt das Echo zum zweiten Klavier wieder, hier noch enger geballt. Magisch wirkt der gewaltige Aufbau des ganzen Orchesters inklusive des Solisten, bis allerdings die Spannung kippt und das Orchester wieder verebbt, während aber das Klavier weiter in die Höhe treibt. Hvoslef revidierte das Werk bereits mehrfach, in meiner Partitur sind alleine drei Revisionen bis 1999 verzeichnet; für die vorliegende Aufnahme arbeitete der Komponist noch einmal an dem Konzert. Die Veränderungen betreffen das Finale, in dem eine überraschende Kürzung kurz vor Ende den Kontext strafft. Außerdem überarbeitete Hvoslef den Schluss, der nun nicht mehr so düster wirkt wie zuvor, sondern offener und mit Rückbezug auf das Echo-Klavier. Leif Ove Andsnes spielt das Konzert mit mechanischer Perfektion und präzise ausgearbeitetem Anschlag. Für große Emotion ist wenig Platz in dieser Musik, doch Andsnes gelingt es, ein gewisses Maß an Sentiment und Einfühlung in die Noten zu legen. Dynamisch setzt er minutiös die an die Grenzen der Realisierbarkeit stoßenden Vorzeichnungen um und reißt das Orchester mit, was zu erstaunlichen Kontrasten führt.

Bei den anderen beiden Werken dieser CD-Produktion handelt es sich um Archivaufnahmen: „Ein Traumspiel“ wurde bereits 2011 von Eivind Gullberg Jensen eingespielt, Barabbas geht auf das Jahr 2013 zurück. Das einsätzige Werk „Ein Traumspiel“ basiert auf dem poetischen Drama „Ett drömespel“ von August Strindberg und katapultiert den Hörer vom ersten Ton an in eine magische Welt. Es handelt sich um eines der lichtesten Werke Hvoslefs, das selbst eine ausgiebige tänzerische Passage zulässt (wenngleich die Musik wie fast immer bei Hvoslef im 4/4-Metrum verweilt). Jensen dirigiert das ihm gewidmete Stück mit viel Seele und intuitivem Gespür für Klang. Wie kaum ein anderer Dirigent unserer Zeit versteht Jensen instinktiv die Musik, erfasst organische Formen und große Kontexte, setzt diese auf eine Weise um, die den Hörer direkt ansprechen. Auffällig gerät besonders die Schattierung der kurzen Noten von extremem Staccato bis zu voluminös nachklingenden Akzenten.

Die Oper ohne Sänger „Barabbas“ ist das genaue Gegenteil von „Ein Traumspiel“: sie erkundet die Tiefen und hält eine düster-dramatische Aura aufrecht. Kaum ein Lichtblick glimmt in den drei Sätzen/Akten auf, die Musik treibt vorwärts in einem finsteren Sog voller Leid und Qual. Doch genau hierin liegt auch ihre ureigene Qualität, die den Hörer bannt.  Die drei Sätze zeichnen die Geschichte nach um den Entscheidungsprozess, ob Jesus begnadigt werden soll, oder doch Barabbas. Juanjo Mena geht auf die düstere Haltung der Musik ein und fokussiert den Drang in die Tiefe. Wir kennen ihr hauptsächlich als Dirigenten spanischer Musik; hier zeigt sich, welch einen Tiefgang und Gespür er auch für die nordischen Meister besitzt.

[Oliver Fraenzke, Januar 2020]

Eleganz und Perfektionismus

Simax Classics, PSC 1366; EAN: 7033662013661

Zu seinem 70. Geburtstag veröffentlicht der norwegische Pianist Håkon Austbø eine Doppel-CD mit dem gesamten Klavierwerk von Maurice Ravel. Die erste CD birgt Gaspard de la nuit, Miroirs und die Sonatine, auf der zweiten finden wir Sérénade grotesque, Menuet antique, Pavane pour une infante défunte, Jeux d’eau, Menuet en ut dièse mineur, Menuet sur le nom de Haydn, Valses nobles et sentimentales, A la manière de…, Prélude und La tombeau de Couperin. Lediglich Ravels grandiose Klavierbearbeitungen von La valse und Teilen aus Daphnis et Chloé vermissen wir schmerzlich, ebenso das Klavierstück La parade.

Ravels Klavierschaffen genießt einen besonderen Status in der Literatur für das Instrument. Nicht nur, dass Ravel die technischen-mechanischen Möglichkeiten bis an die Grenzen der Physik und Anatomie ausweitet und mit Gaspard de la nuit das nach eigenen Aussagen „schwierigste Stück, das je für Klavier geschrieben wurde“ komponierte; seine Werke verlangen dem Instrumentalisten auch musikalisch alles ab: Minutiöse Pedalisierung, federleichter und dennoch sonorer Anschlag, Herauskristallisieren unauffälligster Melodiestimmen und Erzeugung schwebender, unwirklicher und durch und durch orchestraler Klänge.

Nachdem Håkon Austbø bereits die Gesamtwerke von Debussy, Satie, Grieg und Janáček aufgenommen hat, macht er sich nun zu seinem 70. Geburtstag an eine vollständige Aufnahme von Ravels Musik – und kann damit überzeugen. Vom ersten Ton an klingt einem der unbestechliche Perfektionismus des Norwegers entgegen, der den Höhepunkt der Aufnahme direkt an den Anfang setzt: Gaspard de la nuit. Håkon Austbø erhebt den Anspruch, dass jede noch so rasche Note zeitgleich eigenständig hörbar ist und sich in ein schwirrend-geräuschhaftes Ganzes integriert; so klingen die eröffnenden Takte von Ondine klar, zart und absolut präzise. Die Darbietung von La Gibet ist schier überragend: jeder einzelne der ‚Glockenschläge‘ hallt in gleichbleibendem Gestus durch, wird durch sonore Akkorde stimmungsvoll untermalt. Der Scarbo rauscht in enormem Tempo umher, aus den schnellen Repetitionen entsteht ein wilder Sog, der den Hörer von Beginn an packt.

Die enorme Qualität vom Gaspard de la nuit hält Håkon Austbø die vollen 130 Minuten durch, wodurch man die Zeit beim Hören dieser Musik vollständig vergisst. Die schnellen und aberwitzig schwierigen Passagen meistert Austbø leichtfüßig, in den gemächlichen Stücken holt der Pianist einen unendlichen Reichtum an Details und Feinsinn ans Tageslicht. Meisterlich negiert er damit den Ausspruch, Ravel müsse man nicht musikalisch erschließen und vermitteln, da die Musik für sich alleine spreche: Doch, muss man, die meisten tun es lediglich nicht!

Die Zartheit und der Feinsinn im Spiel Håkon Austbøs erstaunen, bildlich sieht man die Bark auf dem Ozean (aus den Miroirs) oder das heitere Wasserspiel (Jeux d’eau) und auch die traurigen Vögel (ebenso Miroirs) klagen derart plastisch, als müsste man nur die Hand ausstrecken, um die anzufassen.

Bezaubernd gelingt auch die Pavane pour une infante défunte, in dem Håkon Austbø größtenteils auf Pedal verzichtet und einen lupenreinen Klang entfaltet. Allgemein meistert der Pianist die Pedalisierung in Ravels Klaviermusik: Die Musik verschwimmt nicht zu einem konturlosen Brei, erhält jedoch den nötigen Nachhall, was besonders in den ‚Glocken‘-Stücken La vallée des cloches und La gibet auffällt, ebenso in den Valses nobles et sentimentales.

Eine durch und durch außergewöhnliche Aufnahme, die ein enormes Gespür für Klang präsentiert und uns verzaubert mit der schleierhaften, wellenartigen und teils unwirklichen Musik von Maurice Ravel.

[Oliver Fraenzke, Januar 2019]

In der Tiefe – aus der Tiefe

Simax Classics, PSC 1342; EAN: 7033662013425

Fantasia Sopra Laudi von Ingvar Lidholm, Grave – Metamorphoses for Violoncello and Piano von Witold Lutosławski und Elegia – Sebastian Knight’ille von Aulis Sallinen sind auf der CD „Octophonia“ des Bassisten Dan Styffe für Simax Classics ebenso zu hören wie die Partita For Six Double Basses, die Three Stanzas For Double Bass Solo und Clamavi von Arne Nordheim.

Der Kontrabass ist ein selten zu hörendes Soloinstrument, nur wenige Namen wie Bottesini, Dragonetti, Vanhal, Dittersdorf und Koussevitzky kommen dabei sogleich ins Gedächtnis. Doch was dieses Instrument tatsächlich – gerade auch in neuerer Musik – vermag, zeigt nun Dan Styffe auf seinem Album Octophonia für das norwegische Label Simax Classics.

Hauptsächlich präsentiert dieses Album Musik des Norwegers Arne Nordheim, welcher zu Beginn dieses Jahrzehnts verstarb. Dem vorangestellt ist Musik dreier anderer Komponisten: Den Beginn macht Ingvar Lidholms „Fantasia Sopra Laudi“, ein recht zerrissenes Werk, welchem trotz einiger Schönheit der Melodien etwas das zusammenhängende Element fehlt. Es folgt Lutosławskis „Grave – Metamorphosis for Violoncello and Piano“, ein düster-beklemmendes Werk in spannungsgeladenem Gestus von geheimnisvoller Eleganz. Die wärmeren Klänge eines Violoncellos wie vom Komponisten intendiert würden das Werk stimmiger komplettieren als der sprödere und in der Höhe spaltiger klingende Kontrabass – dennoch ein interessantes Experiment. Ingrid Andsnes, die viel zu selten zu hörende Schwester des international gefragten Pianisten Leif Ove Andsnes, begleitet Styffe mit vollem Anschlag und singendem Ton, der gleichsam fast wie „gestrichen“ klingt. „Elegia – Sebastian Knight’ille“ des finnischen Komponisten Aulis Sallinen, vor allem bekannt durch seine Opern und Symphonien, nutzt alle Lagen des Kontrabasses für scheinbar nicht enden wollende Zusammenflüsse edler Melodik, die ein großes Gemälde aus Tönen ergeben.

Von Arne Nordheim stammen die restlichen Werke dieser CD. Zunächst ist die Partita für sechs Kontrabässe zu hören, das vielleicht interessanteste Stück dieser Einspielung. In brandenden Wellen schwingt sich die Musik immer wieder von Neuem auf und geht stets sogleich wieder zurück, gibt dabei jede nur erdenkliche Klangnuance der Instrumente preis – teils wirkt es gar wie elektronische Musik, was Nordheim da aus den Kontrabässen hervorzaubert. Die sechs Kontrabassisten spielen wie mit einem Atem, gar wie aus nur einem Instrument, alles klingt perfekt synchron und mit identischer Intention. Es sind beinahe beängstigende Klanggestalten, die aus der Tiefe dieses „Super-Instruments“ ertönen, teils homophon, meist aber in kontrapunktisch geflochtenen gegenseitigen Umspielungen und Anstachelungen. Ebenfalls von komplex weitschweifender Melodik sind die Three Stanzas, wo Dan Styffe nun wieder auf sich alleine gestellt ist, ebenso wie im großformatigen Clamavi. Allgemein zeichnet sich Nordheims Kontrabassmusik aus durch vielgestaltige Form, die trotz unkonventioneller Weitläufigkeit doch stets zusammenhält und ein großes stringentes Ganzes bildet, dies sogar im knapp zehnminütigen Clamavi.

Dan Styffe entlockt dem Kontrabass alles, was nur irgend möglich ist – und sogar „noch mehr“! Es überrascht wahrlich, wie viel Gesang doch aus dem tiefen Instrument strömt, welches so oft nur mit simpler Grundton-Arbeit abgespeist wird. Es sind ganz neue Klangerlebnisse, den Kontrabass nun als vielseitigen Solisten zu hören, sei es mit tiefem Grummeln oder mit ungewohntem Gesang in den beinahe quietschigen (aber nicht unangenehmen!) Höhenlagen. Auch dynamisch feingliedrige Bögen in bewusster Phrasierung und erlebte artikulatorische Feinheiten können Dank Dan Styffe bewundert werden.

[Oliver Fraenzke, Juli 2016]

Nordlichter am Gitarrenfirmament

SIMAX Classics, PSC1339, Abbey Road Studios; EAN: 7033662013395

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Ausschließlich Musik von Ketil Hvoslef, dem vielleicht spannendsten und gewiss unverkennbarsten norwegischen Komponisten unserer Zeit, findet sich auf dem neuesten Album des norwegischen Gitarristen Stein-Erik Olsen. Zu hören sind das Quintett für Gitarre und Streichquartett von 2004, das Gitarren-Trio SEONVEH – das zudem titelgebend ist – aus dem Jahre 2011, das Doppelkonzert für Flöte, Gitarre und Streichorchester von 1977 sowie die bereits 1966 entstandenen Sechs Stücke für Sechs Saiten. Olsens Mitstreiter sind die Gitarristen Egil Haugland und Njål Vindenes, Gro Sandvik an der Flöte, ein Streichquartett bestehend aus Elise Båtnes, Daniel Dalnoki, Ida Bryhn und Torunn Stavseng sowie das Norwegischen Kammerorchester unter Leitung von Christian Eggen.

Zweifelsohne als einer der substanziellsten zeitgenössischen Komponisten ist der Norweger Ketil Hvoslef anzusehen. Der Sohn des überragenden norwegischen Symphonikers Harald Sæverud beschreitet seit jeher vollkommen eigene Bahnen und löste sich auch ohne Zögern von der Tradition seines Vaters: Nicht eine Symphonie schrieb Hvoslef bisher, dafür eine bemerkenswerte Zahl an Solokonzerten für alle möglichen Besetzungen, teils auch recht ungewohnt wie für singende Säge, für Violine mit Popband, oder für Saxophonquartett. Die Musik von Ketil Hvoslef hat stets einen freien und geradezu improvisatorisch anmutenden Charakter, ist zugleich kraftvoll rau und von enormer Leichtigkeit, und wirkt in höchstem Maße spielerisch. Typisch ist die Zelebrierung von markanten Themen, die gleich einem roten Faden immer wieder auftreten und die Form zusammenhalten. So kann trotz der Freiheiten nie von einer zerfallenden oder gar strukturlosen Musik gesprochen werden, alles hat seinen Platz in den Stücken und nichts scheint unnötig oder zu viel. Obgleich Hvoslef durchaus nach neuen Zusammenklängen und energetischen Bahnen sucht und diese tatsächlich findet, bleibt er instrumental der natürlichen Klangerzeugung verbunden ohne Hinzunahme von reinen Geräuscheffekten. In seiner Orchestration weist Ketil Hvoslef durchgehend höchstes handwerkliches Geschick auf, kombiniert mit nicht endendem, durchaus auch obsessivem Wagemut. Er fordert die spieltechnischen Möglichkeiten der Instrumente bis ans Maximum und schafft es, vollkommen neue Wirkungen beim Zusammenspiel der Instrumente hervorzubringen. Ketil Hvoslef ist zeitgleich ein Neuerer, der einen unverwechselbar eigenen Stil geschaffen hat, als auch ein klassischer Musikant in Bezug auf die absolute Priorität der strukturgebenden Grundpfeiler der Musik: Melodie, Harmonie und Rhythmik – all das ist bei Hvoslef ausgeprägt vorzufinden und in ureigener Weise bis an die Grenzen, ja eigentlich gefühlt über diese hinaus, ausgeschöpft.

Vier Werke bietet die bei SIMAX classics erschienene CD, die in einem Zeitraum von 45 Jahren entstanden. Den Beginn macht das fünfsätzige Gitarren-Quintett von 2004, in welchem das Zusammenspiel zwischen Zupfinstrument und den Streichern des Quartetts ausgelotet wird. Mal wirken die beiden Pole zusammen und ergänzen sich (wie vor allem im dritten Satz), mal spielen sie komplett entgegengesetzte Stimmen (besonders deutlich im zweiten Satz). Auch im einsätzigen Doppelkonzert für Flöte, Gitarre und Streichorchester von 1977 wird das harmonische Zusammenwirken immer wieder unterminiert und nach neuen Konstellationen des gemeinsamen Spiels geforscht. Für Hvoslef stellt dieses Konzert eine imaginäre Liebesgeschichte zwischen den Instrumenten dar, so beginnt die Gitarre von ihrem ersten Einsatz an, sich der anfangs solistisch spielenden Flöte anzunähern, bis sie tatsächlich miteinander zu verschmelzen scheinen – immer wieder kommentiert und reflektiert vom Streicherapparat. Ganz anders begegnet SEONVEH (2011) der Frage nach dem Zusammenspiel: Viel eher schafft das ebenfalls einsätzige Werk – dessen Titel sich aus den Initialen der drei Widmungsträger (und hier Vortragenden) Stein-Erik-Olsen, Njål Vindenes und Egil Haugland zusammensetzt – von Anfang an die Illusion eines großen „Superinstruments“, zu welchem sich die drei sich klangfarblich mischenden Gitarren verschmolzen haben. Zuletzt sind noch sechs Miniaturen für sechs Saiten (also die einer solistisch spielenden Gitarre) aus dem Jahre 1966 zu hören, und auch hier wird das Gefühl von Mehrstimmigkeit evoziert.

Stein-Erik Olsen entlockt seiner von Daniel Friederich gebauten Gitarre ein außergewöhnliches Spektrum an Klangfarben und Nuancen der Schattierung. Die spieltechnisch extremen Anforderungen meistert er mit frappierender Lockerheit und unmittelbar sich übertragendem Verständnis des musikalischen Gehalts. Dynamische Feinheiten bringt er überzeugend und ungekünstelt ans Licht, die stetig wiederkehrenden Motive meißelt er mit charakteristischer Kontur heraus. Auch das Zusammenspiel der drei Gitarristen wirkt hier kein bisschen nivellierend, die drei Stimmen mischen sich sofort und fusionieren zu einer hinreißend vollendeten Einheit.

Gro Sandvik verzaubert auf ihrer Flöte mit einem so strahlenden wie hauchigen Ton von mächtiger Emotionalität und Tiefe des Ausdrucks. Sie kollaboriert fantastisch mit dem Orchester und Olsen, begehrt teils wie vom Komponisten initiiert gegen diese auf und lässt sich dann wieder auf den Ausdruck ihrer Mitstreiter ein. Nicht zuletzt das Orchester unter Eggen und nicht weniger das Streichquartett fesseln durch ihr dichtes und präzise abgestimmtes Spiel, sie übertönen niemals die dynamisch schwächere Gitarre und manifestieren einen vollen Klanggrund sowie in den Soli einen konzis abgestimmten Widerpart. Es wird deutlich, wie stark die intensive Zusammenarbeit aller beteiligten Künstler mit dem Komponisten sich auf ein restlos überzeugendes, suggestiv in Bann ziehendes Ergebnis auswirkt. Tief ist denn auch das grundsätzliche Verständnis seiner Musik, die alle Beteiligten mehr als nur makellos vortragen.

Was soll nach all den Lobesworten noch groß über diese einmalige Musik gesagt werden – sie sollte umgehend ganz einfach gehört werden, und jeder kann sich dem Feuer ihres Genius überlassen!

[Oliver Fraenzke, März 2016]