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Klang(bau)Meister

Orchesterkonzert: Unterhaching, 3. November 2019, Hugo Schuler (Klavier), Bruckner Akademie Orchester, Jordi Mora

Zu welch hervorragenden Leistungen ein zum großen Teil aus begeisterten Laien zusammengesetztes Orchester unter einem Dirigenten fähig sein kann, der sich mit der dargebrachten Musik innig vertraut gemacht hat, stellten am 3. November 2019 Jordi Mora und das Bruckner Akademie Orchester im Unterhachinger Kubiz zum wiederholten Male unter Beweis. Zwischen Wolfgang Amadé Mozarts Haffner-Symphonie und der (leider!) einzigen Symphonie des sehr jung gestorbenen Juan Crisóstomo de Arriga präsentierten sie gemeinsam mit dem Pianisten Hugo Schuler Johann Sebastian Bachs Klavierkonzert d-Moll BWV 1052.

Dass Mora ein grandioser Klangbaumeister ist, zeigte sich von den ersten Takten der Haffner-Symphonie an. Die scharfen Kontraste waren als solche zu hören: Von dem kräftigen Anfangsmotiv hob sich die zarte Fortsetzung deutlich ab, aber nichts wirkte aneinandergereiht. Im Gegenteil: Das eine ging wie selbstverständlich aus dem anderen hervor, wie anschließend die kontrapunktisch gestalteten Abwandlungen des Hauptthemas, in denen die Interaktion der Instrumentengruppen miteinander schön herausgearbeitet wurde. Mora überlegt sich genau, in welchen Momenten er die Musik in kurze Phrasen staffelt, und wann langgezogene Linien am rechten Platze sind. Der klingenden Bewegung widmet er sorgfältigste Darstellung und macht dadurch seinen Zuhörern die Formung der Töne zum genussreichen Erlebnis.

Hugo Schuler hat sich in den letzten Jahren einen guten Ruf als Bach-Spieler erworben und seine Fähigkeiten mit einer 2018 bei Aldilá erschienenen Aufnahme der Goldberg-Variationen bereits auf CD dokumentiert. Seine maßvolle Dynamik verriet, dass er die Solopartie des d-Moll-Konzerts vom Cembaloklang her dachte, doch machte er von der Möglichkeit, auf dem Piano-Forte die Tongebung durch die Art des Anschlags zu variieren, ausgiebig Gebrauch, sodass die Abschnitte zwischen den Orchesterritornellen sehr abwechslungsreich klangen. Höhepunkt der Darbietung war das Finale, in welchem das Zusammenspiel von Solist und Orchester besonders harmonisch geriet.

Das Leben des 1806 im Baskenland geborenen und seit 1821 in Paris ausgebildeten Juan Crisóstomo de Arriaga, wurde kurz vor seinem 20. Geburtstag durch eine Tuberkuloseerkrankung beendet, doch darf er angesichts seines erhaltenen Schaffens getrost als größter spanischer Komponist seiner Zeit betrachtet werden; und schmerzlich ahnt man, dem Grabspruch Franz Schuberts gedenkend, welche „noch viel schöneren Hoffnungen“ mit ihm begraben wurden. Arriagas Symphonie, 1824 vollendet, steht in D: die Ecksätze in Moll, die langsame Einleitung und das Menuett jedoch in Dur, das sich letztlich auch im Finale durchsetzt. In Form und Instrumentation meisterhaft ausgewogen, rekurriert sie melodisch auf einen teils eleganten, teils populären Tonfall, wie er unter den Komponisten aus der Generation nach Beethoven beliebt war, dem Arriaga aber kraft seiner immensen Begabung eine ungewohnte Leidenschaftlichkeit und Tiefe verleiht, ähnlich wie dies auch ein deutscher Generationsgenosse, der gleichermaßen tragisch früh ums Leben gekommene Spohr-Schüler Norbert Burgmüller, getan hat. Mora und sein Orchester blieben dem Werk nichts schuldig und verhalfen Arriaga zu einem glänzenden Erfolg. Als Zugabe (auch vom Solisten des Abends hätte man sich eine gewünscht) wiederholten sie den Finalsatz, und übertrafen dabei ihre vorherige Darbietung dieses Stückes noch um ein wenig an Schwung.

[Norbert Florian Schuck, November 2019]

Ein Abend in D

Für den Herbst 2019 nahm sich das Bruckner Akademie Orchester unter Leitung von Jordi Mora ein Programm in D vor, was sie am 3.11 im KUBIZ Unterhaching vortrugen: Zunächst spielte es Mozarts Haffner-Sinfonie D-Dur KV 385, dann Bachs Konzert für Klavier und Streicher d-Moll BWV 1052 gemeinsam mit dem argentinischen Pianisten Hugo Schuler und nach der Pause die Sinfonia a gran orquesta in D-Dur von Juan Crisóstomo de Arriaga, der auch als spanischer Mozart bezeichnet wird.

Was das aus Profis wie begeisterten Laien zusammengewürfelte Bruckner Akademie Orchester unter der grandiosen Leitung von Jordi Mora auf die Beine stellt, erstaunt jedes Konzert von Neuem. Dieses Mal arbeiteten die Musiker gemeinsam an zwei klassischen Symphonien in D-Dur: Mozarts Haffner-Sinfonie und Arriagas Sinfonia a gran orqesta. Arriagas Symphonie, bis vor kurzem noch ein Exot in den Konzertsälen, setzt sich immer mehr als bedeutendes Meisterwerk durch und steht mittlerweile regelmäßig auf den Programmen verschiedener Orchester. Wäre der Komponist nicht bereits vor seinem 20. Geburtstag einem Lungenleiden erlegen, was hätten wir noch für monumentale Musik von ihm erwarten können! Selbst seine frühen Ouvertüren bestechen schon durch ihre Ausdrucksgewalt, die reiche Rhythmik und inspirierte Melodik – und das, bevor er den ersten Kompositions- oder Kontrapunktunterricht nahm. Später ließ er sich in Paris unter anderem bei Baillot ausbilden, erhielt Unterstützung von Luigi Cherubini und lernte vermutlich sogar Beethoven persönlich kennen. Die ständig zwischen Dur und Moll changierende einzige Symphonie zählt als sein wichtigstes Werk, ihre zwingende Rhythmik packt den Hörer, die formale Gestalt überrascht und verzaubert gleichermaßen durch perfektes Timing und ideale Ausgewogenheit.

Von der rein äußeren Wirkung übertrifft die heutige Darbietung von Arriagas Symphonie sogar die mitreißende Leichtigkeit von Mozarts Haffner-Sinfonie. Jordi Mora treibt das Orchester stetig an, alles zu geben und sich zu 100% auf die Musik zu fokussieren. Dabei fallen die intensiven Blickkontakte zwischen den einzelnen Streichergruppen auf, aus denen eine fruchtbare Symbiose resultiert und den Streicherklang verschmelzen lässt. Die Bläser können sich auf diesem Fundament elegant entfalten und der Musik all die feinen Nuancen entlocken. Bemerkenswert ist, wie fein Jordi Mora die Kontraste und gegensätzlichen Passagen abwägt und somit die Form in der Waage hält. Das Minuetto wirkt durch die gewollt holprige Rhythmik mehr wie ein Beethoven’sches Scherzo als ein Mozart’sches Menuett, das Finale wütet in markantem Precipitato, das durch die Wiederholung in Form der Zugabe noch mehr gewinnt.

Mozart bleibt dagegen subtil, wenngleich nicht weniger substanz-geladen. Kompromisslos achtet Jordi Mora auf die Feinheit, Durchsichtigkeit und nicht zuletzt Leichtigkeit der Symphonie, die dadurch beinahe spielerisch ungezwungen Glanz erhält.

Überrascht wurde ich von Bachs Klavierkonzert in d-Moll. Anstelle des ansonsten oft ruppigen und pompösen Tuttis zu Beginn vernehmen wir kontrollierte und gar feinsinnige Klänge, die öffnen und fragen, anstatt direkt durch ein Statement mit der Tür ins Haus fallen. Auch der anschließende Solo-Part behält den Gestus bei: Hugo Schuler behält ein luzides Détaché, ein flötenartiges Nonlegato, bei, was der Musik eine stetige Feingliedrigkeit und Eleganz verleiht. Der Klang des Steinway-Flügels verschmilzt so erstaunlich gut mit den Streichern – es erweckt fast den Eindruck eines modernen Clavicembalos, das jedoch über gezielt eingesetztes Pedal und mehr klangliche Schattierungen verfügt. Im ersten Satz kommt Schulers linke Hand nur schwer über die sechs (!) Celli drüber, was angesichts des Klangideals auch unmöglich ist, ab dem zweiten Satz finden die Partner zusammen und vereinen sich in ihren musikalischen Vorstellungen. Das Adagio avanciert am Klavier zur gesungenen Cantilene, das Finale bricht in voller Spielfreude hervor.

[Oliver Fraenzke, November 2019]

Beethoven einmal wirklich „klassisch“

Nach ihrem Auftritt im KUBIZ Unterhaching am 8. Mai spielt das Bruckner Akademie Orchester unter Jordi Mora am 9. Mai im Herkulessaal der Münchner Residenz ein Programm bestehend aus der Ruy Blas-Ouvertüre op. 95 von Mendelssohn, Beethovens Drittem Klavierkonzert c-Moll op. 37 und Mahlers Sinfonie Nr. 4 G-Dur. Solistin im Klavierkonzert ist Ottavia Maria Maceratini, die Sopranpartie im Mahler-Finale singt Mireia Pintó.

Das Bruckner Akademie Orchester hat seit über einem Vierteljahrhundert den weit über München hinausragenden Ruf, als Laienorchester nicht nur auf überragendem Niveau zu spielen, sondern altbekanntem Repertoire neue Frische und Lebendigkeit zu verleihen. Als einer der langjährigsten Schüler Sergiu Celibidaches vermittelt Jordi Mora uns heute die Idee der musikalischen Phänomenologie, die sein Lehrer auf Grundlage seines Studiums bei Heinz Tiessen entwickelte. Phänomenologie ist keine Lehre, sondern die Haltung, jeden musikalischen Kontext individuell nach dessen Phänomenen zu erkunden und diese zum Klingen zu bringen. Das Wissen um Grundgesetze von Spannung und Entspannung aufgrund der natürlichen Ordnung der Obertonreihe ist Grundlage, um aus dem Hören ein Erlebnis werden zu lassen, das die aufgeschriebene Musik mit jeder Darbietung in einmaliger Lebendigkeit erstehen lässt.

Die Phänomenologie wird von Mainstream-Gelehrten gerne nicht „für voll genommen“ oder auch leichtfertig abgelehnt: Belegt werden kann sie schließlich nach deren Meinung nur anhand von Tonaufnahmen als Vermächtnis eines eines Toten, welche mit damaliger Technik nur einen Teil dessen abbilden können, was tatsächlich erklungen ist. Der Spott dürfte dem schnell vergehen, der ein Konzert mit Jordi Mora besucht und live erlebt, wie durchschlagend die Präsenz der Musik doch ist und wie zwingend die Werke vom allerersten zum allerletzten Ton zusammenhängen.

Die erste Hälfte des Konzerts steht ganz im Zeichen des klassischen Ideals. Mendelssohns Ruy Blas-Ouvertüre und Beethovens Drittes Klavierkonzert hören wir meist als pompöse Werke der aufkeimenden Romantik mit Pauken und Trompeten, hart und wirkungsvoll. Heute nicht! Jordi Mora rückt sie beide in das Licht der späten Klassik, nimmt Kraft und Lautstärke zurück, um transparent und fein zu bleiben. Wie strahlend doch das Blech bei Mendelssohn durchkommt mit den kleinen Crescendi und welch rhythmische Energie doch in den Geigenstimmen steckt! Beethoven sorgt ebenfalls für Aufsehen: Die Orchestereinleitung bleibt ungewohnt lange im Pianobereich und die kleinen Sforzati stechen nicht heraus, sondern unterstreichen subtil bestimmte Noten, wodurch die gesamte Gewalt in innig aufwallendes Brodeln verwandelt wird. Obwohl er extrem langsam dargeboten wird, besticht der Mittelsatz mit unglaublicher Kompaktheit und Griffigkeit. Der Schlusssatz ist ausgelassen, aber nicht übermütig, erinnert in der beschwingten Darbietung eher an eine Mozart’sche Eingebung denn an die manische Besessenheit, die Beethoven so gerne zugeschrieben wird. Ottavia Maria Maceratini fesselt durch ihre Präsenz: Wenn sie spielt, ist sie anwesend „in“ der Musik. Jede Note ist ausgewogen und abgestimmt, vor allem auch diejenigen, denen meist keine Beachtung geschenkt wird. Die Unterstimmen kommen heraus und geben ständigen Kontrapunkt zur Melodie, wobei besondere Bedeutung den „Zwischennoten“ zukommt, die nicht auf dem betonten Schlag liegen. Als Zugabe gibt es den Persian Love Song von John Foulds: Eine fragile Melodie, die auf einem Bordunbass aus repetierenden Akkorden schwebt. Diese Miniatur sollte als wahrer Schatz gewürdigt und in die Konzertprogramme aufgenommen werden, denn in nur etwa drei Minuten öffnet Foulds die Tore zu einer unendlichen orientalischen Welt, verströmt meditative Ruhe und reinen Gesang. Das Stück wird auf der nunmehr dritten Solo-CD von Maceratini, die Anfang kommenden Jahres erscheinen soll, erstmals eingespielt.

Nach der Pause bietet das Orchester noch die Vierte Symphonie Mahlers dar, welche die kleinste Besetzung aller Mahlersymphonien aufweist. Die hohe Qualität der ersten Hälfte bleibt bestehen, einziger Wermutstropfen ist die dauer-vibrierende Sopranistin, die sich wohl besser als Walküre denn als Solistin eines Mahler-Liedes ausnehmen würde. Das Bruckner Akademie Orchester nimmt die Symphonie beinahe kammermusikalisch intim, bleibt selbst in den tosenden Passagen transparent. Das gesamte Konzert über präsentiert sich dieses Orchester in hinreißender Plastizität: Ober- und Unterstimmen erhalten gleichberechtigte Bedeutung, wobei jede Stimme eigenständig wirkt. Resultat ist ein wahrhaft dreidimensional gestalteter Klang, der in jedem Moment räumlich spürbar ist.

[Oliver Fraenzke, April 2018]

[Rezensionen im Vergleich 1b] Das vergessene Violinkonzert

Rebekka Hartmann ist die Violinistin des Abends am 08. November 2015 im Kubiz Unterhaching. Sie spielt das berüchtigte Violinkonzert von Robert Schumann in d-Moll WoO 1 zusammen mit dem Bruckner Akademie Orchester unter Jordi Mora, welcher im Anschluss noch die vierte Symphonie in B-Dur Op. 60 Ludwig van Beethovens dirigiert.

Bis heute wird es wahrlich selten aufgeführt, das große Violinkonzert d-Moll WoO 1 von Robert Schumann, welches – 1853, im Jahr vor seiner Einlieferung in die Nervenheilanstalt, geschrieben – sein letztes Orchesterwerk sein sollte. Der Widmungsträger Joseph Joachim, dem einige der heute bekanntesten Violinkonzerte wie die von Johannes Brahms und Antonín Dvořák zugeeignet sind, führte es allerdings (übrigens ebenso wie das von Dvořák!) niemals öffentlich auf, denn er hatte wie auch Roberts Frau Clara Schumann Bedenken über die musikalische Qualität dieses Spätwerks, das so nah am geistigen Verfall zu sein schien. So kam es erst 84 Jahre nach der Entstehung 1937 durch Georg Kulenkampff zur Uraufführung und wurde auch erst in jenem Jahr in einer leicht überarbeiteten Ausgabe erstmals gedruckt und veröffentlicht. Wirklich etablieren konnte sich dieses Konzert allerdings noch immer nicht, obwohl sich namhafte Größen dafür einsetzen, allen voran Yehudi Menuhin und Henryk Szeryng, der es 1957 in einer Studioproduktion aufnahm und es zumindest als Erster in den Kanon der bedeutsamen Konzerte integrieren konnte. Nach wie vor wird es von den Violinisten aufgrund seiner geradezu antigeigerisch unangenehmen Virtuosität und ungeschickt gesetzten Akrobatik gefürchtet, und nur wenige bestehen diesen komplexen Drahtseitakt.

Auch die vierte Symphonie Op. 60 in B-Dur von Ludwig van Beethoven ist erstaunlich selten zu hören im Konzert, ganz im Gegensatz zu den Nummern drei und fünf. Nach einem berühmten Schumann-Zitat, die Symphonie sei eine schlanke Maid zwischen den Giganten der „Eroica“ und der „Schicksalssymphonie“, wird die Vierte oft als zartes und zerbrechliches Stück dargestellt, was ihr aber nicht gerecht werden kann, denn auch sie besticht mit ihren Kulminationen und vorwärtsdrängenden, markanten Themen in vollem Orchestertutti. Besonders der letzte Satz fordert viel von den Orchestermusikern, die in raschem Galopp minutiös die diffizilen Figuren bewältigen müssen, ohne dabei die Leichtigkeit und Fröhlichkeit dieses Satzes zu verlieren.

Die Solistin im Schumannkonzert, Rebekka Hartmann, brilliert mit elektrisierender Präsenz und alles durchdringendem musikalischen Bewusstsein. Alleine ihr Auftreten vermittelt schon deutlich die Konflikte in diesem späten Meisterwerk: Mal geht sie in die Knie, mal kneift sie das Gesicht in vollster Anspannung zusammen und im zweiten Satz lässt sie auch einmal ein Lächeln an die innigen Kantilenen durchdringen – sprich, sie ist vom ersten Ton an vollkommen in diese Musik abgetaucht und spricht keine andere Sprache mehr als die von Schumann. Und das wird auch hörbar! Ihr Spiel ist detailliert ausgestaltet sowie dynamisch und artikulatorisch gereift, ihre Stimme vollkommen losgelöst von den einengenden Taktschwerpunkten und kann sich so frei schwebend entfalten über dem mächtigen Orchesterklang. Nicht zuletzt von der technischen Seite her behauptet sich Rebekka Hartmann als Ausnahmeviolinistin und verleiht den fingerbrecherischsten Passagen eine unerhörte Leichtigkeit und strahlenden Glanz fern jeglicher Art des nicht empfundenen Bogens und rein äußerlicher Fixiertheit. Ein ebenso hohes und makelloses Niveau erreicht die Solistin in ihrer Zugabe, dem Recitativo und Scherzo-Caprice von Fritz Kreisler, einem frechen Bravourstück, das nach einer lyrisch-introvertierten, aber nichtsdestoweniger sanglichen anstatt nur prätendierenden Einleitung ein hochvirtuoses Geschehen mit großem Schwung entfesselt, das mit einem zwinkernden Auge einen würdevollen Abschluss der ersten Konzerthälfte nach diesem monströsen Violinkonzert abgibt.

An der Seite der Solistin steht das Bruckner Akademie Orchester unter Leitung des Celibidacheschülers Jordi Mora. Wie inspirierend und motivierend muss es sein, mit einer solchen Ausnahmemusikerin aufzutreten! Der Klangkörper, der im April bereits mit Schumanns erster und Schostakowitschs achter Symphonie beeindruckte, hat seine Ansprüche noch weiter in die Höhe geschraubt und ist auf ungeahntes Niveau aufgestiegen. Die Stimmen sind allesamt sauber und auch die orchesterinternen Soli verlaufen tadellos bis hin zu den heikelsten Anforderungen an einzelne Musiker. Hervorgehoben sei an dieser Stelle das erste Fagott, welches gerade bei Beethoven unzählige diffizile Passagen zu meistern hat, und der ganz grandiose Solohornist. Außerordentlich besticht die von Jordi Mora gut einstudierte Begleitung zu Schumanns Violinkonzert durch die absolute Durchsichtigkeit des Orchesterapparates, wodurch die Sologeige so oft wie nur irgend möglich solistisch wirklich erglänzen kann und nicht – wie bei diesem Konzert häufig der Fall – vor allem in den von Schumann so effektdämpfend bevorzugten mittleren und tiefen Lagen im Tutti untergeht. So angeleitet kann das Bruckner Akademie Orchester vornbildlich eingehen auf die Solistin und ihr ein angemessener Widerpart sein, ohne den die bloße Geigenstimme im Mittelsatz streckenweise direkt sinnfrei erscheinen würde.

Auch bei Beethoven überzeugt das Orchester. Hier gibt es unzählige Mittel- und Unterstimmen, die stets Gefahr laufen, zu verschwimmen oder im allgemeinen Klang unterzugehen, die jedoch hier kristallin durchsichtig an die Oberfläche befördert werden und einen schillernden Farbenreichtum ermöglichen.

In der Mitte des bis zum letzten Notsitz vollkommen ausverkauften Kubiz in Unterhaching steht der Dirigent Jordi Mora. Ihm ist es seit jeher wichtig, dem Laienorchester mannigfaltige klangliche Dimensionen zu verleihen und es zu einem plastischen Gebilde aus vielen eigenständig-lebendigen Stimmen werden zu lassen, wie er auch an diesem Abend unter Beweis stellt. Sein Dirigierstil ist äußerst schlicht und einfach, so dass es von der bewegungsästhetischen Seite eher weniger ansprechend wirken würde, wäre nicht eine enorme organische Kraft dahinter, die komplett aus seiner Mitte strömt und jeder noch so kleinen Bewegung Sinn verleiht. Mit dieser inneren Kraft kann er suggestiv die Musiker seines Orchesters leiten und einen gemeinsamen Impuls schaffen. Der unmittelbare Kontakt zu seinem Klangkörper ist ihm ebenso ein zentrales Anliegen, so dass er nie verkniffen in der Partitur hängt – den Beethoven dirigiert er ohnehin ohne Notenpult vor sich -, sondern Blickkontakt herstellt und als erfahrener Vermittler zwischen allen Mitwirkenden eine bezwingend zusammenhängende Darstellung entstehen lässt.

[Oliver Fraenzke, November 2015]

 

[Rezensionen im Vergleich 1a] Das vergessene Violinkonzert

Sonntag, 08.11.2015 19 Uhr
KUBIZ Unterhaching

Bruckner Akademie Orchester
Rebekka Hartmann, Violine
Jordi Mora, Leitung

Robert Schumann
(1810-1856)
Konzert für Violine und Orchester in d-moll WoO1

Ludwig van Beethoven
(1770-1827)
Symphonie Nr. 4 B-Dur op.60

Welch ein Konzert!  Auch wenn ich nur den fast letzten ergatterbaren Platz in der ersten Reihe ganz links außen bekam – dafür konnte ich Solistin, Dirigent und die Musikerinnen und Musiker beim Neuentstehen dieser beiden fabelhaften Stücke nahezu hautnah erleben. Und ein Erlebnis der ganz besonderen Art war dieser ganze Abend im ausverkauften KUBIZ in Unterhaching.

In einem bodenlangen blauen Kleid kam Rebekka Hartmann mit ihrer Stradivari von 1675 auf die Bühne. Schumanns Violinkonzert, sein letztes vollendetes Orchesterwerk, galt lange Zeit erstens als unspielbar und zweitens meinte man, die Geisteskrankheit des Komponisten darin zu hören und zu spüren. (Wer über dieses sehr merkwürdige Kapitel im Leben des Komponisten Robert Schumann mehr erfahren möchte, tut gut daran, das hervorragende Buch von Eva Weisweiler über Clara Schumann zu lesen, denn die Rolle der Ehefrau Roberts ist alles andere als klar und eindeutig. Sie war es ja auch zusammen mit dem Widmungsträger Joseph Joachim, die das Werk erst gar nicht aufführen ließen, sehr merkwürdig, aber die Rezeptionsgeschichte dieses Werkes weist noch mancherlei Merkwürdigkeiten auf.)

Aber all das war vergessen und spielte gar keine Rolle mehr, als Orchester und Solistin diese wundervolle Musik zum Erklingen brachten. Nach einer machtvollen Einleitung setzt die Solistin mit dem gleichen gewaltigen Thema machtvoll ein und führt über zu einem sehr lyrischen Seitenthema, das Orchester begleitet die Geige zurückhaltend, hat dazwischen immer wieder Tutti-Stellen,  Geige und Orchester stehen wie zwei erratische Blöcke gegeneinander. Natürlich spielte Rebekka Hartmann – wie es bei ihr gar nicht anders vorstellbar ist – mit Leib und Seele, die Körpersprache ist einfach hinreißend und macht die in diesem Konzert innerwohnende Energie und Kraft auch äußerlich deutlich mit ihrer Bewegtheit und der Phrasierung, die das melodische und harmonische  Erklingen mitträgt. Schumann als Melodiker kommt am intensivsten im zweiten – langsamen – Satz zum  Vorschein, und immer wieder während der drei Sätze überraschen seine unerhörten harmonischen Wendungen.

Jordi Mora und das Bruckner Akademie-Orchester, das in den Streichern aus Laien exzellenten Schliffs zusammengesetzt ist, gaben der Solistin die bestmögliche Begleitung und den Raum, dass sich Rebekka Hartmanns wunderbares Spiel völlig entfalten konnte und den ganzen Saal danach zu Begeisterungsstürmen hinriss. Sie „musste“ noch eine Zugaben spielen: von Fritz Kreisler Rezitativ und Capriccio op. 6. Noch einmal versprühte sie mit ihrer Geige ein musikalisches Feuerwerk erster Güte.

Nach der Pause folgte die nicht allzu häufig gespielte vierte Symphonie von Ludwig van Beethoven, die er 1806 zwischen der „Eroica“ und der „Fünften“ komponierte. In München war sie erst vor kurzem mit dem Bayerischen Rundfunk-Symphonie-Orchester unter Herbert Blomstedt zu hören gewesen. Aber was ich heute Abend an Musik „in statu nascendi“  vom Bruckner Akademie Orchester  unter Jordi Mora zu hören bekam, machte meine Ohren staunen und eröffnete teils völlig neue Erlebnisse. Schon der Beginn des ersten Satzes mit dem eindrucksvollen, fast düsteren Thema kam in aller Ruhe – schließlich steht auch Adagio als Tempovorgabe über den Noten – bevor im Takt 39 das Allegro vivace die volle Wucht und Kraft der Beethoven’schen Klangsprache zeigt.
Himmlische Melodien hat Beethoven ja häufigst geschrieben, auch wenn er für vieles – wie man an seinen Notizbüchern sehen kann – schwer gearbeitet hat, bis diese „Himmlischkeit“ seinen Melodien eignete. Immer wieder ist es eine Beglückung, seinen Adagio-Sätzen – wie hier dem zweiten – zuzuhören und sich in andere Gefilde mitnehmen zu lassen.
Im dritten Satz – hieß es im Programmblatt – streiten die zwei Grundrhythmen der westlichen Musik, der Zweier- und der Dreiertakt miteinander. Im Bayerischen heißt das „Zwiefacher“. Und mit dieser einfachen aber stimmigen Erklärung war ich der rhythmischen „Raffinesse“ dieser Musik nicht mehr ganz so hilflos ausgeliefert. Jordi Mora ließ dieses Allegro vivace und das Trio in voller tänzerischen Kraft und Eleganz entstehen, die Musikerinnen und Musiker spielten mit aller Lust und Freude merklich animiert, keiner saß bei seinem Spiel etwa angelehnt auf seinem Stuhl, wie man das durchaus bei einigen Berufsorchestern immer wieder sehen kann.
Das Finale machte mir ganz besonders deutlich, was für ein Vorgänger als Symphoniker Beethoven auch für Schubert war, der sich ja sehr oft in dessen Schatten stehend fühlte.  Beethovens Musik ist auch heute noch – vor allem, wenn sie so entsteht und „aus der Taufe“ gehoben wird wie an diesem denkwürdigen Abend im Kubiz in Unterhaching vom Bruckner Akademie Orchester und seinem Leiter Jordi Mora – ein tief bewegendes und anrührendes  Erlebnis.

Donnernder Applaus für Orchester und Dirigent.  Und auch von mir ein ganz großes Dankeschön für dieses wunderbare Geschenk.

[Ulrich Hermann, November 2015]