Kammerphilharmonie dacapo München; Konzert am 30. September 2018: Junge Solisten
Du holde Kunst, in wieviel grauen Stunden, wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt, hast du mein Herz zu warmer Lieb‘ entzunden, hast mich in eine bess’re Welt entrückt! (Franz Schubert op. 88 No.4 / Text Franz Schober) „An die Musik“
Wenn man die Welt von heute so betrachtet, wahrhaft ein wilder umstrickender Kreis, es ist zum Verzweifeln, wohin man auch schaut.
Und dann kommen im vollbesetzten Festsaal des Künstlerhauses an einem Sonntag Abend Menschen, um das erste Konzert der neuen Saison zu hören. Ein Konzert mit drei jungen Solistinnen und Solisten unter der Ägide der Münchner Kammerphilharmonie dacapo mit Franz Schottky als Leiter. Es wird ein denkwürdiger Auftakt zu einer neuen Spielzeit des vor 18 Jahren gegründeten Orchesters.
Den Beginn macht die Ouvertüre „Il Signor Bruschino“ von Gioachino Rossini. Besser kann ein Konzert kaum beginnen als mit dieser immer wieder aufs Neue faszinierenden Musik, die so leicht daher kommt und doch so tief geht.
Natürlich begrüßt Franz Schottky zu Beginn das Publikum mit einer seiner kurzen Ansprachen, was zur Atmosphäre des Abends entscheidend beiträgt. Man wünscht sich so ein „Ansprechen“ durchaus öfter, um die steife Erwartungshaltung des Publikums ganz leicht und gelassen zu lösen. Aber das ist bei dacapo schon Tradition.
Als erste Solistin stellt Schottky die junge Bratschistin Lina Bohn vor, mit den ersten beiden Sätzen des Violakonzertes in D-Dur von Franz Anton Hofmeister (1754-1812). Bohn spielt das Konzert auf einer Viola eines unbekannten Instrumentenbauers und mit einem Bogen von Florian Schneidt, ihre Darbietung klingt souverän und enorm musikalisch. Besonders die Kadenzen sind ein Ohren- und Augenschmaus und zu Recht erhält sie großen Beifall. Die Kammerphilharmonie begleitet sowohl aufmerksam als auch intensiv, und schafft so das „Silbertablett“ für die Solisten, wie auch in allen anderen Stücken.
Als zweites wirkt die Geigerin Laura Katharina Handler als Solistin, diesmal mit dem ersten Satz von Pjotr Iljitsch Tschaikowskis (1840-1893) Konzert für Violine und Orchester in D-Dur op.35. Sie spielt auf einer italienischen Geige mit einem Bogen von Pfretzschner.
Die ebenfalls 20-jährige verzaubert mit ihrer Darbietung dieses durchaus vertrackten Stückes mühelos und mit intensivstem musikalischen und geigerischen Einsatz den ganzen Saal. Wieder einmal ereignet sich das Wunder des leibhaftigen Musizierens, was keine noch so perfekte CD auch nur annähernd wiederzugeben vermag. Natürlich lässt sich von so viel Können auch das Orchester anstecken, die Bravos von Publikum und der Beifall der Musiker sind mehr als berechtigt.
Nach der Pause – in der man zwei nagelneue Autos des neuen Sponsors betrachten kann, nachdem es zu Beginn schon Sekt und sogar für jeden Besucher eine Praline zur „Einstimmung“ gab – kündigt Franz Schottky den dritten jungen Künstler des Abends an, Hamlet Ambarzumjan, der den Kopfsatz aus Ludwig van Beethovens drittem Klavierkonzert in c-Moll spielt. Der junge, 1999 in Wolgast geborene Pianist überzeugt durch sein klares, sowohl kraftvolles als auch sehr lyrisches Spiel. Beethoven ist und bleibt einer der ganz große Melodiker und überrascht doch immer wieder mit der Genialität seiner Kompositionen. Solist und Orchester laufen zu Hochformen auf, begeisterter Applaus.
Und wieder ist es beeindruckend, was so junge Menschen wie diese drei sich und der Welt zum Geschenk machen, das ist dann eben die „Holde Kunst“, die einen doch so ganz andere Dimensionen dieser oft ach so unheilvollen Welt dankbarst erleben lässt.
Zum grandiosen Abschluss des Abends dann Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) mit der Sinfonie Nr. 3 in a-Moll op. 56, der „Schottischen“. Und hatte mich schon sein Streichquartett Nr. 6 in f-Moll (das er nach dem frühen Tod seiner geliebten Schwester schrieb) tief in den Bann seiner Musik gezogen, so geschah das an diesem Abend beim Anhören dieser Sinfonie auf Neue.
Und wie diese Musik, die die Kammerphilharmonie dacapo mit den hinzugekommenen Bläsern aufs Vortrefflichste und mit großem Einsatz aller Musikerinnen und Musiker entstehen ließ, weit in die musikalische Zukunft vorauswies auf Wagner und Bruckner zum Beispiel, das war sehr überraschend und beeindruckend. Franz Schottky gestaltete die vier Sätze ohne die sonst bei einer Sinfonie üblichen Zwischenpausen – auch da ein Blick in die sinfonische Weiterentwicklung bis zu Sibelius‘ einsätzigen Werken – so wurde diese großartige Musik zu einem großartigen Schlussakkord eines denkwürdigen Abends.
Großer Beifall auch für die einzelnen Instrumental-Solistinnen und -Solisten. Die Kammerphilharmonie dacapo aus München ist auf gutem Wege, ein ganz großes Orchester zu werden, auch wenn das vom normalen Münchner Zeitungsfeuilleton noch immer nicht zur Kenntnis genommen wird. Aber dies Schicksal teilt es – wie lange noch? – mit anderen Orchestern hier in dieser Stadt.
P.S. Wichtiger Nachsatz: Natürlich möchte man die drei jungen Solistinnen und Solisten möglichst bald mal mit allen Sätzen ihres heutigen Konzertes hören!
[Ulrich Hermann, Oktober 2018]