Solo Musica SM 371; EAN: 4 260123 643713
Mit ihrem Debut-Album Intersection definiert sich das 2009 gegründete Ensemble Clazzic. Die vier Musiker mit Wurzeln in der Klassik und Fühlern in sämtlichen anderen Musikströmungen stellen sich ihren Stil zusammen zu einer Kreation jenseits dessen, was man mit Genrebezeichnungen fassen könnte. Es spielen Martina Silvester an der Quer- und der Piccoloflöte, Susanna Klovsky am Klavier, Alex Bayer am Bass und Thomas Sporrer an den Drums. Zentrum ihrer Aufnahme bildet die fünfsätzige Clazzic Suite, die ihnen der israelische Komponist Uri Brener auf den Leib geschrieben hat. Um diese herum hören wir die Milonga Camarga von Exequiel Mantega und die Milonga de mis amores von Pedro Laurenz und José María Contursi, jeweils in freien Abwandlungen des Ensembles.
Zwölf Jahre hat es gedauert, bis das Ensemble Clazzic sich sicher war, eine stilistische Ausrichtung gefunden zu haben, die sie auf CD brennen können. Doch nun ist das Ensemble angekommen – und liefert ein von vorne bis hinten durchdachtes, quicklebendiges und persönliches Album ab, sichert sich auf Anhieb einen festen Platz in der Musikwelt irgendwo zwischen Klassik, Jazz und allem nicht Benennbaren. Dass diese Titel nur ein Durchgang sind, ein festgehaltener Augenblick, der schon wieder in neue Richtungen weist, erklärt sich dabei von selbst.
Tiefgehender auf die Frage nach einer Stilistik einzugehen, wäre an dieser Stelle unnötig: Nicht alles braucht einen Namen. Es reicht zu wissen, dass alle vier der hier zu hörenden Musiker eine klassische Ausbildung absolvierten, ihre Interessen allerdings von Anfang an auch in ganz anderen Bereichen hatten und sich nie verschiedenen Einflüssen gegenüber verschlossen haben. Versehen mit uneingeschränktem Drang, alles auszuprobieren und noch mehr zu wagen, war der Plan zu einem genreübergreifenden Projekt schon halb geschmiedet. Dabei blieb klar, dass die notierte Musik auch Grundlage bleiben sollte, wozu die Gründungsmitglieder Susanna Klovsky und Martina Silvester den israelischen Komponisten Uri Brener beauftragten, eine Suite zu schreiben, welche mit den Grenzen spielt und sie idealerweise nivelliert. Die so entstandene Clazzic Suite bildet einen Ausgangspunkt der stilistischen Ausrichtung, andererseits wurde auch sie im Laufe des Einstudierens und Experimentierens immer weiter verändert, so dass die Noten eine Basis, nicht aber das Ganze bilden.
Die fünf Sätze der Clazzic Suite entspringen fünf klassischen Werken aus verschiedenen Epochen. Prädestiniert für ein Unterfangen, es in Richtung anderer Musen zu öffnen, steht Debussys Syrinx am Beginn, Syrinxation: Die Harmonik ist bereits so reich an Erweiterungen, dass der Schritt in Richtung Jazz alleinig durch rhythmische Aufheizung getan ist, teils gar nur durch Voicing. Auch Bach, dessen Triosonate BWV 1039 den zweiten Satz – Walking Bachwards – definiert, begrüßt freudig neue Stilistiken, denn diese Musik erfüllt ihre Intention gleich auf welchem Instrument und bei entsprechend handwerklichem Geschick auch gleich welcher Verarbeitung. Funky Bird, diese Satzbezeichnung deutet zu Strawinskys Feuervogel, dessen ruppige Ader dem Rock’n’Roll Pate steht. Davor noch, in der Mitte der Suite, holt uns Saltarello ins Mittelalter, und bleibt doch in der Jetztzeit. Das gewagteste Thema stellt das von Mozarts A-Dur-Sonate KV 331 dar, welches in der luziden Leichtigkeit auch extrem fragil erscheint und durch die kleinste Verzerrung zu zerbröckeln droht. Brener löst dies, indem er das Thema unverändert an den Beginn stellt – wo es nach den vorausgegangenen vier Sätzen (durchaus bewusst) wie ein Fremdkörper wirkt. Und als Mozart beginnt, das Thema zu variieren, so setzen nach und nach die anderen Musiker ein und bewegen sich Stück für Stück vom Original fort, wobei einige der Variationen wiederkehrendes thematisches Material einwerfen.
Was entsteht, ist ein vielseitiges, vielschichtiges und vielgestaltes Album, das zu Hören wahrhaft Spaß macht. Es kann locker im Hintergrund laufen und für gute Laune sorgen; lädt aber noch mehr zum Entdecken ein, es mit vollem Fokus auf die Musik zu hören. Immer wieder entdeckt man kleine Seitenhiebe, Themen sämtlicher Epochen und Genres, die doch in eine große, funktionierende Form eingebettet sind. Puristen gleich welcher Gattung würden sich wohl beleidigt fühlen, denn es ist keine Klassik mehr und doch deutlich kein Jazz: Würde man die Musik auf die Goldwaage legen, so wäre sie eher im Konzertsaal als im Club beheimatet.
Es gibt freilich mittlerweile eine ganze Reihe an Formationen, welche sich fernab der Genres bewegen und Klassik mit Jazz oder lateinamerikanischen Rhythmen und Harmonien mixen. Die meisten eint, dass sie sich selbst nicht zu ernst nehmen wollen, sondern locker und keck mit dem Material jonglieren. Dies unterscheidet das Ensemble Clazzic von ihnen: Denn die Musikerinnen und Musiker nehmen sich sehr wohl ernst und wissen um ihre Wurzeln. Dass darüber hinaus im Geäst auch mal eine humoristische Blume blüht, gehört dazu, doch der Stamm bleibt in einer jahrhundertelangen Tradition, die geschmückt wird mit allem, was die Musikgeschichte noch zu bieten hat.
[Oliver Fraenzke, Januar 2022]