Profil, Edition Günter Hänssler, PH19073; EAN: 8 81488 19073 1
Der in Moskau geborene Violinist Ivan Pochekin nimmt die beiden Violinkonzerte a-Moll op. 77 und cis-Moll op. 129 seines Landsmannes Dmitri Schostakowitsch auf. Als Partner holt er sich hierfür das Russische Nationalorchester unter Stabführung von Valentin Uryupin ins Boot.
Die beiden Violinkonzerte von Dmitri Schostakowitsch glimmen umhüllt von Melancholie und nächtlicher Finsternis. Virtuositäten stehen die meiste Zeit vollständig im Hintergrund, statt dessen leiten uns schier unendliche Kantilenen den Weg durch diese vertrackten Meisterwerke. Die Musik besitzt ungeheure Tragkraft in ihrer Expressivität und dem gemächlichen, aber beständigen Strom nach vorne. Während im Ersten Violinkonzert noch so etwas wie Hoffnung durchschimmert und zumindest die beiden vergleichsweise kurzen Allegro-Sätze Lebensfreude ausstrahlen, kristallisiert sich im Zweiten Konzert eine Ausweglosigkeit heraus, die bedrückt.
Ein differenzierter und ausdrucksstarker Ton zeichnet Ivan Pochekin aus, er kostet gerade die langen Melodien voll aus, um in ihrer Emotionalität aufzugehen. Besonderen Wert legt er hierbei auf die unterschiedlichen Abwandlungen der Motive, die er durch leichte Akzente unterstreicht. Die Brillanz seiner Intonation besticht dabei. Auch formal hält er gerade das Erste Konzert eisern zusammen, indem er auf die große Linie und den umfassenden Bogen achtet. Stellenweise hätte er in den ruhigen Sätzen sein Vibrato mehr ausdifferenzieren, und nicht auf immer die gleiche Schwingung setzen können, dafür dürfte gerade das Scherzo des Ersten Konzerts noch ausgelassener wirbeln. In der Kadenz behält er nicht den Fokus, die von Schostakowitsch klar vorgezeichnete Linie mitzugehen, zu früh zieht er nach vorne und präsentiert sich als Virtuose, anstatt die doppelbödige Zurückhaltung zu genießen. In den beiden Finalsätzen glänzt er wieder durch präzise Akzentuierung und rhythmische Finesse, die besonders dann großen Charme erhält, wenn die Geige gegen das Orchester anzukämpfen hat und im Takt konkurriert.
Die Streichersektion des Russischen Nationalorchesters gerät passagenweise ins Murmeln, die Motive verschwimmen in eine reine Klangsphäre, wodurch das Wechselspiel der Instrumente verloren geht. Auch manche Details der Bläser, die insgesamt ausgeglichener an die Oberfläche kommen, erhalten nicht die notwendige Intensität: Das Scherzo des Konzerts op. 77 beispielsweise beginnt mit einem Duett aus Flöte und Bassklarinette; diese spektakuläre Instrumentation würde ich als Hörer gerne auch aktiv wahrnehmen.
Insgesamt eine vom Solisten Ivan Pochekin größtenteils überzeugende Aufnahme, mit der leider das Orchester nicht mitzuhalten vermag.
[Oliver Fraenzke, März 2020]