Am 1. März 2023 spielte das Klangkollektiv Wien unter Leitung von Rémy Ballot im Großen Saal des Wiener Radiokulturhauses des ORF ein ganz im Zeichen der Wiener Klassik stehendes Programm. Auf Wolfgang Amadé Mozarts Große A-Dur-Symphonie KV 201 folgte die unter dem Namen La Reine bekannte Pariser Symphonie B-Dur Hob. I:85 von Joseph Haydn, bevor Franz Schuberts Symphonie Nr. 5 B-Dur D 485 den Abend beschloss. Der Verfasser dieser Zeilen war nicht selbst anwesend, sondern verfolgte das Konzert mittels Direktübertragung im Netz.
Wer das Konzert des Klangkollektivs im vergangenen November noch in angenehmer Erinnerung hat, als das Ensemble als reines Streichorchester zu hören war (nur in einem Werk durch die Soloflöte ergänzt), konnte sich nun davon überzeugen, dass es auch in größerer Besetzung vortrefflich spielt. Dirigent Rémy Ballot animierte die Bläser nicht weniger als die Streicher zu Höchstleistungen musikalischen Zusammenwirkens. Mit großer Liebe zum Detail sorgt er dafür, dass die Mittelstimmen nicht im Geschehen untergehen, dass man auch die langen Töne der Hörner und Holzbläser als Gesänge hört, die Teil am Ganzen haben. Er gehört zu denjenigen Dirigenten, die ihren Musikern vermitteln können, aufeinander zu hören. Alle wissen, wann sie wie stark hervorzutreten haben, wann sie führen, wann nur begleiten sollen, und sind während der Aufführung füreinander da. Ja, es ist echter Gemeinschaftssinn in diesem Orchester, dank Ballot, den man einen Meister des Ausbalancierens der Klanggruppen nennen muss.
Erfreuen konnte man sich auch an der kultivierten Artikulation des Orchesters. Man erlebte ein elegantes, lichtdurchflutetes Musizieren, aber ohne dass etwas glattgebügelt oder ruppig um der Ruppigkeit willen vorgetragen wurde. Hörte man Folgen von Staccato-Tönen, so waren es wirkliche Staccati, und doch herrschte ein Gefühl für die melodische Linie. Dieser Sinn für Melodie ließ auch die kontrapunktischen Stellen aufblühen. Das Klangbild war bei aller Grazie, die dem Ganzen inne wohnte, von einer angenehm kernigen Deutlichkeit. Solch ein Durchleben, solche Verlebendigung der Wiener Klassiker kann man nur wünschen in der heutigen Zeit häufiger zu hören.
Am 25. Februar 2023, dem Vorabend des 110. Todestages Felix Draesekes, veranstaltet die Internationale Draeseke-Gesellschaft e. V. ein Gedenkkonzert in der Grieg-Begegnungsstätte in Leipzig. Es spielt der Pianist Aris Alexander Blettenberg.
Die musikgeschichtliche Bedeutung Leipzigs ist hinlänglich bekannt. Die Stadt der Thomaskantoren und des Gewandhauses beheimatet seit 1843 das älteste Konservatorium Deutschlands. Für Felix Draeseke wurde sie zur ersten herausragenden Station seiner Musikerlaufbahn. Als von den neuen Ideen Wagners begeisterter Konservatoriumsschüler erregte er das Missfallen seiner Lehrer, fand aber in Franz Brendel, dem Chefredakteur der Neuen Zeitschrift für Musik, einen tatkräftigen Förderer.
Von Leipzig aus verbreitete sich Draesekes Name in der musikalischen Welt, zunächst vor allem als Musikkritiker. Als Draeseke nach seinem langjährigen Aufenthalt in der Schweiz nach Deutschland zurückkehrte, ließ er sich zwar in Dresden nieder, doch fand er in Leipzig seinen wichtigsten Verleger: Bei Fr. Kistner erschienen etwa die Hälfte seiner Werke. Leipzig ist viel, so auch eine Draeseke-Stadt. Deshalb freut es die Internationale Draeseke Gesellschaft, anlässlich des 110. Todestages in Leipzig dieses Konzert veranstalten zu können.
Auch eines anderen Jubiläums wird in dem Konzert gedacht: Vor 200 Jahren, 1823, wurde Theodor Kirchner geboren, ein großer Meister der kleinen Formen. 1843 wurde er der erste Schüler am gerade von Felix Mendelssohn Bartholdy ins Leben gerufenen Konservatorium. Viele Jahre später, in den 1880ern, war er Draesekes Kollege am Konservatorium zu Dresden.
Aris Alexander Blettenberg, Gewinner des Internationalen Beethoven Klavierwettbewerbs Wien 2021, geleitet an diesem Abend durch ein musikalisch ebenso reichhaltiges wie musikgeschichtlich erhellendes Programm, das von Mozart und Haydn über Schubert und Beethoven schließlich zu Schumann, Kirchner und Draeseke führt.
25. Februar 2023, 19 Uhr
Grieg-Begegnungsstätte Leipzig
Eintritt: 15 € / ermäßigt 10 €
Programm:
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791): Präludium und Fuge C-Dur KV 394
Joseph Haydn (1732-1809): Sonate F-Dur Hob.XVI:23
Franz Schubert (1797-1828): Sonate As-Dur/Es-Dur D 557
Ludwig van Beethoven (1770-1827): Alla Ingharese quasi un Capriccio op. 129
PAUSE
Theodor Kirchner (1823-1903): Capricen op. 27, Nr. 1-3
Robert Schumann (1810-1856): Arabeske op. 18
Felix Draeseke (1835-1913): Sonata quasi fantasia op. 6
SWR Classic hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Schätze aus den Archiven des Südwest-Rundfunks zu Tage gefördert. Ich erinnere nur an die 30-CD-Packung mit den gesammelten Einspielungen von Carl Schuricht und an die glücklicherweise immer noch fortschreitende Hans-Rosbaud-Edition, von welcher zuletzt hervorragende Aufnahmen mit Symphonien von Jean Sibelius und Werken französischer Komponisten erschienen sind. Mit der Veröffentlichung eines Studiokonzerts aus dem Jahr 1959 ist der Reihe ein weiteres Glanzstück hinzugefügt worden. Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart spielt unter der Leitung von Sergiu Celibidache Joseph Haydns Symphonie B-Dur Hob. I:102 und Pjotr Iljitsch Tschaikowskijs Symphonie Nr. 6 h-Moll Pathétique.
Das Orchester, das Sergiu Celibidache am 17. September 1959 in der Villa Berg dirigierte, hat im Laufe seiner Geschichte mehrfach den Namen gewechselt. 1946 als „Großes Orchester von Radio Stuttgart“ ins Leben gerufen und seit 1949 als „Sinfonieorchester des Süddeutschen Rundfunks geführt“, war es wenige Monate vor dem auf der vorliegenden CD festgehaltenen Konzert in „Südfunk Sinfonieorchester“ umbenannt worden. Den Namen „Radio-Sinfonieorchester Stuttgart“, unter dem es heute vor allem bekannt ist, erhielt es 1975. Durch die Fusionierung zum SWR Sinfonieorchester 2016 beendete der Südwestrundfunk die Geschichte seiner Stuttgarter und Freiburger Orchester als eigenständige Klangkörper. Wie die Rosbaud- und Schuricht-Veröffentlichungen, lässt sich also auch diese Celibidache-CD als musikalisches Denkmal begreifen.
Mit Celibidache verband das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart eine langjährige Zusammenarbeit. Er stand zum ersten Mal 1958 an der Spitze des Orchesters, und kehrte bis 1982, als er sich mit der Übernahme der Münchner Philharmoniker erstmals seit drei Jahrzehnten wieder fest an ein Orchester band, immer wieder nach Stuttgart zurück. Die Verbindung intensivierte sich in den 70er Jahren. Von 1972 bis 1979 war Celibidache ständiger Gastdirigent des Radio-Sinfonieorchesters, das damals keinen Chefdirigenten hatte, und fungierte als dessen künstlerischer Leiter. Da das Orchester als Rundfunkklangkörper, dessen Schwerpunkt auf nicht alltäglichem Repertoire lag, dem Dirigenten viel Einstudierungszeit zur Verfügung stellen konnte, fand Celibidache hier optimale Arbeitsbedingungen vor, um seine künstlerischen Ziele zu realisieren. Bekanntlich nicht an der Produktion von Tonträgern interessiert, duldete Celibidache aber, dass der Rundfunk seine Konzerte aufzeichnete, um sie gelegentlich senden zu können. Mitschnitte zahlreicher Aufführungen aus dieser Zeit (z. B. Symphonien von Bruckner und Brahms, Tondichtungen von Richard Strauss) wurden nach dem Tode des Dirigenten von der Deutschen Grammophon veröffentlicht. Aufzeichnungen von Proben, die den Editionen beigegeben wurden, dokumentieren die äußerste Sorgfalt, mit der Celibidache bei den Einstudierungen zu Werke ging, und die Hingabe, mit der die Stuttgarter Musiker seine Anweisungen in Klang umsetzten.
Mit der neuen SWR-Classic-CD wird dem Bild, das uns die früheren Veröffentlichungen von Celibidaches Wirken in Stuttgart vermittelten, ein weiterer wichtiger Mosaikstein hinzugefügt. Die Platte bietet ein ganzes Konzert des damals 47-jährigen Dirigenten. Es umfasst, wie es Celibidache gerade zu jener Zeit liebte, mit Joseph Haydns B-Dur-Symphonie Hob. I:102 und Pjotr Tschaikowskijs Pathetique zwei Werke, die unterschiedlicher kaum sein könnten: ein Programm extremer Kontraste. Celibidache war keiner jener Dirigenten, die glaubten, durch einseitige Überbetonung bestimmter Aspekte den Charakter eines Werkes besonders deutlich machen zu können, oder gar an den Stücken einen persönlichen Interpretationsstil demonstrieren zu müssen. Solche Darbietungsweisen, die letztlich den Beigeschmack der Einseitigkeit hervorrufen, haben ihn nie interessiert. Stattdessen sichtete er die Partituren phänomenologisch, indem er die Fortschreitung der Harmonien verfolgte, der Beschaffenheit des Tonsatzes auf den Grund ging, die Phrasierung der melodischen Linien in Haupt- und Nebenstimmen bis ins kleinste Detail nachvollzog und über all dem nie vergaß, dass Instrumente Stellvertreter menschlicher Stimmen sind. Seine Dirigate vermitteln den Eindruck eines zwanglosen Entfaltens der in den Partituren angelegten Kräfte, denen nichts von außen hinzugefügt werden muss, um sie zur Wirkung zu bringen.
Und was fördert Celibidache auf diese Weise nicht alles zu Tage! Beide, Haydn und Tschaikowskij, stehen als runde Charaktere vor uns, als scharf profilierte Persönlichkeiten, die man nicht auf wenige Schlagworte reduzieren kann. Natürlich ist Haydn auch unter Celibidache geistvoll, witzig, von nie nachlassendem Spieltrieb durchdrungen, aber bereits die sehr breit genommene Einleitung des ersten Satzes verrät, dass dem Komponisten das Feierliche und Erhabene durchaus vertraut gewesen ist. Die liebevoll ausmusizierten Sechzehntelnoten in breit schwingendem 3/4-Takt verleihen dem langsamen Satz eine Stimmung apollinischer Gelassenheit. Der hervortretende Trompetenton kurz vor seinem Ausklang wird nicht zum groben Effekt, sondern sendet sanftes Licht von innen. Die von langen Noten geprägten Takte in der Coda des Finales klingen wie ferne Choräle in den Trubel dieses Satzes hinein. Dass auch die turbulente Seite der Haydnschen Kunst in Celibidaches Händen bestens aufgehoben ist, davon zeugen etwa der äußerst markant herausgemeißelte Kanon in der Durchführung des Kopfsatzes und der unaufhaltsame Schwung des Finales.
Die bei EMI (später Warner) erschienenen Mitschnitte der letzten drei Symphonien Pjotr Tschaikowskijs mit den Münchner Philharmonikern dokumentieren, dass Celibidache wie kein anderer Dirigent berufen war, die ganze Größe dieses Symphonikers deutlich werden zu lassen. Vergleicht man die hier vorliegende Sechste mit der späteren Aufnahme, fällt zwar auf, dass der 80-jährige Celibidache sich gegenüber den knapp 50 Minuten der Stuttgarter Aufführung insgesamt 10 Minuten mehr Zeit nimmt, doch die Herangehensweise an die Musik ist im Wesentlichen gleich geblieben. Wir erleben denselben Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen, aber stets seinen Prinzipien treu. Diese frühe Pathétique vermittelt unmissverständlich, nicht anders als die späte, wie schlüssig Tschaikowskij komponiert hat. Die extremen Tempo- und Ausdruckskontraste des Kopfsatzes, in welchem zudem mehrfach Themen eingeführt werden, die im weiteren Verlauf nicht wiederkehren, haben schon manchen Kapellmeister dazu verführt, das Stück als bloße Abfolge locker miteinander verbundener Episoden aufzufassen und entsprechend zerrissen darzubieten. Celibidache erkennt, wie eng aufeinander bezogen die einzelnen Abschnitte des Satzes sind, wie ihre stark gegensätzlichen Stimmungen einander gegenseitig beleuchten und wie durch diese Gegensätze die musikalische Handlung vorangetrieben wird. „Verweile doch, du bist so schön“, meint man es aus dem Seitensatz tönen zu hören, wenn der Dirigent in Übereinstimmung mit dem harmonischen Gefälle Phrasenenden leicht verlangsamt, um mit dem jeweils nächsten Phrasenanfang wieder ins Grundtempo zurückzukehren. Und ist dann scheinbar Ruhe eingetreten, bricht mit einer manischen Energie sondergleichen die Durchführung in die friedliche Szenerie herein wie die apokalyptischen Reiter. Das largamente forte possibile vor der Wiederkehr des Andante-Themas hat die Intensität eines alles mit sich reißenden Lavastroms. Aber nicht nur im Extremen ist Celibidache in seinem Element. Auch die feineren Schwankungen arbeitet er trefflich heraus. Man höre etwa im zweiten Satz, wie der Mittelteil durch die deutliche Hervorhebung der lastenden Blechbläsertöne und eine geringfügige Verlangsamung des Tempos einen ganz anderen Klang erhält als der lichte Hauptteil. Die Überleitung, die zu ihm zurückführt, wirkt wie ein erneutes Aufblühen nach vorübergehender Eintrübung. Das vielleicht Wunderbarste an dieser Tschaikowskij-Darbietung ist, dass man merkt, mit welchem Geschick der Komponist Neben- und Gegenstimmen eingesetzt hat. Celibidache hatte die Gabe, seinen Musikern eine konkrete Vorstellung von ihrer Rolle im Ganzen zu vermitteln. Nicht nur wer gerade das Thema hat, hat etwas zu sagen, sondern auch diejenigen, die es begleiten, oder die ihm einen Kontrapunkt zur Seite stellen. Man kann nahezu in jedem Moment darüber staunen, welch ein Leben hier in allen Stimmen pulsiert.
Es besteht also ein guter Grund, SWR Classic für die Veröffentlichung dieser CD dankbar zu sein. Da Haydns Symphonie Nr. 102 in den Celibidache-Editionen von Audite, Deutsche Grammophon und EMI/Warner fehlt, wird zudem eine diskographische Lücke geschlossen. Ein Begleittext, der ein lebendiges Bild von Celibidache als Mensch und Künstler vermittelt, rundet die Produktion trefflich ab.
Die evangelische Gustav-Adolf-Kirche in Berlin-Charlottenburg gehört zu jenen Gebäuden, die sich wunderbar als Veranstaltungsstätten für Konzerte eignen, als solche aber überregional noch nicht bekannt geworden sind. Insofern leistet das Quartet Berlin-Tokyo, das man mit Fug und Recht zu den herausragenden Streichquartettformationen unserer Zeit zählen kann, an diesem Ort mit seinem am 3. September begonnenen Haydn-Hauschild-Zyklus musikalische Pionierarbeit.
Im ersten Konzert des Zyklus erklang neben Joseph Haydns op. 33/2 und dem Streichquartett Nr. 5 von Kurt Hauschild auch das Zweite Streichquartett op. 13 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Haydns Quartette op. 33 und das Streichquartettschaffen Kurt Hauschilds bilden den roten Faden auch der folgenden Programme, in welchen zudem Werke von Wolfgang Amadé Mozart, Franz Schubert, Robert Schumann und Claude Debussy zu hören sein werden. Die Reihe endet am 24. September mit einer Aufführung von Haydns Sieben letzten Worten unseres Erlösers am Kreuze.
Kurt Hauschild (1933–2022) arbeitete im Brotberuf als Mathematiker und konnte sich lange Jahre nur in seiner Freizeit der Musik zuwenden. Er setzte sich intensiv mit der Musik der Wiener Klassiker auseinander und komponierte zahlreiche Streichquartette in stilistischer Nachfolge Joseph Haydns. Der Öffentlichkeit wurde sein musikalisches Schaffen erst nach 1989 allmählich bekannt. In den Konzerten des Quartet Berlin-Tokyo tritt Hauschild nun in direkten Dialog mit seinem Vorbild.
Nachdrücklich hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf die rundum hervorragende erste CD-Aufnahme des Quartetts, die neben den Fünf Stücken von Erwin Schulhoff die Ersteinspielung der Quartett-Symphonie von Gawriil Popow enthält. Über eine Aufführung des letzteren Werkes durch das Quartet Berlin-Tokyo wurde auf diesen Seiten bereits berichtet, siehe hier.
Stadttheater Schweinfurt Samstag 23. November 2019 19 Uhr 30
Die Jahreszeiten: Oratorim von Joseph Haydn (1732-1809) – Text: Gottfried van Swieten (1733-1803)
Hanne, Sopran: Anna Nesyba / Lukas, Tenor: Falk Hoffmann / Simon, Bass: Eric Fergusson – Liederkranz Schweinfurt, Konzertchor Bad Kissingen, Orchester Ensemble Würzburg (Leitung: Matthias Göttemann, Hermann Freibott)
Zu Beginn begrüsste Matthias Göttemann die Gäste und die Musikerinnen und Musiker, wies auf das heutige Jubiläum des Schweinfiurter Chores und die Patenschaft für den Bad Kissinger Konzertchor hin, musste allerdings auch ansagen, dass der Tenor des Abends, Falk Hoffman, indisponiert sei, und deswegen ein Teil seiner Rezitative und Arien von seiner Kollegin und seinem Kollegen übernommen würden.
Dann übergab er die Stabführung dem Kissinger Chorleiter,
der den ersten Teil, den Frühling, leitete. Darin natürlich auch die berühmte
Arie der Hanne „Komm, holder Lenz“, die schon eine erste Glanzleistung der Solistin war.
Zum zweiten Teil, allen übrigen Jahreszeiten, kam dann Matthias Göttemann als Dirigent, und der Sommer brachte dann alle Beteiligten so richtig in Schwung. Auch wenn der Text des Librettos von Baron van Swieten teilweise doch sehr gewöhnungsbedürftig ist: was Joseph Haydn daraus gemacht hat, ist bewundernswert. In allen Stilrichtungen ist er zu Hause, schreibt Fugen, die den Händelschen nicht nachstehen, kann aber auch harmonisch zum Äussersten greifen, neben den Secco-Rezitativen stehen welche, die vom Orchester begleitet werden, neben hellsten Melodien und Klängen für den Sommer stehen dunkle und düstere Klänge für Herbst und Winter, ein unaufhörlicher Strom an schönster Musik und ohrwurmhaften Melodien ergiesst sich während der anderthalb-stündigen Darbeitung der entzückten und auch immer wieder verblüfften Zuhörerschar im fast ausverkauften Schweinfurter Theater.
Natürlich war man gespannt, wie der Fast-Ausfall des
Tenorsolisten überbrückt werden könnte, aber tatsächlich ließen Anna Nesyba und
Eric Fergusson keine Zweifel aufkommen, dass sie in der Lage waren, sich dieser
schwierigen Aufgabe sehr gekonnt zu stellen. Von Enrico Caruso heisst es, dass
auch er in der „Met“ mal die Partie eines verhinderten Bass-Kollegen mit
übernahm.
Und zu den Trio-Stücken gesellte sich Falk Hoffmann – so
gut seine Indisponiertheit es zuließ – dazu.
Von besonderem Reiz waren natürlich die Stellen, wo beide
Chöre ihr Können unter Beweis stellen konnten.
Angefeuert vom überzeugenden und mitreissenden Dirigat von Matthias
Göttemann liefen allen Beteiligten – Musiker, Solisten und Chöre – zu absoluter
Hochform auf.
Wieder einmal stellte sich der „Alte Pappa Haydn“, der
doch allzuoft im Schatten Mozarts und Beethovens steht, als nicht nur ebenbürtig
sondern aus genauso einzigartig in seinen Werken dar wie diese.
Ein großartiger Abend der mit großem Beifall und vielen
Blumen das Publikum beschenkt in den Abend entließ.
Matinée des
Symphonieorchesters Wilde Gungl München
Sonntag, 19. Mai 2019 um 11 Uhr im
Prinzregententheater
„Merken Sie sich, wie
wichtig eine gute Moderation für ein Konzert ist!“ – so unterstrich mein Lehrer
Kurt Weinhöppel – der Leiter des Capella Monacensis – die Bedeutung dieser
Tatsache.
So geschehen am vergangenen Sonntag im Münchner
Prinzregententheater im Konzert des einst Richard Strauss eng verbundenen
Traditionsorchesters ‚Wilde Gungl‘, einem Konzert, das mit Telemann begann und
mit Prokofjew endete unter dem Motto „Ein musikalischer Spaß“. Im ersten Teil
Stücke von Telemann, Mozart, Haydn und Beethoven. Und bei so vielen
verschiedenen „Häppchen“ ist die verbindende Moderation besonders wichtig,
sonst zerfällt das Programm vielleicht ohne inneren Zusammenhang. Und diesen
stellten eben die unterhaltsamen, informativen und lockeren Ansagen des Konzertmeisters
Arnim Rosenbach in seiner ganz eigenen Art und Weise her.
Mit vierfachem Horn begann das Orchester, für die damalige
Zeit in einer Orchestersuite von Georg Philip Telemann (1681-1767) eine
Seltenheit, die aber einen der Reize dieser barocken Musik ausmachte. Auch zwei
Sätze aus der „Lodronischen Nachtmusik“ von Wolfgang Amadé Mozart /1756-1791)
und das Andante aus der Symphonie mit dem Paukenschlag von Joseph Haydn
(1732-1809) zeigten, dass das Orchester und sein Dirigent Michele Carulli sich
bestens auf die „alte“ Musik verstehen. Besonders, als Arnim Rosenbach Maestro
Carullis Lieblingskomponisten Ludwig van Beethoven ansagte, dessen Allegretto scherzando
aus der 8. Symphonie den Höhepunkt des ersten Teiles bildete.
Nach der Pause dann die hinreißende Ouvertüre von Otto
Nicolai (1810-49) aus seiner Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“, die mit
dem stark vergrößerten „Großen Orchester“ einschließlich gran cassa = grosse
Trommel, Glockenspiel, Harfe und großer Bläserbesetzung zeigte, was unter der animierenden
und begeisternden Leitung in diesem Orchester steckt. Es war ein Vergnügen,
dieser schwungvollen und doch auch äußerst differenzierten Musik zu lauschen.
Und mit diesem Schwung ging es natürlich weiter, denn die beiden Werke der
Brüder Josef Strauß (1827-1870) „Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust“ op. 263 und
die von mir noch nie gehörte „Witzblitz“ Polka-schnell von Eduard Strauß
(1835-1916), dem jüngsten der Strauß-Brüder versprühten ihren Charme, ihren
Humor und ihre berührende Energie unter der nicht nur dirigierenden, sondern
fast getanzten Leitung ihres Maestro Carulli.
Dann ein Sprung ins zwanzigste Jahrhundert nach Russland zu
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) und Sergej Prokofjew (1891-1953). Vom ersten
gab es – dem Anlass entsprechend seinen „Scherzwalzer“ aus der Ballettsuite Nr.
1 zu hören, ein Stück angeführt von einer äußerst hohen Piccolo-Flöte, sehr
ironisch mit einer kleinen versteckten „Ohrfeige“ mitten im Stück, so unterhaltend
die ganz andere Seite dieses großen symphonischen Komponisten zeigend, und zum
Abschluss „Hochzeit und Troika“ aus der
Suite aus Prokofieffs Filmmusik „Leutnant Kishe“. Ja, exzellente Filmmusik hat
Prokofjew geschrieben, und das war damals ein echter Hit, was auch in diesem
Konzert und mit diesem Orchester gelang.
Großer Beifall, alle solistisch tätigen Musikerinnen und
Musiker bekamen ihren extra-verdienten Beifall, Maestro Carulli sowieso, Blumen
und zwei Zugaben von Johann Strauß, eine Polka mit Publikums-Beteiligung und
zum Schluss das berühmte „Perpetuum Mobile“, bei dem sich Michele Carulli
langsam aus „seinem“ Orchester davonschlich…
Bei herrlichem Frühlingssonnenschein ein so schwungvolles
und beschwingtes Konzert, dem ganzen Orchester gebührt ein Riesen-Blumenstrauß
für derlei sonntäglichen Ohren-Schmaus!
Kammerphilharonie dacapo im Künstlerhaus Festliche
Frühlingsserenade am 15. Mai 2019
Werke von Mozart, Haydn, Glasunow, Elgar und Holst
Nach einer informativen Begrüssung durch Franz Schottky – wie stets bei den Konzerten der Kammerphilharmonie dacapo – begann das Programm der festlichen Frühlingsserenade mit dem dritten Horn-Konzert in Es-Dur von Mozart mit dem Solisten Aleksandar Crnojevic, dem Solohornisten des Orchesters. Die drei Sätze gehören zwar der Musik, die sehr bekannt ist, allerdings ist es immer wieder ein Erlebnis, sie live zu hören. Natürlich spielte der Solist makellos, wurde überaus sensibel und aufmerksam von seinen Kolleginnen und Kollegen begleitet, der langsame zweite Satz besonders einfühlsam, aber dieses Stück ließ keine Wünsche übrig und war ein wunderschöner Beginn eines zauberhaften Abends.
Dann waren die Streicher mit dem Divertimento Es-Dur von Joseph Haydn in ihrem ganz eigenen Element. Vom ersten Ton an hörten wir den typischen „Haydn’schen“ Tonfall, ganz vorzüglich allerdings im zweiten Adagio-Satz, wo der Konzertmeister, der junge Marius Bigelmeier, sein berückendes Solo mit vollendeter Leichtigkeit und tiefster Hingabe – begleitet von „hingetupften“ Streicher-Tönen – spielte und wieder einmal die ganze Genialität des „Papa Haydn“ erlebbar machte.
Für die nächsten beiden Stücke „Réverie“ op. 24 und der Serenade für Horn und Orchester op.2 /11 vom russischen Komponisten Alexander Glasunow ( 1865 – 1936) kam wieder Aleksandar Crnojevic auf die Bühne und bezauberte erneut mit diesen beiden spätromantischen elegischen Stücken. Das dreifache Pianissimo in der Serenade kurz vor Schluß gelang außerordentlich, danach schließt das Stück mit einem vollen Akkord von Horn und Orchester. Großer Beifall für den gesamten ersten Teil.
Im zweiten Teil folgte die relativ bekannte Serenade op. 20 in e-Moll von Edward Elgar: so richtig passende Musik für den noch lange nicht überstandenen Brexit, oder? Jedenfalls eine wunderbar elegische melancholische Musik, in der der ausgewogene und „lustvolle“ Streicher-Klang der Kammerphilharmonie dacapo sich perfekt entfaltete. Als Höhepunkt – und das gehört ja bei dacapo dazu – ein Stück, dessen Komponisten Gustav Holst (1874-1934) man zwar kennt, aber nicht dessen St. Pauls Suite, das einfach ein spannendes, sehr vergnügliches und raffiniert rhythmisch vertracktes Musikstück ist. Der ideale Abschluss eines sehr ansprechenden Konzert-Abends. Langer, großer Applaus, Blumen für Dirigent und aus seinem Strauß Blumen für die Orchester-Damen, das lässt sich Franz Schottky nicht entgehen.
Das Sommerprogramm der
Kammerphilharmonie hält glücklicherweise noch ein paar überaus spannende
Überraschungen bereit, wie schön!
„Symphonie Classique“
betitelt das Orchester der Akademie St. Blasius ihr erstes Abokonzert des
Jahres am 7. April 2019 im Haus der Musik Innsbruck. Auf dem Programm steht „Orakel“
für Streichorchester von Günter Zobl, das Konzert für Klavier und
Streicherorchester op. 136 von Alfred Schnittke mit dem Solisten Michael
Schöch, Alexander von Zemlinskys „Waldgespräch“ mit der Sopranistin Susanne
Langbein sowie Joseph Haydns Symphonie D-Dur Hob. I:104, die „7. Londoner“.
Geleitet wird das Orchester von Karlheinz Siessl.
Werke aus vier Jahrhunderten umfasst das Programm des
Orchesters der Akademie St. Blasius unter Karlheinz Siessl. Die Musiker haben
es sich zur Aufgabe gemacht, aufgeschlossenen Hörern auch unbekannte Musik
näherzubringen und lebende Komponisten aus Tirol zu fördern.
Eröffnet wird das Programm vom fünfsätzigen
Streichorchesterstück Orakel von Günter Zobl. Der Komponist erforscht das
Suchen und das Ambivalent-Rätselhafte, wozu er herbe Kontraste und
unterschiedliche Techniken verwendet. Rhythmisch aufreibende Passagen wechseln sich
mit weittragenden Melodien ab. Im Präludium tauchen moderne Streichertechniken
auf, die eine surreale Atmosphäre schaffen, in welche die folgenden zwei Sätze
wie Träume hineintreten; große Linien und ein sonor reibender Streicherklang –
der recht nordisch wirkt – öffnen den Raum. Es folgt ein rascher Basso
ostinato, mit dem die hohen Streicher spielen und hinreißende Ideen präsentieren.
Und schließlich führt ein ruhiger Satz die Musik zu einem Ende, wenngleich sie
nicht wirklich abschließt, sondern auch in der Stille noch sucht, anstatt
gefunden zu haben.
Alfred Schnittkes zweites Klavierkonzert op. 136 ist ein
Meisterstück der Polystilistik, das trotz unterschiedlichster Einflüsse und
streng durchdachten Aufbaus doch rein musikalischer Erfindungsgabe entspringt.
Ungekünstelt und intuitiv passen sich die Fragmente und Melodiesplitter
zusammen und das Werk gibt als Gesamtheit Sinn. Die Streicher bestechen durch
hoch expressiven Klang, Sensibilität für die Vielseitigkeit und durch ihre ausgesprochen
schnellen Wechsel zwischen den unterschiedlichen musikalischen Welten. Michael
Schöch dagegen steht da wie ein Felsen in der Brandung: Alles um ihn herum
explodiert vor Ausdruck und Innigkeit, während er davon unbeeindruckt nüchtern,
fokussiert und gebändigt bleibt. Als Zugabe des Solisten gibt es noch Haydn,
der durch überhaspeltes Tempo seine Konturen und sogar die Gestalt seines
Hauptthemas verliert – hier war wohl die Freude nach dem siegreich bestrittenen
Klavierkonzert übergroß.
Die Musik Zemlinskys steht nach wie vor im Schatten von
Mahler, von Strauss und später auch von Schönberg, dabei birgt sie so viel
Eigenes! Die Orchestration Zemlinskys ähnelt zwar durchaus derjenigen seiner
genannten Kollegen, unterscheidet sich aber doch durch eine gewisse träumerische
Note (nicht bloß im Traumgörge) und einen zarten Schleier, der gezielt manche
Konturen verwischt. Im „Waldgespräch“ fügt er dem Streichorchester noch zwei
Hörner und Harfe hinzu, Eichendorffs Text vertraut er einem opernhaften Sopran
an. Die Harfe sorgt für den Schleier, während die Hörner den Text in zwei
Sinngruppen gliedert: Das Schöne, Heroische inklusive dem Jagdaspekt gegen das
Düstere, Gespenstische und Suchende der Hexensphäre. Wir erleben nun ganz
andere Klangwelten des Orchesters der Akademie St. Blasius unter Karlheinz
Siessl, sensibel auf die Empfindsamkeit des Stücks eingehend, ertasten die
Musiker die beiden Sinngruppen und erfüllen sie jeweils mit Leben. Susanne
Langbein präsentiert eine facettenreiche und ausdrucksstarke Stimme, die sich
von beinahe rezitierten mühelos bis in durchdringend kräftige Passagen
aufschwingen kann und genau so leichtfüßig wieder hinabsteigt. Der Text bleibt
zwar nicht durchgehend verständlich (was bei Zemlinsky eh eine Kunst für sich
ist), dafür findet die Solistin unzählige Farben und Schattierungen der Stimme,
die sie in einen schlüssigen Kontext bringt.
Zum Abschluss des Programms hören wir noch die versprochene
„Symphony Classique“, wenngleich nicht wie vielleicht erwartet die so betitelte
Erste von Prokofieff, sondern eine wirklich der ‚klassischen‘ Epochen entstammende:
Haydns letzte Symphonie, die Nr. 104 mit dem später hinzugefügten Beinamen
„Londoner“. Selten erlebt man dieses vielgespielte Werk derart lebendig und
frisch wie heute. Auch hier zeigen die Musiker ihr charakteristisches echtes
Gefühl, das unabhängig von Epoche oder Komponist stets für die Musik spricht.
Die Musiker haben sich intensiv und auch emotional mit den Werken
auseinandergesetzt und stellen die Musik dar, weil es ihnen ein Anliegen ist –
und das wird hörbar.
Das Album „Out oft he Shadow“ widmet sich drei unbekannten Violinkonzerten bekannter Komponist: Tartinis Concerto in La Maggiore D 96, Haydns Violinkonzert G-Dur Hob.VIIa:4 und Mendelssohns frühes Konzert d-Moll für Violine und Streicher. Lavard Skou Larsen leitet die Salzburg Chamber Soloists, die Solovioline spielt Rebekka Hartmann.
„Out oft he Shadow“ ist das
Resultat instrumentaler Meisterschaft und musikalischer Leidenschaft. Live wie
auch auf CD erlebte ich beide, sowohl die Salzburg Chamber Soloists unter
Lavard Skou Larsen als auch die Violinistin Rebekka Hartmann, als feinfühlige,
passionierte und perfektionistische Musiker – entsprechend gespannt war ich auf
diese Aufnahme.
Das Orchester spürt in Tartinis
Concerto in La Maggiore D 96 noch das Klangideal der späten Barockzeit auf und
markiert die wiederkehrenden pochenden Figuren der Streicherstimmen, hebt allgemein
einen non-legato-Charakter hervor. Die Solistin steht hierbei als Primus inter
Parens gleichberechtigt neben den anderen Stimmen, kann sich in den Soli
dennoch gut absetzen vom Orchester. Besonders fein gelingen die Auszierungen in
den langsamen Sätzen, wobei vor allem der zweite Satz durch die akzentuierten
Brüche für Aufmerken sorgt.
Während Tartini etwa 135
Violinkonzerte schrieb, so waren es bei Haydn lediglich drei, die belegt werden
können. Eines davon ist das hier zu hörende G-Dur-Konzert Hob.VIIa:4. In diesem
vor 1770, also noch zu Tartinis Lebzeiten, entstandenen Werk empfinden die
Musiker einen Gestus, der mehr der Wiener Klassik zugeordnet werden kann. Die
Violine steht deutlicher im Vordergrund und schwingt sich zu Höhenflügen über
die Orchesterbegleitung auf. Rebekka Hartmanns Geigenstimme bleibt dabei leicht
und unbeschwert, spielerisch und mancherorts gar keck. Dadurch entsteht ein hinreißender
Kontrast zu den schlichten Streichorchesterbegleitungen, denen Lavard Skou
Larsen einen Rest der barocken Markierung verleiht.
Das Finale der Aufnahme bildet
Mendelssohns geniales Jugendkonzert für Violine und Streicher d-Moll, welches
er mit gerade einmal 13 Jahren komponiert hat. Im zarten Jugendalter schrieb er
bereits 12 Streichersymphonien, mehrere Konzerte und zahllose Kammermusikwerke,
die er größtenteils später in die Schublade legte: zu Unrecht! Dieses Konzert
entdeckte Mendelssohn später und bearbeitete es, nichtsdestoweniger konnte es
sich nicht gegen das bekannte e-Moll-Konzert durchsetzen. Wider Erwarten
besticht dieses Violinkonzert (ebenso wie Mendelssohns andere Frühwerke!) eben
nicht allein durch jugendlichen Übermut und Lebendigkeit, sondern zeigt in
gleichem Maße nachdenkliche und fragile Seiten, die gar philosophisch
reflektiert anmuten. Rebekka Hartmann stellt sich leidenschaftlich in den
Dienst dieser vor Inspiration sprühenden Musik, wie eine Löwin bewältigt sie
anmutig und selbstbewusst die virtuosen Läufe und Figurationen, zieht sich dann
aber auch wieder zurück in ganz verinnerlichte Welten, in denen sie sich selbst
offenbart. Hier geschieht etwas Magisches: Rebekka Hartmann und die Salzburg
Chamber Soloists unter Lavard Skou Larsen gehen eine Symbiose ein, beginnen,
aus einem Atem und einem Puls heraus zu musizieren und das Konzert zu einer
Einheit zu formen, gemeinsam und ohne Distanz zwischen Solist und Orchester.
Konzert mit der Kammerphilharmonie DACAPO; Sonntag, 30. April 2018
Georges Bizet (1838-1875):Adagietto (aus der Arlesienne-Suite Nr.1)
Joseph Haydn (1732-1809): Cello-Konzert Nr. 2 D-Dur
Sergej Rachmaninow (1873-1943) Vocalise op 34 /14
Josef Suk (1874-1935): Serenade für Streichorchester op.6
Jiri Barta, Violoncello; Franz Schottky, Dirigent
Eine Bemerkung zu Beginn: Die Programmfolge hätte am besten genau umgekehrt heißen müssen! Warum? So schön die Streicherserenade op. 6 von Josef Suk auch ist, so vertraut die Vocalise op. 34 / 14 auch in der Strreicherfassung sich anhört – die Konzertmeisterin war berückend in ihrer Solorolle – so schön der rote Teppich, das Adagietto aus der „L’Arlesienne-Suite“ dem Solisten Jiri Barta auch den Auftritt vorbereitete, der absolute Höhepunkt dieser Matinée war denn auch das zweite Cello-Konzert von Altmeister Joseph Haydn. Dieser hochmusikalische Energie, diesem Spiel mit den leisesten und den lautesten Tönen, den Registern auf dem Cello von ganz tief bis in himmlische Höhen, der rhythmischen Vertracktheit, der Melodien-Seligkeit zu lauschen, war ein berückendes, verzauberndes Erlebnis.
Was in diesem Konzert mit seinen drei Sätzen Jiri Barta zusammen mit der DACAPO Kammerphilharmonie unter ihrem Dirigenten Franz Schottky so spielerisch zeigten, kam fast einer Umwertung des „alten“ Papa Haydn gleich. Solch eine intensiv mitnehmende Musik traut man gewöhnlicherweise – und wie das bei Vorurteilen so üblich ist, fälschlicherweise –dem Klassiker Haydn gar nicht zu. Wie schon bei der letzten Matinée, in der eins von zwölf Klavierkonzerten des Joseph Haydn erklang, und diese Musik völlig zu Unrecht im Schatten steht , so gilt das für diese Aufführung doppelt. Was da an Musik und Spiel – nach dem Schillerschen Motto: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ – an Klanglichkeit und gegenseitigem Sich-die-Bälle-zuspielen zu vernehmen war, nicht eine Sekunde Leerlauf, wie sie des Öfteren bei Solisten auftritt, wenn sie scheinbar nichts zu tun haben.
Solist Jiri Barta und Orchester und Dirigent waren auf einem musikalischen Niveau, das ich in dieser Form und Intensität lange nicht erlebt habe. Begeisterter Beifall, Bravos und eine Zugabe einer Sarabande von Johann Sebastian Bach, die dem ganzen noch die Krone aufsetzte.
Dass nach solch einem fast überirdischen Höhenflug der zweite Teil des Konzertes nicht mehr diese himmlischen Höhen erreichte, darauf sollte meine Anfangs-Bemerkung hinweisen. Natürlich war der Herkules-Saal bei sommerlichstem Wetter bis auf wenige Ausnahmen voll, natürlich war diese Matinée ein sonntägliches Geschenk, was uns da Franz Schottky mit der DACAPO Kammerphilharmonie präsentierte, aber dass dabei solch ein außergewöhnliches Erlebnis auf uns wartetet, wer hätte das –außer den Musikerinnen und Musikern – geahnt.
Um so gespannter warten wir auf die nächste Saison und die Überraschungen, die dann sich im Herkules-Saal an Sonntag-Vormittagen und zu den anderen Terminen ereignen werden.
David Frühwirth, Violine; Henri Bonamy, Pianist und Leitung
An einem schönen Sonntag-Nachmittag begann das Konzert des Münchner Jugendorchesters im Carl-Orff-Saal der Münchner Philharmonie mit Mozarts Ouvertüre zu „La Clemenza di Tito“ KV 621, sehr energisch dirigiert von Henri Bonamy, der das Orchester der Bayerischen Philharmonie seit 2011 leitet. Beim nächsten Stück, dem dritten Klavierkonzert in c-moll op. 37 von Ludwig van Beethoven, setzte sich der Dirigent selber an den Flügel und war eben in Personalunion Solist und Dirigent. Das ist zwar heute nicht mehr außergewöhnlich, ist aber noch immer eine ganz besondere Herausforderung für Pianist und Orchester. Diese Herausforderung gelang in hohem Maß, die Aufführung glänzte durch spontanes Zusammenwirken und alle Beteiligten spielten mit größter Intensität und Aufmerksamkeit, und ließen so wieder einmal erleben, welch eine Musik aus Beethovens Komposition strömt und wie sie uns unwiderstehlich mitnimmt. Das Largo des zweiten Satzes gelang vorzüglich, auch dem Rondo des letzten Satzes fehlte es weder an rhythmischer Präzision noch an melodischer Eindringlichkeit. Hochverdienter Beifall für Henri Bonamy und das Jugendorchester der Bayerischen Philharmonie.
Nach der Pause dann die eigentliche Überraschung: Intendant Mark Mast sagte an, dass es sich beim Komponisten Schubert eben nicht um den berühmten Franz handle, sondern um einen der tragisch verschollenen Komponisten des 20. Jahrhunderts: Heinz Schubert, geboren 1905 in Dessau, gefallen in den letzten Kriegstagen 1945 im Oderbruch. Sein Werk harrt bis heute der Wiederentdeckung. So war die Begegnung mit seiner Komposition „Concertante Suite für Violine und Kammerorchester“ von 1931/32 eine grandiose Erfahrung. Der Solist David Frühwirth – bei den anderen Stücken der Konzertmeister des Orchesters – begann mit zupackender Intensität, die durchaus vertrackten Herausforderungen dieses viersätzigen Werkes nicht nur zu bewältigen, sondern sie in all ihrer kompositorischen Größe darzustellen. Wunderbar begleitet vom Kammerorchester war vor allem der dritte Satz, eine Aria, eine wahre Offenbarung. Daran hatten auch die drei Holzbläser ihren Anteil. Vom beginnenden Rezitativ bis zur finalen Gigue gelang ein überzeugender Blick auf ein Werk der einstigen Moderne, das polyphon meisterlich gearbeitet, harmonisch komplex und durchgehend inspiriert ist. Es macht Lust auf mehr Musik des leider so tragisch früh Verstorbenen, von dem es auf Tonträger gar nichts gibt. Bravourös die Leistung vom Geiger David Frühwirth, der sich in dem heikel virtuosen Werk als Solist von Weltrang präsentierte, aber auch vom an die Grenzen geforderten Orchester. Bravos und großer Applaus!
Zum Abschluss Joseph Haydns Londoner Symphonie Nr. 99, die in allen vier Sätzen ansprechend gelang. Mit Verve und großer Begeisterung zeigte das Orchester, dass es im vergangenen Jahr nicht ohne Grund zu einem großen Festival in Italien eingeladen wurde. Das tänzerische Menuetto. Moderato überzeugte genau wie die anderen Sätze, dass der „alte“ Haydn nun wirklich einer der unübertrefflichen Großmeister war und ist.
Schluss-Applaus auch für die einzelnen Orchestergruppen, die allesamt auf beachtlichem Niveau uns diesen Sonntag-Nachmittag im Carl-Orff-Saal zum reichen Geschenk machten.
Kammerphilharmonie Da Capo: Alberto Ferro, Klavier; Franz Schottky, Dirigent
Kann es etwas Schöneres geben als einen sonnigen Sonntag-Vormittag und eine Matinée im Münchner Herkulessaal mit Musik von Mozart und Haydn?
Das Publikum wusste die Antwort, es strömte in hellen Scharen herbei. Nachdem die Musikerinnen und Musiker Platz genommen hatten, begrüßte Dirigent Franz Schottky auf seine ganz persönliche Weise die Hörer und sprach einige Worte zum folgenden Stück von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), der Haffner-Symphonie. Sie entstand in einer äußerst arbeitsreichen Phase –Mozart arbeite unter anderem gerade an der „Entführung aus dem Serail“, lehnte aber dabei den Auftrag für die Adelerhebung der befreundeten Familie Haffner nicht ab. Beim Überarbeiten ein Jahr später stellte er selbst fest, was ihm da für ein Meisterwerk gelungen war.
Die Kammerphilharmonie Da Capo mit dazugekommenen Bläsern ließ unter der Stabführung von Franz Schottky auch gleich vernehmen, was für ein immer wieder staunenmachender „Komponierer“ dieser „Donnerblitzbub“ Mozart doch gewesen ist. Das Allegro con spirito erklang in all seiner Größe und seinem Wohlklang vom ersten Ton an. Besonders schön gelang der zweite Satz, das Andante. Dass sich Bläser und Streicher natürlich die Bälle zuspielten, zu einem wunderbaren Gesamtklang – im piano wie im forte – zusammenfanden, ist klar. Natürlich kennt „man“ diese Musik, aber sie live in statu nascendi zu erleben, ist dann doch etwas ganz anderes als daheim auf einer noch so guten HiFi-Anlage. Der zweite wie auch der dritte Satz im Dreier-Takt machten den ganzen Zauber dieser Musik hörbar, ebenso der schnellere Presto-Satz, der aber nie oberflächlich dahin huschte, es wurde genau so intensiv musiziert wie alle anderen drei Sätze dieser herrlichen Meistersymphonie auch. Eine wahre Sonntags-Musik! Den entsprechend wichtigen Bläsern wurde ganz spezieller Beifall zuteil, wie natürlich auch dem gesamten Orchester.
Nach einer kurzen Umbau-Pause kam zum zweiten Stück, dem 11. Klavierkonzert D-Dur von Joseph Haydn, der junge italienische Pianist Alberto Ferro auf die Bühne. Haydns Klavierkonzerte stehen etwas im Schatten seiner Symphonien oder seiner Streichquartette wie auch Oratorien, was aber ein Irrtum ist, wie uns in diesem Konzert gezeigt und vorgeführt wurde. Nach einer kurzen Orchester-Einleitung beginnt der Solist sehr lebhaft. Und Haydns Musik entfaltet melodiös aber auch rhythmisch prägnant alles, was dem Komponisten an Witz, Humor und Einfall zu Gebote stand. Ein Furioso an bewegendsten Klängen, Harmonien, Melodien und Ideen, beim langsamen Andante-Satz ebenso wie beim schnellen Rondo all’ Ungarese, in dem der Pianist all seine Spielfreude in den Dienst dieser großartigen Musik stellte. Das Orchester begleitete bravourös, ließ dem Solisten immer den Raum und auch die Zeit, damit sich Haydns wahre Größe adäquat zeigen konnte. Die Bravos im Schlussapplaus ließen Alberto Ferro ein kleines, überaus sprudelndes und vergnügliches Stück von Gioacchino Rossini als Zugabe spielen.
Nach der Pause stellte Franz Schottky die beiden anderen Stücke von Mozart vor: Adagio und Fuge in c-Moll KV 546, die Mozart im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung mit der Musik von Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach komponierte, im strengen Fugenstil, und zum Abschluss ds Konzertes die berühmte g-Moll-Symphonie KV 550. Nur das Streichorchester spielte KV 546 mit einer langsamen Adagio-Einleitung, die doch sehr an die barocken Vorbilder erinnert, was allerdings die anschließende Fuge mit ihrem Thema – zuerst von den Celli und Kontrabässen vorgetragen dann durch alle Instrumental-Gruppen wandernd – nicht mehr tat. Was Mozart da an musikalischer und kompositorischer Raffinesse aus dieser strengen Form herausholt, verblüfft auch heute noch, mehr als zweihundert Jahre später. Natürlich war die Kammerphilharmonie in ihrem Element. Der Streicherklang ist „deutsch“, voll und doch durchsichtig und sehr klar die Stimmen aufeinander bezogen.
Zum letzten Stück, der g-Moll Symphonie, kamen noch einmal die benötigten Bläser hinzu. Auch hier wieder: Diese Symphonie ist zwar wohlbekannt, wenn man sie aber im Augenblick des Entstehens hört, ist es doch etwas ganz anderes und berührt auf völlig andere Weise. Die Trias der drei späten Symphonien könnte man durchaus als Mozarts symphonisches Vermächtnis beschreiben, wobei diese melancholischste in g-moll am meisten in die Tiefe des Erlebens geht. Franz Schottky und die Musikerinnen und Musiker der Kammerphilharmonie Da Capo überzeugten mit ihrer Darbietung und ließen uns alle beglückt diese „Ungeheuerlichkeit“ erleben. Vom eröffnenden Molto allegro über das Andante und Menuetto Allegretto bis zum vierten Satz, dem Allegro assai, war die seit ihrer Entstehung so bewegende Symphonie hier wieder einmal in all ihrer Einzigartigkeit und Größe zu erleben. Begeisterter Beifall im sonntäglichen Herkulessaal und Danke für diese musikalische Sternstunde!
Open-Air-Konzert „Sommerserenade“ am 22. Juli 2017 um 20 Uhr im Brunnenhof der Residenz
Symphonieorchester Wilde Gungl München Dirigent: Michele Carulli; Moderation: Dr. Arnim Rosenbach
Fotos: Matthias Hallensleben
Am Morgen war es noch bedeckt, am Abend allerdings wurde es ein traumhafter Sommerabend. Und dazu diese Sommerserenade im Brunnenhof, der fast voll war, Herz, was willst Du mehr? Das Orchester begann – wie üblich und bei „normalen“ Konzerten leider eben nicht mehr üblich – mit der Anmoderation des Konzertmeisters Arnim Rosenbach. Auf seine sehr ansprechende und informative Art führte er das erste Stück von Gioacchino Rossini ein, die Ouvertüre zu seiner Oper „Il Signor Bruschino“, bei dem der Dirigent Michele Carulli natürlich voll in seinem Element war. Ein wundervoller sommerlicher Auftakt dieses Abends. Als kleines „Schmankerl“ hatte Rossini in diese Instrumentierung für die zweiten Geigen ein Extra hineinkomponiert, denn die durften sich zeitweise als „Klopf-Geister“ mit ihren Bögen auf einem Brett, das sie auf den Schoß gelegt hatten, austoben. Als zweites Stück des Abends stellte Arnim Rosenbach das Trompetenkonzert Es-Dur von Joseph Haydn vor und den Solisten, den 22-jährigen Valentin Hammerl. Der junge Trompeter verzauberte mit seinem strahlenden, aber immer weichen und schönen Ton. Vom Orchester wurde er besonders intensiv und gefühlvoll begleitet, kein Wunder, denn Michele Carulli – selbst mit 19 Jahren Soloklarinettist an der Mailänder Scala – weiß natürlich genau, welch eine Rolle die einfühlsame Begleitung bei einem Solo-Konzert spielt. Besonders der langsame überaus melodiöse zweite Satz geriet zu einem musikalischen und klanglichen Höhepunkt. Schade, dass dieses Konzert fast 150 Jahre lang nach seiner Uraufführung in der Versenkung verschwunden war, es ist ein absolutes Meisterwerk seiner Gattung. Dem jungen Solisten kann man für seinen weiteren Weg nur alle Daumen drücken. Nach der Pause – in der ich mit dem Solisten einige Worte wechselte, und der unter anderem darauf bestand, dass sein Name mit W und nicht wie bei seinem berühmten Namensvetter Karl V. mit Vau ausgesprochen wird – erläuterte Arnim Rosenbach einiges zum folgenden Stück: Johannes Brahms und seiner Orchester-Serenade op. 11. In dem nun folgenden 45 Minuten langen Werk zeigten die Musiker der „Wilden Gungl“ alles, was in ihnen steckt. Die sechssätzige Serenade – fast schon eine Vorstufe zu Brahms’ späteren Symphonien – fordert den Musikern alles ab an Spielfreude, an intensivem Aufeinander-Hören, an Extremen in der Dynamik und an den typisch Brahms’schen rhythmischen Finessen. Und wie das Orchester, in denen einzelne solistisch sehr gefordert waren, z. B. der Paukist, die Bläser, die Kontrabässe, diese Musik sich entfalten und sie so entstehen ließ, war einfach großartig. Und brachte dem Dirigenten Michele Carulli und „seinem“ Orchester großen Beifall und mehrere „Bravos“. Zum Abschluss dieses famosen Musik-Abends erklang noch einmal der Beginn der Reprise des vorletzten Satzes. Und damit ging ein herrlicher Sommerabend im wunderschönen Münchner Brunnenhof zu Ende. Seit ich dieses Orchester und seine Konzerte mitverfolge, wird immer auffälliger, dass natürlich alles besser und intensiver wird, aber besonders auffällig ist die stetige Steigerung bei den Streichern, die mir schon in den letzten Aufführungen sehr deutlich wurde. Schon jetzt freue ich mich auf die nächsten Konzerte mit der „Wilden Gungl“.
Ceterum Censeo: Auch wenn das gesamte berühmte Münchner Zeitungs-Feuilleton diese Konzert wieder mal mit intensiver Nicht-Zur-Kenntnis-Nahme gewürdigt hat, dennoch: Wann wachen die bestimmten Damen und Herren auf und nehmen dieses inzwischen gar nicht mehr zu überhörende Münchner Orchester mit seinem über 153-jährigen Bestehen endlich zur Kenntnis.
Das Münchener Kammerorchester im Höhenflug – Prinzregentheater, München, 6. April 2017
Mit dem neuen ständigen Gastdirigenten John Storgårds steht ein Mann am Pult des Münchener Kammerorchesters, der das Niveau des exzellenten Klangkörpers zu Höhen zu beflügeln vermag, die man in solcher Konstanz bislang allenfalls erahnen mochte – auch wenn, wie im hier zu besprechenden Konzert, die Probenzeit angesichts des sehr schweren Programms äußerst knapp bemessen war und zwischen Generalprobe und Aufführung weniger als eine Stunde verstrich.
John Storgårds, der als Leiter des Lappländischen Kammerorchesters legendär ist und auch die Philharmoniker aus Helsinki als Chef zu außergewöhnlichen Leistungen anzuspornen imstande war, hat sich nicht nur als Dirigent bewiesen, sondern auch als grandioser Violinsolist, sei es mit seiner frühen Aufnahme von Robert Schumanns Violinkonzert für Ondine (für mich immer noch die schönste) oder zuletzt in München im Violinkonzert von Kaija Saariaho. Er ist heute erster Gastdirigent beim BBC Philharmonic in Manchester, wo er für Chandos den herausragendsten Zyklus der Sibelius-Symphonien seit Jahrzehnten aufnahm und auch die Symphonien von Carl Nielsen auf außerordentlichem Niveau einspielte. In München hat man ihm ein über zwei Jahre sich erstreckendes Haydn-Ligeti-Projekt anvertraut, und mit dem neuen Chefdirigenten des Münchener Kammerorchesters, Clemens Schuldt, verbindet ihn eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Diesmal bildeten zwei Londoner Symphonien Joseph Haydns den Rahmen: die Nr. 95 in c-moll und die berühmte Nr. 101, ‚Die Uhr’. Schon zuletzt waren wir uns einig, seit vielen Jahren keinen so guten Haydn in München gehört zu haben, und dieser Eindruck wurde diesmal in schlagender Weise bestätigt. Storgårds ist in seinem Naturell ein erdiger, kraftvoll leidenschaftlicher, zum Eruptiven neigender Musikant von unerhörter Präzision, Vitalität und Klarheit der Vorstellung. Sein Musizieren zeichnet sich zugleich durch absolute Natürlichkeit und feingliedrige, die metrischen Schwerpunkte schwungvoll transzendierende Phrasierung aus, und das Orchester folgt ihm mit feurigem Willen und erlesener Liebe zum Detail. Ich gestehe, dass ich einige Details bei Haydn anders machen würde: die langsame Einleitung zur ‚Uhr’ ist mir etwas zu geschwind, in den Menuetten stelle ich mir einen geringeren, subtileren Tempounterschied zwischen Menuett und Trio vor (dies würde in der 95. ein breiteres Grundtempo erfordern und in der ‚Uhr’ ein etwas weniger bewegtes Trio), auch könnte das Blech gelegentlich noch mehr im Zaum gehalten werden. Doch all dies fällt angesichts der hinreißenden Vorzüge der Darbietung nur marginal ins Gewicht. Hinzu kommt, dass in der 95. Symphonie mit Cello-Stimmführer Mikayel Hakhnazaryan ein auch musikalisch herausragender Solist agiert, und dass mit Elissa Cassini, der einstigen Konzertmeisterin des fantastischen New Yorker Arcos Orchestra unter dem leider verstorbenen, unvergesslichen John-Edward Kelly, eine Konzertmeisterin von Weltrang verpflichtet werden konnte. Haydn gelang beide Male sensationell, und eben nicht nur hinsichtlich der gelegentlich fast schon atemberaubenden Virtuosität und alles durchdringenden Konzentration und Präsenz, sondern auch im Sanglichen, im intuitiven Erfassen der Charaktere und modulatorischen Spannungsverläufe, in der rhythmischen Prägnanz, dem Auskosten der Überraschungen, dem überschäumenden Humor und in den fein durchartikulierten Piano- und Pianissimo-Passagen. So wirkt diese Musik frisch wie am ersten Tag, ohne zopfig-besserwisserische Attitüde belehrenden Historismus’, und geistreich, wie dies seit den Tagen eines Celibidache nicht zu hören war.
Im Violinkonzert von György Ligeti sprang für den erkrankten Renaud Capuçon Michael Barenboim ein und spielte mit einer Souveränität, geigerisch makellosen Clarté und selbstverständlichen Musikalität, die das Publikum zu Begeisterung hinriß. Als Zugabe trug er – passend – den langsamen Satz aus Béla Bartóks Solo-Sonate vor, auch das mit vollendeter Beherrschung in allen Nuancen. Aber auch bei Ligeti sei die Leistung des Dirigenten – und in Tateinheit damit des Orchesters – besonders hervorgehoben. Man kann diese hochkomplexe Musik unter normalen Probenbedingungen nicht besser aufführen. Ligeti ist da am besten, wo er die aggressive Grellheit ins Extrem treibt, was mit physisch erbarmungsloser Verve umgesetzt wurde, und es ist nicht übertrieben, festzustellen, dass alles mit einer Lebendigkeit und Zuspitzung umgesetzt wurde, die den Komponisten beglückt hätten wie keine der auf Schallplatten dokumentierten Aufführungen. Außerdem gab es die ‚3 unvollendeten Portraits’ des 1957 in Triest geborenen Fabio Nieder, musikalische Stillleben am Rande des Verstummens, eine Art neuer ‚Arte povera’, vom Münchener Kammerorchester unter Storgårds minutiös verfeinert dargeboten, dass der Komponist selbst wohl staunen mochte, was er da zustande gebracht hat – das Publikum im vollen Saal des Prinzregententheaters war ganz im Bann dieser Klänge, die vor allem vom Verschwinden künden, sei es in der eröffnenden Berio-Hommage, dem slowenischen ‚Sara-Portrait’ oder der phrygischen Introversion einer immer wieder aufscheinenden tartarischen Volksweise.
Das Orchester zeigte sich nicht weniger dankbar als das Publikum und schenkte seinem ersten Gastdirigenten einen Applaus, von dessen überschwänglicher Herzlichkeit die anderen Münchner Maestri nur träumen können. Wie Lavard Skou Larsen in Salzburg und Neuss versteht es auch Storgårds in einmaliger Weise, einem Kammerorchester ein Maximum an Verfeinerung, Intensität und Reichtum des Ausdrucks zu entlocken. Das Münchener Kammerorchester befindet sich im Höhenflug seiner bisherigen Geschichte.
„Pearls of Classical Music“ nennt sich die neue CD der deutsch-koreanischen Pianistin Caroline Fischer. Zu hören sind Werke von Joseph Haydn (Sonate D-Dur Hob.XVI:24), Ludwig van Beethoven (Rondo a capriccio G-Dur Op. 129), Carl Maria von Weber (Ronde brillante Es-Dur Op. 62), Frédéric Chopin (Walzer Nr. 14 e-Moll; Andante spianato et Grande Polonaise brillante Op. 22), Franz Liszt (Liebestraum Nr. 3 Op. 62; Konzertparaphrase auf Rigoletto), Camille Saint-Saëns (Allegro appassionato Op. 70), Moritz Moszkowski (Nr. 11 aus 15 Études de Virtuosité Op. 72) und Sergei Lyapunov (Nr. 10 „Lesghinka“ aus 12 Études d’exécution transcendante Op. 11).
Ein größtenteils aus Standardrepertoire eines jeden Konzertpianisten bestehendes Programm aufzunehmen, erfordert Mut – da man sofort mit allen Größen der Klassikwelt verglichen wird – und vor allem eine eigene Aussage, die den Werken ohne Anflüge von Willkür angemessen ist. Die deutsch-koreanische Pianistin Caroline Fischer hat beides und veröffentlicht auf „Pearls of Classical Music“ eine farbenprächtige Mischung aus Werken von Haydn und Beethoven bis Moszkowski und Lyapunov.
Der Anschlag Fischers hat eine ganz eigene Note und ist unverkennbar, eint prägnante Schärfe und liebliche, beinahe fragile Zurückgehaltenheit. Caroline Fischer hat ein enormes Spektrum an Dynamiknuancen und nutzt diese gerade im Piano- und Pianissimobereich voll aus. So können melodische Linien in freier Unbekümmertheit aufleben und wieder zurückgehen, wobei sie es versteht, die Akzente am rechten Ort zu setzen und allgemein das Wechselspiel aus Spannung und Entspannung zu erspüren.
Haydns Sonate D-Dur Hob.XVI:24 entsteht gerade in den Randsätzen unprätentiös und spielerisch, mit dynamisch reflektierter Ausgestaltung kommt eine stringente Fasslichkeit der Form zur Geltung. Der Mittelsatz könnte angesichts des gemessenen Tempos mehr Glanz und Fülle des Gehalts vertragen. Wie beinahe in jeder neueren Aufnahme zu rasch eilt Beethovens Rondo a capriccio G-Dur Op. 129 unter ihren Fingern, wobei Fischer auch hier zauberhafte Feinheiten hervortreten lässt und eine fast schon berauschende Stimmführung präsentiert. Webers Ronde brillante Es-Dur Op. 62 bezaubert durch Schwung und tänzerischen Charme, mit Lockerheit und Spielfreude. In Chopin geht Caroline Fischer voll auf, verträumt sich nicht zu sehr in die zarten Weisen, gebraucht Rubato mit Bedacht und lässt mannigfaltige Zwischenschattierungen des Klangs durchscheinen. Bei Liszts Liebestraum Nr. 3 wäre dies in gleichem Maße zu wünschen, Verträumtheit und innerliche Leidenschaft kommt hier zu wenig zum Zug (aber auch interessant, üblicherweise ist dieses Werk nur „übermäßig verträumt“ zu hören). Die anschließenden vier Virtuosenwerke gelingen auf hohem Niveau, bestechen in ihrer fingerbrecherische Virtuosität mit springender Leichtigkeit.
„Pearls of Classical Music“ ist definitiv eine Empfehlung wert, die oft gehörten Werke bestechen allesamt mit einer eigenen Aussage und bieten dem Hörer die Möglichkeit, andere Aspekte der Musik zu erfahren.