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Filmmusiken für den Konzertsaal

Capriccio, C5368; EAN: 8 45221 05368 4

Für den Konzertsaal eingerichtete Filmmusik von Hanns Eisler hören wir auf der Aufnahme mit dem Dirigenten Jürgen Bruhns für Capriccio. Gemeinsam mit dem MDR-Sinfonieorchester spielt er die Leipziger Sinfonie ein, die Tilo Medek aus den Skizzen des Komponisten eingerichtet und vervollständigt hat, zudem Trauerstücke aus unterschiedlichen Filmpartituren der letzten Jahre Eislers, eingerichtet vom Dirigenten selbst sowie von Tobias Faßhauer. Mit der Kammersymphonie Berlin nimmt Bruns zudem die Filmmusik Nuit et brouillard von 1955 auf.

In seinen letzten Jahren widmete sich Hanns Eisler vermehrt der Filmmusik, wobei diese nicht nur reine Hintergrundbeschallung sein sollte, sondern für sich selbst steht. Dies trifft besonders für die etwa dreißigminütige musikalische Untermalung des Films Nuit et brouillard zu, welche die abgebildeten Gräueltaten eben nicht donnernd kommentiert, sondern eine Innenwelt der Opfer darstellt und sich äußerlich eher zurückhält. Eisler dachte von Anfang an daran, die Musik auch ohne Filmausstrahlung aufzuführen, was mehrfach mit großem Erfolg geschah. Andere Filmmusikpartituren plante Eisler für Konzertaufführungen neu einzurichten oder umzuschreiben. Als er 1959 vom Gewandhaus-Orchester den Auftrag für eine Symphonie erhielt, sollte diese hauptsächlich aus Abschnitten bereits fertiggestellter Filmmusiken bestehen – doch Eisler selbst konnte das Vorhaben nicht mehr vollenden. Als Tilo Medek sich an die Skizzen setzte, um die Symphonie zu rekonstruieren, fielen ihm aus dem Ordner vor allem Filmmusikpartituren entgegen und nur wenige Seiten der angefangenen Symphonie. Wie man dem detaillierten Booklettext von Peter Deeg entnehmen kann, ist eigentlich Medek der Hauptautor der Symphonie, der sich eben auf die alten Filmmusiken berief und diese zusammensetzte, die ersten 21 Seiten des 2. Satzes scheinen das einzig größere von Eisler selbst niedergeschriebene Fragment zu sein. Die von Jürgen Bruns und Tobias Faßhauer zusammengestellten und eingerichteten Trauerstücke aus Filmpartituren bestehen hauptsächlich aus kürzeren Teilen der letzten Filmkompositionen Eislers, die relativ lose aneinandergereiht sind: jede für sich ein hinreißendes Stimmungsgemälde, in der Abfolge jedoch nicht bezwingend.

Würde ein Film mit den zu hörenden Aufnahmen mitlaufen, so würden die Musiker dieser Aufnahme ihren Zweck vollends erfüllen: hoch expressive Stimmungsteppiche knüpfen, auf welchen die Bilder ihre volle Wirkung entfalten. So allerdings im CD-Format ermüden vor allem die frei aneinandergereihten Trauerstücke aus Filmpartituren, da es an Kontrasten und organischen Übergängen fehlt. Die Musiker bleiben unter Stabführung von Jürgen Bruns oft flächig bis sogar statisch, allerdings auch ohne sich einstellende Ruhe, da hierfür die Spannung doch zu hoch gehalten wird. Am meisten spielt die Leipziger Sinfonie den Musikern zu, die dem rhythmischen Drive folgen und in den dramatischen Effekten aufgehen, wie der surrealen Trompetenfanfare oder dem bedrohlichen Donnern. Die Symphonie bietet auch genug Kontraste, um schlüssig das Werk zusammenhalten zu können.

[Oliver Fraenzke, November 2019]

Wunderbare Stücke in wunderbarer Vielfalt

Polish Violin Concertos
Piotr Plawner (Violine)
Kammersymphonie Berlin – Jürgen Bruns
Label: NAXOS
EAN: 747313349678

Wie definiert man polnische Musik? Das ist eine Frage, die sich bei der Beschäftigung mit diesem neuen Album des NAXOS-Labels unvermittelt stellt.

Ein Komponist wie Alexandre Tansman, geboren 1897 in Łódź, 1920 die französische Staatsbürgerschaft angenommen, vor den Nazis nach Lissabon geflohen und von dort dann in die USA ausgereist, 1946 nach Paris zurückgekehrt und bis zu seinem Tod dort geblieben. Hat er „polnische“ Musik komponiert?

Oder Michał Spisak: 1914 geboren in Südpolen, ab 1935 wohnhaft in Paris, wo er 1965 auch gestorben ist. Auch Andrzej Panufnik, der einen Großteil seines Lebens in Großbritannien verbrachte und aus Enttäuschung in den 1950er-Jahren seinem Heimatland Polen den Rücken kehrte oder Grażyna Bacewicz, die Anfang der 1930er-Jahre nach Paris ging, um (wie auch Spisak) bei Nadia Boulanger zu studieren, kann man schwerlich einen hörbar „polnischen Stil“ attestieren, auch wenn diese beiden immerhin viel Zeit ihres Lebens in ihrem Heimatland verlebt haben.

Es ist daher durchaus fraglich, ob es gerade bei polnischen Komponisten Sinn macht, ein Album mit vermeintlich „polnischer Musik“ zu konzipieren. Gerade in Polen kann man keine „Schule“ ausmachen, keinen spezifischen „Sound“ wie man ihn etwa sofort im Ohr hat, wenn von tschechischer, ungarischer oder russischer Musik die Rede ist.

Ein Manko ist das aber nicht. Ganz im Gegenteil, wie dieses hoch interessante Album beweist. Es enthält vier ganz hervorragende Kompositionen von überwiegend ausgezeichneter Qualität, und es ist zudem von der Kammersymphonie Berlin unter Jürgen Bruns und vom überraschend großartigen Solisten Piotr Plawner (der zumindest mir vor dieser Aufnahme überhaupt kein Begriff war) in sehr, sehr guter Qualität eingespielt worden, dank einer Koproduktion mit dem Deutschlandradio zudem in brillantem Aufnahmeklang.

Das erste Konzert des Albums ist auch das Interessanteste. Es stammt von Grażyna Bacewicz. Naxos hatte bereits im letzten Jahr mit einer Gesamteinspielung der Bacewicz-Streichquartette einen echten Coup gelandet. Bacewiczs Musik, die manchmal sehr an Weinberg und Schostakowitsch erinnert, müsste ein großes Publikum begeistern können. Und kaum ein Werk wäre besser geeignet, um besagtes Publikum für sich zu gewinnen, als dieses tolle Violinkonzert.

Es ist nicht einfach vordergründig virtuos, sondern es wimmelt vor allem von schönen Melodien und einem von lyrischer Heiterkeit durchwehten Geist. Erstaunlich ist dies schon allein deshalb, weil das Stück im Jahr 1937 entstand, als die bevorstehende politische Krise nicht wenige (darunter auch Bacewicz selbst) zu düster-vorahnungsvollen Kompositionen inspirierte. Hört man etwa Bacewiczs düster bis teils sogar depressiv gefärbte Streichquartette, kann man kaum glauben, dass dieses heitere, ganz unproblematisch zugängliche Stück von derselben Komponistin stammen soll.

Alexandre Tansmans „Cinq Pièces pour violon et petit orchestre“ atmen (wie so vieles von diesem schwierig zu interpretierenden Komponisten) den Neoklassizismus der Art Strawinsky, freilich durchwebt mit dem Hauch zurückhaltender Noblesse und Eleganz, die man bei Tansman häufig findet. Auch diese Stücke sind einfach nur hinreißende Musik, ja, mit das Schönste für diese Besetzung, was ich aus den späten 20er-/frühen 30er-Jahren bislang gehört habe.
„Andante und Allegro für Violine und Streichorchester“ sind die beiden folgenden Stücke aus dem Jahr 1954 betitelt. Sie stammen von Michał Spisak, und stünde dieser Name nicht darüber, ich hätte das Andante glatt für eine verschollene Schostakowitsch-Komposition gehalten, und ich meinte damit jenen sinistren, der Last des Lebens müden Schostakowitsch, der sich etwa im ersten Satz der sechsten Sinfonie oder in der Viola-Sonate findet. Das Allegro hingegen könnte man fast für ein Werk Brittens halten, wobei auch Strawinskys „Orpheus“ hier hätte Pate stehen können.

Ich muss gestehen, dass Spisaks Stücke mich zwar mit ihrer Zugänglichkeit begeistern – man muss sie ja einfach gern haben, weil sie so schön klingen – aber unter kompositorischen Aspekten sind sie die womöglich am wenigsten „gehaltvollen“ Werke dieser CD.

Das Violinkonzert Andrzej Panufniks aus dem Jahr 1971 beschließt das Album mit dem typischen, ganz unverkennbaren Panufnik-Sound, den man entweder liebt oder hasst. Panufnik war ein Individualist vor dem Herrn, einer, der seinen eigenen Kopf durchsetzen musste. Sein Violinkonzert überrascht mit zurückgenommenen kammermusikalischen Passagen und mit einer für Panufniks Verhältnisse vergleichsweise stark ausgeprägten Expressivität. Es ist eine im Prinzip ganz untypische Musikmoderne für einen mitteleuropäischen Komponisten. Es ist Musik, die man auch von einem US-Amerikaner wie William Schuman oder Roy Harris akzeptiert hätte.

Panufniks Konzert gleicht einem Spiel der Violine mit dem Orchester oder besser gesagt, einer Art Wettkampf oder einem Katz-und-Maus-Spiel. Nur wenige Passagen lassen beide „Parteien“ zusammen erklingen, die Violine steht oft allein oder tritt in teils aufgeregte Dialogpassagen mit dem klein besetzten Orchester ein. Ein enorm interessant gemachtes Werk, in dem man immer wieder Neues entdeckt, je öfter man es hört.

Fazit: Der Titel des Albums mag verfehlt sein (wie wir gezeigt haben, gibt es weder ausschließlich Violinkonzerte auf dieser CD noch könnte man hier irgendwo eine dezidiert „polnische“ Musik ausmachen), doch die enthaltenen Kompositionen und ihre Interpreten begeistern!

[Grete Catus, Juli 2016]

Tragisch ausgelöschter Meister der klassischen Moderne

Joachim Mendelson
2. Symphonie (1939), Symphonie de chambre (1938), Quintett für Oboe, Streichtrio und Klavier (1939), Sonate für Violine und Klavier (1937)

Tatjana Blome (Klavier), Frédéric Tardy (Oboe), Ulrike Petersen (Violine), Ignacy Miecznikowski (Viola), Claudio Corbach (Cello), Polnisches Rundfunk-Symphonieorchester, Jürgen Bruns

EDA 040
ISBN: 840387100401

EDA040

Immer wieder zucken wir gerade als Musiker aufs Neue zusammen, wie unsere nationalsozialistischen Vorgänger innerhalb kürzester Zeit im Zuge systematischer Zerstörung insbesondere die polnische Kultur dem Erdboden gleich gemacht haben. So vieles ist unwiederbringlich verloren! Und jetzt präsentiert das Berliner Label EDA, das seit zwei Jahrzehnten mehr tut für die vergessene polnische Musik als alle anderen zusammen, einen Komponisten, den ich bis dahin überhaupt nicht kannte – einen jüdisch-polnischen Komponisten, der 1943 im Warschauer Ghetto getötet wurde. Joachim Mendelson wurde 1892 in Warschau geboren, schrieb sich ursprünglich Mendelssohn und lebte ab 1929 in Paris, bis er 1935 als Dozent für Musiktheorie und Harmonielehre an die Musikakademie seiner Heimatstadt berufen wurde, wo sein Leben wie so viele 1939 in die Hände der Deutschen fiel. Der exzellente Booklettext von Initiator Frank Harders-Wuthenow, einem der beschlagensten, engagiertesten und intelligentesten Musikforscher unserer Zeit, bringt alles vor, was die Recherchen über Mendelson zu so einer Einführung beitragen konnten, und das ist leider sehr wenig, denn fast alles ist vernichtet worden, darunter sämtliche Manuskripte Mendelsons, die bei der Niederbrennung Warschaus 1944 in Flammen aufgingen. Daher kann man es nur als unschätzbaren Glücksfall ansehen, dass fünf Werke Joachim Mendelsons beim französischen Verlagshaus Max Eschig im Druck erschienen sind. Sie sind alles, was erhalten ist: ein etwas früher entstandenes Streichquartett sowie die vier auf vorliegender Portrait-CD enthaltenen Kompositionen: eine Sonate für Violine und Klavier (1937), eine Kammersymphonie (1938), und aus dem Jahr 1939 ein Quintett für Oboe, Violine, Viola, Cello und Klavier sowie die Zweite Symphonie. Bei der Datierung handelt es sich jeweils um das Jahr der Veröffentlichung, die Kompositionen dürften etwas früher entstanden sein, doch kann man anhand der stilistischen Reifung – wie Harders treffend konstatiert – davon ausgehen, dass die Veröffentlichungsreihenfolge einigermaßen der Entstehungabfolge entspricht. Alle vier Kompositionen sind dreisätzig mit der Abfolge schnell-langsam-schnell.

Schon in der Violinsonate zeigt Mendelson eine deutlich eigene Handschrift, die natürlich stark von französischen Vorbildern geprägt ist, jedoch sowohl zum Besten darunter gehört als auch mit einem dezidiert slawischen Einschlag besticht, der gleichwohl viel subtiler vorhanden ist als etwa bei einigen anderen lange in Paris tätigen Kollegen wie etwa Martinu. Besonders zeuberhaft ist der langsame Satz, ein ätherisch melismatisches Andante ma non troppo. Die Kammersymphonie bezeugt bereits eine offenkundige Weiterentwicklung, beispielsweise in der organischen Handhabung der würzigen freien Dissonanzen, und auch hier ist es der langsame Mittelsatz, ein vital schwebendes Larghetto, das besonders eigenartig klingt und mit einer unwiderstehlichen Atmosphäre umfängt. Und man darf staunen, wie herrlich farbenreich und mit welchem Sinn für Balance und Kontraste Mendelson orchestrierte.

Ein großes Meisterwerk ist das Quintett für die seltene Besetzung von Oboe, Streichtrio und Klavier. Hier haben auch die ohnehin so geistreichen schnellen Sätze nochmals sichtlich an Substanz gewonnen, und der kontrapunktisch meisterliche Fluss ist staunenerregend in der Leichtigkeit und freien Anmutung, mit welcher die komplexen Kunststücke inszeniert werden. Mendelson zeigt sich immer mehr als ein vortrefflicher Meister der Formdramaturgie, und nie wird es neoklassizistisch oberflächlich, nie modisch stilisiert, nie schwerfällig tiefgründig. Diese Musik ist durchweg durchflutet von Leben, Charme, hellwachem Geist und Brillanz im Dienste aristokratisch feinsinniger Aussage. Die Zweite Symphonie, wohl sein letztes Werk in Freiheit, krönt sein erhaltenes Schaffen (leider können wir sie nicht der Ersten gegenüberhalten), und ihr Larghetto darf als einer der schönsten Sätze für Orchester in den letzten Zwischenkriegsjahren gelten. Nun möge diese CD anregen, diese Werke auch im Konzertleben zu präsentieren.

Die Einspielungen sind mit großem Engagement und Liebe zur Sache geschehen. Mich stören vor allem zu kurz ausgehaltene Töne, vor allem bei beiden Akteuren in der Violinsonate. Im Orchester sind die lauteren Passagen oft vertikal eher unstrukturiert und zumal in den schnellen Sätzen recht primitiv artikuliert. Lyrische Innigkeiten entschädigen andernorts für derlei Einbußen. Das Klangbild ist in den Kammermusikwerken ansprechender, da präziser und ausgewogener, als in den Orchesteraufnahmen. Insgesamt ist das eine CD, die jeder kennen sollte, dem die Musik der klassischen Moderne ein echtes Anliegen ist, und der sich für höchstkarätige Kammer- und Orchestermusik des 20. Jahrhunderts interessiert.
[Lucien-Efflam Queyras de Flonzaley, März 2016]