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Geteilte Sache

TNL_Philharmonie (1)

Zwei Orchester, zwei Dirigenten, zwei Violinisten und ein Konzert mit zwei Solisten: Das Kammerorchester der Münchner Philharmoniker und das Mariinsky Stradivarius Ensemble machen am Abend des 12. November geteilte Sache. Lorenz Nasturica-Herschcowici leitet Mozarts Sinfonia concertante Es-Dur für Violine und Viola KV 364, wo er zusammen mit Yuri Afonkin auch die Soli spielt, und das zweite Violinkonzert D-Dur KV 211, in welchem Sergey Dogadin als Solist brilliert. Nach der Pause dirigiert Valery Gergiev von Edward Elgar Introduktion und Allegro für Streicher sowie die Serenade für Streicher e-Moll op. 20.

Am Ende eines langen Konzertmarathons im Rahmen des Festivals MPHIL 360° steht ein wahres Fest für Streicher. Zwei der Streicherkonzerte Mozarts und zwei Werke für Streichorchester von Edward Elgar bilden das Programm ‚Mozart Meets Elgar’ für ein Ensemble, welches sich aus dem Kammerorchester der Münchner Philharmoniker und dem Mariinsky Stradivarius Ensemble zusammensetzt.
Eröffnet wird der Abend von Mozarts Sinfonia concertante Es-Dur für Violine und Viola KV 364 mit Lorenz Nasturica-Herschcowici und Yuri Afonkin als Solisten, ersterer leitet zudem das Orchester. Es ist ein heikles Doppelkonzert, da die Bratsche mit ihrem warmen, weichen und runden Klang gerne von der schärfer und brillanter tönenden Violine überschattet wird. Zu Beginn geschieht auch eben dies, und Afonkins inniges und zartes Spiel verliert sich etwas unter dem stählern glänzenden Ton von Nasturica-Herschcowici, der mit atemberaubender Beiläufigkeit dieses Konzert meistert, doch spätestens in der Kadenz des ersten Satzes finden die Solisten zusammen und verschmelzen gerade im zweiten Satz zu einer faszinierenden Einheit der klanglichen Gegensätze. Ein Dirigent wäre bei dieser Concertante wirklich wünschenswert gewesen (auch das Violinkonzert wurde schließlich dirigiert, und dieses ist vom Zusammenspiel her nicht so heikel wie das Doppelkonzert), denn trotz redlicher Bemühungen Nasturica-Herschcowicis kommt es immer wieder zu unkontrollierten Temposchwankungen. Doch muss angemerkt werden, dass die Musiker ungeachtet dessen wie blind aufeinander eingespielt sind und es nicht ein einziges Mal zu kleinen Unfällen kommt.
Wesentlich prägnanter und glanzvoller erscheint das Orchester im Violinkonzert, diesmal unter dem Dirigat von Nasturica-Herschcowici, das Solo spielt sein junger und bereits sehr renommierter Kollege Sergey Dogadin. In kühler Distanz und frei von übermäßigen Emotionen brilliert er in der Solopartie, achtet dabei auf kristallklares Spiel. Als Zugabe gibt er die Introduktion „Nel cor più non mi sento“ und das Thema der Variationen über Paisiellos „La Molinara“ von Nicolo Paganini, was in seiner scherzend-leichtfüßigen Sprunghaftigkeit dem Violinisten noch mehr auf ihn zugeschnittene Gestaltungsmöglichkeiten beinhaltet als das vorangegangene Konzert. Sehr amüsant übrigens, dass Lorenz Nasturica-Herschcowici, vielleicht infiziert von Maestro Gergiev, ebenfalls mit einem Zahnstocher dirigiert.
Dieser hingegen bedient sich heute lediglich seiner bloßen Hände zum Leiten der beiden Streichorchesterwerke Elgars. Mittlerweile hat sich Gergiev besser auf die Münchner Philharmoniker eingestimmt als in den vergangenen Konzerten, welche ich gehört habe. Zwar ist die große Form noch immer in disparat verstandene einzelne Segmente zersplittert, doch diese erhalten wesentlich mehr Fülle und erfahren größere Beachtung des Detailreichtums. Am wohlgefälligsten gelingt die abschließende Serenade mit ihrem tiefen Brodeln, dem ewigen Wallen und der komplexen, dichten Faktur, die dem mächtig-klangvollen Orchester mehr entgegenkommt als Mozart. Durch das zusätzliche Quartett der Stimmführer werden in Introduktion und Allegro einige Konturen klarer und auch die harmonischen Finessen werden dadurch Solisten besonders unterstrichen, so dass manch ein faszinierender Moment entsteht, wenn plötzlich das Moll wieder hereinbricht oder ein Dur die Wolken verweht.
Ein sehr spannendes Projekt, in einem Konzert mehrere Solisten und mehrere Dirigenten zu erleben – und dann noch mit vereinten Kräften aus zwei Orchestern, die in diesen Tagen außerdem sämtliche sieben Prokofieff-Symphonien und Mozart-Violinkonzerte sowie den dritten Aufzug aus Parsifal und zweimal Peter und der Wolf stemmen, was natürlich zu viel ist, um auch nur eines davon wirklich grundlegend zu verwirklichen.
[Oliver Fraenzke, November 2016]