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Mut zum Standardrepertoire

Genuin, GEN 17452; EAN: 4 260036 254525

„Pearls of Classical Music“ nennt sich die neue CD der deutsch-koreanischen Pianistin Caroline Fischer. Zu hören sind Werke von Joseph Haydn (Sonate D-Dur Hob.XVI:24), Ludwig van Beethoven (Rondo a capriccio G-Dur Op. 129), Carl Maria von Weber (Ronde brillante Es-Dur Op. 62), Frédéric Chopin (Walzer Nr. 14 e-Moll; Andante spianato et Grande Polonaise brillante Op. 22), Franz Liszt (Liebestraum Nr. 3 Op. 62; Konzertparaphrase auf Rigoletto), Camille Saint-Saëns (Allegro appassionato Op. 70), Moritz Moszkowski (Nr. 11 aus 15 Études de Virtuosité Op. 72) und Sergei Lyapunov (Nr. 10 „Lesghinka“ aus 12 Études d’exécution transcendante Op. 11).

Ein größtenteils aus Standardrepertoire eines jeden Konzertpianisten bestehendes Programm aufzunehmen, erfordert Mut – da man sofort mit allen Größen der Klassikwelt verglichen wird – und vor allem eine eigene Aussage, die den Werken ohne Anflüge von Willkür angemessen ist. Die deutsch-koreanische Pianistin Caroline Fischer hat beides und veröffentlicht auf „Pearls of Classical Music“ eine farbenprächtige Mischung aus Werken von Haydn und Beethoven bis Moszkowski und Lyapunov.

Der Anschlag Fischers hat eine ganz eigene Note und ist unverkennbar, eint prägnante Schärfe und liebliche, beinahe fragile Zurückgehaltenheit. Caroline Fischer hat ein enormes Spektrum an Dynamiknuancen und nutzt diese gerade im Piano- und Pianissimobereich voll aus. So können melodische Linien in freier Unbekümmertheit aufleben und wieder zurückgehen, wobei sie es versteht, die Akzente am rechten Ort zu setzen und allgemein das Wechselspiel aus Spannung und Entspannung zu erspüren.

Haydns Sonate D-Dur Hob.XVI:24 entsteht gerade in den Randsätzen unprätentiös und spielerisch, mit dynamisch reflektierter Ausgestaltung kommt eine stringente Fasslichkeit der Form zur Geltung. Der Mittelsatz könnte angesichts des gemessenen Tempos mehr Glanz und Fülle des Gehalts vertragen. Wie beinahe in jeder neueren Aufnahme zu rasch eilt Beethovens Rondo a capriccio G-Dur Op. 129 unter ihren Fingern, wobei Fischer auch hier zauberhafte Feinheiten hervortreten lässt und eine fast schon berauschende Stimmführung präsentiert. Webers Ronde brillante Es-Dur Op. 62 bezaubert durch Schwung und tänzerischen Charme, mit Lockerheit und Spielfreude. In Chopin geht Caroline Fischer voll auf, verträumt sich nicht zu sehr in die zarten Weisen, gebraucht Rubato mit Bedacht und lässt mannigfaltige Zwischenschattierungen des Klangs durchscheinen. Bei Liszts Liebestraum Nr. 3 wäre dies in gleichem Maße zu wünschen, Verträumtheit und innerliche Leidenschaft kommt hier zu wenig zum Zug (aber auch interessant, üblicherweise ist dieses Werk nur „übermäßig verträumt“ zu hören). Die anschließenden vier Virtuosenwerke gelingen auf hohem Niveau, bestechen in ihrer fingerbrecherische Virtuosität mit springender Leichtigkeit.

„Pearls of Classical Music“ ist definitiv eine Empfehlung wert, die oft gehörten Werke bestechen allesamt mit einer eigenen Aussage und bieten dem Hörer die Möglichkeit, andere Aspekte der Musik zu erfahren.

[Oliver Fraenzke, Februar 2017]

Ein unbeachteter Russe

Ars Produktion Schumacher, ARS 38 209; EAN: 4 260052 382097

Im zweiten Teil der Gesamteinspielung aller Klavierwerke des russischen Virtuosen Sergei Lyapunov für Ars Produktion ist Florian Noack zu hören mit der Novelette op. 18, der Barcarolle op. 46, der Humoreske op. 34, mit drei Stücken op. 1, sieben Preludes op. 6, Chant du crépuscule op. 22, Variationen und Fuge über ein russisches Thema op. 49 sowie mit Fêtes de Noël op. 41.

Die meisten dürften den Namen Sergei Lyapunov zwar bereits irgendwo gehört haben, doch etwas Konkretes mit ihm in Verbindung bringen werden wohl die wenigsten, kein einziges seiner Werke genießt heute große Bekanntheit. Immer wieder ist die Rede von „Epigonentum“, quasi ein Todesurteil für nicht etablierte Musik (während dies bei bereits entdeckten Komponisten scheinbar niemanden stört). Was die Chancen auf große Verbreitung verringert, ist nicht zuletzt auch die hohe Virtuosität, die sogar den kleinen Miniaturen innewohnt und einen Großteil der Werke ausschließlich für professionell ausgebildete Pianisten spielbar macht. Bestätigt wird dies alleine schon dadurch, dass drei der auf dieser CD zu hörenden Stücke Ersteinspielungen sind.

Charakteristisch für Lyapunov sind große uniforme Flächen, die bedingt werden durch fließende Themen in gleichen Notenwerten, welche repetitiv ausgekostet werden, meist ohne dabei durchgeführt oder groß variiert zu werden. Rhythmisch passiert dabei meist wenig, alles ist auf den dynamischen Melodiefluss und spannungssteigernde Harmonik angewiesen. Bei langen Werken besteht somit schnell die Gefahr, dass Langwierigkeit aufkommt, da es an Kontrasten und Abwechslungsreichtum fehlt, doch interessanterweise ist dies beinahe nie der Fall (außer vielleicht bei der Barcarolle, die schon sehr umfangreich ist für das, was tatsächlich musikalisch geschieht). Anders als beispielsweise Chopin, der stets für Kontrast und Entwicklung sorgte, verträumt sich Lyapunov in seine Themen und schöpft diese so weit wie nur möglich aus. Es herrscht fast durchweg ein voller Klang, der durch virtuose Nebenstimmen erreicht wird, welche die schlichten Melodien umgarnen. Auf diese Weise bilden die technischen Anforderungen eine unumgängliche Herausforderung im Dienst der Musik, und die Virtuosität ist nicht reiner Selbstzweck. Das bedeutendste Stück sind zweifellos die Variationen und Fuge auf ein russisches Thema op. 49 – welch eine unbändige Kraft und Schroffheit in diesem Werk steckt und welch eine flexibel sich wandelnde Vielseitigkeit! Durch Abwechslungsreichtum stechen auch die Fêtes de Noël op. 41 in all ihrer Beschaulichkeit heraus. Mit Zartheit betören können zudem Chant du crépuscule op. 22 und der Walzer aus den drei Stücken op. 1. Bei den anderen Stücken überwiegt größtenteils die Monochromie bei Ausnutzung der physikalisch möglichen Fingerfertigkeit, die natürlich durchaus Reiz und eine gewisse Schönheit besitzen, jedoch nicht das außerordentlich hohe Niveau der soeben genannten Werke erreichen. Schade, dass der Booklettext von Guy Sacre ausschließlich Banalitäten nennt und einen ewigen Vergleich anstimmt, wie technisch anspruchsvoll Lyapunov doch sei – was wesentlich an dieser Musik ist, scheint ihm nicht deutlich zu sein.

Der junge belgische Pianist Florian Noack erweist sich als ein großes Talent mit einem außergewöhnlich feinsinnigen Anschlag, innigem Gefühl und aufbegehrender Expressivität. Chamäleongleich kann er sich allen Charakteren anpassen und in die Musik regelrecht eintauchen. Noack kann die Sanglichkeit und Lyrik auskosten, ebenso auch nach vorne drängen und seinem Ausdrucksvermögen bis in die wildesten Passagen freien Lauf lassen. Die Schwierigkeiten lässt er vergessen, so leicht fliegt er über die Tasten und hebt die mit größter Einfachheit gestrickten Hauptstimmen hervor. Beeindruckend ist Noacks Pedaleinsatz, der ein sauberes Legato ermöglicht, aber niemals etwas verschwimmen lässt – so dass nicht einmal auffällt, dass überhaupt Pedal benutzt wird. Einziger Kritikpunkt ist, dass Florian Noack sich im Fortebereich etwas versteift, seine Flexibilität geht dadurch verloren und der Klang wird unverhältnismäßig trocken und hart, gar rabiat. Hier kann er des Öfteren noch nicht seine Emotionen bändigen, was aber gerade in solch intensiven Passagen unbedingt erforderlich ist, um die Geladenheit auch dem Hörer weiterzureichen und nicht alles für sich selbst zu „verbrauchen“. Abgesehen davon ist Florian Noack ein ausgesprochen feinsinniger Musiker und ihm scheint eine glänzende Karriere zu bevorstehen – bleiben wir weiter auf dem Laufenden!

[Oliver Fraenzke, Juli 2016]