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Wunderlich, wie wunderlich

Fritz Wunderlich: Musik vor Bach; Operetten-Arien; Schlager aus den 50ern

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SWR Music, SWR 19051 / SWR 19038 / SWR 19029; EAN: 7 47313 90518 8 / 7 47313 90388 7 / 7 47313 90298 9

Wir hören Fritz Wunderlich in drei Einspielungen, welche die Vielfalt seiner Stimme auf unterschiedlichste Weise präsentieren: Auf der CD „Musik vor Bach“ finden sich Werke von Ludwig Senfl (1486-1543), Arnt von Aich (1510), Paul Hofhaimer (1459-1537), Heinrich Isaac (1450-1517), Erasmus Lapicida (ca.1450-1547), Adam Rener (1482-1520), Adam von Fulda (ca. 1445-1505), Alessandro Grandi (ca.1575/80-1630), Heinrich Schütz (1585-1672), Johann Rosenmüller (1619-1684), Christoph Graupner (1683-1760), Dietrich Buxtehude (1637-1707) und Johann Philipp Krieger (1649-1735); eine CD mit „Operetten-Arien“ beinhaltet Arien von Franz Lehár (1870-1948), Emmerich Kálmán (1882-1953), Leo Fall ( 1873-1925), Jean Gilbert (1879-1942), Hans May (1886-1958), Ralph Erwin ( 1896-1945), Robert Stolz (1880-1975), Walter Triebel (1908-1951), Nico Dostal (1895-1981), Richard Tauber (1891-1948), Charles Emmerich Kálmán (1929-2015); eine dritte präsentiert verschiedene „Schlager aus den 50ern“.

Mein erstes Erlebnis mit Fritz Wunderlich: 1962 (?) im Münchner Prinzregententheater, „Die Entführung aus dem Serail“ mit Fritz Wunderlich als Belmonte! Glücklicherweise gibt es diese Aufführung inzwischen auch als Konserve zum Nachhören und sich daran Freuen.

Aber das, was derzeit aus den Archiven des SWR auf CD neu erscheint, ist gelinde gesagt eine Sensation: Dass Fritz Wunderlich  Bach, Mozart usw. gesungen hat, ist allbekannt, aber dass er – vor allem in seiner Anfangszeit in Freiburg, das damals ein Zentrum für Alte Musik war, allerdings noch nicht historisch-hysterisch „verbrämt“ – auch Stücke von Ludwig Senfl, Heinrich Schütz, Johann Rosenmüller und anderen vorbachischen Zeitgenossen gesungen, und vor allem wie er das gesungen hat, ist eine Entdeckung ersten Ranges. Schon damals hatte die Stimme jenen „wunderlichen“ Glanz, jene mühelose Höhe bis hin zum Falsett, und vor allem hatte er diese unglaubliche Musikalität in sich, die alle seine Aufnahmen wieder und wieder zeigen und beweisen. Ob als Solist begleitet von einem Streichquartett – wie bei den Lieder von Senfl und Zeitgenossen – oder als Mitglied eines Gesangs-Ensembles, immer wieder besticht seine Fähigkeit, sich dem Gesamtklang einzufügen, ohne seine stimmliche Individualität zu verleugnen oder über Gebühr zu betonen. Auch die makellose Textverständlichkeit – bei ach so vielen Sängerinnen und Sängern ein unverzeihliches Manko – ist bei Fritz Wunderlich natürliches Merkmal, bei aller Stimmschönheit ist sie stets dabei, wenn sich Musik und Poesie geschwisterlich vereinen. Erst dann, und das zeigen diese drei CDs mit Musik vor Bach, Operetten-Arien und deutschen Schlagern der 1950er Jahre. ist das Gipfel-Erlebnis möglich in dem Sinne, in welchem Hans Gal in seinem Buch über „Schubert und die Melodie“ spricht.

Und dann ist es auch völlig gleichgültig, ob Fritz Wunderlich Klassisches oder  „Unklassisches“ wie Operetten oder Schlager singt. Es gibt eben nur zwei Arten von Musik, und zwar nicht E-Musik und U-Musik – eine völlig blödsinnige Unterscheidung meines Erachtens –, sondern gute und schlechte Musik. Und wenn solch ein Ur-Musiker und Ur-Musikant, wie Fritz Wunderlich einer war, der übrigens auf einigen Takes auch selbst Trompete spielt und ursprünglich Horn studierte vor seiner Gesangsausbildung, wenn so einer sich an Lieder von alten Komponisten, Kompositionen mit vorbachischer geistlicher Musik, Operetten von Lehár, Kálmán und anderen oder gar an damals so populäre Schlager macht, dann werden diese zu Diamanten und es ist ein Vergnügen, sich all diese Überspielungen alter SWR-Mitschnitte wieder und wieder zu Gemüte zu führen – zumal so besonnen und bedacht „restauriert“ von zwei Könnerinnen bzw. Könnern, nämlich Gabriele Starke und Boris Kellenbenz, denen dafür unser spezieller Dank gebührt..

[Ulrich Hermann, Februar 2018]

 

Eine ungarische Hochzeit

Nico Dostal – „Eine Ungarische Hochzeit“
Franz-Lehár-Orchester; Leitung: Marius Burkert
Aufnahme: 17-19.08. 2015, Bad Ischl

dieklangschmiede
cpo 77 974-2; EAN: 7 61203 79742 4

Nico Dostals Operette fiel aus der Zeit. Komponiert in den 1930ern, uraufgeführt 1939 in Stuttgart, blieb sie der Vergangenheit verhaftet – nein, versuchte die entschwundene Zeit vergeblich wiederzubeleben. Der damaligen Gegenwart entkoppelt.

Operette, einst ein Medium subversiver Gesellschafts- und Sozialkritik in ihrer Hoch-Zeit, die mit großzügigem Augenzwinkern viele Heucheleien und Verwerfungen der ausgehenden, dann ausgegangenen Kaiserzeit unter die (versöhnlich gefärbte) Lupe nahm – hier ist davon nichts mehr vorhanden.

Die Handlung kurzgefasst: Graf tauscht mit Lakai die Identität. Einfaches Mädel verliebt sich in den scheinbaren Grafen – falscher Lakai verliebt sich in standesgemäß adäquates Fräulein, die hadert, nun einen vermeintlichen Diener anzuschmachten, aber ihn gegen die Widrigkeiten aller Standesdünkel dennoch liebt. Am Ende – wen wundert es – geht es gut aus. Das klingt nach Operette, ist es aber nur bedingt. Denn, wie oben angedeutet, war dereinst Operette nicht nur ulkiges Amüsement, sondern auch subtil formulierte Gesellschafts-, ja fast auch: Systemkritik. Das Libretto der „Ungarischen Hochzeit“ bietet hierzu nichts an. Sie stellt ein sinnfreies Abspulen von harmlosen Verwechslungen, Missverständnissen und gutem Ausgang dar. Am Ende behauptet sich das Ideal eines ständisch geordneten, monogamen Glückes – und sogar von der Kaiserin Maria Theresia (Frau Dolores Schmidinger – als Sprechstimme eindrucksvoll und launig dargeboten) als göttlicher Stimme in aller Güte verordnet und abgesegnet.

So flach wie die Handlung – auch die Dramaturgie und Musik. Dostal vermag durchaus gefällige Linien zu schreiben. Kehlengerecht und schmiegsam. Wie aber der lässliche Text, so auch die Musik: kein einziger Schritt über das geziemende Maß hinaus – keine burlesken, geschweige: grotesken Momente. Kein Versuch, aus den vorhandenen erotischen Spannungen leidenschaftliche oder abgründige Momente zu gestalten, Situationen, die das Wohlgefühl gefährden könnten. Dostal riskiert und gewinnt auch nichts. Das eckt nicht an, reißt nicht mit – plätschert.

Er nützt das Kolorit des Ungarischen nur als Würze aus dem Streuer. Eine ernsthafte Beschäftigung mit den Klängen und musikalischen Valeurs Ungarns klänge anders. Im Gegenteil – streckenweise vergisst er den Anspruch, auf überall „Paprika“ zu rieseln – und dann sind wir plötzlich bei einer beliebigen Gefälligkeit, die so viel – zu viel in den von oben gewollten Nichtigkeiten späterer Ufa-Filme erklingen sollte.

Dieses Stück Musiktheater hatte damals keinen Bezug zu seiner Zeit – somit noch weniger heute zu unserer. Kein Verbrechen, es zu inszenieren und einzuspielen. Bei letzterem Vorhaben sei allerdings die Frage gestattet, weshalb?

Die Musik enträt fesselnder Momente – eines Ohrwurms, eines Schlagers – Momente, wo Musik und Handlung sich fügen zu einer (wenn auch nur angedeuteten) Entgrenzung.

Die vorliegende Aufnahme stellt dahingehend zufrieden, dass Handlung, Musik und deren Darstellung gut zusammenpassen. Hervorzuheben ist die sehr gute Textverständlichkeit, auch in den gesprochenen Partien.

Das Orchester macht alles richtig – allein die Leitung unter Marius Burkert verschenkt fast alles. Mit mehr Rubato, Gas-geben, Nachlassen, Wieder-anziehen, so wie man es von (meistens schlechten) „alla zingarese“-Darbietungen kennt, wäre doch etliches mehr an Attraktivität gewonnen gewesen. Auch das „Wenige“ gilt es ernst zu nehmen und mit Leidenschaft anzupacken. Take it for serious or leave it!

Blutleer – als ob das Ganze den Bohei eh‘ nicht wert gewesen sei. – also: con passione: Fehlanzeige, Herr Kapellmeister! Schade!

Die sängerischen Leistungen – achtbar.

Herausragend zu erwähnen: Frau Regina Riel als Janka, die in der Nummer 14, der Romanze, mit Leichtigkeit und schlankem, klarem Ton den einzigen Moment des Werkes, der etwas tiefer schürft, so tief, wie es die flache Musik erlaubt, sehr schön auszuloten weiß.

[Stefan Reik, Oktober 2016]