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Peter Ruzicka überzeugt mit eigenen Werken

Foto © Astrid Ackermann

Peter Ruzicka, als langjähriger Intendant der Münchener Biennale tief mit der Stadt verbunden, hat sich am Dirigentenpult – auch auf CD – vor allem für die Werke Hans Werner Henzes eingesetzt. Anlässlich seines 70. Geburtstags gab es beim ersten Orchesterkonzert der neuen „musica viva“-Saison mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks am 5.10.2018 erstmals die Gelegenheit, einen kompletten Abend nur mit eigenen Werken des Multitalents Ruzicka zu hören, die einen Zeitraum von gut dreißig Jahren umspannten.

Das Konzert beginnt mit den Fünf Bruchstücken für großes Orchester von 1987, kaum 13 Minuten lang. Die fragmentarisch wirkenden Einzelsätze skizzieren dennoch die Idee eines symphonischen Ganzen. Ruzicka sagte in der Einführung, dass er die Partitur aufgrund des großen zeitlichen Abstands – er hatte die Bruchstücke seinerzeit selbst auf CD eingespielt – quasi neu lernen musste. Heute kann man dieses typisch „postmoderne“ Werk mit seinen zahlreichen Mahler-Allusionen ohne die damaligen, meist fruchtlosen Diskussionen viel unbefangener genießen. Neben den stark romantisch geprägten Ausdrucksmomenten aus dem Mahlerschen Fundus, die als musikalische „Zeichen“ ganz im Sinne Hans Werner Henzes sofort verständlich werden, etwa der die vorausgehenden Turbulenzen beruhigende Trompeteneinsatz am Ende des fünften Stückes, ist aber auch Ruzickas Beschäftigung mit dem großen, schwedischen Symphoniker Allan Pettersson und sogar mit Bruckner zu spüren – gerade in den tonalen Anklängen. Obwohl schlagtechnisch eher sparsam agierend, hat Ruzicka hier alles im Griff, gibt die entscheidenden, auch rein klanglichen Impulse mit großer Klarheit an das überaus aufmerksame BR-Symphonie-Orchester weiter.

Bei der Uraufführung von Loop stehen die beiden Trompeter, Sergei Nakariakov (auch Flügelhorn) und Giuliano Sommerhalder (Piccolotrompete), ganz im Zentrum. Sie spielen wenig gemeinsam, ergänzen sich vielmehr gegenseitig zu einem Instrument größeren Tonumfangs. Die dargebotene Virtuosität ist von Beginn an atemberaubend, soll in ihrer Übersteigerung gewissermaßen ausgestellt, damit aber auch entpersönlicht wirken. Bei den schnellen Abschnitten fungiert das Orchester eher nur als grundierende Klangfläche. In den erinnerungsartigen Passagen zeigt sich wieder Ruzickas eminente Begabung für expressive Melodik. Der Schluss mit Flügelhorn bringt unerwartete Wärme, fast ein wenig kitschig. Diese intelligent mit den Traditionen des Instrumentalkonzerts spielende, sie aber gleichzeitig aufbrechende Komposition ist nicht gerade leichte Kost – der Beifall für die Solisten aber verdientermaßen überwältigend.

… Inseln, randlos … ist eigentlich ein Violinkonzert, jedoch gibt es dazu noch einen 16-stimmigen Kammerchor (hier als Gäste das sich wunderbar einfügende Vocalconsort Berlin), der zu Beginn nur recht sphärische Vokalisen singt, im Zentrum dann aber ein eindringliches, sehr kurzes Gedicht von Paul Celan intoniert. Der Dichter steht nicht nur im Zentrum von Ruzickas erster, gleichnamiger Oper, sondern hat den Komponisten immer schon tief berührt. Am stärksten wirken hier Abschnitte, die eher reduziert sind, etwa nach dem Gedicht mit Solovioline, Harfe und Celesta. Über Strecken gibt es ein für die 1990er-Jahre nicht unübliches Versteckspiel zwischen der Solistin und dem Orchester, in dem die Violine manchmal gewollt untergeht, aber dann – meist durch wahre Kraftakte in der höchsten Lage – wieder Oberwasser bekommt. Leider deckt hier der Dirigent Ruzicka die überragende Carolin Widmann auch an Stellen gnadenlos zu, wo dies offensichtlich nicht intendiert ist. Widmanns großartiges Flageolettspiel erinnert an Anne Sophie Mutter – und die gegen Schluss „rettenden“ Oktaven kommen mit völliger Überzeugung. Die Solistin ist wirklich „drin“ in diesem außergewöhnlichen Werk – absolut beeindruckend.

Mit Flucht – Sechs Passagen für Orchester (2014) endet das mit Bedacht so richtig gewählte Programm; denn hier schließt sich in vielerlei Hinsicht ein Kreis, knüpfen die attacca ineinander übergehenden Stücke an die Bruchstücke an. Ruzicka wollte einen speziellen Tonfall für sein aktuelles Musiktheater über Walter Benjamin finden, hat die Passagen später teilweise als Zwischenspiele in die Oper integriert. Ausdrucksmäßig wird eine überaus breite Palette abgedeckt: Man findet grandiose Steigerungen, neben brutalen Momenten, die plötzlich abbrechen, Streicherschönheit; wie schon im Violinkonzert einen fast Brucknerschen Choral, Kontemplatives neben sich enorm verdichtender Konzentriertheit. Ruzicka verdient höchste Bewunderung dafür, dass er in seiner Instrumentationskunst – immer schon äußerst differenziert – nun eine Reife erlangt hat wie kaum jemand seiner Generation. Das BR-Symphonieorchester kann hier aus dem Vollen schöpfen, und auch beim Publikum hinterlässt dieses zudem unglaublich fassliche Werk den tiefsten Eindruck; der Applaus ist entsprechend. Hoffentlich hat der umtriebige Peter Ruzicka weiterhin genügend Zeit zum Komponieren.

  [Martin Blaumeiser, Oktober 2018]