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Intimität und hochkarätige Konzerte: Festspiele in Bergen 2019

Zum zweiten Mal hatte ich das Glück, den Festspielen in Bergen beiwohnen zu dürfen. Drei Tage verbrachte ich in Norwegens zweitgrößter Stadt, besuchte Proben und Konzerte. König Haakon VII eröffnete 1953 die ersten Festspiele, welche sich auf Edvard Griegs „Musikkfest i Bergen“ von 1898 beriefen.  Mittlerweile gelten sie als größtes Musikfest Nordeuropas, welches einmal jährlich im Lauf von 15 Tagen mehr als 200 Veranstaltungen bietet. Mehrere Bühnen und Festzelte zieren Bergen in der Zeit der Festspiele und auch die Häuser der Komponisten Edvard Grieg (Troldhaugen), Ole Bull (auf der Insel Lysøen) und Harald Sæverud (Siljustøl) öffnen ihre Pforten für mehr oder weniger kleine Wohnzimmerkonzerte. Besonders fällt dabei die Intimität auf, die sich das Festival trotz des enormen Besucheransturms gewahrt hat: Die Musiker interagieren mit dem Publikum und sitzen, wenn sie gerade nicht auf der Bühne stehen, oft selbst im Zuschauerraum. Schnell kommt man ins Gespräch mit anderen Hörern oder den Musikern, man fühlt sich sofort aufgenommen.

Die Anreise von München am 23. Mai dauerte mit Stopp in Oslo etwa vier Stunden und mit der Byban (Stadtbahn) braucht man etwa eine dreiviertelte Stunde direkt zum Bypark (Stadtpark). Schon hier begegnete mir Musik: Bei jeder der 26 Stationen erklingt eine andere Melodie, beim Ausstieg zu Siljustøl natürlich ein Klavierstück Sæveruds und bei Troldhaugen Griegs Klavierkonzert.

Direkt nach meiner Ankunft eilte ich bereits ins erste Konzert: Das Concerto Copenhagen spielte alle sechs Brandenburgischen Konzerte Bachs in der Håkonshallen, geleitet von Lars Ulrich Mortensen am Cembalo. Das imposante Gebäude mit seinen düsteren Steinwänden und den kunstvoll verzierten Fenstern wurde 1247-1261 vom König Håkon Håkonsson im Königshof als Festsaal errichtet und im späten 19. Jahrhundert grundlegend restauriert und wiederhergestellt. Der große Saal eignet sich ideal beispielsweise für Chorkonzerte, ist jedoch deutlich zu groß für Auftritte mit historischen Instrumenten aus der Barockzeit, wie ich bei den Brandenburgischen Konzerten bemerkte. Selbst bei mir in der achten Reihe kam kaum Dynamik an, die Musik verlor sich nach oben zur hohen Decke hin. So lässt es sich schwer sagen, ob es den Musikern oder rein der Akustik der Halle zu verschulden war, dass die erste Violine die anderen Streicher vollkommen überdeckt hat und noch weniger vor den Flötistinnen Katy Bircher und Kate Hearne Haltmachte, deren kunstvolle Soli im vierten Konzert sich fast zur Unhörbarkeit auflösten. Die im F-Dur-Konzert hinzukommende Oboe kam etwas besser zum Vorschein. Neben der ersten Geige trat meist auch das Cembalo überlaut auf, besonders das fünfte Konzert wurde mehr zum Solokonzert als zum Concerto Grosso, die Flöte verblasste vollkommen und selbst die Geige fiel teils hinter dem Clavier zurück. Am besten gelang das B-Dur-Konzert mit den phänomenalen Bratschensolisten John Crockatt und Simone Jandl, die enorme Fülle und Farbe aus ihren Instrumenten lockten. Man muss dem Concerto Copenhagen zugutehalten, dass sie mit größter Leidenschaft und Spielfreude musizieren, die wirklich ansteckend auf das Publikum wirkte – schade hingegen, dass sie darüber hinaus den Bezug zu stimmigen Tempi missachteten. Gerade bei einer so gewaltigen Halle mit für diese Besetzung schwieriger Akustik, hätten ruhigere Tempi sich wohltuend auf den Gesamteindruck ausgewirkt; statt dessen rasten die Musiker durch die Randsätze, überspielen so zahllose harmonische und kontrapunktische Finessen, und nahmen selbst die mit Adagio überschriebenen Sätze zügigen Schrittes.

Nachdem ich den folgenden Tag hauptsächlich Proben des bevorstehenden Hvoslef-Konzerts beiwohnte, hörte ich am Abend eine erfrischende Gegendarstellung, was man aus der Akustik der Håkonshallen herausholen kann. Der Edvard Grieg Kor (Hilde Hagen, Ingvill Holter, Turid Moberg, Daniela Iancu Johannessen, Tyler Ray, Paul Robinson, Ørjan Hartveit und David Hansford) sang die Fire salmer op. 74 von Edvard Grieg (Arr. Tyrone Landau), Sæterjentes søndag von Ole Bull und Aften er stille von Agathe Backer-Grøndahl (Arr. Paul Robinson), sowie drei Sätze aus Griegs Holbergsuite arrangiert von Jonathan Rathbone für Chor.
Der Bariton Aleksander Nohr sang das Solo in Griegs Salmer mit einfühlsamer und sonorer Stimme, ging klanglich auf den erweiterten Edvard Grieg Kor, hier geleitet von Håkon Matti Skrede, ein und verschmolz mit ihnen zu einer Einheit. Beim letzten Psalm, Im Himmel, stieg er zur gläsernen Rosette auf und ließ seine Stimme feinfühlig von oben aufs Publikum herunterregnen. Zwischen den vier Psalmen trat Silje Solberg an der Hardingfele (Hardangerfiedel) auf, zauberte echt norwegischen Flair in den Saal, in enormer stilistischer Fülle der markanten, dissonanzgeladenen Tonsprache nordischer Folklore. Die folgenden Werke sang das Oktett des Chors alleine, wobei sich die Stimmen vortrefflich mischten. Leicht und frisch klangen sie, durchdrangen die polyphonen Strukturen und stimmten die einzelnen Melodielinien genauestens aufeinander ab. Zuletzt gab es drei Sätze aus Griegs Holberg-Suite, wobei sich das Arrangement vor allem auf die Streichorchesterfassung stützt, sich jedoch den menschlichen Stimmen anpasst – eine wirklich funktionierende Bearbeitung!

Troldhaugen Villa (Foto: Oliver Fraenzke, 2019)

Direkt im Anschluss fuhr der Bus nach Troldhaugen, dem Wohnsitz von Edvard Grieg, wo sich auch dessen Grab sowie sein Komponierhäuschen befinden. Mittlerweile steht neben dem Haus ein Konzertsaal und ein Museum, doch das heutige Konzert findet in Griegs Wohnzimmer auf seinem Steinway von 1892 statt: Paul Lewis spielt die Diabellivariationen op. 120 Ludwig van Beethovens. Vorletztes Jahr durfte ich selbst feststellen, wie anders sich Griegs Steinway im Vergleich zu heutigen Klavieren spielt und welch enorme Flexibilität vom Pianisten verlangt wird, dem Anschlag, Pedal und Klang die volle Substanz zu entlocken. Paul Lewis fiel dies leicht, problemlos differenzierte er in Anschlag und Pedalisierung, holte aus jeder der 33. Veränderungen Beethovens eine eigene Klangwelt. Die einzelnen Variationen setzte er deutlich voneinander ab, was ihnen einerseits für sich betrachtet Kontur verlieh und ihre Besonderheiten unterstrich, andererseits jedoch die zwingende Finalkonvergenz unterminierte. Den Akkorden gab Lewis Kern und Griff, ohne sie donnern zu lassen, die Gedanken der jeweiligen Veränderung meißelte der Pianist deutlich heraus. Vor allem die Rhythmik bedachte Lewis, fokussierte sich auf die punktierten Noten und ließ sie deutlich hervorstechen. Nachher gab es sogar noch eine kleine und beschauliche Zugabe, eine Seltenheit nach solch einem Koloss – leider handelte es sich bei dieser nicht wie erhofft um Bachs Goldbergvariationen.

Griegs Steinway & Sons aus dem Jahr 1892 (Foto: Oliver Fraenzke, 2019)

Der folgende Tag drehte sich für mich in erster Linie um die Familie Sæverud; zunächst ging es zum Haus von Harald Sæverud, Siljustøl, und am Abend gab es ein Konzert ausschließlich mit Werken seines jüngsten Sohns, Ketil Hvoslef. Eine Alm, norwegisch Støl, sei das Zentrum der Welt, sprach der Komponist Harald Sæverud einmal, und so bezeichnete er auch sein Haus, wenngleich das gewaltige Gebäude auf dem 176.000 Quadratmeter großen Grundstück zunächst einmal wenig wie eine Sennhütte wirkt. Erst wenn man hineingeht in das Anwesen, erkennt man den lieblichen und naturverbundenen Charme: wir finden vorwiegend recht kleine und liebevoll detailliert eingerichtete Zimmer, die hauptsächlich aus Stein und Holz bestehen. Alles wurde so gelassen, wie Sæverud es im Jahr seines Todes 1992 hinterließ. Jeder Gegenstand hat eine Geschichte und wenn man einmal die Angehörigen des Komponisten nach ihnen befragt, so sprudeln sie förmlich über vor Anekdoten über alle noch so unscheinbaren Einzelheiten. Fertiggestellt wurde Siljustøl 1939 im Geburtsjahr Ketils, ermöglicht durch die wohlhabende Familie von Haralds Frau Marie Hvoslef, und umspannt eine gewaltige Parkanlage mit urtümlich wirkenden Wäldern und einen riesigen See, den Sæveruds Familie einen ganzen Sommer lang ausgehoben hat – mittlerweile befindet sich auch ein Golfplatz auf dem Grundstück, wenngleich ich mir nicht vorstellen kann, dass dies in Sæveruds Sinne gewesen ist, der ja doch die Natur und die Natürlichkeit jeder Künstlichkeit vorzog.

In SIljustøl (Foto: Oliver Fraenzke, 2019)

Heute stand das Wohnzimmer in Siljustøl voll: Der steinerne Anbau an das Zimmer, in dem Sæverud seine Gäste empfing, wurde nun wie das restliche Zimmer auch mit Stühlen vollgepfropft, um genügend Hörern das Konzert zu ermöglichen. Zwei Nachwuchskünstler gaben ihr Debut im Rahmen der Festspiele: der Tenor Eirik Johan Grøtvedt und der Pianist Eirik Haug Stømner. Auf dem Programm standen fünf Lieder von Edvard Grieg, die ersten zwei Lette Stykker op. 18 von Harald Sæverud, Schumanns Dichterliebe op. 48 und fünf frühe Lieder aus op. 10 und 27 von Richard Strauss. Mit den jungen Musikern haben die Festspiele zwei aufstrebende Talente entdeckt, die es zu fördern wert ist. Enormes Potential steckt in der Stimme des Tenors Eirik Johan Grøtvedt, der eine enorme Vielfalt an Emotionen glaubhaft und mitfühlbar vermittelt, dabei angenehm weich bleibt und ein wunderbares Timbre besitzt. Mich erstaunte, wie dialektfrei Grøtvedt deutsch sang, man erkannte fast keine nordische Färbung des Tonfalls. Einmal mehr spielte leider die Akustik gegen die Hörer, denn der Raum war diesmal zu klein für eine starke Stimme im Forte, wenn sie direkt vor der ersten Publikumsreihe abgefeuert wird und an den Steinwänden vielfach zurückklingt. Der Flügel des Komponisten ist natürlich genauestens auf den Raum abgestimmt und kann sich gut entfalten. Eirik Haug Stømner konnte vor allem in Schumanns Dichterliebe überzeugen, die er dynamisch, fließend und vielseitig begleitete, sich minutiös auf den Tenor einrichtete. Auch bei Strauss kamen diese Eigenschaften zum Tragen, und lediglich in den zwei fragilen Sæverud-Miniaturen fehlte es ihm noch an Kontrolle über den Anschlag, Abstimmung der Akkorde in sich und zwingender Stringenz der Linien. In Griegs Liedern schwelgten beide Musiker miteinander in den reichen Ausdruckswelten, ohne diese zu überziehen.

Das Komponierzimmer Harald Sæveruds (Foto: Oliver Fraenzke, 2019)

Das Highlight und einer der wichtigsten Beweggründe für diese Reise war das am Abend stattfindende Konzert anlässlich Ketil Hvoslefs 80. Geburtstags (auch wenn dieser erst im Juli liegt). Am Vortag hörte ich bereits bei den Proben zu und sprach die restliche Zeit mit Ricardo Odriozola und Glenn Erik Haugland um Leben und Musik des Komponisten. Programmiert waren die Streichquartette Nr. 1 (1969) und 4 (2007; rev. 2017) [gespielt von: Ricardo Odriozola, Mara Haugen, Ilze Klava und Ragnhild Sannes], welches heute erstmalig aufgeführt wurde, das Trio für Sopran, Alt und Klavier (1974; rev. 1975) [Mari Galambos Grue, Anne Daugstad Wik und Einar Røttingen], Octopus Rex für acht Celli (2010) [John Ehde, Finlay Hare, Markus Eriksen, Tobias Olai Eide, Ragnhild Sannes, Marius Laberg, Carmen Bóveda, Milica Toskov] und das Konzert für Violine und Pop Band (1979) [Ricardo Odriozola, Einar Røttingen, Håkon Sjøvik Olsen, Benjamin Kallestein, Peter Dybvig Søreide, Thomas Linke Lossius und Sigurd Steinkopf]. Ketil Hvoslef wurde 1939 in Bergen geboren und wuchs in Siljustøl in Frieden und Harmonie auf; anfangs wollte er Maler werden, gab diesen Traum allerdings auf, als sein Lehrer ihm vorwarf, zu wenig Aussage zu vermitteln. Seine Laufbahn als Komponist beschritt er eher durch Zufall, indem er, nur für sich selbst, ein kleines Klavier-Concertino schrieb. Als dies sein Vater Harald Sæverud bemerkte, übertrug er ihm sogleich einen Auftrag für ein Bläserquintett, zu welchem er keine Zeit hatte – oder keine Lust. Als Ketil sich dazu entschied, sich dem Komponieren zu verschreiben, nahm er den Namen seiner Mutter an, um nicht zwei Sæveruds als Komponisten zu haben und diese immer zu verwechseln. Vater und Sohn unterscheiden sich deutlich in ihrer Musik, nicht nur in den präferierten Genres (Sæverud verehrte die Symphonie und eher klassische Besetzungen, Hvoslef schreib nicht eine Symphonie und widmete sich ungewöhnlichen Instrumentalkombinationen), sondern auch musikalisch: Sæveruds Inspiration lag bei Mozart und den Klassikern sowie in der Natur, die er regelmäßig in Töne bannte; Hvoslefs Zugang ist abstrakter, er nennt beispielsweise Strawinsky als Idol und bringt immer ein technisch-mechanisches Element in seine Werke. Die Musik Hvoslefs lebt von Kontrasten und unerwarteten Überraschungen: Nur selten finden wir eine Melodielinie oktaviert in gleicher Dynamik und Ausdrucksweise, viel eher trennt sie eine kleine Non, eine Stimme ist laut und eine leise, eine gebunden und eine abgesetzt. Es gibt Platz für Lyrik und Sinnlichkeit, aber sie wird schnell unterminiert von anderen Elementen, plötzlich ad absurdum getrieben oder direkt von Anfang an immer wieder gestört. Das Material reduziert Hvoslef so weit wie möglich, er beschränkt sich in jeder Hinsicht auf das Wesentliche und sieht eben darin den Reiz. Dabei funktionieren seine neuartigen Formen jedes Mal aufs Neue. Als ich ihn danach fragte, wie er denn eine Form schaffe beim Komponieren, antwortete er: „Ich denke nicht an Form. Ich schreibe ein Thema, und das Thema gibt dann vor, wie es weitergehen muss.“ Hier findet sich eine Ähnlichkeit zu seinem Vater: Beide sehen das Thema als Knospe, aus der dann eine Pflanze erwächst. Ist die Knospe eine Sonnenblume, so muss auch eine Sonnenblume daraus sprießen, wobei jede Blume natürlich anders aussieht; aus einem Ahornkeim gedeiht ein Ahorn. Hier liegt der Instinkt des Komponisten. Tatsächlich kann man Hvoslefs Kompositionsprozess als Gegenteil jedes Akademismus‘ bezeichnen, dieser scheint ihm teils gar zuwider zu sein – was nicht bedeutet, dass er nicht hoch intelligent und zutiefst reflektiert arbeitet. Ein Gespür besitzt Hvoslef auch dafür, wie lange er einen Gedanken verfolgen kann, ohne dass er öde wird, ohne dass etwas Neues kommen muss. Er strapaziert die Idee so lange wie möglich, dann erst verwirft er sie; oder er unterbricht sie vorzeitig für einen vollkommen anderen Einfall, dem er sich gerade widmen will. Auch hier finden wir eine Gemeinsamkeit zu seinem Vater: Beide lassen sich gerne einnehmen von einem interessanten Detail und fokussieren dieses für eine gewisse Zeit, wobei sie alles andere vergessen. Beim Vater geschieht dies in seiner Musik durch plötzliche Einwürfe, die das Stück unterbrechen, ohne einen Grund dafür zu haben und ohne noch einmal wiederzukehren. Hvoslef bindet sie teils mehr in den formalen Verlauf ein, bleibt aber ebenso fasziniert von ihnen. In den Proben achtete er hauptsächlich darauf, dass die Partitur genauestens und vor allem deutlich eingehalten wird; er notiert äußerst präzise und besteht dann auch auf das, was dort geschrieben steht.

Die Werkeinführungen gestaltete der Komponist bei seinem Ehrenkonzert selbst. Zum 1. Streichquartett sagte er, sein damaliger Lehrer bat ihn, nie wieder so zu komponieren wie bisher, und als Trotzreaktion schuf er, während er fror (erneut solch ein Detail, dass nur durch die Absurdität so viel Beachtung findet), dieses konturlose und zutiefst komplexe Werk voller Effekt und beinahe komischer Abstraktheit. Das Trio für zwei Sängerinnen und Klavier bedient sich keiner existierenden Sprache – ich hörte es heute zum ersten Mal auf war hingerissen von den sanften Reibungen zwischen den Stimmen und der dynamischen Bandbreite, die Hvoslef hier entfaltet. Man kann diese Musik nicht entspannt hören, sondern horcht immer auf, gespannt, was als Nächstes kommt. Octopus Rex für acht Celli (der Titel wurde entliehen von Strawinskys Oper Oedipus Rex) verfolgt den Gedanken einer einzigen Kreatur mit acht Armen, die zwar an sich flexibel ein Eigenleben führen können, doch aber als Einheit zusammengehalten werden. Hvoslef lässt die Celli teils alle die gleichen Melodien von acht unterschiedlichen Starttönen aus spielen, teils spaltet er sie auf in zwei bis drei Gruppen, die vollkommen verschiedene und scheinbar unabhängige Ideen spielen, aber doch irgendwie in Kontext miteinander stehen. Erst im allerletzten Ton vereinen sich alle acht Tentakelarme auf die Schlussnote D. Nach der Pause folgt die Uraufführung des vierten Streichquartetts, dem der Komponist noch einen Tag zuvor zwei kleine Revisionen mitgab; herbe Kontraste durchziehen das Quartett und die Pausen erhalten großen Stellenwert, dynamisch teilen sich die Musiker oft in zwei Gruppen ein, von denen eine Pianissimo und eine Fortissimo spielt, während sie völlig anderes Material gegeneinander aufbringen. Die Keimzelle ist ein betonter Rhythmus auf die Noten f“ und g“: Sowohl die rhythmische Figur als auch der Doppelton gestalten die gesamte Form des einsätzigen Quartetts. Als letzten Programmpunkt hören wir das Konzert für Violine und Popband, welches als Auftragsstück auf einem Rockfestival uraufgeführt wurde und damals mehr als fehl am Platz wirkte. Auch heute lässt das Werk durch die skurrile Besetzung aufmerken, dabei gehört es musikalisch gesehen zu den klassischsten und gradlinigsten Werken Hvoslefs. Der Komponist beruft sich auf mehrere „Patterns“ die immer und immer wiederkehren, dabei allerdings die Taktstruktur immer wieder auf die Probe stellen, da sie meist aus 7 oder 13 Achtelnoten bestehen – und dies bei klarem Viervierteltakt. Eine Dreitonfigur mit chromatischer Fortführung bildet den Ausgangspunkt und beinahe jedes Motiv lässt sich auf diesen zurückführen – teils ganz deutlich, teils unmerklich (wie das Blatt schwer auf den Stamm schließen lässt, obwohl es klar dazugehört). Ursprünglich wurde das Konzert für Trond Sæverud geschrieben, den Sohn Ketil Hvoslefs, heute spielt Ricardo Odriozola den Solopart, doch wie Trond nahm auch er sich verschiedene Musiker aus der Klassik- und Jazz/Pop/Rock-Szene für seine „Band“. Das Violinkonzert wurde tontechnisch vollständig abgenommen und in den Raum projiziert, was ebenso gewissen Rockflair verlieh und jedes Instrument zur Geltung brachte. Im Grunde genommen spielt nämlich jeder ein Solo in diesem Konzert für nur sieben Musiker, weshalb ich es sogar eher als Concerto Grosso betiteln würde. Den ganzen Abend über spielten die beteiligten Musiker, 19 an der Zahl, durchgehend auf höchstem Niveau. Ricardo Odziozola und Einar Røttingen leiteten die einzelnen Stücke jeweils an und setzten Hvoslefs Partituren minutiös um, ohne dabei das lebendige Musizieren zu vernachlässigen. Alles wirkte frisch, spannend und neuartig, dabei trotz (für ein Konzert mit ausschließlich zeitgenössischer Musik erstaunlich) großem Publikum intim und familiär. In Hvoslefs Kammermusik geht es derartig stark um das Miteinander, dass den Einzelnen herauszupicken und zu betrachten keinen Gewinn bringen würde: Und die Gemeinschaft war phänomenal bei den anwesenden Musikern, die so präzise hörten und interagierten.

Am nächsten Tag ging mein Flieger bereits in der Früh: doch zuvor blieb die ganze Nacht hell, da sich die Sonne nach einigen verregneten Tagen endlich blicken ließ. Und so konnte ich noch einmal die Beschaulichkeit von Bergen genießen mit seinen vielen Holzhäusern, Grünanlagen, historischen Gebäuden und den zahlreichen Musikbühnen, die für die Festspiele aufgestellt wurden.

[Oliver Fraenzke, Mai-Juni 2019]

Ricardo Odriozola: Introducing a young master

The following guest contribution was written by the Spanish-Norwegian violinist, composer and conductor Ricardo Odriozola:

I would like to introduce you to a major young composition talent from Norway. Before that, however, allow me to introduce myself. I am a violinist and sometime violist, composer and conductor. The last 31 and half years I have worked as a violin and chamber music teacher at the Grieg Academy in Bergen, Norway. I have also recorded very many CDs, mostly of contemporary (or Twentieth Century) music but also more standard repertoire, such as J.S. Bach’s sonatas and partitas for solo violin or (not quite so standard, but accessible, nevertheless) violin music by Ole Bull. You can check these out here.

Although I have a deep respect and interest for the violinist’s craft (which, as a frequent performer on that instrument, is essential) my heart has always beaten the fastest for those who create or channel music: composers, songwriters, improvisers …

In the past three and a half decades I have been exceptionally fortunate to be able to work with many remarkable composers, mostly in Norway, but also in Denmark, England and the United States. In 2017 I released a book about five of them. It is called “Opus Perseverat” and can be purchased through Musik Produktion Hoeflich. The same edition has given me the opportunity (since May 2016) to publish the score and parts of a Norwegian work once a month. All of the above means that, although a great amount of work remains to be done on behalf of all the composers represented in the book and the monthly publications, there is at least a sense of momentum: some work is being done for them, and their music is gradually becoming available in beautiful editions.

Getting started in the music world is very hard and even more so if one happens to be a composer. With so much music available, why should one devote one’s precious time and attention to listening to new music by unknown young composers?

The question cannot be answered with a single sentence.

However, I can say the following: as a very self-centred young man with his head in the clouds I was given enormous encouragement and support by many older and wiser people. When I eventually grew up sufficiently to see the world around me with a degree of objectivity, I decided that, given the chance, I would do my best to provide the same level of support to those younger than me who came within my sphere. Fortunately, there have been many such people in the past thirty odd years.

In the academic year 2016-2017 fate landed me with the privilege of tutoring an exceptional talent. She was then a Master student of composition at the Grieg Academy, and her name is Trine Franksdatter.

Some biographical details

Trine Fransdatter was born in Lørenskog on September 26th 1990. On the very same day, some twenty kilometres to the East, the great Norwegian composer Harald Sæverud was having his last composition premiered in Oslo. Trine grew up in a farm near Drøbak (south of Oslo), the place she calls home.

She is number twelve in a flock of fourteen siblings (seven boys and seven girls) and grew up in an essentially Christian family; an uncommonly harmonious one, apparently: they have always, and do still get on really well among themselves. Trine started writing her own music very early on but it was only when she began attending the distinguished Toneheim music Folk High School in Hamar (some 130 km. north of Oslo) that she began to compose seriously. Gaining access to notation software made it easier to produce musical material that could be readily handed over to friends. In a family the size of hers, sharing had become second nature for Trine. Being able to give her music to other people was, in her view, her contribution to making the world a little bit better. For, Trine Franksdatter has never been attracted to the „enfant terrible“ role. [In our first supervising session at the Grieg Academy (a year before I became her composition tutor) I asked her (apologizing for the inherent silliness of the question): „what kind of music do you write?“. „Beautiful and melodious“, she replied. There was not a hint of conceit in her answer. She simply has a firm conviction that what she wants to deliver to the world she is in has to be edifying and beautiful.]

Eventually she felt that, in order to get a robust composer’s education in Norway (without going too far afield), she had to try to get into the Norwegian Music Academy in Oslo. She applied there for the bachelor program in 2010 but was turned down. Undeterred, she enrolled in the private Staffeldtsgate Music School for a year. It proved to be a pivotal year in her development. She was one of only four classical musicians there, and the only composer. At Staffeldtsgate she started a choir that eventually became the excellent female vocal quintet Franksdatter Vokalensemble (earlier called Staffeldtsgate Vokalensemble) that concentrates exclusively on singing Trine’s music. You can hear them here.

In 2011 she applied again to the Norwegian Music Academy. Wiser from her experience the previous year, she now delivered a bizarre electronic music composition as hear audition piece.

She was accepted.

Her experience there was mixed. There was great camaraderie and mutual respect among her composer classmates. The teaching staff was a different story. By and large, the favoured style among the latter was the so-called „avant-garde“ aesthetic, rooted in post World War 2 Darmstadt ideals and strongly coloured by the French spectral school. In other words, what in Norway is so eloquently referred to as „pling-plong“. A lot of the course work consisted of analyzing works in that style, which bored our young composer to distraction. Having never intended to rebel, she now began doing so (out of dejection, rather than from any wish to make a point) by spending a lot of time in her classes doodling or sleeping. This eventually infuriated one of the teachers, who told her she had no business being at that school and that she should quit. Shaken by this confrontation, she in fact contemplated quitting half way through her studies. However, after a summer of turmoil she returned to the academy, stronger in her purpose, and embarked on the composition of what would become her graduation piece, a substantial music theatre work called „Koydon“. It is one of her greatest achievements to date, and an excellent work on many levels.

In 2015 Trine decided to pursue her Master degree at the Grieg Academy in Bergen. Her timing was, ostensibly, not the most auspicious. The Academy’s long standing and much loved composition teacher Morten Eide Pedersen had died suddenly the previous fall, leaving the department in the hands of substitutes. Although these were highly qualified, the stability that Pedersen had built over 18 years was proving difficult to maintain.

I was Trine’s supervisor for the required written assignments of her study. In time she began showing me some of the music she was working on. We seemed to hit it off and she was happy with the feedback I was giving her. She took the unprecedented step of applying for permission to have me, the academy’s violin associate professor, as her composition instructor for her entire second year. [The previous year, after the untimely passing of M.E. Pedersen, I had helped another very gifted composer for a few months. but that is another, very pleasant story]. Her wish was granted and, for me, this resulted in one of the happiest years I have had at work.

Trine is a hard, conscientious worker. She sets herself very ambitious goals and delivers on every level.

For her Master study she decided to create another big piece of music theatre. It was going to be about God (I did mention she is ambitious!). Well … that is the quick way to describe it. She called it „The mirror: a music theatre about the First Cause“. I was privileged to witness the birth of this work, from its first sketches and extra musical ideas through to its completion. I got to conduct its premiere at two performances given in Bergen in early May 2017.

For the past year and a half Trine Franksdatter has been working at a number of part-time teaching jobs and has recently signed a contract with the Norwegian music publishing house Cantando.

At the venerable age of 28, this is the extent of her outer biography so far. For her inner biography I need to refer to her music.

Trine Franksdatter’s music: reinventing the wheel

Not (I hasten to claim) a negative notion at all! Quite the contrary: all great artists (as well as spiritual leaders) have, through the ages, made us aware of what we, deep inside, already knew, but always in delightfully new and original ways that stem from their innermost being. Trine Franksdatter’s music does not set out to teach us anything. It does not purport to have found the Holy Grail. It neither is narcissistic nor does it intend to proselytize. It is simply a superbly crafted representation of her view of the world. Even when she deals with serious matters, she can seldom avoid laughing at herself through the music she writes. And hers is a music that, more than merely occasionally, is touched by the divine spark.

A glance into Trine’s website reveals 85 titles to her credit (with two or three omissions). They are in varied formats, but vocal music (songs and a capella works) constitute a high percentage of her production. As you will see, there is also a small number of chamber works, some music for film, electronic pieces, music for solo piano and some occasional music, such as music for weddings that often embraces folk and pop styles with remarkable abandon. Not to forget two substantial pieces of music theatre, a mass, a work for wind ensemble and a three children’s operas (one of them written in cooperation with other composers).

The pieces I am going to comment on can be heard on Franksdatter’s soundcloud page (unless otherwise stated):

I will discuss a few of Franksdatter’s works in no particular order.

ORDET (“The Word” – 2013)

This thoroughly wonderful work was my introduction to Trine Frankdatter’s music. I got to know it through her webpage and I liked it so much that I decided to perform it. Thanks to Trine’s enterprising talent, a concert of her music was scheduled in the Bergen Sacred Music autumn festival in 2015, with Ordet as the centrepiece. We recorded it the next day.

„Kyrie“ presents the majority of the elements that will play out throughout the work: a juxtaposition of inward and outward expressions, a sense of quiet devotion and a frequent use of what the composer calls „sacral clusters“, i.e. pan-diatonic harmonies that include many of the tones of the diatonic scale simultaneously. These create a feeling of hovering tonality, where the tones circle around a centre but are unaffected by gravity.

There are many instrumental commentaries. Sometimes they are interspersed in between sections of the liturgical text, but the work also contains three interludes that act as links between the movements. The first one flows seamlessly from the Kyrie and sets the stage for the joyful and extrovert „Gloria“. The second intermezzo is the more introspective of the three and prepares for the wide-encompassing „Credo“. In this movement there are elements of medieval organum and a subtle use of dissonance during the ‚Crucifixus‘ section. The ‚Et in Spiritum Sanctum‘ section is one of the loveliest and more inwardly ecstatic moments in the piece. The movement ends on a single, unaccompanied note.  

The third intermezzo is good-natured and warm in character, spiced by teasing mordents played by the oboe. This acts as an earthier kind of relief after the spiritual calm of the Credo and does not at all prepare the listener for what is the one truly unsettling moment in the piece: the „Sanctus“ movement. The music seems keenly aware that it is addressing a higher power of unfathomable greatness. Subtle dissonance reappears and the music grows to almost unbearable intensity, before suddenly returning to its opening sombre mood, as if a giant bubble has been burst. After several very earnest minutes, the music attempts to break into dance before finally bursting into an intoxicatingly joyful song of praise.

The quietly contemplative a capella „Benedictus“ follows, giving way to the final and longest movement, „Agnus Dei“. This movement opens in a desolate mood before a short instrumental passage leads the music into a more serene realm where the Kyrie theme makes a reappearance. Seemingly out of nowhere the final theme of work emerges, an achingly beautiful and deeply mournful melody in G minor that sweeps everything before it. The music of this movement seems to probe deeply into its own raison d’ètre, ultimately providing a remarkably fulfilling conclusion to the entire work.

Ordet is, arguably, the first example of Franksdatter’s imaginative use of instrumental colour, which she would further develop in subsequent works.

You can purchase an excellent recording of Ordet (made in 2016) from iTunes.

An earlier live performance can be accessed from the aforementioned soundcloud.

While Ordet shows Franksdatter at her best in combining voices and instruments, a capella writing has always been the medium in which her natural feeling for melody, harmony and musical flow shines most brightly. Nowhere is this more evident than in the delicate setting for female voices of Camilla Collett’s beautiful poem I haven da Marie Kaltenborn var død (In the garden when Marie Kaltenborn died – 2014). The music captures perfectly the dignified wistfulness of this elegy that looks backwards with affection and forwards with courage.

Sancta Maria (2009, written for the composer’s vocal quintet) is another consummate miniature, perfectly balanced in form and texture, overtly sacral and devotional in character and wholly satisfying in its brevity.

KOYDON (the legend of the ocean people) (2014)

An ambitious piece of music theatre, lasting around 75 minutes. Although written in 2014, the idea had been around in its composer’s mind for some time. The ocean people (a community that, originating from the earth, moved underwater at a time remote from the piece’s time frame) love to sing and dance and are very aware of the beauty of their bodies. And, of course, they speak their own language. Trine enlisted the services of Linn Iren Sjånes Rødvand, a brilliant linguist (as well as a member of the Franksdatter Vocal Ensemble) in order to develop the language of the people of Koydon, which is called Omakoy. In the story, Elohim (a God-like figure) is the sole inhabitant of „The Land“, a piece of earth that was once the abode of the ocean people (before they decided to leave). Elohim, weary of his loneliness, decides to visit his old people. Naturally, conflict arises. He is barely remembered through ancient songs and, at best, as a legend. The people of Koydon consider their visitor as an impostor and a nuisance, finally throwing him out violently.

The music is, generally, melodious and harmonically elaborate in Elohim’s interventions, while the music of the ocean people tends to be invigoratingly rhythmical and harmonically static. Some of the work’s more memorable themes have a definitely filmic flair. Makadia (a young girl who has just made her rite of passage into womanhood – and the only Koydon denizen to give Elohim the benefit of the doubt) is portrayed and accompanied by very lively and rhythmically intricate music. A few short, tense passages in the work border on atonality.

Koydon works remarkably well as a whole. There is enough recurring material to hold the piece together for the listener and it contains moments of genuine beauty. You can watch Koydon (which, on this video, is billed as a musical) here.

The use of a full orchestra gave the composer the opportunity to further develop her imagination in the use of tone colours. This horn of plenty was starkly absent from her next music theatre project, on which she embarked directly after Koydon: a children’s opera in German, in which the „orchestra“ consisted of a single saxophone player. Judging from the short video available to watch on the Internet, Franksdatter managed to get maximum results out of such constraining premises, and it appears to be a very amusing show that leads the audience through several physical locations. It is called Das Schlossgespenst und der Bergtroll, and you can watch excerpts of it here.

In Dance of Abundance (2014) Franksdatter gives ample expression to a quality common to a lot of her music: a wide-eyed sense of wonder at the beauty of the world. Even in this short piano quintet composition, the music communicates, without any text, devotion and deference (to nature, to higher powers…?). The first half of the piece has the enchanted air of the outdoors. Its contemplative music gives way to the dance proper, luscious in texture (we are dealing with abundance, after all) and largely based on a ground. After a short flashback to the introduction, the dance turns into song before returning to its infectious triple metre. For the brief ending, the music returns again to the contemplative atmosphere of the beginning. We are left wanting more, or rather, wondering „what happens next“ (arguably a desirable quality for any piece of art).

We get a very similar impression (albeit in an even more meditative atmosphere) from Hellige Øyeblikk (Sacred Moments – 2011), a sonic collage consisting of a thoroughly improvised piano part (entirely on the white keys, except for a single F sharp in the highest register) accompanied by diverse sounds from nature (birds, water, a breeze, a child’s laughter…) and a discreet background vocalise. Literally, a piece-of-music (and a very beautiful one at that).

Childlike innocence spills over to the title of another atmospheric piece, Such a happy place, Geez! (2012), the result of playful experimentation in the recording studio. A folk-inflected voice intones a mellifluous melody in the Lydian mode on top of warm keyboard pads. It has a strong Scandinavia-meets-the-Middle-East vibe to it. This brief piece ends with a small, unassuming but effective and lively dance that elicits the smile towards which the title hints.

Some of the same balmy Oriental Night ambience can be felt at either end of the solo piano piece Flukt (Escape- 2009). This is an effective piece of mood-painting that gains momentum (as it simultaneously sheds its subtlety) towards the middle (the „escape“ part?), regaining its composure at the end.

Humour often lurks behind Franksdatter’s music and in some cases it comes to the fore and takes centre stage. This is most obvious in the uproariously funny and cheerful Gåsekrek i mannejakten (the goose rascal in the man hunt – 2016). On the score cover we see a drawing of what looks like a rather inebriated goose and, overleaf, a fully clothed female skeleton sits on a bench covered in spider webs. The caption reads „waiting for the perfect man“.

Written for wind band, Gåsekrek… is a feast of rhythm, colour and good fun. In the first two minutes and 15 seconds of the piece, the composer takes her language to the outer fringes of tonality and throws short comical motifs across the ensemble, all in the service of the silliness represented by the mischievous goose. We are not to know how the daft avian creature managed to get itself mixed in a woman’s hunt for a perfect man, but it certainly creates a lot of havoc. The central part of the piece is an infectiously merry dance, based on a song called „Man hunt“ (which, however, does not appear in the composer’s work list). It has a lyrical theme and goes through some genuinely tender moments, before the goose re-enters the stage and manages to sabotage all sense of order created by the previous music. I challenge anyone to listen to this piece without a happy smile upon his or her face.

[Note: since the writing of this article the live recording of this work has been taken down from the composer’s soundcloud for legal reasons. If you wish to hear the work, please contact the composer, provided that you will under no circumstance share the file publicly]

SPEILET (The mirror – 2015-16) is, as I mentioned above, a very ambitious piece of music theatre, for which Franskdatter prepared extensively with characteristic zeal and meticulousness before even writing a single note.

The story, in short: a young girl who is deeply dissatisfied with herself and her life finds herself in her bedroom having a conversation with her physical body. To make matters even more interesting, her spirit shows up and invites her to take a journey with her, leaving her physical body behind. The spirit introduces the girl’s soul to five different representations of God, in proper Biblical order: the Inventor (or creator: a hopelessly enthusiastic male character full of excitement at all the things he manages to create), the Judge (a stern and dogmatic lady who claims everything is preordained), the King (whom the girl is only allowed to hear, and who tells her that she is a miracle and that she was known and loved before she incarnated), the Prophet (played by the same singer as the Judge: a lovesick prima Donna type whose lover is unfaithful to her) and the Man (a Jesus type, played by the same singer as the Inventor, and the one who ultimately heals the girl and helps her to see herself the way he sees her). Every time the spirit leads the girl’s soul to meet a new manifestation of God they go through a mirror. At the end, it is in the mirror that the girl is able to see herself as “The Man” sees her. The work itself is constructed as a mirror of sorts, with the symmetry of the singing roles and the music of the spirit, which appears before the first deity and after the last. The work begins and ends in the girl’s bedroom.

I will not describe the music, which goes through many styles, moods and textures. Will only state that it is thoroughly delightful and, often, deeply moving. It portrays the personalities of each of the God representations, and that of the girl’s spirit with extraordinary insight. In one of the scenes the music even embraces something close to objective art, in the form of an angel choir.

Speilet is not only the latest work of substance that Franksdatter has produced to date; it is also the culmination of all the best traits her music has had on offer up to that point. And, I am confident in believeing, a stepping stone to further inspired works.

You can watch Speilet here:

                                            * * * * * * *    

I am wary of flinging around often misused words such ad „genius“ and „masterpiece“. „Genius“ is a realm that exists in actuality and is as real as the Grand Canyon or your vacuum cleaner. I would argue that anyone who has embarked on an artistic path has visited that realm at least once, usually very early in life. The event that inevitably follows such an early visit is a rapid fall back down to earth, landing on an object sharp enough to always remind us what it was like up there. We then spend the rest of our lives searching for it. Some find it from time to time and are graced with relatively extended stays. Others are able to remain there for most of the time. The latter are those who effect a positive and lasting change on the face of History. They are also, generally, difficult people to be around.

A masterpiece is, in short, a consummate work of art. A piece so coherent, so robust of constitution within its premises, that it can withstand the passage of time and remain impervious to criticism (or what passes for it, which is often little more than a fanciful expression of likes and dislikes).

I have not undertaken the writing of this article because I consider Trine Franksdatter to be a genius or because I believe she has written numerous masterpieces. I will, however, suggest that she has, in fact, paid a fair number of visits to that realm, from which she has returned with some precious treasures that she has generously chosen to share with us. And I firmly believe that Ordet and Speilet (in particular, but not exclusively) – and, in the smaller format, Sancta Maria and I haven da Marie Kaltenborn var død – have the makings of a masterpiece.

The reason I have written this article is that Trine Franksdatter’s music has touched me deeply and it has enriched my life. Because I have great faith in her talent and a genuine respect and affection for her as a person, and I strongly feel that she has the mark of the master on her brow and that her best music is still to come. I, for one, look eagerly forward to hearing it.

And if you, dear reader, are looking to cooperate with a young composer who writes beautiful, highly imaginative and good-natured music; an artist with whom it is a joy to work; a disciplined and thoroughly ethical person who will deliver her work on time and with impeccable craft… then I suggest you contact Trine Franksdatter and give her further opportunities to reinvent the musical wheel and make the world a bit more beautiful. I assure you will be very glad you did!

[Ricardo Odriozola, 2019]

Von Beethoven bis Bierflaschen

Lawo, LWC1130; EAN: 7 090020 181523

Ketil Hvoslef: Chamber Works No. IV; Ricardo Odriozola, Māra Šmiukše (Violin), Einar Røttingen (Klavier), Ilze Klava (Viola), John Ehde (Cello), Steinar Hannevold (Oboe), James Lassen (Fagott), Britt Pernille Lindvik (Trompete), Håvard Sannes (Posaune), Håkon Nilsen (Klarinette)

Die vierte der insgesamt neun CDs mit Kammermusik des norwegischen Komponisten Ketil Hvoslef ist erschienen: Sie enthält das frühe Sextett, das Beethoventrio, das Klavierquintett und den Nordischen Kontrapunkt für Fiedeln und Bierflaschen.

Seine Eigenständigkeit und persönliche Aussage sowie sein instinktives Gespür für Form machen Ketil Hvoslef zu einem der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. 1939 wurde er als jüngster Sohn des großen Symphonikers Harals Sæverud geboren, dessen Ruf zwar kaum die Grenzen Norwegens überschreitet, aber dessen Werke doch von Musikern wie Leopold Stokowski oder Jan Henrik Kayser geschätzt, gespielt und aufgenommen wurden. Als Ketil nach Anfängen als Maler entschloss, sich doch der Musik zuzuwenden, nahm er den Namen seiner Mutter Marie Hvoslef an. Doch woher kam der Entschluss, sich von der bildenden Kunst abzuwenden? Es war das Urteil seines Lehrers, das Hvoslef zu diesem Bruch trieb: es gebe keine eigene Aussage in seinem Werk. Und vielleicht gab dies auch Anstoß zu einer nie endenden Suche nach dem „Eigenen“ in seiner Musik: Hvoslef schwört allen Konventionen ab, hat sich nie den Avantgardisten angeschlossen, den Postavantgardisten, Spektralisten, Minimalisten oder sonst einer Stilgruppe. Stattdessen schreibt er Musik, wie sie in ihm aufkommt und sich in ihm entwickelt.

Die Musik von Ketil Hvoslef entwickelt sich frei und organisch, überrascht den Hörer immer wieder und spielt mit Erwartungen. Der Norweger liebt es, sich selbst Grenzen zu setzen und in seinen Möglichkeiten zu beschneiden, um dadurch einen stringenten Fluss zu fördern, der eben nicht durch eine unendliche Vielzahl an Ideen und Möglichkeiten seinen Lauf verliert. Einfachste Mittel genügen Ketil Hvoslef, um mit ihnen die Spannung aufrechtzuerhalten, ohne gekünstelte Manierismen oder Effekthascherei. Die Musik erregt den Hörer und bannt die Aufmerksamkeit, ein Zurücklehnen oder passives Hören hingegen verwehrt sie vollständig.

Das früheste Werk, das für die CD-Reihe eingespielt wurde, ist das Sextett, welches noch Bezüge zu Strawinsky aufweist und durch kontinuierliche Rhythmik und herbe Kontraste besticht. Dunkel und beinahe gruselig erscheint das Beethoventrio, wenngleich ein heiteres Thema aus Beethovens Trio op. 11 immer wieder dazwischenfunkt – wobei diese Ausgelassenheit durch den Kontext immer weiter in Frage gestellt wird. Der Nordische Kontrapunkt für Fiedeln und Bierflaschen wirkt wie ein humorvolles Intermezzo, und doch handelt es sich um seriöse Musik, die beweist, dass Ketil Hvoslef sogar aus Bierflaschen ein Melodieinstrument zaubern kann. Die Flaschen dienen nicht einem reinen Effekt, sondern geben tatsächlich einen Kontrapunkt zu den beiden Violinen und werden eher wie eine Panflöte behandelt. Das Hauptwerk dieser CD ist allerdings das Klavierquintett, welches Hvoslef dem Pianisten Einar Røttingen widmete, es für und mit ihm schrieb. Es besteht aus einem einzigen Satz, der mit einer Länge von 27 Minuten zu den längsten Kammermusiksätzen des Norwegers gehört. Thematisiert wird die Wechselwirkung zwischen einem Klavier und vier zusammengehörigen Streichern. Das Quintett ließe sich als Anti-Quintett bezeichnen, denn das Klavier ist weder virtuos, noch sticht es als Solist hervor: Hvoslef beschneidet seine Möglichkeiten, indem er nur die nötigsten Töne setzt und dabei aus wenigen nackten Noten den vollen Ausdruck schöpfen will. Das Klavier kämpft meist gegen die Streicher an, aber nimmt doch hin und wieder ihre Ideen und Klänge auf – nicht ohne sie in ganz anderes Licht zu rücken.

Wie auch der Komponist wohnen die meisten Musiker dieser Aufnahme in Bergen und kennen sich, musizieren entsprechen lange Zeit miteinander und mit Ketil Hvoslef. Wir hören ein Klangresultat aus jahrelanger Freundschaft, intensiver Arbeit und Verständnis für diese Art von Musik. Alles ist am rechten Platz, die Musiker spielen wie aus einem Atem heraus und können jedes noch so feine Detail umsetzen: Imponierend gestaltet sich das Finale des Klavierquintetts, welches aus einem sich langsam steigernden Crescendo und ebenso langsam abfallenden Decrescendo besteht, beide beinahe unrealisierbar lang. Doch es gelingt den Musikern, eine absolut konstante Dynamikschwellung zu verwirklichen! Andere Effekte wirken auf subtilerer, unterschwelligerer Ebene, wurden in gleicher Weise fein und bewusst umgesetzt. Hier hören wir eine absolut grandiose Leistung aller Beteiligten, wie sie ihresgleichen sucht.

[Oliver Fraenzke, September 2018]

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Bach, Spanien, Rock

Festspiele in Bergen: Grieghallen; Johann Sebastian Bach, Henry Purcell, Manuel Oltra, King Crimson; Ricardo Odriozola (Bratsche und Leiter), Griegakademiets kammerorkester

[Alle Rezensionen zu den Festspielen in Bergen im Überblick]

Im Foyer der Grieghalle hören wir am 26. Mai 2018 mittags um 12 Uhr das Kammerorchester der Griegakademie (Griegakademiets kammerorkester) unter Leitung des Violinprofessors Ricardo Odriozola. Umrahmt wird das Programm von Bach, mit dessen „Vor deinen Thron tret ich hiermit“ die Musiker einziehen und die Bühne auch wieder verlassen. Dazwischen gibt es die Fantasie Nr. 4 von Purcell, Manuel Oltras Suite per a flauta i orquestra de corda und ein Arrangement von King Crimsons FraKctured aus der Feder des Dirigenten.

Vielseitiger könnte ein Programm kaum sein: Von Bach und Purcell über einen spanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts bis hin zur Progressiv Rock Band King Crimson. Der in Norwegen lebende Spanier Ricardo Odriozola weiß, die Welten zu vereinen und zu einem Konzert zusammenzufügen. Er stellte ein Kammerorchester aus Studenten und Lehrkräften der Griegakademie zusammen und lud Gäste aus Schweden ein, um dieses Projekt zu verwirklichen.

Die Musik beginnt hinter der Bühne, zu einer auskomponierten Einleitung treten die Musiker auf die Bühne, aus einem meditativen Orgelton entwickelt sich nach und nach Bachs „Vor deinen Thron tret ich hiermit“, bis das Thema in vollem Glanz erstrahlt. In der Vielstimmigkeit von Bach und Purcell zeigt sich die Qualität der Studenten aus Bergen: Jede Linie besitzt Aussagekraft und mischt sich gleichwertig zu etwas größerem, übergeordnetem, zu einer musikalischen Gemeinschaft. Ricardo Odriozola leitet von den Mittelstimmen aus, wir hören ihn von der Bratsche koordinieren. Seine Wahl, in diesem Konzert die Bratsche und nicht die Geige zu spielen, erweist sich als Geniestreich, denn so werden die weichen, warmen Seiten betont. Für Manuel Oltra legt Odriozola sein Instrument beiseite und stellt sich an das Dirigentenpult. Die Suite besteht aus kurzen Stücken hochwertiger Unterhaltungsmusik, die künstlerischen Anspruch aufweisen und doch unbeschwert ins Ohr gehen. Beschwingt reißen sie den Hörer in ihren Bann, Optimismus erfüllt das tänzerische Spiel zwischen Flöte und Streichorchester. Ricardo Odriozola bearbeitete FraKctured von King Crimsom zu einem treibenden Streichorchesterstück: Es steht im 5/4-Takt und begeistert durch rhythmische Präsenz und Wildheit, wobei von der ersten bis zur letzten Note eine formale Geschlossenheit zu bemerken ist. King Crimson verbindet die Ungezügeltheit der Rockmusik mit einem Sinn für klassische Ausgewogenheit.

Das Talent der zu einem Großteil jungen Musiker ist überragend, alle verstehen sich ohne Worte alleine durch Gesten und sind in der Lage, aktiv zuzuhören. Sie schauen über den Tellerrand des Standard-Repertoires hinaus und finden sich auch in unbekannter Musik zurecht, nehmen sie ernst und begeistern sich für sie. Die Leidenschaft zur Musik wird hier nicht für technische Perfektion geopfert, sondern steht im Einklang mit ihr. Odriozola reiht die einzelnen Stücke nicht bloß aneinander, sondern gestaltet sie in einem dramaturgischen Bogen, wodurch das Konzert ein ganzheitliches Erlebnis wird.
[Oliver Fraenzke, Mai 2018]

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     King Crimson: The ConstruKction Of Light (jpc)

Grandiose Kammermusik

Lawo, LW 1066 & 1081; EAN: 7 090020 180694 & 7 090020 180939

Das gesamte Kammermusikwerk des norwegischen Komponisten Ketil Hvoslef wird derzeit für Lawo eingespielt. Die ersten beiden CDs sind mittlerweile erschienen, auf ihnen sind zu hören: Erkejubel, Duo Due, Frammenti Di Roma (I-XI), Scheherazade Forteller Videre, Canis Lagopus, Duodu, Ludium for 7 flutes, Oktett für Flöten, Dano Tiore, Duo for accordions, Quartetto Percussivo.

Obgleich unbestreitbar einer der substanziellsten und eigenständigsten Komponisten unserer Zeit, ist der Name Ketil Hvoslef bisher fast nie in Konzerten oder Einspielungen außerhalb seines Heimatlandes zu hören. Der Norweger wurde 1939 als Sohn des großen Symphonikers Harald Sæverud (bekannt u.a. durch Kjempeviseslåtter oder seine neue Schauspielmusik zu Ibsens Peer Gynt, durch neun Symphonien, seine Instrumentalkonzerte oder brillanten Miniaturen für Klavier) geboren, nutzt als Künstler seit seinem 40. Lebensjahr den Nachnamen seiner Mutter, um nicht mit dem berühmten Vater verwechselt zu werden. Nicht eine einzige Symphonie komponierte Hvoslef bisher, dafür eine große Auswahl an verschiedenartigsten Instrumentalkonzerten (zum Teil für spannende Besetzung wie Violine und Pop-Band oder Flöte, Gitarre und Streicher) und noch weit mehr Kammermusik für die abenteuerlichsten Konstellationen. Diese soll nun für Lawo komplett erscheinen, die ersten beiden CDs sind bereits auf dem Markt.

Der Stil von Ketil Hvoslef ist unverkennbar sein eigener, er gehört keiner Schule an und auch von der Musik seines Vaters setzt er sich klar ab. Die Musik Hvoslefs zeichnet sich aus durch improvisatorisch freie Formen, die stets grenzenlose Inspiration versprühen und dabei trotz aller Freiheit bezwingend stringent sind, immer eine fesselnde Klangmagie entfalten, die schlichtes Material mit scharfen Dissonanzen und rhythmischen Finessen zu unerhörtem Zusammenwirken verbindet, sowie durch eine rücksichtslose Obsessivität, die restlos ausgereizt wird, ohne je ihre Spannung und ihren Zauber zu verlieren oder gar ins Monotone, Redundante umzuschlagen. Dabei hat jedes Stück seinen unverwechselbar persönlichen Charakter, nicht zuletzt indem Hvoslef nur selten die gleiche Instrumentation in zwei Stücken verwendet, und er kann mit absolut jeder nur erdenklichen Besetzung spielerisch umgehen, ohne an Gewandtheit einzubüßen oder nur ein einziges Mal banal zu werden.

Vier Duette finden sich auf den beiden CDs, darunter die beiden hinreißenden Streicherduette Duodu (Geige und Bratsche), welches eines seiner meistaufgeführten Werke ist und dessen Name sich von „du og du!“ (soviel wie „Oh mein Gott!“) ableitet, und Duo Due (zweites Duo) für Geige und Cello. Obwohl die Werke so unterschiedlichen Charakter haben, weisen sie doch beide die oben genannten Charakteristika auf und halten die Spannung von der ersten bis zur letzten Sekunde, ohne jemals abzufallen. Neben einem Duo für Akkordeons gibt es auch ein Duo für Geige und Harfe mit dem Titel Scheherazade forteller videre (Scheherazade weitererzählt), ein besonders interessantes Werk, das dort anknüpft, wo Rimsky-Korsakovs Scheherazade aufhört, und mit orientalischem Flair eine geradezu orchestrale Wirkung entfaltet, dabei immer wieder um kleine Motive kreisend, um die herum sich neue Geschichten entspinnen. Sehr bemerkenswert ist das Flöten-Oktett, welches (wie das Cover zeigt) ein achtbeiniges Wesen – wie einen Octopus – darstellt. Es ist faszinierend, welche Klänge der Besetzung für acht Flöten entlockt werden können, die einen dichten, beinahe an Ligeti gemahnenden Ton bis hin zur fast elektronisch wirkenden Clusterbildung erzeugen können, und wie sich die Flöten tatsächlich zu einem großen Lebewesen einen, das sich fühlend und windend vorwärts bewegt. Nicht weniger ein Highlight zeitgenössischer Kammermusik ist Dano Tiore für Sopran, Violine, Viola, Cello und Cembalo. Anstelle eines sinnigen Textes trägt die Sopranistin Fantasiewörter vor, die lediglich dem Ausdruck der Musik dienen und deren Wirkung intensivieren sollen – eine Rechnung, die frappant aufgeht. Schnelle rezitativische Passagen und geheimnisvolle Kantilenen wechseln sich ab, dem entsprechend stehen klangvolle Streichtrio-Passagen oder trockene Cembalo-Flächen als Begleitung zur Verfügung, die kontrastieren, aber auch sich mischen können. Jedes Werk – auch die hier nicht besonders gewürdigten – besitzt jedenfalls eine vollkommen eigene Persönlichkeit und gibt eine weitere Facette des unbändig kreativen Geists Hvoslefs preis.

Alle Musiker einzeln zu loben würde jeden Rahmen sprengen, so gern ich es tatsächlich machen würde. Doch agieren kurzum alle auf allerhöchstem Niveau und es gibt absolut nichts auszusetzen. Die Werke sind auf kongeniale Weise dargeboten – alles wurde unter Anwesenheit des Komponisten geprobt und eingespielt. Durchgehend ist die Essenz erfasst, die unmöglichsten Schwierigkeiten sind spielerisch gemeistert und alles befindet sich im kontinuierlichen Fluss, der die improvisatorische Leichtigkeit der Form trägt. Die Musiker wirken als Gemeinschaft zusammen und sind in jeder Besetzung in makelloser Synchronizität, in gemeinsamem musikalischen Atem aufeinander eingespielt. Die Musiker sind: Gary Peterson, Britt Pernille Lindvik, John-Arild Suther, Kjell Erik Husom, Einar Røttingen, Alexander Ulriksen, Ricardo Odriozola, John Ehde, Steinar Hannevold, Christian Stene, Per Hannevold, Marija Kadovič, Măra Šmiukše, Ilze Klava, Peter Palotai, Moa Bromander, Sofya Dudaeva, Cecilia Lind, Rebecca Lambrecht, Ingrid Søfteland Neset, Knut Magnus Bøen, Juana Gundersen, Gro Sandvik, Hilde Haraldsen Sveen, Jostein Stalheim, Kai Andre Hansen, Torleif Torgersen, Peter Kates und Manuel Hofstätter.

Die beiden vorliegenden CDs gehören zu den besten Kammermusikeinspielungen der letzten Jahre, sowohl von der künstlerischer Qualität her als auch hinsichtlich der Inspiration und handwerklichen Vollendung der Werke. Gespannt erwarten wir nun sieben weitere CDs!

[Oliver Fraenzke, November 2016]