Berlin Classics, Neue Meister; 0300950NM; EAN: 8 85470 00950 6
Mit seinem Album Ecartele taucht Damian Marhulets in die Welt eines nie realisierten Films ein, den er musikalisch ausdeutet. Er selbst ist an den Electronics tätig, es spielen das Szymanowski Quartet und die Pianistin Marina Baranova.
Filmmusik untermalt nicht nur die bewegten Bilder und gestaltet eine Atmosphäre aus, in vielen Fällen hat sie ganz eigenständigen Stellenwert, greift voraus und zurück, gibt Hinweise auf das Geschehen, verrät bislang Ungeklärtes oder bildet gar eine vollkommen neue Ebene, die parallel zur Filmhandlung eigenständig verläuft. Gut gemachte Filmmusik kommt auch ohne übergeordnetes Bildelement aus, besitzt eigenständigen Wert und ist manchmal sogar im Konzertsaal zu hören.
Damian Marhulets komponierte nun Musik zu einem Film der – nicht existent ist… Dieser Film war zwar in den 1970er-Jahren geplant, wurde allerdings nie umgesetzt. Aus den vorhandenen Informationen zeichnet Marhulets den Filmverlauf mit musikalischen Mitteln und stellt Szenen nach, die mit den Augen nicht zu sehen sein werden, dafür jetzt mit den Ohren.
Geheimnisvoll schwebend gibt sich die Atmosphäre, welche die Besetzung für Streichquartett, Klavier und Electronics aufspannt. Tatsächlich tun sich sogleich Bilder auf, wenn die Musik ansetzt, und man könnte meinen, es laufe ein Film ab und nur der Monitor fehle. Die Musik hat etwas Zartes und Nebliges, stellt bestimmte Stimmungen imaginativ und realitätsnah dar. Das Material von Ecartele ist auf ein Wesentliches reduziert, rasch ablaufende Passagen finden sich ebenso wenig wie Virtuosität oder klangliche Transparenz und Klarheit. Ein wolkenartig dichter wie zugleich zerbrechlicher Gestus ist charakteristisch für diese Musik. Es sind hauptsächlich statische Stimmungen, die erzeugt und durch langsames Voranschreiten in kleinen Schritten metamorphosiert werden. Dabei spielt das Geschehen niemals auf nur einer Ebene, immer gibt es mindestens eine zweite Schicht, die mit der anderen konkurriert. Marhulets beweist eine deutliche Klangvorstellung und weiß, diese umzusetzen. Dabei eignet der Ecartele-Musik auch etwas Hintergründiges, sie verliert nie den Bezug zum imaginär ablaufenden Film.
Die Instrumentalisten gestalten von der ersten Sekunde an einheitlich und wirken als ein geschlossener Klangkörper, der von den Electronics komplettiert wird. Das Spiel ist schlicht, dabei ausdrucksstark und von feinen Nuancierungen der Artikulation veredelt.
[Oliver Fraenzke, Juni 2017]