Placidus von Camerloher (1718-1782)
Kamermusik, Sinfonien, Arien
Neue Freisinger Hofmusik Leitung: Sabina Lehmann
CTH 2629 Thorofon
4 003913 126290
Placidus von Camerloher, der Zeitgenosse Glucks und Philipp Emanuel Bachs, ist mithin ein Vorläufer von Haydn, Mozart und deren Zeitgenossen, und durchaus kein Unbekannter in der Musica Bavarica. Jetzt also eine neue CD der neugegründeten Neuen Freisinger Hofmusik, geleitet von der Cellistin Sabina Lehmann: die elf Instrumentalistinnen und Instrumentalisten von der Traversflöte bis zur Erzlaute spielen aus dem bis heute nur spärlich veröffentlichten Werk des Freisinger Musikers und Geistlichen Herrn Camerloher zwei Sinfonien, zwei Arien auf lateinische Texte und ein paar Stücke aus seiner Kammermusik.
Was als durchaus von mehreren Seiten unterstütztes Projekt daherkommt – die Danksagungen im Booklet sprechen es aus –, entpuppt sich allerdings beim Anhören als ein ziemlich uninspiriertes Unterfangen, das an der Oberfläche des Notentextes und somit an den Ohren vorbeirauscht. Von Phrasierung oder irgendwie zusammenhängend bewusstem musikalischen Ansatz scheinen die Spieler weder je etwas gehört zu haben noch gar zu wissen. Ihr Tun erschöpft sich darin, die vorliegenden Noten in meist sehr hurtigen Tempi herunterzuspielen. So nebensächlich und rasch vorbei ist diese Musik sicher weder gemeint noch einst gespielt worden, da nützen auch die beiden Solostücke auf der Gallichone nichts, oder auch die beiden Arien, die Bass Matthias Winckler bemüht, aber mit viel abgehackter Sechzehntel-Artikulation realisiert. (Wie so etwas wirklich gesungen werden kann, könnte er sich bei Cecilia Bartoli einmal zu Gemüte führen, da muss das Zwerchfell einfach auf Zack sein bei solchen Läufen).
Dabei ist der Stil Camerlohers, wie die Leiterin Sabina Lehmann im Begleitheft beschreibt, alles andere als uninspiriert oder altmodisch. Sie nennt ihn sogar einen modernen Tonkünstler seiner Zeit, der größten Wert legte auf melodische und harmonische Klarheit und Einfachheit. Und die auf- und niederfahrenden Tonleitern in der neuen Mannheimer Art, häufige Synkopen, Seufzermotive, Sechzehnteltriolen oder unvermutet eintretende Generalpausen gehören zwar durchaus zu seinem musikalischen Stil, müssen aber auch dementsprechend erlebt und musiziert werden, sonst bleiben es bloße Beschreibungen ohne Inhalt. Denn so neu, wie Camerlohers Musik damals gewesen zu sein schien, davon muss auch der heutige Hörer etwas mitbekommen.
Es ist und bleibt der Makel bei unzähligen unserer heutigen – zwar ausdauernd geübt habenden, aber musikalisch so wenig beschlagenen – Musikerinnen und Musikern, dass sie zwar technisch alles „draufhaben“, aber die Bedeutung der „Klangrede“ ihnen sehr oft vor lauter Geschwindigkeit völlig entgeht.
Allerdings könnte jede Person sich die Violinschule von 1756 von Leopold Mozart zum Lesen nehmen oder auch die beiden sehr „erleuchtenden“ Bücher des Altmeisters Nikolaus Harnoncourt, etwa „Musik als Klangrede“, einverleiben, die einem einen entsprechenden Ansatz vermitteln können, wenn außer dem „Üben“ noch Zeit zum Lesen und Verstehen bliebe! Warnte doch schon Frédéric Chopin seine Schüler, nicht länger als drei Stunden am Klavier zu verbringen, sonst würden sie nämlich: „doof“.
Insofern ist diese CD mit Musik eines Zwischenmeisters leider ein – zugegeben recht lautstarker – Schlag ins Wasser, der vielleicht Placidus Camerlohers lokale Reputation unterstreichen, ihm jedoch keinen überregionalen Glanz verschaffen kann. Schade. Denn dass hinter Noten Musik zum Staunen und Überraschen steckt, konnte man zwar ahnen beim Anhören dieser CD, aber eben leider nicht hören. Mit der Exekution der auf dem Pult liegenden Noten ist es einfach nicht getan, wenn es um Musik geht.
[Ulrich Hermann, Dezember 2015]