Naxos, 8.573666; EAN: 7 47313 36667 5
Die beiden Klavierkonzerte in c-Moll op. 35 und in F-Dur Op. 102 von Schostakowitsch spielt Boris Giltburg gemeinsam mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter Vasily Petrenko, die Solo-Trompete im ersten Konzert übernimmt Rhys Owens. Des weiteren sind von Giltburg Arrangements des achten Streichquartetts c-Moll Op. 110 und des Walzers aus dem zweiten Quartett Op. 68 für Klavier solo zu hören.
Nach drei recht erfolgreichen Solo-Aufnahmen spielt Boris Giltburg nun mit einem Orchester. Da es erst vor kurzem eine Gesamtaufnahme aller Schostakowitsch-Symphonien abgeschlossen hat, ist das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter Vasily Petrenko geradezu prädestiniert, mit dem zum Star aufsteigenden Solisten die beiden Klavierkonzerte des russischen Meisters einzuspielen.
Im Vergleich zu der vorausgegangenen Rachmaninoff-Einspielung hat Boris Giltburg an Weichheit und Flexibilität gewonnen, das Forte ist wesentlich voluminöser. Und gerade die zarten und lyrischen Passagen konnte der in Moskau geborene Pianist nun für sich erschließen, tragfähige und zeitgleich zerbrechliche Kantilenen sind der Beweis. Trotz dessen erscheinen die Tempi gerade im ersten Konzert etwas sehr rasch. Jedoch verliert Giltburg durch extreme Willkür in oftmals unstimmigen Rubati den Fluss (plötzlich eilt die Musik davon, dann bleibt sie wieder stecken) und somit das kontinuierliche Precipitato-Feeling, das die Musik Schostakowitschs so mitreißend macht – wobei dieses in Ansätzen durchaus vorhanden wäre, aber eben nicht mit der charakteristischen Konstanz.
Das Orchester blüht vor allem im zweiten Klavierkonzert auf, das allgemein plastischer entsteht als das erste. Vasily Petrenko gibt seinem Klangkörper einen markanten, rhythmisch prägnanten Charakter, der ihm nicht aus dem Ruder läuft. Im zweiten Konzert gelingt Petrenko eine herrlich polyphone Gestaltung des Orchesterapparats, die Unterstimmen erhalten volles Mitspracherecht, ergeben somit eine vielschichtigere Färbung. Auch im ersten Konzert fasziniert allgemein eine plausible Linienführung, lediglich der langsame Satz verliert bei allen Beteiligten an Fokus und Richtung, verläuft sich in Richtungslosigkeit. Rhys Owens brilliert in der hohen Lage seines eigenwilligen Trompeten-Soloparts (welch eine Besetzung!), in der Tiefe sticht er durch einen rauh-blechernen Ton hervor, der einen ganz eigenen Charme besitzt.
In den Arrangements des achten Quartetts sowie des Walzers aus dem zweiten Quartett bleibt Giltburg dem Original verpflichtet, sowohl als Arrangeur wie auch als Pianist. Es klingt alles sehr nach der Streicherbesetzung, die er in einer Person zu ersetzen versucht. Auch wenn einige Passagen deutlich nach echtem Streicherklang verlangen, funktionieren die Arrangements erstaunlich gut und lassen die herrliche Kammermusik nun auch als Solomusik entstehen. Auch das Spiel Giltburgs wird hier auf einmal kammermusikalischer, das Tempo erhält Kontur und die Stimmen spielen polyphoner mit- und gegeneinander, das Gesamte erhält einen deutlicheren einheitlichen Bogen.
[Oliver Fraenzke, Dezember 2016]