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Über den Tod hinaus

Zwei Premièren gibt es in am 15. Oktober 2017 in der Wallfahrtskirche Götzens bei Innsbruck mit der Akademie St. Blasius: Instrumentalensemble und Chor der Akademie spielen die Uraufführung von Franz Baurs „Himmlisches Jerusalem“ sowie die österreichische Erstaufführung von Alfred Schnittkes Requiem.

Nach den CD-Aufnahmen der beiden Oratorien Franz Baurs – ‚Genesis’ und ‚Amartema’ – mit dem Symphonieorchester St. Blasius unter Karlheinz Siessl gibt es nun mehr geistliche Musik des österreichischen Komponisten. „Himmlisches Jerusalem“ weist eine kleinere Besetzung auf als die Oratorien, neben den Stimmen sind lediglich E-Gitarre, E-Bass, Orgel und breit aufgestelltes Schlagzeug beteiligt, und misst nur etwa 20 Minuten Aufführungsdauer. Doch diese werden musikalisch und philosophisch breit erfüllt. Es beginnt alleine damit, dass Baur den Schlussakkord an den Anfang setzt, was er durch gesprochene Worte Paul Sartres begründet, und das restliche Werk auf diesem Endpunkt aufbaut: Der Tod – „Schlussakkord“ – ist nicht das Ende des Seins, die Existenz wirkt weiter fort. „Himmlisches Jerusalem“ ist flächig gestaltet mit Schwerpunkt auf die menschliche Stimme. Trotz der kleinen Besetzung entsteht eine voluminöse Atmosphäre, was vor allem aus dem nuancierten Wechselspiel zwischen Chor und Schlagwerk resultiert. Die Solisten werden geschickt in den Chorapparat eingebunden, besonders die lupenreine Stimme des Soprans und auch die als Fernstimme von der Kanzel aus verwendete Tenorstimme begeistern.

Zweiundvierzig Jahre nach der Entstehung des Requiems von Alfred Schnittke findet es seinen Weg auch nach Österreich und lässt mich nun doch fragen: Warum eigentlich nicht früher? Die vierzehn kurzen Sätze bestechen allesamt mit enormem musikalischen Gehalt, verinnerlichter Aussagekraft und subtilem Humor, sind gezeichnet von Inspiration und Unmittelbarkeit der Wirkung. Und keinen lässt es kalt, wenn zum Ende hin der erste Satz wiederkehrt: All das Aufbegehren umsonst, es ist zu Ende, Requiem aeternam. Das Requiem, als Schauspielmusik zu Schillers „Don Carlos“ geschrieben (nicht zuletzt, um auf diese Weise die Zensur zu umgehen!), ist ein Flickenteppich an Stilen, von Barock über Romantik bis his zu zeitgenössischen Techniken ist alles darin vorhanden. Doch Schnitte gelingt es, die Polystilistik dramaturgisch zusammenzuhalten und in seinem ureigenen Ton zu vereinheitlichen. Unvergesslich bleibt die Passage, in der ein Drumset urplötzlich groovende Rhythmen einwirft, die jedoch immer wieder unterbrochen werden und genauso unvermittelt abbrechen, wie sie begannen.

Souverän und feinhörig wirken Instrumentalensemble und Chor der Akademie St. Blasius zusammen. Nicht alle Instrumentalisten haben dankbare Stimmen und gehen doch mit Verve und Freude an der Musik an die beiden Werke. Der Chor meistert die Hürden der komplexen Polyphonie und der eigenwilligen Harmonik beeindruckend. Karlheinz Siessl führt die Musiker mit sicherer Hand durch die zerklüfteten Gefilde dieser anspruchsvollen Musikwerke und formt sie klanglich zur Einheit. Auffällig heute ist sein nach oben gerichtetes Dirigieren, womit er über weite Strecken selbst den Taktschwerpunkt an der Spitze seiner Bewegungen positioniert. Dies korrigiert nicht nur die Tendenz der zu tiefen Intonation, sondern öffnet den Weg „nach oben“, „gen Himmel“. So ebnet er den Weg ins „Himmlische Jerusalem“, durch den Tod – Requiem – hindurch in eine transzendente Wirklichkeit.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2017]