Warner Classics, 0190295191702; EAN: 1 90295 19170 2
Als „Phoenix Concerto“ hat nun ein teils aus Fragmenten rekonstruiertes Violinkonzert des polnischen Komponisten Ludomir Różycki von 1944 das Licht der Welt erblickt. Als „Füllstück“ enthält die Warner CD des Geigenvirtuosen Janusz Wawrowski und dem Royal Philharmonic Orchestra unter Grzegorz Nowak dann allerdings einmal mehr das Tschaikowsky-Konzert.
Mit relativ hohem Werbeaufwand und von etlichen – zumeist polnischen – Institutionen gesponsert, hat der Violinist Janusz Wawrowski (*1982) auf Warner nun die Einspielung eines bisher größtenteils als verschollen angesehenen Violinkonzerts von Ludomir Różycki (1883–1953) vorgelegt. Różycki, mit den etwa gleichaltrigen Komponisten Karłowicz und Szymanowski eine der Hauptfiguren des Jungen Polen in der Musik, studierte zunächst in Warschau, später dann noch bei Humperdinck in Berlin, wo er sich mit seinem großen Vorbild Richard Strauss anfreundete. Vor allem mit Opern und symphonischen Dichtungen feierte er nicht nur in Polen beachtliche Erfolge. 1944 verlor er jedoch während des Warschauer Aufstands einen Großteil seiner Manuskripte in den Flammen seines Hauses. Bis zu seinem Tod versuchte er mit unbändiger Energie, die vernichteten Werke zu rekonstruieren, was nur zum kleineren Teil gelang.
Für das im Sommer 1944 entstandene Violinkonzert lag zwar bereits ein Klavierauszug und ein unvollständiger Orchestersatz vor, Rekonstruktionen von Jan Fotek und Zygmunt Rychert blieben allerdings erfolglos. Erst durch Wawrowskis Entdeckung des Manuskripts des Klavierauszugs sowie vor allem von 87 Takten eines eigenhändigen Partiturfragments des Komponisten, gelang es Ryszard Bryła nun, eine konsistente Aufführungsversion des – wie bereits das 2. Klavierkonzert von 1941/42 – nur zweisätzigen Werkes zu erstellen. Wawrowski kümmerte sich dabei um eine spielbare – Różycki war von Hause aus Pianist und mit virtuoser Geigentechnik recht wenig vertraut – Fassung des Soloparts. Das viersprachige Booklet gibt darüber angemessen Auskunft, ohne in Details zu gehen.
Das 7-minütige Andante lebt vom über weite Strecken dem Solisten übertragenen elegischen Gesang. Ob die mehr oder weniger direkten Anspielungen an den für Paweł Kochański typischen Stil bei dessen Ausarbeitung des Soloparts von Szymanowskis 1. Violinkonzert so bereits von Różycki intendiert sind oder doch mehr Wawrowskis Idee, lässt sich natürlich ohne Kenntnis der originalen Quellen nicht entscheiden. Daneben erinnert das Violinkonzert öfters an Korngolds Gattungsbeitrag: Im zweiten Satz (16 Minuten) finden sich gewisse Annäherungen sowohl an amerikanische Unterhaltungsmusik als auch Instrumentationsideen, die später dauerhaft in die Filmmusik eingegangen sind. Insgesamt ist das Stück – besonders durch seine stellenweise arg bunte, aufgedonnerte Orchestrierung – für ein Konzert fast etwas zu „operettig“ und im Grunde nur brillanter Edelkitsch; als Entdeckung hingegen nicht uninteressant. Die Interpreten – Wawrowski wird vom Royal Philharmonic Orchestra unter Grzegorz Nowak begleitet – geben hier ihr Bestes. Aufnahmetechnisch vertritt die Veröffentlichung die Position, den Solisten nicht bewusst in den Vordergrund zu setzen; ein eigentlich natürliches Klangbild, das der Rezensent in aller Regel goutiert, welches sich beim folgenden Stück aber als Fehlgriff erweist.
Völlig enttäuschend gerät leider die Darbietung des Tschaikowsky-Konzerts: Selbstverständlich beherrscht Wawrowski den Solopart technisch und klanglich perfekt, doch derart emotional flach und – vor allem durch Nowaks völlig teilnahmsloses, ohne jedwede Agogik stattfindendes Heruntergenudle des Orchesterparts – langweilig habe ich dieses Werk tatsächlich von Profis noch nie gehört. Man kennt zwar solche äußerst tempokonstanten Tschaikowsky-Lesarten von manchen russischen Dirigenten, namentlich Jewgeni Mrawinski – die damit bewusst auf Konfrotationskurs zu verbreiteten, überromantisierenden westlichen Deutungen gingen; aber hier passiert gerade im Kopfsatz zwanzig Minuten lang praktisch überhaupt nichts – nicht mal in der Kadenz. Die Canzonetta ist zumindest klanglich sensibel, jedoch selbst die große Kantilene des Soloparts bleibt verhangen und blutleer – man fühlt sich quasi wie unter Zombies. Wenigstens im Finale nehmen Violinist und Dirigent ein straffes Tempo; alles erscheint da engagierter und wird immerhin eine ganz brauchbare Show.
Fazit: Eine bemerkenswerte Wiedererweckung – freilich keine Sensation – eines nicht allzu substanzreichen Violinkonzerts in der Nachfolge der Spätromantik und eine wirklich überflüssige Tschaikowsky-Wiedergabe, die den Hörer völlig kalt lassen dürfte.
Der Komponist Călin Humă im Gespräch mit René Brinkmann
The New Listener: Herr Humă, Ihre Karriere als Komponist kann heutzutage als untypisch bezeichnet werden: Sie wurden in Iasi in Rumänien geboren, begannen dann aber Anfang der 1990er-Jahre in Großbritannien eine Karriere als Geschäftsmann. Heute sind Sie Honorarkonsul der Republik Rumänien im Vereinigten Königreich und traten erst vor etwa zwölf Jahren zum ersten Mal als Komponist in Erscheinung. Aber wann und wie sind Sie überhaupt zur Musik gekommen?
Călin Humă: Das klingt ein bisschen eklektisch, nicht wahr? Vielleicht sind es die Kollision zwischen materieller Beschäftigung und einer metaphysischen Welt, die Projektion meiner eigenen Philosophie und die Errichtung eines Reservoirs an Emotionen, woraus ich meine musikalische Stimme ziehe.
Meine Tochter, Ruxandra, wurde von klein auf als Pianistin ausgebildet. Während dieser ganzen Zeit kam ich der inspirierenden Welt der klassischen Musik näher. Als ich ihr während unzähliger Stunden von Proben zuhörte, entzündete sich in mir ein Feuer, das irgendwann einfach bereit war, auszubrechen. Obwohl ich in meiner Familie niemanden mit einer Vorgeschichte in Belangen der Musik hatte, wuchs ich mit der Klassischen Musik auf, mit Chopin, Rachmaninoff, Tschaikowsky, Enescu, Sibelius – was sich als die Basis erwies, auf der ich dann anfing, mir selbst ein musikalisches Profil aufzubauen. Ich fing an, Klavier zu spielen, beschäftigte mich aber nie mit Interpretation, sondern war von Beginn an schöpferisch tätig. Es geschah einfach so, als ob mein Inneres bereit gewesen wäre, sein Potenzial durch Musik zu erforschen, statt durch andere Formen des mentalen Ausdrucks.
The New Listener:Wann haben Sie begonnen, Ihre eigenen Werke zu komponieren, und wie kam es dazu?
Călin Humă: Ich habe damals angefangen, kleine Melodien zu „artikulieren“, durch Emotionen bis zu einem Punkt getrieben, an dem ich mir meiner Genese bewusst wurde. Das war, als ob die Musik mich tief geprägt hätte, indem sie die Partikel meiner Existenz entmaterialisierte und sie zu einem sich entwickelnden, nach einem besseren Selbst strebenden Menschen umgestaltete.
Vergessen wir nicht, dass ich in einem kommunistischen Rumänien unter der Ceausescu-Diktatur aufwuchs, die ihren üblen Gestank sicherlich in das schmelzende Reservoir von Gedanken, Empfindungen und widersprüchlichen Ideen überschwemmte, die die ursprünglichen „Substanzen“ meines Heranwachsens waren. Es war ein eindeutiger Konflikt mit einem Teil von mir, der sich im Schatten des Klassizismus der Aufklärung ausbildete, der Literatur, Malerei, Theater, Musik oder anderer Formen künstlerischer Manifestation war. Zum Glück, und nicht nur das, setzte sich der Altruismus durch, und durch wenige Takte Musik fand ich heraus, dass ich in der Lage war, etwas auszudrücken, was ich nicht in tausend Worte fassen konnte. Und so fuhr ich fort…
The New Listener:Gab es auch eine Zeit, in der Sie bereits komponierten, aber Ihre Kompositionen nicht der Öffentlichkeit vorstellten, weil Sie wahrscheinlich nicht sicher waren, ob Ihre Musik akzeptiert werden würde? Wenn dies der Fall war: Was war der entscheidende Grund, schlussendlich mit Ihren Kompositionen an die Öffentlichkeit zu gehen?
Călin Humă: Das war gar nicht der Fall. Ich beziehe eigentlich immer eine kleine Zahl von Personen, meist Freunde, in die frühen Phasen aller meiner Kompositionen mit ein. Ihnen spiele ich während der Entwicklung meiner Stücke vor. Ihre Reaktionen sind unbezahlbar, denn ihre emotionale Reaktion gibt mir einen Hinweis darauf, ob ich mit dem Zuhörer kommunizieren kann. Für mich – und ich fürchte, einige werden das missbilligen – ist ‚Vox Populi‘ auch ‚Vox Dei‘.
Die „Unsicherheit“ in Bezug auf meine Musik ist eine Konstante in meinem Leben! Sie sehen, durch Musik kann man nicht lügen. Meine Musik ist ein offenes Buch tief in meiner Seele, sie enthüllt die am besten verborgenen Geheimnisse meines Seins, meiner Lebensphilosophie. Es ist jedoch durchaus hilfreich, nicht klassisch als Musiker ausgebildet zu sein, da ich die Ängste und Vorurteile dieses Berufsstandes nicht teile. Ich habe keine Angst vor der „Wahrheit“, und ich bin bereit, Kritik anzunehmen.
Als meine Tochter ihr Studium am National Welsh Conservatoire abschloss, schenkten sie und ihr damaliger Freund Christopher Petrie, der eine Dirigierausbildung absolvierte, mir ihre Zeit und ihr Ohr und halfen mir, meine Kompositionen zu etwas mehr Strukturiertem zu konsolidieren. Das war der Zeitpunkt, an dem ich von der Komposition für Klavier solo zum Orchester überging. 2013 ließ ich ein Stück für großes Orchester, „Miorita Ballade“, ein berühmtes rumänisches Gedicht, vom Philharmonischen Orchester Craiova in Rumänien aufführen. Das Werk wurde sehr gut aufgenommen und seine freundliche Rezeption gab mir die „Flügel“, die ich brauchte, um meinen „Flug“ zu beginnen! Später gründeten Ruxandra und Chris das Philharmonic Chamber Orchestra of London, ein professionelles Orchester junger Berufsmusiker. Ich werde ihren ersten Auftritt in der Londoner Cadogan Hall mit dem Grieg-Klavierkonzert in der Interpretation von Tom Poster und Tschaikowkys Pathetique-Sinfonie Nr. 6 nie vergessen.
Durch sie inspiriert, habe ich mein Werk konsolidiert und 2015 meine Symphonie Nr. 1 „Carpatica“ herausgebracht. Die Londoner Premiere in der Cadogan Hall in London war ausverkauft. Und hier sind wir heute……..
The New Listener:Viele Kritiker haben die Musik auf Ihrem ersten Album – das „Symphony Concerto“ und die Erste Sinfonie – mit Rachmaninows Stil verglichen. Ist Rachmaninow eine Ihrer Inspirationsquellen? Welche anderen Inspirationsquellen haben Sie?
Călin Humă: Das ist er in der Tat! Und was für ein genialer Komponist er war! Aber er steht nicht allein. Auf meinem imaginären Weg der Musik gibt es andere erstaunliche Komponisten, die den „Weg zum Himmel“ flankieren, wie die Klassiker, die Romantiker, nicht so sehr die Minimalisten, Strukturalisten oder die eher dissonanten Komponisten. Ich habe jedoch großen Respekt vor jedem Künstler, der sich mit dem Schaffensprozess im Besonderen besonderen beschäftigt, und das meine ich im Allgemeinen für jede Art von Kunst. Der Eindruck anderer Komponisten auf mich ist ziemlich subjektiv; wenn ich noch einmal auf meine Bemerkung über das kommunistische Rumänien zurückkommen darf, dann war das Hören ihrer Werke wie der Zugang zu einer anderen Welt, nicht nur einer esoterischen, sondern einer sehr materiellen Welt jenseits der Berliner Mauer, da die Freiheit vor allem eine dringende Notwendigkeit war. In diesem Zusammenhang ist es leicht zu verstehen, warum sie mich jenseits des lyrischen Universums ihrer Musik so sehr beeindruckt haben und warum ich mich ihrem Zugriff nicht entziehen kann; nicht, dass ich das wollen würde.
The New Listener:Wie können wir uns den kompositorischen Prozess in Ihrem Fall vorstellen? Komponieren Sie auf dem Klavier oder frei in Ihren Gedanken?
Călin Humă: Auf dem Klavier. Dieses großartige Instrument wirkt als Katalysator, dessen Tasten Töne singen, die an meinen Gedanken haften bleiben, und verwandelt sie in Wellen, die zu meiner musikalischen Stimme werden. Stellen Sie es sich wie Schneeflocken vor, die sich durch Wasser bilden und sich an Partikel anlagern, die in Wolken schweben. Das Klavier übersetzt einfach diese emotionalen Ausbrüche, Emotionen, die zwischen der materiellen und der metaphysischen Welt schweben, in Musik und trägt sie weiter in die Bausteine eines Stückes. Ich komponiere von der Basis aufwärts. Natürlich gibt es angesichts meiner begrenzten Fähigkeiten im Klavierspiel viele Momente, in denen ich innerhalb des kognitiven Denkprozesses eine Melodie entwickle.
The New Listener:Sie haben mehrere Jahre lang mit dem Dirigenten und Komponisten Christopher Petrie zusammengearbeitet. Wie haben Sie ihn kennen gelernt und was ist die besondere Verbindung in dieser kreativen Partnerschaft?
Călin Humă: Er war neun Jahre lang mit meiner Tochter zusammen, eine Zeit, in der wir uns sehr gut kennengelernt haben. Er hat sich mit Neugierde und Respekt in die rumänische Kultur vertieft. Wir hatten unzählige philosophische Diskussionen, wir haben uns in allen Aspekten des Lebens ausgetauscht. Er ist die Art Mensch, die einen bereichert, und man wird nach jeder Begegnung weiser und erfährt immer etwas Neues. Er ist irgendwie in der Lage, mich zu provozieren, damit ich mich zu einem besseren Komponisten entwickle. Er ist auch ein Bezugspunkt, wenn es um Struktur, Arrangement und Orchestrierung geht, da ich nur begrenzte Kenntnisse über die Funktionsweise von Instrumenten habe. Ich habe zwar das gesamte Orchesterwerk im Kopf, aber er wird mir sagen, was nicht möglich ist, und wir gehen gemeinsam jeden Takt der Musik durch.
The New Listener:In früheren Epochen gab es oft Komponisten, die in ihrem Hauptberuf etwas völlig anderes machten: Alexander Borodin war Chemiker im Hauptberuf, Goethes Lieblingskomponist Carl Friedrich Zelter war Architekt und Bauunternehmer, und man könnte die Reihe der bekannten Namen fortsetzen. Heute scheint es, dass man vor allem einen akademischen Abschluss braucht, um als Komponist akzeptiert zu werden. Warum ist das Ihrer Meinung nach so? Waren die Menschen in der Vergangenheit der Musik gegenüber vielleicht etwas aufgeschlossener?
Călin Humă: Es gibt nur wenige Möglichkeiten, Musik zu hören: mit dem Verstand, mit dem Herzen und in Bezug auf große Komponisten mit beidem. Wie immer spiegelt die Musik die breitere politische und soziale Konjunktur wider: wo sich eine Gesellschaft in Zeit und Raum befindet, ihre Ideologie und ihren populären oder akademischen Glauben. Nehmen Sie zum Beispiel die Wende zum 20. Jahrhundert, als Strauss mit seiner Oper „Salome“ frischen Schwung in die Sache brachte. Schönberg und seine Schüler kamen danach und veränderten die Musik für immer. Da ich die Welt der Musik lediglich umkreise, bin ich eher wie ein ferner Planet auf einer sehr lockeren elliptischen Umlaufbahn. Vieles in der heutigen Musik beschäftigt sich vor allem mit Struktur- und Klangforschung. Für viele Künstler ist Kunst nur etwas für den Künstler! Kunst ist „sich selbst genug“. Wie zu Beginn des Interviews gesagt, für mich „Vox Populi, Vox Dei“.
The New Listener:Ihre musikalische Sprache könnte man als neo-tonal oder sogar neo-romantisch bezeichnen. Haben Sie diesen Stil bewusst gewählt oder repräsentiert er einfach die Musik, die in Ihnen klingt?
Călin Humă: Die einfache Antwort lautet NEIN! Wie kann ich etwas komponieren, was ich nicht bin? Für mich sollte die Gewissensentscheidung am Ende des Kompositionsprozesses stehen, nachdem Sie Ihr Herz aus dem allerletzten Gramm Emotion herausgequetscht haben, das Sie danach zu einer verständlichen Botschaft strukturieren werden.
Für mich ist die Selbstverwirklichung das immerwährende Streben des Menschen, das wie eine lebendige Flamme brennt. Ihr Lodern beruht auf der Wahrheit des Wissens, auf dem Glauben oder der Metaphysik und, als Vollendung der eigenen Begrenztheit, auf der Kunst, wodurch den Geheimnissen der menschlichen Existenz ein unaussprechlicher Ausdruck verliehen wird. In ihrer inneren Ordnung neigt die Musik unersättlich zur harmonischen Resonanz der Erregung der Seele mit der „Musik der Sphären“, die Platon einmal erwähnt hat. Als kosmische Wesen projizieren wir unsere innere Psyche innerhalb der himmlischen Rhythmen, um der stellaren Grenzenlosigkeit zu begegnen. Vom Konzept her ist der Klang der Musik die Stimme des Absoluten, ist unaussprechlich. Durch ihre Variationen objektiviert sie innere Spannungen und verwandelt die neutrale Welt in ein vermenschlichtes Wesen. Musik ist also demiurgisch. Durch die Sublimierung des Klangs, der voller Bedeutungen und Erfahrungen ist, kann Musik die Absurdität der Frage „Warum existiert etwas und existiert etwas nicht?“ überwinden. Als kosmische Wesen definieren wir den Sinn der Welt, einer Welt, die sich ihrer selbst nicht bewusst ist und unseren Geist in die Unendlichkeit projiziert. Musik konzentriert die nie endende Sehnsucht, den unendlichen Raum zu umarmen und aufzuwerten, auf die Versöhnung des menschlichen Mikrohorizonts mit dem kosmologischen Megahorizont. Es ist die Musik, die den Flügel der Seele über die Grenzenlosigkeit ausbreitet: denjenigen außerhalb seiner selbst, um denjenigen im Inneren entziffern zu können. Aufgrund des Wunders der Musik als harmonischer Klang geht unsere Reise durch das Universum in einem Wimpernschlag vorüber. Die innere Zeit und die äußere Zeit verschmelzen im organischen Akt dieser reinigenden Erfahrung. Es scheint, als ob die sehr mikrophysische Realität ihre Unbestimmtheit in eine geordnete Sphäre von unendlicher Bedeutung verwandelt. Die Musik ist das unbeschreibliche TOR zwischen diesen Welten, dem Mikro- und Makrokosmos, durch das der Geist auf die Begegnung mit dem Absoluten zufliegt! Unser Zweck, unsere Mission, unsere Pflicht kommen in diesem Konzept zum Ausdruck. Der Mensch erreicht durch die Musik seine existenzielle Vollkommenheit; aber was für eine kämpferische und brennende Erfahrung! Was für ein kathartischer Schmerz!
The New Listener:Inzwischen ist auch Ihre Zweite Symphonie aufgeführt worden. Sie heißt „Hampshire“, während Ihre erste Sinfonie „Carpatia“ heißt. Haben Sie mit diesen beiden Werken den beiden „Welten“ Reverenz erwiesen, aus denen Sie kommen bzw. in denen Sie jetzt leben?
Călin Humă: Ja, das habe ich! Ich bin ein Bürger beider Welten, der einen durch Geburt und der anderen durch Adoption. Ich werde immer mit einem nostalgischen Duft meines Geburtsortes leben. Ich hoffe, dies wird ein wenig in meine Musik übergehen, da ich nicht das „Gewand“ der Ethnizität tragen möchte. Ich möchte, so sehr ich kann, den universellen Charakter des rumänischen lyrischen Universums offenbaren, damit die Welt die vielen Dinge, die uns in Harmonie vereinen, würdigen kann. Auch die zweite Sinfonie „Hampshire“ ist eine Hommage an die Region, die mich adoptiert hat, und an ihre Menschen. Ich hatte die Ehre, dass zu ihrer Premiere am 3. Mai 2019 in der Kathedrale von Winchester unter den Eingeladenen sowohl Vertreter der Region Hampshire als auch Ihrer Majestät der Königin anwesend waren. Die Symphonie wurde Hampshire in einer Zeremonie nach dem Konzert symbolisch geschenkt. Hampshire ist eine wunderbare Gegend, in der Gegenwart und Vergangenheit in einer ununterbrochenen Pirouette, einem fruchtbaren Raum der Inspiration, umarmt werden.
The New Listener:Ihre erste Symphonie wurde vom BBC National Orchestra of Wales aufgenommen und auch auf BBC Radio 3 gespielt. Wie sind Sie zur Zusammenarbeit mit der BBC gekommen? Und wie kamen Sie zur Zusammenarbeit mit dem Royal Philharmonic Orchestra, das Ihre zweite Sinfonie uraufgeführt hat?
Călin Humă: Zum BBC National Orchestra of Wales kam ich durch Chris, der in Wales geboren wurde, und durch Andrew Keener, ebenfalls Waliser. Das Orchester mochte mein Projekt und schätzte es, auf einer weltweit vertriebenen CD dabei zu sein, und sie fragten mich, ob ich einverstanden wäre, das Werk auf BBC Radio 3 auszustrahlen, was ich natürlich war. Als mein erstes Aufnahmeprojekt war die Erfahrung überwältigend, und die Arbeit mit diesem Orchester wird für immer in meinem Geist bleiben.
Für die Uraufführung der zweiten Sinfonie verfolgte ich ein Projekt, das vom Rumänischen Kulturinstitut in London ins Leben gerufen wurde, wo der Geigenvirtuose Alexandru Tomescu am 1. Mai 2019 ein Konzert mit dem RPO in London gab. Es war logisch, den ersten Teil der Aufführung, das Violinkonzert Nr. 3 von Saint-Saëns, beizubehalten und mit der Hampshire-Sinfonie zu enden. Die Zusammenarbeit mit dem RPO war eine weitere Erfahrung, die meine Entwicklung als Komponist nachhaltig beeinflussen wird.
The New Listener:Ihr erstes Violinkonzert befindet sich gerade im Kompositionsprozess. Können Sie uns schon ein wenig darüber erzählen, was wir zu hören bekommen werden?
Călin Humă: Ich freue mich sehr, sagen zu können, dass ich bereits begonnen habe, mit Chris an der Orchestrierung zu arbeiten. Das Konzert wird drei Teile beinhalten. Der erste Teil gliedert sich in drei Selbstgespräche als Pfeiler für das gesamte Werk auf. Ich neige derzeit zu einer Orchestrierung für Streicher und Hörner, da ich glaube, dass wir mit dieser Struktur viel Farbe und Stimmen herausholen können, während wir das Stück für Orchester unterschiedlicher Größe zugänglich machen. Ich hoffe, ich werde meinen Zuhörern beweisen können, dass ich aus meinen Erfahrungen gelernt habe, deshalb wird das Konzert eine Weiterentwicklung meiner früheren Werke sein. Natürlich romantisch ‚bis auf die Knochen‘!
The New Listener:In der Corona-Krise ist es natürlich im Moment sehr schwierig, über zukünftige Pläne zu sprechen, aber gibt es vielleicht einige Termine oder Aufführungen, die sich anbahnen?
Călin Humă: Ich hoffe, dass Alexandru Tomescu das Violinkonzert annimmt und versuchen wird, es 2021 beim prestigeträchtigen Enescu-Festival in Bukarest aufführen zu lassen. Inzwischen schicke ich meine Musik an viele Orchester in der ganzen Welt und auch an einige in Rumänien, in der Hoffnung, dass es eine Chance für Aufführungen gibt. Ein Traum für mich wäre es, dass einige meiner Werke in meiner Geburtsstadt Iasi in Rumänien aufgeführt werden. Das Bild des „Jungen“, der nach Hause zurückkehrt, ist einfach zu verlockend!
The New Listener:Gibt es etwas, was Sie den Hörern Ihrer Musik in Deutschland sagen möchten?
Călin Humă: Was kann ich so bemerkenswerten Menschen wie den Hörern in Deutschland sagen? Ich fühle mich durch diese Gelegenheit gedemütigt und entschuldige mich bei ihnen, denn meine Musik wird nie so gut sein wie die der großen deutschen Komponisten, aber was ich tue, ist so aufrichtig, so aus meinem Herzen, dass es vielleicht Gnade verdient. Mein ganzes Leben ist in jeder einzelnen Note, die ich komponiere, enthalten, als ob es die letzte wäre! Ich danke Ihnen für diese Gelegenheit!