„dacapo präsentiert junge Solisten I“: Konzert der Münchner Kammerphilharmonie dacapo am 20. Oktober 2019 im Künstlerhaus. – Zwantje Bergmann, Mezzosopran; Julia Gassner , Klarinette; Carmen Steinmeier, Harfe; Franz Schottky, Dirigent
Musik von Antonio Caldara (1670-1736), Giuseppe Giordani (1751- 1788), Giacomo Carissimi (1605-1674), Francesco Durante (1684-1755), Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Reinhold Gliére (1875-1956) und Joseph Haydn (1732-1809).
Welch ein Beginn einer Konzert-Saison mit der Münchner Kammerphilharmonie dacapo! Zuerst stellte Dirigent Franz Schottky die erste Solistin vor, die Sängerin Zwantje Bergmann. Sie sang vier Lieder aus dem Frühbarock und Barock, bis heute durchaus im Repertoire, und dem weichen und wohlklingenden Mezzosopran sehr angemessen. Delikat und sehr einfühlsam begleitet, eröffneten diese musikalischen Kostbarkeiten den Abend. An ihrem dunkelgrünen langen schulterfreien Kleid merkte man, dass sie nicht nur Sängerin ist, sondern auch als Tänzerin schon einige Pokale errungen hat. Wann bekommen wir ihren ersten Liederabend zu hören, diese Frage stellte sich mir nach diesem gelungenen Auftritt mit der Kammerphilhamonie.
Dann vergrößerte sich für das nächste Stück von Mozart das Orchester. Julia Gassner war die Solistin mit ihrer Dietz-Klarinette für die beiden ersten Sätze des berühmten Klarinetten-Konzerts. Natürlich ist das ein wohlstbekanntes Musikstück, aber es wieder einmal live und in so einer immens musikalischen Aufführung erleben zu dürfen, ist ein ganz besonderes Geschenk. Dass der letzte, abschließende Rondo-Satz fehlte, war um so bedauerlicher, weil vor allem der zweite Satz, das Largo, unendlich schön und stimmig gelang, von beiden Partnern, dem Orchester und von Julia Gassner. Aber vielleicht hören wir die junge Dame bei einem zukünftigen Konzert einmal mit allen drei Sätzen. (Wie Hamlet sagt: „Ś´ ist ein Ziel, aufs Innigste zu wünschen.“)
Dann vergrößerte sich die Kammerphilharmonie noch einmal zum ausgewachsenen Symphonie-Orchester. Denn das nächste Stück führte uns direkt ins zwanzigste Jahrhundert, zum Harfen-Konzert op.74 des russischen Komponisten Reinhold Glière. Die Solistin Carmen Steinmeier spielte auf ihrer Lyonhealy Harfe die ersten beiden Sätze mit Bravour, war dem Orchester immer gewachsen und machte uns mit einer sehr tonalen und eingängigen Musik bekannt, die nicht allzu oft in Konzert-Programmen auftaucht. Diese spätromantische Musik, weitab von allen Modernismen der Zeit – das Werk komponierte Glière 1938 – entlockte Orchester und Soloinstrument Klangfarben, die fast schon impressionistische Klänge früherer Zeitgenossen wie Debussy wachriefen.
Nach der Pause dann – wie bei den Beginner-Konzerten üblich – eine Symphonie, meist eine klassische, in der die Kammerphilharmonie alleine gefordert war. Dieses Mal stand die „Oxford-Symphonie“ Nr. 94 vom Altmeister Joseph Haydn auf dem Programm. Er steht ja oft im Urteil hinter Mozart und Beethoven zurück. Nun, dieser Abend belehrte uns wirklich eines Besseren. Unter der Leitung von Franz Schottky lief nicht nur das Orchester – alle Gruppen gleichermaßen – zu Hochform auf, die oft vernommene Rede vom „alten Pappa Haydn“ wurde auf höchstem Niveau ad absurdum geführt. Was da an bezwingendster Melodik, an vertracktester Rhythmik – besonders im Menuett-Satz – an Orchestrierungs-Finessen, an tiefgründigster Symphonik zu hören und zu erleben war, das war eine Offenbarung. Und die Ruhe und Gelassenheit – angefangen beim Einstimmen, beginnend bei den tiefen Streichern bis zum Intonieren der Bläser, bis zum ruhigen, geheimnisvollen Beginn besonders des ersten Satzes – das erzeugte genau die Atmosphäre, in der sich diese Offenbarung ereignen konnte und durfte. Verdienter und großer langanhaltender Beifall, den Franz Schottky gerne an seine Musikerinnen und Musiker weitergab.
(Mein Nachbar meinte hinterher: „Da müssen sich aber die anderen großen Münchner Orchester anstrengen, um so was zu Gehör zu bringen!“ Und Recht hat er, was auch für das Münchner Feuilleton gilt, im Übrigen…)
[Ulrich Hermann, Oktober 2019]