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Virtuosität und Romantik

Ars Produktion Schumacher, ARS 38 242; EAN: 4 260052 382424

Romantic, Brilliant, Imaginative: Semenenko (Violine), Firsova (Klavier); Grieg, Tschaikowski, Castelnuovo-Tedesco, Paganini, Schubert 

Violinmusik aus der Epoche der Romantik birgt vorliegende CD mit Aleksey Semenenko und Inna Firsova. Die Eckpfeiler dieser Einspielung sind die Erste Violinsonate F-Dur op. 8 von Edvard Grieg und die Fantasie C-Dur D 934 von Franz Schubert. Dazwischen befinden sich drei Bearbeitungen von Werken für Violine und Orchester: Tschaikowskis Sérénade Mélancholique, Mario Castelnuovo-Tedescos Konzertparaphrase über die Cavantine Largo al Factorum aus Figaros Hochzeit und Paganinis I Palpiti, ebenfalls über ein Thema Rossinis. Das Arrangement von Paganinis Variationswerk für zwei Instrumente stammt von Fritz Kreisler.

Die Produktion der vorliegenden Aufnahme war der Preis eines Kammermusikwettbewerbs an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, den Aleksey Semenenko und Inna Firsova gewonnen haben. Das Programm entwickelt sich ausgehend von Schuberts großer C-Dur-Fantasie von 1827, in denen er seine Eindrücke eines Auftritts von Paganini verarbeitete. So ist natürlich auch der Teufelsgeiger vertreten mit einer Paraphrase über Rossini, was den Faden weiterspinnt zu Castelnuovo-Tedesco und dessen Fantasie über ein Rossini-Thema aus Tancredi. Tschaikowski und Grieg komplettieren die Aufnahme, wobei Griegs Erste Violinsonate das erste Werk war, das Semenenko in die Welt der Kammermusik einführte. Mich verwundert, dass Inna Firsova nicht auf dem Cover erwähnt wird, ihr Name verbirgt sich auf der Rückseite und ihr Bild im Booklet: Und das, obgleich Semenenko doch Kammermusik studiert und bei Grieg und Schubert das Klavier einen mindestens ebenbürtigen Part zur Violine spielt, wenn nicht einen gewichtigeren!

Die Violinsonate Edvard Griegs gibt ein Bild frei auf zwei fleißige und detailverliebte Musiker, die minutiös darauf bedacht sind, die Noten genau wiederzugeben. Sie betrachten die Musik aus gewisser Distanz und fühlen sich trotzdem in die Welt des Komponisten ein. Ein großes Spektrum an Artikulations- und Dynamikabstufungen bringt Abwechslung und Vielseitigkeit in das Werk, immer neue Klangfarben bereichern die Sonate. Zu wenig achten sie allerdings noch auf das Schlichte, Volkstümliche, was ja gerade Grieg und seine skandinavischen Kollegen so sehr prägt. Der Mittelsatz wird zum Kunstwerk und verliert die Einfachheit des Volksliedes; die charakteristische Fidel-Passage lockt nicht zum Bauerntanz, sondern in den Konzertsaal. Gleiches gilt für Tschaikowskis Sérénade Mélancholique, die unartifizielle und zutiefst menschliche Gefühle ausdrückt, auch das einfache Volk anspricht.

Es folgen zwei Virtuosenwerke, in denen Semenenko seine Brillanz und Leichtfüßigkeit unter Beweis stellt. Unglaubliches gelingt ihm in Paganinis I Palpiti, wo der Hörer kaum aus dem Staunen herauskommt. Grazil bewegt er sich zwischen all den Hürden und zeitgleich gibt er den formalen Aufbau der Stücke zu verstehen, geht auch auf die Phrasierung und den innermusikalischen Kontext ein.

Das Finale ist die 25-minütige Fantasie C-Dur von Franz Schubert, in welcher der Komponist die Errungenschaften der großen Virtuosen in symphonischen Kontext eingliedert und in reinste Musik verwandelt. Auch bezüglich der Darbietung ist dies der Höhepunkt der Einspielung, die Musiker hören einander zu und erreichen ein vollkommenes Miteinander. Inna Firsova tritt in den Vordergrund: Bei Grieg wurde sie noch von der Violine überlagert und in den Bearbeitungen weilte sie doch eher in Begleitfunktion. Nun aber trumpft Firsova auf und demonstriert ihre überlegene Meisterschaft des Klaviers, die sie zur Entdeckung macht. Ihre Läufe ragen heraus und geben den Eindruck, die Erde würde sich anheben oder absenken, wenn sie in die Höhe beziehungsweise Tiefe rauscht. Ebenso bemerkenswert ist, wie autonom ihre beiden Hände fungieren. Gerade bei großem Abstand ergänzen sich die Stimmen kontrapunktisch wie zwei nur miteinander funktionierenden Kraftfelder.

[Oliver Fraenzke, Mai 2018]

 

Geigensport

Dynamic, CDS7774; EAN: 8 007144 077747

Maristella und Mario Patuzzi spielten für Dynamic die vierundzwanzig Capricci für Violine solo von Niccolò Paganinis mit der Klavierbegleitung von Robert Schumann ein.

Es ist einer der wichtigsten Etüdenzyklen für das Instrument Violine überhaupt: Die vierundzwanzig Capricci Op. 1 des „Teufelsgeigers“ Niccolò Paganini – vielleicht vergleichbar mit Chopins Etüden Op. 10 und 25 für Klavier. Mit halsbrecherischer Virtuosität werden in Miniaturformen die wichtigsten und schwierigsten sportlichen Höchstleistungen verlangt, die sich ein Streicher nur vorstellen kann – dabei kann teils ein wahrer Mikrokosmos entstehen und Fragmente (damals) neuer Welten tun sich auf. Es ist ein bunter Farbkasten der Zurschaustellung, die dem Virtuosen vieles abverlangt.

Maristella Patuzzi wagt sich für Dynamic an den gesamten knapp achtzigminütigen Zyklus. Doch bleibt beim Hören nicht wirklich viel hängen, es plätschert einfach so vor sich hin. Es gibt keine große phrasenformende Ausgestaltung, die Dynamik bleibt recht eintönig und der Ausdruck oberflächlich. Hin und wieder darf es gerne auch einmal kratzen und quietschen, aber das sind wir ja von Dynamic – gerade in Kombination mit Paganini – schon gewöhnt. Allgemein herrscht kein wirklicher Schönklang der Violine vor, nie darf sie wirklich „singen“, sondern muss sich in angestrengt-anstrengender Manier dem Extremsport hingeben.

Robert Schumann schrieb eine recht harmlose Klavierbegleitung zu dem Zyklus, die sich hauptsächlich auf simple Akkordbegleitung beschränkt, und nur an zwei oder drei Stellen kurzzeitig an Eigenständigkeit gewinnt. Inhaltlich avancieren können die Capricci dadurch nicht, die Begleitung erspart eher im Konzert dem Pianisten eine Pause, wenn der Violinsolist alleine mit Paganini prahlen will. Hier spielt Mario Patuzzi den Klavierpart, bleibt dabei bewusst ständig zwei Stufen hinter Maristella Patuzzi und versucht, weitestgehend unauffällig zu bleiben – was auch gelingt. Sein Spiel ist schlicht, ohne übermäßige Ausgestaltung, konzentriert sich ausschließlich auf die Ausführung der simplen Akkordgrundlage.

Wer dabei ist, wenn eine Geigerin möglichst schnell über ihr Instrument huscht, der kann vielleicht seine Freude aus dieser Aufnahme ziehen. Wer aber diese Stücke mit Schumanns Begleitung wirklich lebendig, sensibel, tonschön und fesselnd erleben möchte, dem empfehle ich nachdrücklich die Aufnahme mit Ingolf Turban und Giovanni Bria bei Claves.

[Oliver Fraenzke, November 2016]