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Eine ungarische Hochzeit

Nico Dostal – „Eine Ungarische Hochzeit“
Franz-Lehár-Orchester; Leitung: Marius Burkert
Aufnahme: 17-19.08. 2015, Bad Ischl

dieklangschmiede
cpo 77 974-2; EAN: 7 61203 79742 4

Nico Dostals Operette fiel aus der Zeit. Komponiert in den 1930ern, uraufgeführt 1939 in Stuttgart, blieb sie der Vergangenheit verhaftet – nein, versuchte die entschwundene Zeit vergeblich wiederzubeleben. Der damaligen Gegenwart entkoppelt.

Operette, einst ein Medium subversiver Gesellschafts- und Sozialkritik in ihrer Hoch-Zeit, die mit großzügigem Augenzwinkern viele Heucheleien und Verwerfungen der ausgehenden, dann ausgegangenen Kaiserzeit unter die (versöhnlich gefärbte) Lupe nahm – hier ist davon nichts mehr vorhanden.

Die Handlung kurzgefasst: Graf tauscht mit Lakai die Identität. Einfaches Mädel verliebt sich in den scheinbaren Grafen – falscher Lakai verliebt sich in standesgemäß adäquates Fräulein, die hadert, nun einen vermeintlichen Diener anzuschmachten, aber ihn gegen die Widrigkeiten aller Standesdünkel dennoch liebt. Am Ende – wen wundert es – geht es gut aus. Das klingt nach Operette, ist es aber nur bedingt. Denn, wie oben angedeutet, war dereinst Operette nicht nur ulkiges Amüsement, sondern auch subtil formulierte Gesellschafts-, ja fast auch: Systemkritik. Das Libretto der „Ungarischen Hochzeit“ bietet hierzu nichts an. Sie stellt ein sinnfreies Abspulen von harmlosen Verwechslungen, Missverständnissen und gutem Ausgang dar. Am Ende behauptet sich das Ideal eines ständisch geordneten, monogamen Glückes – und sogar von der Kaiserin Maria Theresia (Frau Dolores Schmidinger – als Sprechstimme eindrucksvoll und launig dargeboten) als göttlicher Stimme in aller Güte verordnet und abgesegnet.

So flach wie die Handlung – auch die Dramaturgie und Musik. Dostal vermag durchaus gefällige Linien zu schreiben. Kehlengerecht und schmiegsam. Wie aber der lässliche Text, so auch die Musik: kein einziger Schritt über das geziemende Maß hinaus – keine burlesken, geschweige: grotesken Momente. Kein Versuch, aus den vorhandenen erotischen Spannungen leidenschaftliche oder abgründige Momente zu gestalten, Situationen, die das Wohlgefühl gefährden könnten. Dostal riskiert und gewinnt auch nichts. Das eckt nicht an, reißt nicht mit – plätschert.

Er nützt das Kolorit des Ungarischen nur als Würze aus dem Streuer. Eine ernsthafte Beschäftigung mit den Klängen und musikalischen Valeurs Ungarns klänge anders. Im Gegenteil – streckenweise vergisst er den Anspruch, auf überall „Paprika“ zu rieseln – und dann sind wir plötzlich bei einer beliebigen Gefälligkeit, die so viel – zu viel in den von oben gewollten Nichtigkeiten späterer Ufa-Filme erklingen sollte.

Dieses Stück Musiktheater hatte damals keinen Bezug zu seiner Zeit – somit noch weniger heute zu unserer. Kein Verbrechen, es zu inszenieren und einzuspielen. Bei letzterem Vorhaben sei allerdings die Frage gestattet, weshalb?

Die Musik enträt fesselnder Momente – eines Ohrwurms, eines Schlagers – Momente, wo Musik und Handlung sich fügen zu einer (wenn auch nur angedeuteten) Entgrenzung.

Die vorliegende Aufnahme stellt dahingehend zufrieden, dass Handlung, Musik und deren Darstellung gut zusammenpassen. Hervorzuheben ist die sehr gute Textverständlichkeit, auch in den gesprochenen Partien.

Das Orchester macht alles richtig – allein die Leitung unter Marius Burkert verschenkt fast alles. Mit mehr Rubato, Gas-geben, Nachlassen, Wieder-anziehen, so wie man es von (meistens schlechten) „alla zingarese“-Darbietungen kennt, wäre doch etliches mehr an Attraktivität gewonnen gewesen. Auch das „Wenige“ gilt es ernst zu nehmen und mit Leidenschaft anzupacken. Take it for serious or leave it!

Blutleer – als ob das Ganze den Bohei eh‘ nicht wert gewesen sei. – also: con passione: Fehlanzeige, Herr Kapellmeister! Schade!

Die sängerischen Leistungen – achtbar.

Herausragend zu erwähnen: Frau Regina Riel als Janka, die in der Nummer 14, der Romanze, mit Leichtigkeit und schlankem, klarem Ton den einzigen Moment des Werkes, der etwas tiefer schürft, so tief, wie es die flache Musik erlaubt, sehr schön auszuloten weiß.

[Stefan Reik, Oktober 2016]