Tatjana Uhde und Lisa Wellisch im Interview mit the-new-listener.de zu ihrem Album „Märchenbilder“
Die Cellistin Tatjana Uhde und die Pianistin Lisa Wellisch haben ihr Duo-Debütalbum für das audiophile Label ARS Produktion aufgenommen (siehe Rezension). René Brinkmann sprach mit den beiden Musikerinnen im Juli 2021. Für Tatjana Uhde ist das die Zeit, in der sie sich als Cellistin im Bayreuther Festspielorchester engagiert, während Lisa Wellisch die ersten Solokonzerte nach dem Corona-Lockdown gab – eine geschäftige Zeit also, in der beide Musikerinnen trotzdem Zeit fanden, um the-new-listener.de einige Fragen zum Album „Märchenbilder“ zu beantworten.
Frau Uhde, Frau Wellisch, Ihr Debütalbum trägt den Titel „Märchenbilder“ und befasst sich überwiegend mit Stücken, die eigentlich literarische Vorbilder haben. Kann man das so sagen?
LW: Das kann man so sagen, im Fall der „Märchenbilder“ sogar ganz konkret das Gedicht „Märchenbilder“ von Louis de Rieux. Aber ungewöhnlich ist das für die Romantik nicht – die sogenannte „Poetische Musik“ war im 19. Jahrhundert sehr gefragt, oft gab es Anspielungen und Bezüge auf literarische Vorlagen. Diese Inspirationen aus der Literatur helfen natürlich, die Musik zu verstehen, und darauf nehmen wir auch bei der Moderation unserer Konzerte und in unserem beigelegten CD-Booklet Bezug.
TU: Auch Edvard Grieg komponierte seine Schauspielmusik Peer Gynt (Solveig’s Lied ist darin enthalten) nach dem dramatischen Gedicht von Henrik Ibsen mit gleichem Titel.
Inmitten der musikalischen Märchen steht die „Arpeggione“-Sonate von Franz Schubert. Schubert schrieb sie für das Arpeggione, eine Art Gitarre zum Streichen mit sechs Saiten und ganz anders gestimmt als ein Cello. Welche besonderen Anforderungen stellt dieses Stück an Cellistinnen und Cellisten, die es ja heute zumeist interpretieren?
TU: Die Sonate verdankt ihre Entstehung Schuberts Bekanntschaft mit dem Instrumentenbauer Johann Georg Stauffer (1778–1853), von dem Schubert eine Gitarre besaß. Im Jahr 1823 baute Stauffer ein neues Instrument, die Arpeggione, welche über sechs Saiten (Stimmung: E-A-d-g-h-e’) und Metallbünde verfügte. Im Jahre 1824 schrieb Schubert für dieses Instrument die Sonate in a-moll, welche hinsichtlich Virtuosität und Tonumfang auf die besonderen Möglichkeiten dieses Instruments abzielte. Da sich das neue Instrument nicht durchsetzen konnte, stellte sich die Frage einer Realisierung auf anderen Streichinstrumenten, um die besonderen Schönheiten der Sonate zum Ausdruck zu bringen; hierfür kamen eigentlich nur solche Instrumente in Frage, welche hinsichtlich des Tonumfangs den besonderen Anforderungen genügen konnten, also Violoncello oder Viola, weshalb das Werk vorzugsweise von diesen Instrumenten gespielt wird. Die „Arpeggione“-Sonate stellt hohe technische Anforderungen an Cellistinnen und Cellisten. Sehr virtuos und doch immer gesanglich kommt die ganze Bandbreite des Cellos von der Tiefe bis in die höchsten Töne des Griffbretts zum Erklingen. Die Herausforderung ist, trotz der instrumentalen Schwierigkeiten stets mit Leichtigkeit und Phrasierung zu spielen. Konrad Hünteler zählt die „Arpeggione-Sonate“ zu den „[…] unsterblichen Perlen im Kammermusikrepertoire“, und da stimme ich ihm voll zu. Beim Publikum sehr beliebt, gehört die „Arpeggione“-Sonate zu den Werken, die einen festen Platz im Repertoire eines jeden Cellisten haben.
Warum hat sich dieses Stück eigentlich überhaupt im Cello-Repertoire durchgesetzt? Von der Stimmlage her wäre ja eine Bratsche vielleicht sogar „näher“ am Klang des Arpeggione als ein Cello, oder?
TU: Sowohl das Cello als auch die Bratsche nähern sich vom Tonumfang der Arpeggione. Aus diesem Grunde wird diese Sonate auch vor allem von diesen beiden Instrumenten gespielt.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Themenwechsel: Die „Märchenbilder“ repräsentieren Ihr erstes gemeinsames Album als Duo. Da darf man vielleicht noch fragen, wann und wie Sie als Duo zusammengefunden haben?
LW: Ich habe zusammen mit Tatjanas Mann [Anm. Prof. Tristan Cornut, ebenfalls Cellist] in Stuttgart studiert, und wir sind uns vor einigen Jahren zufällig in Bayreuth, wo Tatjana im Festspielorchester spielt, wieder begegnet. Tatjana und ich haben dann eine spontane Einladung für ein Konzert vor Ort bekommen. Die Zusammenarbeit hat uns so viel Spaß gemacht und wir verstehen uns so gut, dass wir beschlossen haben, ein festes Duo zu bilden. Ein lustiger Zufall ist auch, dass mein Mann wiederum Schüler von Tatjanas Großvater Jürgen Uhde war.
TU: Wir haben uns vor zwei Jahren in Bayreuth kennengelernt und hatten dort auch beim Festival „Bayreuth Summertime“ unseren ersten großen Auftritt mit dem „Märchenbilder“-Programm. Da eine Reihe von Konzerten damit geplant ist, haben wir uns letztes Jahr dazu entschlossen, dieses Programm aufzunehmen, welches uns sehr am Herzen liegt und beim Publikum sehr gut ankommt.
Sie, Frau Uhde, sind unter anderem zweite Solo-Cellistin des Orchesters der Nationaloper Paris und sind deshalb wahrscheinlich häufig in Frankreich. Und Sie, Frau Wellisch, sind als Solistin auch sehr aktiv und konzertieren viel. Wie gestaltet sich da die Zusammenarbeit als Duo? Wie finden Sie die Zeit, um gemeinsam zu arbeiten und treffen Sie sich dann stets am selben Ort oder immer da, wo es geografisch gerade am besten passt?
TU: Die Zusammenarbeit ist trotz der geografischen Distanz kein Problem. Wir treffen uns in regelmäßigen Abständen rund um unsere Konzerte, meist an dem Ort, der geografisch gerade am besten passt. Es ist eine Frage der Organisation. Natürlich muss das Programm anfangs sorgfältig einstudiert und gemeinsam geprobt werden, da muss man sich die Zeit nehmen, die nötig ist. Das können dann schon auch mal zwei Wochen intensives Proben sein. Auch wenn wir nicht am selben Ort sind, vergeht doch kaum ein Tag, an dem wir nicht über Nachrichten oder Telefon in Kontakt sind.
LW: Wir haben zum Glück jeden Sommer während der Festspielzeit ausführlich Zeit, zu proben und neues Repertoire zu studieren. An Konzerttagen sehen wir uns oft erst am gleichen Tag und spielen dann eher Stellen an, als lange zu proben. So ist es im Konzert frisch und man achtet inspiriert aufeinander.
Auf Ihrem Album haben wir vier sehr unterschiedliche Komponisten: Schumann, Schubert, Grieg und Juon. Wie würden Sie die Stile der vier Komponisten jeweils charakterisieren?
LW: Schubert bietet wahrscheinlich den größten Kontrast zu den anderen Werken auf der CD: Als einziger Komponist gehört er noch der klassischen Epoche an und der Stil der „Arpeggione“ ist trotz der volksliedhaften Klänge noch strenger in der Form und Agogik, genauer notiert in der Artikulation. Der schweizerische Komponist Paul Juon mit russischen Wurzeln war für uns eine neue Entdeckung, in seiner Tonsprache hört man deutlich die russische Romantik heraus und sein „Märchen“-Zyklus op. 8 klingt über weite Strecken sehr melancholisch. Grieg ist natürlich ein Meister darin, den „nordischen Ton“ in die Musik zu übertragen. Und Schumanns Kosmos, der stark von den Werken E. T. A. Hoffmanns und Jean Pauls beeinflusst ist, lässt sich gar nicht in einem Satz beschreiben: Es ist eine so komplexe, tief anrührende poetische Musik, die einen immer wieder Neues entdecken lässt und mich schon immer sehr bewegt hat. Schumann sah sich selbst ja als „Tondichter“ und wie kein anderer verkörpert er für mich die deutsche Romantik.
TU: Robert Schumann ist auch für mich einer der bedeutendsten romantischen Komponisten. Ich finde bei Schumann immer unglaublich faszinierend die Bandbreite an Gefühlen, vom gesanglichen Poetischen, Schwelgerischen bis hin zum Stürmischen, Besessenen. Schuberts Ausdrucksweise empfinde ich als emotional sehr feinfühlig und sanft. Das Liedhafte und Lyrische ist auch in der „Arpeggione-Sonate“ sehr klar zu vernehmen. Bei Griegs Solveig’s Lied ist für mich das Lyrische im Vordergrund. Mit einem Hauch von Schwermütigkeit und Melancholie und einem unbeschwerten, heiteren Mittelteil. Paul Juons spätromantischen Stil würde ich charakterisieren als ernst und anspruchsvoll, er verwendet gerne russische und nordische Themen, auch im Märchen Op.8 finden wir Passagen mit Anklängen an russische Folklore.
Eine Überraschung war für mich Griegs „Solveigs Lied“ aus „Peer Gynt“ in der Duofassung für Klavier und Cello, von der ich nicht wusste, dass sie existierte. Sie scheint durch die reduzierte Besetzung eine ganz eigenartige „Qualität“ der Verlassenheit und der Einsamkeit auszustrahlen, und das finde ich gerade im Vergleich zur Orchesterfassung sehr interessant. Gibt es nur dieses eine Stück aus „Peer Gynt“ in der Duobesetzung für Cello und Klavier oder gibt es da noch weitere Stücke aus dem „Peer Gynt“ für diese Besetzung?
TU: Mir ist nur dieses eine Lied bekannt, aber sicherlich ließen sich auch andere Passagen problemlos arrangieren für Cello und Klavier. Da das Cello der menschlichen Stimme besonders nahe kommt, lassen sich die meisten Lieder sehr gut für Cello arrangieren.
LW: Doch, es gibt noch weitere Stücke aus der Suite für unsere Besetzung, aber am besten eignet sich tatsächlich „Solveigs Lied“, weil es so wirklich auf eine andere (durchaus gleichwertig interessante) Art funktioniert. Bei der „Halle des Bergkönigs“ beispielsweise vermisst man dann doch das große Orchester.
Ist geplant, dass es noch ein weiteres Duo-Album von Ihnen geben wird? Oder werden die „Märchenbilder“ nun erst einmal ausführlich live vorgestellt?
TU: wir werden erst einmal unsere geplanten Konzerte mit dem « Märchenbilder » Programm spielen und freuen uns sehr, nach den extrem schwierigen Coronamonaten das Programm unseres Debütalbums dem Publikum endlich „live“ zu präsentieren.
LW: Uns ist Musikvermittlung sehr wichtig und mit dem Programm erreichen wir ein großes Publikum. Aber natürlich spukt die Idee zu einer neuen CD auch schon in unserem Kopf herum…
[Das Interview führte René Brinkmann]