Legendary Singers, so der Titel einer vom Label SWR-Music herausgegeben Box, erinnert an Martina Arroyo, Marilyn Horne, Peter Anders, Nicolai Gedda und Dietrich Fischer-Dieskau. Die Erklärung für die auf den ersten Blick beliebig erscheinende Auswahl liegt auf der Hand: der Südwestfunk hat in seinem Archiv Soloalben dieser historischen Gesangsgrößen aufgestöbert und bietet sie nun in einer preislich attraktiven Kassette an.
Mit einer Doppel-CD- wird Peter Anders gewürdigt. Der 1908 geborene Tenor gehörte bis zu seinem Unfalltod mit nur 46 Jahren zu den Publikumslieblingen der Nachkriegszeit. Er begann im lyrischen Fach und eignete sich allmählich jugendlich-heldische Partien an, besaß den Charme für die Operette und ein Gefühl für das Kunstlied. Die beiden Alben mit zwischen 1946 und 1952 entstandenen Aufnahmen versammeln einen Querschnitt aus Anders‘ Repertoire. Dramatische Arien, etwa Wagners Lohengrin und der Florestan aus Fidelio sind darunter, Duette von Verdi-, Puccini- und Bizet mit der hinreißenden Sena Jurinac, Szenen aus Der Zigeunerbaron und vorwiegend deutsche Lieder. Stimmlich ist Anders auf der Höhe seines Könnens, gelegentliche enge Spitzentöne fallen angesichts der vokalen Pracht und des eindringlichen Vortrags bei absoluter Textverständlichkeit nicht ins Gewicht.
Dietrich Fischer-Dieskau, auf Tonträgern so präsent wie kaum ein anderer Klassikkünstler, nahm im Frühstadium seiner Karriere Anfang der 50er Jahre Barock-Kantaten auf. Auch auf diesem Terrain, mit dem man den Bariton weniger verbindet, erweist er sich als gestalterische Kapazität und offen für abseitige Musikpfade. Mit frischem Organ, geschmeidigen Verzierungen, auch in der hier geforderten Basslage, und beispielhafter Diktion singt er Geistliches nicht nur von Buxtehude, sondern auch von weniger geläufigen Komponisten wie Franz Tunder, Nicolaus Bruhns und Adam Krieger.
Das Porträt des gleichaltrigen Nicolai Gedda dokumentiert die enorme stilistische Bandbreite des schwedischen Tenors. Von diesen Aufnahmen kann man nur schwärmen: wegen der durchgehenden Klangschönheit, der perfekten Artikulation in fünf Sprachen und der ausgefeilten Phrasierung. Imponierend, wie mühelos er die Stratosphärenhöhen des Sobinin in Glinkas Ein Leben für den Zaren oder des Chapelou in Adams Postillon von Lonjumeau erklimmt; meisterhaft, wie idiomatisch und elegant er so unterschiedliche Stücke wie Poulenc–Mélodies, italienische Lieder der Spätromantik oder russische von Nikolai Rimski-Korsakow darbietet.
Die beiden weiblichen Gesangslegenden sind in Mitschnitten zweier Liederabende aus Schwetzingen zu hören. Martina Arroyo, zu ihrer Zeit eine der führenden Verdi-Soprane, doch für ihren Rang wenig dokumentiert, gab 1968 dort ein Solokonzert. Ihre üppige, dunkelgolden timbrierte Stimme beeindruckt auch in den Liedern von Rossini (mit federleichten Spitzentönen bei La Danza), Schubert, Brahms und Dvořák. Sie ist eine ausdrucksvolle, dynamisch variable Interpretin, nur hapert es ihr an einer klaren Aussprache. Abgerundet wird das Programm durch vier tief empfundene, mit Wärme gesungene Spirituals, die im hymnischen Witness gipfeln.
Ganz im Zeichen Gioacchino Rossinis stand das Schwetzinger Recital, mit dem Marilyn Horne 1992 dem „Schwan von Pesaro“ anlässlich seines 200. Geburtstags gratulierte. Die Mezzosopranistin mit der unverwechselbaren Stimmfarbe, die im Januar 2024 neunzig Jahre alt wurde, bekräftigte bei dieser Hommage noch im Karriere-Spätherbst ihre Ausnahmestellung als Belcantointerpretin. Mit verblüffenden Koloraturen und Verzierungen, wie in der feurigen Canzonetta spagnuola, mit lang gesponnenen Kantilenen und vollendeter Legatokultur, wie in der berühmten Tancredi– Arie Di tanti palpiti, beschenkte sie den Jubilar. Der vernehmbare Dank des Publikums: Jubel und Bravos zwischendurch und am Ende.
Der slowenische Gitarrist Aljaž Cvirn legt auf seinem Album Duality ein Programm vor, das ganz der deutschen Romantik gewidmet ist. Zusammen mit Jure Cerkovnik (Gitarre), Sebastian Bertoncelj (Violoncello) sowie Tanja Sonc (Violine) präsentiert er Bearbeitungen von Klavier- und Kammermusik von Johannes Brahms, Felix Mendelssohn Bartholdy und Franz Schubert.
Über Jahrhunderte hinweg war die Gitarre (ebenso wie ihre Vorgänger) ein Instrument, dessen Originalrepertoire sich in erster Linie aus den Werken komponierender Gitarristen zusammensetzte – in großem Stil hat sich dies erst im 20. Jahrhundert geändert. Und so besteht auch die Gitarrenliteratur des 19. Jahrhunderts überwiegend aus den Werken etwa von Sor, Giuliani, Aguado, Coste, Mertz und dann (nach längerer Pause) Tárrega, typischerweise also zudem aus dem südwesteuropäischen Raum, wo sich die Gitarre besonderer Popularität erfreute. Mit deutscher Romantik wird man die Gitarre kaum in Verbindung bringen, und dies ist der Punkt, an dem die neue CD des jungen slowenischen Gitarristen Aljaž Cvirn ansetzt. Bereits vor ein paar Jahren hat Cvirn Schuberts Arpeggione-Sonate in einer Bearbeitung für Violoncello und Gitarre eingespielt, seinerzeit als Teil eines Albums von Sonaten für Cello und Gitarre gemeinsam mit der Cellistin Isabel Gehweiler. Seine neue CD, „Duality“ genannt, ist zur Gänze der deutschen Romantik gewidmet von Franz Schubert über Felix Mendelssohn Bartholdy bis hin zu Johannes Brahms, naturgemäß in Bearbeitungen, die dieses Repertoire und seine Klangwelt der Gitarre „erschließen“.
Von den drei genannten Komponisten ist Brahms sicherlich derjenige, dessen Musik man am wenigsten auf einer CD mit Gitarrenmusik erwarten würde, und nicht von ungefähr stammen diese Transkriptionen aus jüngerer Zeit, namentlich von den Gitarristen Ansgar Krause (*1956) sowie Hubert Käppel (*1951). Bei den Vorlagen handelt es sich um eine Auswahl von Brahms’ späten Klavierstücken: Krause hat die Intermezzi op. 116 Nr. 2 & 6 und op. 118 Nr. 2 sowie die Romanze op. 118 Nr. 5 für zwei Gitarren übertragen (Cvirns Duopartner ist hierbei Jure Cerkovnik), und Käppel das Intermezzo op. 117 Nr. 2 für (eine) Gitarre. Natürlich ist es – zumal bei Musik dieses Bekanntheitsgrades – nicht ganz einfach, diese Werke unabhängig vom pianistischen Original zu hören. Dennoch: für sich betrachtet ergeben die fünf Stücke eine insgesamt reizvolle, ansprechende, angenehm zu hörende Folge, eher sacht timbriert und zurückgenommen als schwerblütig-melancholisch. Am besten, fast schon im Sinne einer kleinen Preziose, funktioniert vielleicht das Intermezzo op. 118 Nr. 2, dessen zarte, vergleichsweise lichte Introspektion sich in den Klängen der beiden Gitarren sehr gut wiederfinden lässt. Dem anderen Extrem begegnet man in den Trillerpassagen vor Wiederholung des ersten Teils der Romanze op. 118 Nr. 5, die sich auf den Gitarren schlicht nicht überzeugend darstellen lassen; hier stößt die Transkription an ihre Grenzen. Wenn überhaupt, wäre vermutlich ein entschiedenerer Eingriff in den Notentext vonnöten, wobei eine schlüssige Lösung freilich alles andere als auf der Hand liegt.
Ansonsten liegt vieles – und hier stellt sich am Ende doch mindestens teilweise die Frage nach dem Vergleich zum Original – in der Mitte. Sicherlich sind diese Stücke erst einmal vom Klavier her gedacht, und nicht jede klangfarbliche Schattierung (wie etwa der Registerwechsel im Mittelteil von op. 116 Nr. 2 oder die im Pedal gehaltenen Akkordbrechungen in op. 117 Nr. 2) erfahren wirkliche Entsprechungen. Mit dem Verzicht auf die Kontraoktave geht der Musik speziell in den akkordisch geprägten Passagen ein wenig ihre herbstliche Note verloren, dagegen gewinnen etwa die triolischen Figuren, die Brahms u. a. gerne in den Nebenstimmen einsetzt, in der Bearbeitung eine Bedeutung, die sie auf dem Klavier nicht haben; hier besteht zuweilen die Gefahr, dass sie die Melodielinie ein wenig überdecken. Am Ende steht also ein Balanceakt, der aber unter dem Strich Gewinn bedeutet, der Gitarrenliteratur Ausdruckssphären hinzufügt; dass man dieser Musik mit Vergnügen lauschen kann, steht ohnehin außer Frage.
Auf Brahms’ späte Klaviermusik folgen auf der CD zwei Stücke von Felix Mendelssohn Bartholdy. Sein Venetianisches Gondellied, das sechste des ersten Hefts seiner Lieder ohne Worte op. 19, hat bereits Francisco Tárrega (1852–1909) für Gitarre bearbeitet, und zwar in rundum geglückter Manier. Fast erwartungsgemäß – angesichts der feinen, gedämpften Melancholie des Originals – funktioniert das Stück auf der Gitarre vorzüglich, Flageoletts sorgen für ein gewisses zusätzliches schwärmerisch-atmosphärisches Moment. Neben den bekannten Klavierstücken hat Mendelssohn Bartholdy auch ein Lied ohne Worte für Violoncello komponiert, nämlich das Lied ohne Worte D-Dur op. 109, ein ganz bezauberndes, melodisch äußerst attraktives Werk, das 1845 für die junge Cellistin Lisa Christiani entstand. Der kroatische Cellist Valter Dešpalj (1947–2023; Bruder des Dirigenten und Komponisten Pavle Dešpalj) hat es für Violoncello und Gitarre arrangiert, eine Bearbeitung, die sich grundsätzlich eng am Original orientiert, abgesehen von einigen wenigen Stellen im Mittelteil, an welchen der Dialog zwischen Cello und Klavier so nicht realisiert werden kann. Cvirn wird dabei vom Cellisten Sebastian Bertoncelj unterstützt (auch er übrigens aus einer Musikerfamilie – der bekannte slowenische Pianist Aci Bertoncelj war sein Vater).
Ein zweites Mal wird die Gitarre in Schuberts Sonate für Violine D-Dur D 384 mit einem Streichinstrument kombiniert (nun mit Tanja Sonc an der Violine); die Bearbeitung stammt aus der Feder des schwedischen Gitarristen Mats Bergström (*1961). Schubert auf die Gitarre zu übertragen ist im Grunde genommen eine recht naheliegende Idee, es ist belegt, dass dies (im Falle seiner Lieder) bereits zu seinen Lebzeiten und auch in Anwesenheit des Komponisten geschah. So verwundert es vielleicht nicht, dass sich Bergströms vor rund 25 Jahren entstandenes Arrangement der (im Original ja ohnehin ebenso hinreißend charmanten wie äußerst populären) D-Dur-Sonate ganz offenbar einer nicht unbeträchtlichen Beliebtheit erfreut, jedenfalls erscheint es hier bereits zum dritten Mal auf CD. Dabei ist die Kombination Violine und Gitarre nicht einmal ganz unproblematisch (obwohl sie bereits im frühen 19. Jahrhundert u. a. von Giuliani oder Paganini mit Repertoire bedacht wurde), und an einigen wenigen Stellen – nämlich dann, wenn forciert wird – tendiert die Balance etwas zu sehr in Richtung Violine. Insgesamt aber ist dies eine reizvolle Bearbeitung (die sich zum Original ähnlich verhält wie Dešpaljs Mendelssohn-Arrangement).
Bereits 1845 gab der Wiener Gitarrenvirtuose Johann Kaspar Mertz (1806–1856) seine Sechs Schubert’schen Lieder heraus, Arrangements von Schubert-Liedern für die Gitarre also, teilweise übrigens unter Einbeziehung von Liszts Klaviertranskriptionen (vgl. etwa die Echoeffekte in der zweiten Strophe des Ständchens). Cvirn hat drei dieser Bearbeitungen ausgewählt und ans Ende seines Programms gestellt, und zwar Nr. 1 nach dem Lob der Tränen D 711 sowie Nr. 3 und Nr. 6 jeweils nach Vorlagen aus dem Schwanengesang (Nr. 4 Ständchen bzw. Nr. 10 Das Fischermädchen). Mertzs Arrangements sind ausgezeichnet gelungen, weil sie in sehr geglückter Manier Tonfall und Geist Schubert’scher Lieder mit der Idiomatik der Gitarre kombinieren; Mertz lässt die Gitarre auf mannigfaltige und im Detail bemerkenswert einfallsreiche Art und Weise regelrecht „singen“. Trotz auch hier relativ enger Orientierung am Original sind diese Stücke also nicht nur Bearbeitungen, sondern auch ein Stück weit poetische Nachschöpfungen von Schuberts Liedern.
Cvirns Plädoyer für diese Repertoireerweiterungen gerät insgesamt überzeugend. Besonders hervorzuheben sind seine Interpretationen von Mertz’ Schubert’schen Liedern. Hier ist Cvirn hörbar ganz in seinem Element und wartet mit beseeltem, sanglichem Spiel und viel Sinn für allerhand Details und Nuancierungen wie kleineren Rubati, Smorzandi oder delikatem Dolce-Spiel auf. Insofern ist es eigentlich zu bedauern, dass er nicht den gesamten Zyklus eingespielt hat (Platz genug wäre auf der CD gewesen – vermutlich eine Entscheidung im Sinne der Balance des Programms). Gut gelungen auch die Brahms-Adaptionen, in denen Cvirn und Cerkovnik immer wieder Sensibilität für kurze Momente des Innehaltens, des Zögerns beweisen. Hier und da wäre allerdings etwas mehr musikalischer Fluss möglich, vielleicht durch eine Spur zügigere Tempi (was dem naturgemäß rascheren Verklingen der Töne auf der Gitarre ein wenig entgegenwirken würde).
Mendelssohns Lied ohne Worte erfährt im Zusammenspiel mit Bertoncelj eine solide Interpretation; hier wäre allerdings noch mehr Differenzierung möglich, um die Eleganz, den Schmelz und die weiten kantablen Linien dieser Musik zu voller Geltung kommen zu lassen. Ansprechend ist die Lesart von Schuberts Sonate durch Sonc und Cvirn. Hier und da wäre noch etwas mehr Differenzierung möglich, etwa beim Rondothema des 3. Satzes, bei dem man zugleich etwas stärker ins Piano zurückgehen und der Musik mehr Esprit verleihen könnte. Im Vergleich musizieren Sparf/Bergström selbst dezidiert historisch informiert, während Migdal/Kellermann (auf BIS) in dieser Hinsicht einen Mittelweg gehen; ihre Lesart wirkt in Bezug auf Sonc/Cvirn sicherlich eleganter, feiner nuanciert und in der Balance (Fortissimo zwischen Ziffern B und C im ersten Satz) etwas überzeugender, allerdings immer wieder in puncto Agogik und auch Artikulation (gleich zu Beginn, wenn die Halben in der Violine immer wieder arg verkürzt werden) mit gewissen Eigenheiten, sodass Sonc/Cvirn hier als eine solide, unmanierierte Alternative gelten können. In der Totalen eine schöne Veröffentlichung.
21. April 2023, 19 Uhr, Eintritt frei (um Spenden wird gebeten)
Berlin, Gustav-Adolf-Kirche
28. April; 6., 13., 27. Mai; 3. Juni; 1. Juli; 23. September 2013, jeweils 19 Uhr, Eintritt frei (um Spenden wird gebeten)
Das Quartet Berlin-Tokyo – Tsuyoshi Moriya und Dimitri Pavlov an den Violinen, Gregor Hrabar an der Bratsche und Ruiko Matsumoto am Violoncello – darf als eines der herausragenden Kammermusikensembles unserer Zeit gelten. Das Ensemble, dessen Debut-CD mit Werken Gawriil Popows und Erwin Schulhoffs im letzten Jahr für berechtigtes Aufsehen gesorgt hat, wird in den folgenden Monaten eine Reihe von Konzerten in der Berliner Gustav-Adolf-Kirche geben, die unter dem Motto „Musik der Romantik“ stehen. Einen Vorgeschmack zum eigentlichen Konzertzyklus gibt das Konzert am 21. April, in welchem neben Franz Schuberts Streichquintett C-Dur (mit Stephan Forck am zweiten Violoncello) die Uraufführung eines zeitgenössischen Werkes, des Streichquartetts Nr. 1 d-Moll von Henning Wölk, auf dem Programm steht. Henning Wölk, der auch als Sänger und Pianist tätig ist, wurde 1994 in Hamburg geboren und studierte an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Bislang ist er kompositorisch vor allem mit Vokalmusik hervorgetreten.
Der „Romantik“-Zyklus beginnt am 28. April. Bis zum 23. September erklingen sämtliche Streichquartette, Quintette und Sextette von Johannes Brahms, außerdem Streichquartette von Antonín Dvořák (op. 105), Felix Mendelssohn Bartholdy (op. 44/2) und Edvard Grieg (op. 27), das Klarinettenquintett von Wolfgang Amadé Mozart und das Klavierquintett von Enrique Granados. Das Quartettensemble wird in diesen Konzert ergänzt durch Joshua Dominic Löhrer (Klarinette), Daniel Seroussi (Klavier), Emi Otogao (Viola) und Stefan Heinemeyer (Violoncello).
Die Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar feiert 2022 ihr 150-jähriges Bestehen und veranstaltet anlässlich dieses Jubiläums mehrere Konzerte. Am 21. Juni fand im Saal Am Palais ein Solo- und Liederabend statt, in welchem Studierende der Fächer Klavier und Gesang Proben ihres Könnens lieferten. Zur Aufführung gelangten Klavierwerke von Franz Liszt, Lieder von Richard Wetz und Conrad Ansorge, sowie Vokalquartette von Johannes Brahms.
Über den ersten Teil des Konzerts, der ganz der Klaviermusik Liszts gewidmet war, fasse ich mich kurz. Von den drei Ausführenden dieses Programmabschnitts hinterließ nur Can Çakmur, der die Ballade h-Moll und zwei der späten Valses oubliées spielte, einen stärkeren Eindruck. Çakmur verfügt über eine brillante Geläufigkeit, die ihn auch rascheste Läufe scheinbar mühelos meistern lässt, und ein breites Spektrum hinsichtlich des Anschlags und der Dynamik. Seine Fähigkeit zu sehr leisem, dennoch deutlichem Spiel zeigte sich namentlich am Schluss der Valse oubliée Nr. 4. Im Mittelteil der Valse oubliée Nr. 1 fielen maniriert wirkende Verzögerungen auf. Trotz seinem offensichtlichen Talent gelang es Çakmur nicht, die Ballade h-Moll als ein zusammenhängendes Ganzes darzustellen. Die zahlreichen Motivwiederholungen und Sequenzen hätten einen weniger gleichförmigen Vortrag, stärkere Differenzierung im Kleinen und einen längeren „Atem“ in der Phasierung vertragen. Die Abfolge der einzelnen Abschnitte wirkte wenig motiviert.
Interessanter war die zweite Konzerthälfte. Ich möchte zunächst auf den Schluss zu sprechen kommen. Der Abend ging mit zwei auf Schiller-Texte komponierten Vokalquartetten von Johannes Brahms zu Ende: Der Abend op. 64/2 und Nänie op. 82 (letztere bekanntlich für Chor und Orchester komponiert). Von Megumi Hata am Klavier begleitet, sagen Evelina Liubonko (Sopran), Kateřina Špaňárová (Alt), Taiki Miyashita (Tenor) und Christoph Kurzweil (Baß). Die Aufführungen verdeutlichten vor allem, dass es zum Quartettgesang nicht genügt, einfach nur vier gute Stimmen zusammenzubringen. Evelina Liubonko kann man sich wunderbar auf einer Opernbühne vorstellen. Hier aber wirkte sie fehlbesetzt, denn sie sang nicht wie die Oberstimme eines Quartetts, sondern wie eine Solistin, indem sie sich nicht nur durch die Lautstärke, sondern auch durch häufiges Vibrato von den übrigen Stimmen abhob.
Zuvor standen die Sopranistin Emma Moore und die Pianistin Teodora Oprișor im Mittelpunkt, die jeweils vier Lieder von Richard Wetz und Conrad Ansorge vortrugen. Teodora Oprișor hat bereits im vorigen Jahr ihr Liedgestalterexamen mit Werken dieser beiden Komponisten bestritten, und man kann sie in der Entscheidung, sich für sie einzusetzen, nur bestärken. Dank mehreren in den letzten drei Jahrzehnten herausgekommenen CD-Veröffentlichungen weiß man inzwischen wieder, dass Richard Wetz (1916–1935 Kompositionsprofessor in Weimar) ein herausragender Symphoniker und Oratorienkomponist gewesen ist. Für sein gut 100 Titel umfassendes Liedschaffen ist dagegen noch Pionierarbeit zu leisten (wozu als Grundlage die bei Musikproduktion Höflich/Beyond the Waves erschienene Gesamtausgabe empfohlen sei). Conrad Ansorge, einer der letzten Schüler Liszts, ist als Komponist nie zu einem solchem Ruhm gelangt, wie er ihn als Pianist genießen konnte. Dass allerdings seine Kompositionen nach seinem Tod weitgehend unbeachtet blieben, und auch die Tonträgerproduktion bislang wenig Notiz von ihnen genommen hat, kann man, den Kostproben nach zu urteilen, die Moore und Oprișor ihrem Publikum boten, nur als schwerwiegendes Versäumnis bezeichnen. Ansorge und Wetz waren introvertierte Künstler, die ihre entscheidende Prägung zwar im späten 19. Jahrhundert erfuhren – das heißt: als Gesangskomponisten unter dem Einfluss der arios-deklamatorischen Singstimmenbehandlung Richard Wagners –, aber in ihrer Musik eine Gegenwelt zu den blendenden Effekten und der überbordenden Ornamentik mancher ihrer Zeitgenossen schufen. Wetz kleidet seine Gesänge dabei bevorzugt in ein feierliches Halbdunkel, während Ansorge schimmernde Gebilde von zerbrechlicher Zartheit erschafft. Emma Moore war den Stücken eine gewissenhafte und textdeutliche Interpretin, deren kraftvolle Stimme jedoch in der Akustik des relativ schmalen und hohen Saales oft etwas überstark wirkte. In Teodora Oprișor stand ihr eine Begleiterin zur Seite, die sie nie übertönte, aber immer präsent blieb. Die Pianistin hat sich die Werke so zu eigen gemacht, dass sie ihren Part bis in die letzten Winkel mit Leben erfüllen konnte. Den Höhepunkt an Subtilität erreichte sie in Ansorges Richard-Dehmel-Vertonung Dann op. 10/7, deren leise nachschlagende Synkopen sie zu unheimlicher Spannung steigerte. Wahrlich, es ist eine Freude, diese Musik in so kompetenten Händen zu wissen!
Sonate f-Moll op. 120/1 / Bearbeitung für Klarinette und Kammerorchester von Mathias Weber (Uraufführung)
Klavierquintett f-Moll op. 34 / Bearbeitung für Klavier und Streichorchester von Mathias Weber
Mathias Weber, Klavier und Dirigent
Sabine Grofmeier, Klarinette
Hamburger Camerata
Die Matineekonzerte in der Elbphilharmonie haben sich als Publikums-Selbstläufer etabliert. Ein Glücksfall ist dies für die Hamburger Érard-Gesellschaft, die hier am 30. Oktober den Höhepunkt ihres diesjährigen Érard-Festivals begehen konnte. Das Konzert bot auch eine Uraufführung: Nämlich eine Neubearbeitung der f-Moll Klarinettensonate von Johannes Brahms op 120/1 von Mathias Weber. Sabine Grofmeier, eine hochmotivierte, in Hamburg lebende Klarinettistin war in ihrem Element.
Mathias Weber, Pianist und auch Komponist ist ein nachdenklicher Musikforscher, der in seinen beachtlichen Neubearbeitungen einschlägiger Meisterwerke der tiefen Wahrheit zwischen den Zeilen des Notentextes weiter auf den Grund geht. Aus einem solchen Erfindergeist ging diese „neue“ Orchesterbearbeitung von Johannes Brahms‘ Klarinettensonate f-Moll opus 120/1 hervor. Sie wirkt lichtdurchfluteter und anmutiger und irgendwie kammermusikalischer als Luciano Berios von deutlich mehr romantischem Orchesterpathos durchdrungene Adaption aus dem Jahr 1986.
Sabine Grofmeier hat zu dieser empfindsamen Sonate schon lange ein tiefes Verhältnis. In der „Elphi“ funktioniert eine perfekte Kombination aus Werk, Interpretin, Zeit und Ort. Zu einer überraschenden Streichereinleitung der Hamburger Camerata erhebt sich ihr höchst kantabler Klarinettenton, um dann den festlichen, zugleich tief empfindsamen Gestus mit großer Strahlkraft in allen Sätzen aufrecht zu erhalten. Wo bislang der Dialog mit dem Klavier stand, da bauen sich jetzt verblüffende Querverbindungen und Berührungen zu vielen Orchesterinstrumenten auf. Mathias Weber beschreibt später seinen eigenen schöpferischen Prozess: „Ich höre beim Klavierpart eines solchen Originals manchmal andere imaginäre Instrumente“. Das Miteinander zwischen spielerischer Bravour und starken Emotionen verdichtet sich noch weiter im Andante. Die Interpretin ist selber sichtlich überwältigt – von der Musik in diesem Moment an diesem Ort, von der Reaktion des Publikums, welches spürt, dass da jemand ehrlich auf der Bühne agiert. Das Menuett des dritten Satzes kommt fast wie ein Walzer daher. Molto vivace und in sonnig aufblühender Klangpracht gelangt die vertraute, zugleich völlig neue Komposition in ihre Zielgerade.
Befreite Emotionen ließen tosenden Beifall folgen. Das befeuerte Sabine Grofmeiers Zugaben – und wie! Viele wollen Piazolla spielen. Aber kaum jemand beherrscht wie diese Solistin ein dermaßen organisches Crescendo in jedem einzelnen Ton und eine geschmeidige Phrasierung, die jedes Korsett von „richtiger Intention“ souverän überwindet. Musik im Konzertsaal „funktioniert“ vor allem dann, wenn eben nicht nur die Experten befriedigt sind, sondern vor allem das unvoreingenommene „Laufpublikum“ erreicht ist. Sabine Grofmeier erreichte dies an diesem Morgen durch das Zulassen und Zeigen von Empfindung. Zu Teilnehmenden wurde schließlich das Publikum in einer Mitmach-Aktion, in der sie im Brahmschen Wiegenlied „Guten Abend, Gute Nacht“ zum Mitsummen der Melodie einlud.
„Ich konnte hier alles machen, was geht“, freute sich Sabine Grofmeier. Eines hatte sie am meisten überrascht: Die spezielle Akustik in Hamburgs Elbphilharmonie, die oft als „trocken“ beschrieben wird, erwies sich als ausgesprochen freundlich gegenüber ihrem Spiel, da sie verblüffend viel Rückmeldung gibt.
In vielen exklusiven Recitals macht die Érard-Gesellschaft den einmaligen Klangcharakter der historischen Érard-Flügel aus dem 19. Jahrhundert entdeckbar. In Johannes Brahms‘ Vier Klavierstücken op. 119 aus dem Spätwerk, bündelte sich zum Auftakt der Matinee diese Philosophie in jedem einzelnen Ton: Unter Mathias Webers Händen wirken diese scheinbar skizzenhaften Werke wie stark komprimierte Seelengemälde – eine Stimme, die sich haushoch über jeder Kategorie von spieltechnischer Bravour erhebt! Der Klaviersolist als Orchesterleiter im Zentrum eines sinfonischen Gefüges – diese Konstellation kam zum Finale dieses ausverkauften Konzertes in einer weiteren Bearbeitung von Mathias Weber zum Tragen:
So hat er das Brahmsche Klavierquintett f-Moll opus 34 zu einer ausdrucksmächtigen Kammersinfonie ausgeweitet. Große orchestrale Spektren, weite atmende Räume tun sich in den ausgedehnten Sätzen aus. Die hellwache Interaktion zwischen den Instrumenten – exemplarisch gewürdigt sei hier nur ein hinreißender Solocello-Part als Antwort auf das Klavierspiel, blieb dabei dem Geist des kammermusikalischen Originals in wunderbarer Weise treu.
So wie hier geht es im Idealfall zu, wenn in einer lebensfrohen Weltstadt idealistische Künstlerpersönlichkeiten an einem Strang ziehen – und dabei auf einen Komponisten zurückgreifen, der ebenfalls ein Kind dieser Stadt war und auch in der Gegenwart noch ganz viel zu sagen hat.
[Stefan Pieper, November 2021]
NB: Am 6. Dezember gibt es in der Laeiszhalle der Elbphilharmonie eine Soiree Érard, die ebenfalls von der Érard-Gesellschaft ausgerichtet wird.
Karl-Heinz Schütz, Soloflötist der Wiener Philharmoniker, hat die beiden Sonaten op. 120 von Johannes Brahms, ursprünglich Klarinettensonaten, dann vom Komponisten für Viola und Violine bearbeitet, für die Flöte eingerichtet. Zusammen mit der Pianistin Maria Prinz hat er für Naxos diese Bearbeitungen samt einigen Transkriptionen Brahmsscher Lieder eingespielt. The New Listener sprach mit beiden über ihre neue CD.
Wie kam es zu der nicht alltäglichen Idee, die Klarinettensonaten von Brahms in einer Fassung für Flöte und Klavier aufzunehmen?
Karl-Heinz Schütz: Brahms war, durch die Begegnung mit dem Klarinettisten Richard Mühlfeld, offensichtlich von der Klarinette fasziniert und hat somit für ein Blasinstrument komponiert und gedacht. Die Flöte befand sich zur damaligen Zeit in einem Dornröschenschlaf. Aus diesem hat sie erst Debussy wachgeküsst! Die ganze Musikgeschichte, insbesondere im 19.Jahrhundert, ist voll von Bearbeitungen. Von Brahms selbst liegen Versionen dieser Sonaten für Klarinette, Viola und Violine vor: drei sehr unterschiedliche Timbres für dieselbe Musik. Ich denke mit der Flöte einfach konsequent den brahmsischen Gedanken weiter.
Maria Prinz: Mit Karl-Heinz Schütz zu musizieren, ist für mich in den 10 Jahren unserer Zusammenarbeit immer ein musikalisches Erlebnis der Sonderklasse gewesen, inspirierend und beglückend. Seine Idee, die Sonaten op. 120, die zu den Stücken gehören, mit denen ich mich im Laufe meines Musikerlebens besonders oft und ausführlich beschäftigt habe, auf der Flöte zu spielen, war eine sehr willkommene Chance, diese Werke unter einem ganz neuen Blickwinkel zu sehen und zu interpretieren.
Sie haben die Klarinettensonaten schon häufig interpretiert, auch bereits aufgenommen. Was gefällt Ihnen an der neuen Fassung für Flöte besonders?
Maria Prinz: Die Sonaten op. 120 gehören zum Spätwerk des Komponisten und zeichnen sich durch eine gewisse herbstliche Färbung, besonnene Ruhe und leise Zwischentöne aus, die der Klangcharakteristik der Flöte in hohem Maße entsprechen; besonders wenn der Flötist, wie im Fall von Karl-Heinz Schütz, über einen so wandlungsfähigen und farbenreichen Klang verfügt. Ich bemühe mich bei jeder neuerlichen Begegnung mit Werken, die mir sehr vertraut sind, weitere Aspekte und Nuancen zu entdecken, und diese Version hat mich dazu sehr motiviert und inspiriert.
Karl-Heinz Schütz: Es war besonders inspirierend, diese Musik mit Maria Prinz aufzunehmen, die diese Musik viel länger als ich kennt!
Es gibt Komponisten, denen man nachsagt, sie hätten die Flöte nicht besonders gemocht. Mozart zum Beispiel. Wie verhält es sich mit Brahms?
Karl-Heinz Schütz: Ich denke, Brahms hatte die Flöte als Soloinstrument aus verschiedenen Gründen nicht auf dem Radar. Die wesentlichen instrumentenbautechnischen Veränderungen hatten noch keine goldene Ära mit hervorragenden Spielern hervorgebracht, wie es etwa dann 20 bis 30 Jahre später in Paris der Fall war. Dennoch spielen Flötenklang und Flöte als wesentliche Farbe in seiner Sinfonik eine zentrale Rolle, wie im Übrigen auch bei Mozart.
Die Brahms-Lieder auf dem Album in Fassungen für Flöte und Klavier zu hören, ist zum Teil sehr überraschend. Die Lieder scheinen so komponiert zu sein, dass sie auch ohne Text eine Botschaft in sich tragen. Waren Sie auch selbst überrascht davon, wie gut diese Kompositionen ohne Stimme funktionieren?
Karl-Heinz Schütz: Da ich als Flötist immer den Gesang und die menschliche Stimme als Ausdruck zum Vorbild habe, begleiten mich solche „Lieder ohne Worte“ schon mein Flötisten-Leben lang. Es ist schön, dass wir jetzt eine Auswahl davon auf dieser CD vorliegen haben.
Maria Prinz: Ich konnte mir von Anfang an gut vorstellen, dass die Version für Flöte und Klavier gut funktioniert. Es gibt die berühmte Bearbeitung von Schubert-Liedern von Theobald Böhm, die sehr beliebt bei Interpreten und Publikum sind, und ich bin sehr glücklich, dass das auch in unserer Fassung der Brahms-Lieder der Fall ist. Die ganz großen Komponisten sagen oft durch ihre musikalische Umsetzung der Poesie noch mehr als der Text uns mitteilt. Sie vertiefen die emotionale Wirkung, oder hinterfragen sogar manche Inhalte.
Wir haben uns auch bewusst dagegen entschieden, den Text der Lieder im Booklet abzudrucken, um dem Zuhörer den Freiraum für eigene, allein von der Musik inspirierte Assoziationen, zu geben.
Ist es eigentlich einfach oder schwierig, die Gesangs-Phrasierung der Lieder auf die Flöte zu übertragen, weil ja beide „Instrumente“ (Gesang und Flöte) durch Atemtechnik „gesteuert“ sind? Oder war dies am Ende gar nicht das Ziel?
Karl-Heinz Schütz: Ich finde, die Übertragung liegt in der Natur der Sache. Es erscheint mir ganz natürlich, da Gesang und Flötenspiel unglaublich viele Gemeinsamkeiten haben, wie z.B. die Atmung und Stütztechnik, ebenso das Vibrato. Naturgemäß entfallen die Worte und es entsteht ein Lied ohne Worte.
Und wie verhält es sich mit der Übertragung der Klarinettenphrasierung auf die Flöte?
Karl-Heinz Schütz: Das ist ein ähnliches Phänomen wie beim Gesang: die Gemeinsamkeiten sind frappierend. Für den Zuhörer ergibt sich vor allem ein unterschiedliches Klangbild.
Welche Herausforderungen ergeben sich für das Klavier?
Maria Prinz: Mein Credo ist immer gewesen, nicht einen universal verwendbaren Klavierklang anzubieten, sondern auf die klanglichen Besonderheiten meiner jeweiligen Kammermusikpartner einzugehen und Farben zu finden, die sich in einigen Passagen so perfekt mit dem Klang des anderen Instrumentes vermischen, dass beide eine Einheit bilden oder aber den vom Komponisten gesuchten Kontrast liefern. Für mich ist das silbrig Schimmernde des Flötenklanges besonders reizvoll und kommt dem, was ich am Klavier mache, sehr entgegen.
Im Fall der Brahms-Sonaten in der Flötenfassung ist auch die Frage der Balance besonders wichtig, damit die sehr dichte, akkordische Faktur des Klavierparts stets durchsichtig bleibt und die Flöte nicht erdrückt. Es gibt sehr wenige andere Werke des Kammermusikrepertoires, bei denen beide Instrumente in einem so ausgeglichenen und gleichberechtigten Dialog miteinander den musikalischen Inhalt wiedergeben.
Wie hat Ihr Label auf den Vorschlag reagiert, ein solch ungewöhnliches Programm aufzunehmen? In der allgemeinen Wahrnehmung war Naxos lange ein Label für den schmalen Geldbeutel, dann hat es sich zu einer Art klingenden Enzyklopädie entwickelt und heute scheint es kaum noch Unterschiede zu anderen Labels zu geben. Wie haben Sie das als Künstlerin empfunden, die schon seit Jahren mit Naxos zusammenarbeitet?
Maria Prinz: Zum Glück sehr positiv! Natürlich wissen wir alle, dass Bearbeitungen an sich oft als problematisch und überflüssig angesehen werden, aber sie geben auch die Chance auf einen frischen Zugang zu altbekannten Werken, und es geht auch immer um die Frage der Ehrlichkeit und Qualität der Interpretation. Ich arbeite schon seit vielen Jahren mit Naxos und kann nur von positiven Erfahrungen berichten.
Jedes Label ist so gut, wie die Leute, die es verantworten, und in diesem Fall ist Klaus Heymann die Persönlichkeit, die mit Mut und Weitsicht die Zeichen der Zeit erkannt hat und das Label innovativ und fantasievoll in die Zukunft führt. Die Zusammenarbeit mit ihm ist fantastisch, weil er blitzschnell auf Vorschläge reagiert, ganz klar seine Meinung äußert und wenn einmal die Zustimmung da ist, man sich 100% auf ihn verlassen kann. Natürlich ist der Beitrag des ganzen Teams von Naxos, der Mitarbeiter, mit denen man dann zu tun hat, nicht hoch genug einzuschätzen.
Sie sind Erster Flötist bei den Wiener Philharmonikern. Wie wichtig ist es für Sie, abseits des Orchesterbetriebs Kammermusik-Projekte wie diese Aufnahme mit Maria Prinz durchzuführen?
Karl-Heinz Schütz: Die Kammermusik ist für Komponisten wie für Interpreten immer eine sehr intime Sache. Und aus diesem Grund würde ich es als Herzensanliegen bezeichnen.
Die Wiener Philharmoniker sind zweifellos eines der weltbesten Orchester, stehen aber im Ruf, nicht sehr neugierig auf neues oder unbekanntes Repertoire zu sein. Stimmt dieser Eindruck oder sollte er revidiert werden?
Karl-Heinz Schütz: Das Publikum möchte natürlich von diesem Orchester zuerst ein bestimmtes Repertoire hören. Das hängt ganz eindeutig mit der Geschichte und der Tradition des Orchesters zusammen.
Ich erlebe aber im Orchester eine Offenheit und ein Interesse das Repertoire zu erweitern. Stücke, die vielleicht vor etwa 30 oder 40 Jahren nur am Rande vorgekommen sind, sind völlig im Selbstverständnis des Orchesters angekommen.
Viele Klassikliebhaber, gerade die besonders leidenschaftlichen, scheinen eine latente Abneigung gegenüber Transkriptionen oder Werkbearbeitungen zu haben. Woran liegt das Ihrer Meinung nach und wie würden Sie diesen Leuten beschreiben, weswegen Sie bewusst eine Bearbeitung aufgenommen haben?
Karl-Heinz Schütz: Die großen Komponisten haben alle voneinander gelernt, einerseits durch Studium, andererseits durchs bloße Abschreiben voneinander: Zahllose Beispiele lassen sich hierfür anführen. Sehr oft wurden auch eigene Werke anders wiederverwendet oder eben anders instrumentiert. Die Essenz einer Komposition bleibt ja hiervon im Grunde unberührt – es werden lediglich andere Aspekte beleuchtet, was einem auch Augen, Ohren und Sinne öffnen kann. Meine Bearbeitung und Interpretation versuche ich beim Kern des Werkes anzusetzen, um aufzuzeigen, wie diese wunderbare Musik mit Flöten-Timbre erklingt! Ich bin überzeugt, dass Brahms Flötensonaten geschrieben hätte, hätte er heute gelebt.
Maria Prinz: Wie ich schon erwähnt habe, ist es uns von Anfang an bewusst gewesen, dass eine gewisse Abneigung gegenüber Bearbeitungen existiert. Diese ist in Fällen, bei denen die Bearbeitung in krassem Gegensatz zu den Absichten und der Ausdrucksweise des Komponisten stehen, durchaus berechtigt.
Man darf allerdings nicht vergessen, dass sehr viele Komponisten ihre Werke selbst bearbeitet und Versionen für verschiedene Instrumente veröffentlicht haben. Das ist auch für die Sonaten op. 120 der Fall, von denen Brahms selbst Versionen für Bratsche und Violine erstellt hat. Somit deutet er an, dass dieses musikalische Material Raum für verschiedene klangliche Deutungen lässt. Und das zweite Argument zugunsten der Flötenversion ist, dass die Klarinette und die Flöte als Blasinstrumente doch näher verwandt sind, als es die Bratsche oder die Violine sind.
Bei den Liedern wiederum ist die Flöte der menschlichen Stimme durch die Beteiligung des Atems an der Klangerzeugung und auch durch die Fähigkeit, Phrasen „singend“ zu formen, verwandt und imstande die wunderschönen, langgezogenen brahmsischen Melodien zu gestalten.
Zum Neustart der Klassikreihe im Bürgerhaus Eching spielen der Violinist Denis Goldfeld und die Pianistin Sofja Gülbadamova am 3. Juli 2021 ein hoffnungsvolles Programm fast ausschließlich in Dur. Sie eröffneten den Abend mit Schuberts Violinsonate D-Dur D 384, worauf Beethovens 8. Violinsonate in G-Dur op. 30/3 folgte. Nach der Pause fügten die Musiker ein modernes Werk, welches nicht auf dem Programm stand: Ein Andante Tragico der Komponistin Lera Auerbach, das für die Künstler ein Sinnbild der durchlittenen Coronapandemie darstellt. Als Hauptwerk des Abends spielten Goldfeld und Gülbadamova die Erste Violinsonate op. 78 von Johannes Brahms, rundeten mit dessen Scherzo aus der F.A.E.-Sonate ab.
Welch ein seltsamer Augenblick für uns Zuhörer, auf einmal wieder im Konzertsaal zu sitzen – und wie viel seltsamer noch für die auftretenden Musiker, die nun teils über ein Jahr nicht mehr vor Publikum standen. Das Erlebnis war somit in jeder Hinsicht ein Besonderes. Und dies wurde bei Künstlern wie Zuhörern spürbar: Als die Musik anhob, so waren wir wie in einer Parallelwelt, gebannt von den Klängen. Es fühlte sich zugleich vertraut an und dann fast neuartig. Denis Goldfeld und Sofja Gülbadamova rangen im positivsten Sinne um die aufsteigenden Emotionen, die gerade bei Komponisten wie Schubert und Brahms doppelbödiger kaum sein könnten. Doch gewannen sie den Kampf insofern, als dass sie sich nicht überrumpeln ließen von der geballten Macht der ertönenden Großformen, sondern es schafften, diese zu kanalisieren und dem Publikum zu vermitteln, ja zu verkünden. Denis Goldfeld schwelgte sichtbar auf den Tönen, kontrollierte sie empfindsam im Entstehen und stellte jede Zelle seines Körpers in den Dienst der Musik, was seinem Spiel größtmögliche Sinnlichkeit und Purität verlieh: Echter, ungekünstelter Ausdruck in jeder Schwingung. Sofja Gülmadamova verkörperte eine andere Herangehensweise: Sie näherte sich vom Bild auf die Gesamtform den einzelnen Passagen, um nie den Zusammenhang zu verlieren. Aller äußerlichen Virtuosität schwor sie ab, erwägte gar jede ihre Bewegungen, die nur der Tongebung gelten sollten. In der Symbiose der beiden Künstler verschwammen die unterschiedlichen Grundzüge zu einer durch und durch funktionierenden Einheit. Die Musiker gaben ihr Innerstes preis, was das Erlebnis dieses Konzerts umso intensiver und intimer gestaltete, den Zuhörer vollends in das Geschehen integrierte. Der gemeinsame Atem, der sich in 20-jähriger Kammermusikpartnerschaft etablierte, der nach dieser Pause nun wieder außergewöhnlich erschien, sprang auch auf das Publikum über.
Wohl dauerte es aus Sicht des Publikums teils noch, sich auf diese Situation neu einzustellen, aber spätestens im Mittelsatz der Beethoven-Sonate war auch der Letzte vom Alltag befreit in den Wogen der Musik gefangen. Diejenigen, die sich schon früher aus der normalen Welt zu lösen vermochten, erlebten vom ersten Ton an Großes: Die jugendliche D-Dur-Sonate Schuberts, mit 19 Jahren geschrieben, enthielt schon den Kern des späteren Melodik-Großmeisters, behielt dennoch unter den Fingern Gülbadamovas und Goldfelds die jugendliche Frische und Heiterkeit – wenngleich die scheinbare Fröhlichkeit bereits hier teils gebrochen erscheint. Der Kopfsatz von Beethovens G-Dur-Sonate brodelte und begehrte auf, konnte aber in seiner übermannenden Energie von den Musikern gebändigt werden, was uns davor bewahrte, von den Tönen überrannt zu werden. Im erwähnten Mittelsatz blieb die Zeit stehen, so dass man sprechen möchte: „Verweile doch, du bist so schön.“
Die Intimität noch gesteigert setzten Goldfeld und Gülbadamova in der zweiten Hälfte mit einem zeitgenössischen Werk von Lera Auerbach an, traten in Zwiegespräch mit den Tönen, die teils grelle Dissonanzen aufflammen ließen, dann aber auch wieder beschwichtigende Dur-Harmonien verwendeten, um den Kontrast aus Niedergeschlagenheit und Hoffnung zu extremisieren. Alles, was die Musiker über die Corona-Pandemie gerne sagen wollten: Es war in diesen Tönen. Die „Regenliedsonate“ op. 78 von Brahms folgte, die zwar in Dur geschrieben steht, wohinter sich aber ein tragisches Schicksal verbirgt, nämlich der Tod von Brahms‘ Patenkind Felix Schumann. In ihrer Ansprache nannte Sofja Gülbadamova sie ein „Lächeln durch die Tränen hindurch.“ Diese Musik zu beschreiben, entzieht sich nun doch letztendlich dem verbal Ausdrückbaren; es hätte ein Foto gebraucht vom Ausdruck auf den Gesichtern der Musiker nach der letzten Note – zutiefst betroffen, aufgerüttelt, erschüttert und doch friedlich –, um den entschwundenen Moment zu rekapitulieren.
Konzertkritik des Streamingkonzerts des Sinfonieorchesters Liechtenstein am 13.05.2021 in Zürich in der Tonhalle Maag, Live-Übertragung via youtube:
Johannes Brahms (1833–1897) Akademische Festouvertüre, op. 80
Astor Piazzolla (1921–1992) Aus „L’Histoire du Tango“: II. Café 1930
Artie Shaw (1910–2004) Klarinettenkonzert
Johannes Brahms (1833–1897) Klavierquartett in g-Moll, op. 25, für Orchester gesetzt von Arnold Schönberg (1874–1951)
Sebastian Manz, Klarinette Kevin Griffiths, Dirigent
Bei einem Gastspiel in Zürich wiederholte das Sinfonieorchester Liechtenstein gemeinsam mit dem Klarinettisten Sebastian Manz unter der Leitung von Kevin Griffiths am 13. Mai das Programm seines an den beiden vorangegangenen Tagen in Schaan gegebenen 2. Abonnementskonzerts (René Brinkmann berichtete). Wie diese wurde auch der Züricher Auftritt per Livestream auf Youtube übertragen, sodass nicht nur die (aufgrund der Pandemiesituation) wenigen Konzertbesucher Gelegenheit hatten, einen höchst abwechslungsreichen musikalischen Abend zu erleben – abwechslungsreich nicht nur hinsichtlich der aufgeführten Werke, sondern vor allem aufgrund der stark schwankenden Qualität der Darbietungen.
Man kann sagen, das Konzert stand und fiel mit Sebastian Manz. Je wichtiger der Anteil des Solisten an den einzelnen Programmnummern war, desto besser musizierte das Orchester. So markierte das Klarinettenkonzert von Artie Shaw unzweifelhaft den Höhepunkt des Abends. Man darf beim Titel des Werkes nicht an klassische Solokonzerte denken. Das Stück ist eine freie Fantasie in verschiedenen Jazz-Idiomen, eine gelenkte Improvisation. Bereits die Aufstellung der Musiker zeigte, dass etwas Außergewöhnliches zu hören sein würde: Der Klarinettist stand nicht neben dem Dirigenten, sondern am Rande des Orchesters, inmitten einer Rhythmusgruppe aus Klavier und Schlagzeug. Obwohl auch hier Dirigient Griffiths den Takt schlug und Einsätze gab, war Manz eindeutig der Band Leader. Artie Shaw pflegte bei seinen Auftritten als Primus inter Pares zu spielen und auch seinen Bandmitgliedern ausgiebig Gelegenheit zum Solospiel zu geben. Dieser Praxis folgt auch sein Klarinettenkonzert. Man konnte nun in Zürich erleben, wie Sebastian Manz mit seinem ungemein wandlungsfähigen Spiel seine Mitspieler dazu animierte, sich ebenfalls der Gnade des Augenblicks anzuvertrauen und spontan mit ihm in beseelten Dialog zu treten. Die Musiker lebten hier hörbar auf, der trotz der geringen Zuschauerzahl brausende Applaus war völlig berechtigt. Als Zugabe folgte die von Sebastian Manz für Streichorchesterbegleitung eingerichtete Israeli-Suite des Klezmer-Klarinettisten Helmut Eisel, dessen „sprechendem“ Spiel Manz nach eigenen Worten wertvolle Anregungen verdankt. Eine prominente Rolle kommt in diesem Stück dem Cajon zu, einem großen Holzkasten, auf dem der Schlagzeuger des Orchesters Platz nahm, um das Geschehen rhythmisch zu begleiten. Auch hier durfte das Orchester „ausrasten“ (Manz) und schien dies zu genießen. In den Programmpunkten mit Sebastian Manz merkte man, dass im Sinfonieorchester Liechtenstein hochmotivierte und leistungsfähige Musiker sitzen!
Demgegenüber fielen die Darbietungen der beiden Brahms-Werke qualitativ stark ab. Hier folgte das Orchester getreu den Weisungen Kevin Griffiths‘ – diese aber waren offensichtlich das Problem. Griffiths bot handwerklich ordentliche Aufführungen, aber es wurden bloß Noten gespielt, ein Takt reihte sich an den nächsten, alles sehr gleichförmig, spannungs- und zusammenhanglos, die Phrasen in ihre Einzeltöne zerhackt. Nirgends stellte sich der Eindruck ein, es hier mit mehr als technischer Routine zu tun zu haben. Besonders unschön wirkten die Stellen wiedergegeben, an denen Brahms demonstrativ kantabel schreibt. So gestattete der Dirigent den Musikern nicht, das „Gaudeamus Igitur“ in der Akademischen Festouvertüre auf ihren Instrumenten zu singen, sondern hielt sie dazu an, es zu skandieren. Es war angesichts dessen am Ende des Konzerts ganz und gar nicht überraschend, dass Arnold Schönbergs Orchesterbearbeitung des Klavierquartetts op. 25 zu einer Demonstration kalter Pracht geriet.
Sehr aufschlussreich waren die beiden Interviews während der Pause, denn es zeigte sich in ihnen, dass es sich bei Sebastian Manz und Kevin Griffiths um zwei ganz konträre Musiker handelt: Manz berichtete davon, auf welche Weise er Musik macht, was er während des Spiels mit seinem Körper tut, um die Klänge zu beseelen und zum Sprechen zu bringen; passend dazu betonte er, dass die Musik jedes Mal beim Vortrag neu entsteht und das Wesentliche nicht in den Noten zu finden ist. Griffiths blieb dagegen in seinen Äußerungen oberflächlich und schien gar nicht zu merken, dass er über die Schönbergsche Brahms-Bearbeitung Widersprüchliches erzählte (Schönberg hat sich eben nicht an den Brahmsschen Orchesterstil gehalten, sondern ist in der Instrumentierung des Quartetts ganz nach eigenem Gutdünken verfahren).
Abschließend bleibt festzuhalten, dass es in Liechtenstein ein fähiges, auch begeisterungsfähiges Orchester gibt, das zu hervorragenden Leistungen in der Lage ist. Es hätte verdient, dieses Programm unter einem Dirigenten zu spielen, der das ihm zur Verfügung gestellte Potential besser zu nutzen weiß.
Konzertkritik des Streamingkonzerts (2. Abo-Konzert) des Sinfonieorchesters Liechtenstein am 12.05.2021 in Schaan (Liechtenstein) im Saal am Lindaplatz, Live-Übertragung via youtube:
Johannes Brahms (1833–1897) Akademische Festouvertüre, op. 80
Astor Piazzolla (1921–1992) Aus „L’Histoire du Tango“: II. Café 1930
Artie Shaw (1910–2004) Klarinettenkonzert
Johannes Brahms (1833–1897) Klavierquartett in g-Moll, op. 25, für Orchester gesetzt von Arnold Schönberg (1874–1951)
Sebastian Manz, Klarinette Kevin Griffiths, Dirigent
Das Sinfonieorchester Liechtenstein ist ein hierzulande noch (zu) wenig bekannter Klangkörper. Das erst 1988 gegründete Orchester hat in seiner kurzen Geschichte bereits einige Wandlungen durchlaufen und ist erst seit 2012 von einem Projektorchester zu einem professionellen Sinfonieorchester mit einer Besetzung von mehr als 80 Musikerinnen und Musikern gewachsen.
Die Entwicklung des Orchesters seitdem ist bemerkenswert: Es richtet Abonnementskonzerte aus, in dem akustisch offenbar hervorragenden Saal am Lindaplatz im liechtensteinischen Schaan, die seit Jahren regelmäßig ausverkauft sind, nähert sich auch ungewöhnlicheren Konzertprogrammen an und kann immer wieder durch die Verpflichtung sehr namhafter Gastsolisten begeistern.
Mit „ausverkauften Konzerten“ ist es in Zeiten der Corona-Pandemie nun so eine Sache… Zwar erlaubt die liechtensteinische Regierung inzwischen auch wieder Konzerte mit Beteiligung von Publikum, aber es sind nur wenige Zuschauer zugelassen, und das auch erst seit Kurzem. In Liechtenstein hat man deswegen aus der Not eine Tugend gemacht und hat im Januar 2021 damit begonnen, alle Konzerte professionell zu filmen und live ins Internet zu übertragen.
Das Konzert am 12.05. aus Schaan habe ich mir auf diese Weise (Streaming via youtube) angeschaut. Zunächst ist die professionelle Qualität des Angebots hervorzuheben, die sowohl in Belangen von Bildregie als auch in Bezug auf den Sound des Mitschnitts keinerlei Wünsche offen lässt: Hier sind Voll-Profis am Werk, die ihr Handwerk verstehen, und es wird höchster Aufwand betrieben, um eine Übertragung zu gewährleisten, die jener von öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in nichts nachsteht. Das ist hochgradig beeindruckend, und mit so einer Qualität lässt sich sicherlich auch außerhalb der Landesgrenzen des kleinen Fürstentums ein Publikum für das Livestreaming von Konzerten begeistern.
Das Programm stand in der ersten Hälfte des Konzerts nach der obligatorischen Konzertouvertüre (die wunderbar satirisch-sarkastische Akademische Festouvertüre von Johannes Brahms, bestehend aus kunstvoll kontrapunktisch verarbeiteten studentischen Rauf- und Saufliedern) ganz im Zeichen des Solisten des Konzerts: Sebastian Manz. Dieser vielfach ausgezeichnete Klarinettist, u.a. ARD-Preisträger, kam mit einer solch überbordenden Energie und einem solchen Empfindungsreichtum auf die Bühne, dass einem schier der Atem stockte: Bereits beim Programmpunkt „Piazzolla“ mit dem Stück Café 1930 aus der L’Histoire du Tango, bearbeitet für Streichorchester und Soloklarinette, war alles dabei – vom zartesten, wirklich hauchzarten, Pianissimo bis hin zu energischsten Ausbrüchen. Das hätte so manchem Argentinier vor Freude die Tränen in die Augen getrieben, ungeachtet der Tatsache, dass dieses Konzert von Alpengipfeln umrahmt stattfand.
Im nachfolgenden Klarinettenkonzert der Jazz-Legende Artie Shaw konnte es nicht nur Sebastian Manz mal so richtig krachen lassen und zeigen, dass auch ein Jazz-Talent par excellence in ihm steckt, sondern auch die Bläsersektion des Sinfonieorchesters Liechtenstein gebärdete sich auf das Unterhaltsamste als „Big Band“ und gab Soli zum Besten: Alt- und Sopransaxophon, Trompete, Posaune, usw.: Hier durfte jeder ein Solo beisteuern. Was so manches Top-Sinfonieorchester oft nicht so überzeugend hinbekommt, wenn es um jazzbeeinflusste Werke geht (oft genug hört man ja staubtrockene Rhapsody-in-Blue-Darbietungen), haben die Bläser des Sinfonieorchesters Liechtenstein so überzeugend dargeboten, als wären Sie gerade einer professionellen Big-Band entstiegen. Das spärlich anwesende Publikum dankte es den Musikern mit einem tosenden Beifall, als wäre der Saal rappelvoll gewesen.
Klar, dass Sebastian Manz angesichts dieses Beifalls eine Zugabe geben musste. Dabei handelte es sich um Manz‘ eigene Bearbeitungen von Klezmer-Kompositionen Helmut Eisels, auf die der Klarinettist im Zuge seines Studiums aufmerksam geworden war. Um den „orientalischen Effekt zu verstärken“ (wie Manz sich im interessanten und launigen Konzertpausen-Interview äußerte), wurde hierbei auch ein Cajon auf die Bühne gestellt – etwas ulkig anzusehen, wie der in schwarzem Anzug gekleidete Perkussionist des Sinfonieorchesters dann auf diesem Holzkasten Platz nahm und sich mit grooviger Geste dem levantinischen Rhythmus widmete.
In der Konzertpause gab es Interviews mit Sebastian Manz und Dirigent Kevin Griffiths zu sehen. Letzterer hat seine Aufgabe hier übrigens sehr überzeugend gemacht, dies zumal bei rhythmisch anspruchsvollen Werken, die unter Beteiligung von Schlagzeug (Artie Shaw) und Cajon durchaus das Potenzial zu rhythmischer Verwirrung und Verzettelung besessen hätten, wäre da nicht Griffiths gewesen, der alles mit angenehm unauffälliger aber eindeutiger Schlagtechnik und Gestik steuerte.
Die zweite Konzerthälfte stand wieder ganz unter dem Banner des gebürtigen Hamburgers Brahms. Arnold Schönbergs Bearbeitung von Brahms‘ Klavierquartett Nr. 1 op. 25, gesetzt für großes Orchester, stand auf dem Programm. Das viersätzige Mammutwerk entwickelte sich in Schönbergs Bearbeitung im Prinzip zu einer Sinfonie. Letztendlich war dies aber mehr Schönberg als Brahms, auch wenn Griffiths im Pauseninterview versicherte, Schönberg habe sich so genau wie möglich an Brahms‘ eigene Orchestrierungen gehalten und versucht, den Stil des Altvorderen in seine Bearbeitung zu übernehmen. Die insgesamt trocken klingende Orchestrierung wirkte auf mich so wie ein Bauhaus-Anbau an einer Gründerzeitvilla – um es einmal bildlich zu fassen.
Das höchst anspruchsvolle Werk verlangte dann noch einmal alles ab von einem Orchester, das bedingt durch die Corona-Auflagen mit sehr großen Abständen auf der Bühne saß und es somit sicherlich nicht einfach hatte bei diesem Brahms-typisch mit allen Finessen durchsetzten, komplexen Werk. So wirkte dann auch manche Phrasierung nicht ganz schlüssig, und ob es nach dem heiter-be-swingten ersten Konzertabschnitt so klug war, im zweiten Teil des Konzerts über eine geschlagene Dreiviertelstunde so fordernde Musik feilzubieten, die im Prinzip höchste Konzentration auch bei den Hörern beansprucht, das lasse ich hier mal dahingestellt.
Alles in allem war dies aber ein sehr gelungener Konzertabend, und die Streamingkonzerte des Sinfonieorchesters Liechtenstein sind ein Beispiel dafür, wie man einerseits auch aus der musikalischen Provinz überregional als Klangkörper ein Publikum erobern kann, wenn die musikalische und technische Umsetzung so überzeugend gelingt, wie an diesem Abend in Schaan.
Auch in Weimar sind öffentliche Konzerte durch coronabekränzte Generalpausen ersetzt worden, und bleibt es bis auf Weiteres abzuwarten, wann die Dirigenten das nächste Zeichen zum Einsetzen geben werden. In dieser Ausnahmesituation erreichte die Redaktion eine Mitteilung darüber, wie die Bewohner eines Pflegeheims dennoch in den Genuss hervorragenden Klavierspiels gekommen sind. Der folgende Beitrag basiert auf Aufzeichnungen von Dr. Karl-Heinz Fröhlich, Universitätsdozent für Pädagogik i. R., wohnhaft im Marie-Seebach-Stift zu Weimar.
Prof. Christian Wilm Müller, der an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar Kammermusik und Klavier unterrichtet, pflegt seit langer Zeit eine enge Beziehung zur Marie-Seebach-Stiftung, einem Pflegeheim, das ursprünglich für Bühnenkünstler im Ruhestand gegründet worden war und heute kulturinteressierten älteren Menschen jeglicher Herkunft als Wohnstätte dient. Das Forum Seebach, der Veranstaltungssaal des Stifts, ist in Weimar als Adresse für Kammerkonzerte, Lieder- und Klavierabende wohlbekannt – eine fest ins Musikleben der Stadt integrierte Institution. Für Studenten der Musikhochschule ist es ein idealer Ort, ihr Können unter Beweis zu stellen, bevor sie den Schritt in die großen Konzertstätten wagen. So sind auch Angehörige der Klassen Christian Wilm Müllers immer wieder dort zu hören gewesen.
Es war kein Konzert, zu dem der Professor am 9. Dezember selbst ins Seebach-Stift kam, denn ein Publikum von außerhalb war nicht vorgesehen; so hatte es auch keine öffentlichen Ankündigungen gegeben. Nur die Bewohner des Stifts wussten seit zwei Tagen von dem außerordentlichen Musikangebot des Pianisten. Die Einhaltung der Hygienevorschriften erforderte, dass die Bewohner, entsprechend den beiden Stiftshäusern, in zwei Gruppen nacheinander den Veranstaltungssaal betraten und dort in großen Abständen voneinander Platz nahmen. Prof. Müller spielte für sie zweimal ein 30-minütiges Programm mit Kompositionen dreier Klassiker der Klavierliteratur – jeweils mit wenigen einleitenden Worten des Pianisten: die Sonate e-Moll op. 90 von Ludwig van Beethoven, Capriccio g-Moll (Nr. 3) und Intermezzo E-Dur (Nr. 4) aus den Fantasien op. 116 von Johannes Brahms, sowie Franz Liszts Petrarca-Sonett Nr. 104 aus den Années de Pèlerinage.
Prof. Müllers Klavierspiel zeichnet sich durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Vorwärtsdrang und Tempofreiheit aus. So gelang es ihm ausgezeichnet, im ersten Satz der Beethoven-Sonate die widerstreitenden Affekte darzustellen, ohne dass das Stück an Schwung verlor. Ebenso sicher führte er seine Zuhörer durch die Seelenkämpfe der Lisztschen Petrarca-Vertonung. Den Höhepunkt stellten die beiden Stücke von Brahms dar, für dessen Musik Prof. Müller offenbar eine besondere Begabung besitzt. Im Capriccio betonte er die einzelnen Abschnitte durch unterschiedlichen Anschlag. Der Mittelteil klang wie ein vielstimmiger Chor, die Eckteile muteten wie zielsichere, kraftvolle Improvisationen an. Die dissonanten Akkorde des Intermezzos baute Prof. Müller mit viel Freude an den entstehenden Spannungen auf und schuf somit ein ergreifendes Stimmungsbild der Wehmut und Entsagung – ein Blick zurück auf bessere Zeiten?
Angesichts der Ausfälle, mit denen das Musikleben des Stiftes seit Frühjahr 2020 zurechtkommen musste, war dieser Abend ein besonderes Geschenk. Die Bewohner nahmen es mit großem Dank entgegen.
Ars Produktion Schumacher, ARS 38 303; EAN: 4 260052 383032
Die Pianistin Shorena Tsintsabadze stellt unterschiedliche Aspekte der Epoche vor, die wir als Romantik bezeichnen. Ihr Programm beginnt mit den groß angelegten Symphonischen Etüden op. 13 in Variationsform von Robert Schumann, wandert dann zum Spätwerk von Johannes Brahms mit dessen Drei Intermezzi op. 117 und endet schließlich mit der Grande Polonaise Brillante op. 22 von Frédéric Chopin, welcher der Komponist ein sphärisches Andante Spianato vorangestellt hat.
Die in Russland geborene und nun in Georgien wirkende Pianistin hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Heimatland ihrer Familie einen kulturellen Wandel zu ermöglichen und den dort zahlreich vorhandenen musikalischen Talenten die Chance zur Entfaltung zu geben. Vor zwölf Jahren nahm sie für Naxos die Klavierkonzerte von Sergey Lyapunov auf, nun widmet sie sich auf ihrer ersten offiziellen Solo-CD der Romantik an sich, die sie durch drei leitfigurenartige Komponisten vorstellt. Schumann stellt den progressiven Teil der CD dar mit seinen Symphonischen Etüden op. 13, die nicht nur das klassische Formmodell der Variation vollkommen neuartig darstellen, sondern auch klanglich experimentieren: Er will den Klang des Symphonieorchesters auf das Tasteninstrument bannen, nutzt dazu nie zuvor erklungene Techniken. Die Drei Intermezzi von Brahms zeichnen sich durch vollständige Entschlackung aus – sie kehren zurück zu den klassischen Idealen, die keine überschüssige Note erlauben und wenden sich somit ab vom Überschwang der Romantik. Chopin verfeinert den Klang auf ganz andere Weise, nämlich hin zur Schwerelosigkeit, was ihm durch allmähliche Auflösung der Form gelingt sowie durch schwebende, endlose Melodien und Begleitfiguren.
Das Klavierspiel von Shorena Tsintsabadze zeichnet sich durch Bodenständigkeit aus, der Anschlag weist solides Gewicht und Durchdringlichkeit auf. Gerade Brahms gewinnt durch die emotionale Distanz und auch Schumanns Etüden verleiht das Spiel so Nachdruck. Technisch hervorzuheben sei besonders die minutiös durchdachte Pedalisierung, was vor allem im Finale der Symphonischen Etüden plastische Weite hervorbringt. Dagegen fehlt es oft an Sinnlichkeit und Feingefühl, was bei Schumann nur stellenweise bemerkbar wird, bei Chopin aber die gesamte Aura des Stücks beeinflusst. Im Andante Spianato fehlt es an Ruhe, die langen Sechzehntelpassagen der rechten Hand verlieren sich in Gleichgültigkeit und den semplice-Teil nimmt Shorena Tsintsabadze zu schwer; die ursprünglich für Orchester gedachten Passagen, vor allem im Übergang zwischen den Teilen, entwickeln keinen symphonischen Klang, und allgemein wird die Technik in der Grande Polonaise Brillante zum Selbstzweck degradiert.
Ars Produktion Schumacher, ARS 38 308; EAN: 4 260052 383087
Uta Weyand spielt ein Programm aus vier Stücken, die alle im Jahr 1892 komponiert wurden – auf einem Steinway & Sons aus dem eben diesem Baujahr. Sie beginnt in Frankreich mit Claude Debussys Nocturne, setzt ihre Reise fort nach Spanien zu Isaal Albéniz, von dem sie drei Stücke aus Cantos de Espana op. 232 spielt, und nach Norwegen zu Edvard Grieg, dessen Lyrische Stücke op. 57 erklingen. Schließlich erreicht sie Österreich und präsentiert die dort komponierten Fantasien op. 116 von Johannes Brahms.
Das Projekt hat etwas Besonderes: vier unterschiedliche Werke aus dem gleichen Jahr auf einer CD zusammenzufassen und dazu noch gespielt auf einem Flügel aus dem gleichen Jahr. Dies holt nicht nur den Klang der damaligen Zeit zu uns ins Wohnzimmer, sondern zeigt auch auf, wie vielfältig und grundverschieden die einzelnen Musiktraditionen Ende des 19. Jahrhunderts ausarteten. Wer noch die Vorstellung einer linearen Musikgeschichtsführung vertritt, wird spätestens durch diese CD vom Gegenteil überzeugt.
Uta Weyand spielt einen Flügel aus dem Besitz von Alexander Friedrich Landgraf von Hessen (1863-1945), der sich noch immer im Schloss Fasanerie befindet, nun ein privates Museum im Besitz des Großneffen Rainer von Hessen. 2014 wurde das Instrument grundsaniert, wozu Weyand durch ein Benefizkonzert beitrug und im Rahmen dessen den Flügel kennenlernte und sich in seinen präzisen und gleichzeitig lyrisch-singenden Ton verliebte.
1892: In diesem Jahr wurden erste Telefonleitungen von New York nach Chicago eröffnet, die Zeit wurde synchronisiert, Fußballclubs gegründet, Sherlock Holmes-Romane veröffentlicht. Dvorák wurde nach New York berufen und arbeitete an seiner Symphonie aus der Neuen Welt, Rachmaninoff schrieb sein Erstes Klavierkonzert, Strauss seine Macbeth, Sibelius seinen Kullervo, Tschaikowski Den Nussknacker und Jolanthe, Leoncavallo Pagliacci, Rimski-Korsakov Mlada und Magnard Yolande. Es herrscht Aufbruchsstimmung in Politik wie Kultur, Altes steht neben Neuem, die Einflüsse beginnen zu vermischen und Individualitäten schälen sich kontinuierlich mehr und mehr aus dem nur noch vereinzelt für zusammengehörig geglaubten Strom heraus.
Als Debussy seine Nocturne komponierte, hatte er bereits mit seinen Deux Arabesques (1888-91) und der Suite bergamasque (1890) seinen Klavierstil begründet, der sich bald schon mit den Images (1894) festigen wird. Verglichen mit den anderen Beiträgen dieser CD holt Ute Weyand am wenigsten aus diesem Stück heraus: es fehlt das „Parfüm“, die Aura des Klangs, mit dem Debussy einen so verzaubern kann wie kein anderer – also die zartbesaitete Fragilität der Linie, die dennoch ausstrahlt und durch bebende Harmonien introvertiertes Volumen erhält. Technisch betrachtet wirkt die Gestaltung zu „real“, zu robust und zu kernig im Anschlag.
Präzision und Feingefühl entwickelt Uta Weyand bei Isaac Albéniz, aus dessen Cantos de Espana op. 232 sie drei Stücke spielt, von welchen eigentlich nur das Prélude 1892 veröffentlicht wurde – es ist bekannter in der Version für Gitarre mit dem Titel Asturias. Córdoba und Seguidillas wurden erst 1898 hinzugefügt. Das Werk zieht seine Einflüsse aus der spanischen Folklore und wurde vom Komponisten in seinem unverkennbaren Individualstil gesetzt, den man heute dem Impressionismus zuordnet – hauptsächlich wohl, da die französischen Impressionisten eine Vorliebe für Spanien entwickelten und die Form-, Rhythmus und Harmoniemodelle übernahmen. Weyand gelingen vor allem die unscheinbaren Kontraste zwischen den rhythmisch vorwärtstreibenden und den singenden Passagen, allgemein behält sie die Contenance, sich nicht von der gewaltigen Energie dieser Stücke hinfortschwemmen zu lassen.
Die drei Säulen von Griegs Musik sind 1) die Folklore, 2) die romantische Tradition von Schumann, Mendelssohn und Gade (zumindest dessen hochinspiriertes Frühwerk) sowie 3) die moderne Harmonik, welche er wie kaum ein anderer Komponist prägte. Letzteres mag vielen wunderlich erscheinen, da man Grieg in das Klischee eines verträumt-romantischen Lyrikers zwängt, welches ihm in keiner Weise entspricht: Debussy und Ravel bekundeten beide offen, die Einflüsse Griegs würden in jedem ihrer Werke wirken. Bestes Beispiel ist das hier zu hörende Stück Illusion, welches mit einem übermäßigen Akkord ansetzt, welches sich erst später als Dominante entpuppt. In den Lyrischen Stücken op. 57 widmet er sich besonders seiner musikalischen Herkunft, widmet zwei Stücke seinem einstigen Lehrer Nils W. Gade (Gade und Geheimnis, welches in der leicht versteckten Tonfolge G-A-D-E liegt) und kehrt sich in Entschwundene Tage und Heimweh seiner norwegischen Heimat zu, die er durch stilisierte Volksmusik anklingen lässt, wobei diese beide Male nur als vergangener Traum erscheint. In diese leichte, angenehme und doch vorwärtsgewandte Musik taucht Uta Weyand besonders tief ein. Gerade die Volksmusikanklänge bestechen durch ihr unwirkliches Erscheinen; die Tasten singen förmlich die Melodien mit, während auch die komplexen harmonischen Fortschreitungen verständlich erscheinen.
Ganz zuhause ist Uta Weyand dann bei Brahms, dessen Fantasien op. 116 bestehend auf drei wilden Capricci und vier gemäßigteren Intermezzi sie an den Schluss dieser CD setzte. Hier herrschen herbere Kontraste und virtuoses Spiel vor, die Musik steht mit beiden Beinen auf der Erde und negiert den träumerischen Stil, den die zuvor erklingenden Werke je auf ihre Weise verfolgen. Mit robustem, nicht aber harten Ton bewältigt Weyand diese Musik, elegant und doch energiegeladen wie eine Löwin holt sie Ausdruck und Kernigkeit aus dem historischen Instrument heraus.
„Reflections in C minor“ heißt
die in Eigenproduktion entstandene Debut-CD des Duos Antima bestehend aus der
Geigerin Anna Antipova und der Pianistin Tsarina Marinkova Krajnčan. Der
physische Release war im Oktober diesen Jahres, mittlerweile ist die Platte
auch digital erhältlich. Auf dem Programm steht die Dritte Violinsonate op. 45
von Edvard Grieg, die Siebte Violinsonate op. 30/2 von Ludwig van Beethoven
sowie das Scherzo c-Moll der F.A.E.-Sonate aus der Feder von Johannes Brahms.
Das
slowenische Duo Antima macht mit einem Programm dreier wohlbekannter Sonaten
auf sich aufmerksam und wagt so direkt mit dem Debutalbum den Schritt, in
Konkurrenz mit sämtlichen namhaften Geigern und Pianisten zu treten, welche diese
Standartwerke ebenso eingespielt haben. Dies ist umso beeindruckender, als die
beiden zugunsten größerer Spannungsbögen auf übermäßige Schnitte verzichten und
nicht alle Unsauberkeiten bereinigt haben – was dem natürlichen Musikerlebnis
entgegenkommt, dafür von Seiten der Kritik sicherlich nicht überall positiv
aufgenommen wird.
Energiegeladen
und mit unverbrauchter Frische gehen die beiden Musikerinnen an die drei
Sonaten (beziehungsweise zwei Sonaten und einen Sonatensatz) heran und bringen
neuen Schwung in die sonst oft nur pflichtbewusst gespielten Werke. Was in
Griegs c-Moll-Sonate manchmal noch unruhig und gehetzt wirkt, entfaltet sich
bei Beethoven und noch mehr bei Brahms zu elektrisierendem Knistern.
Bei
Grieg gelingt vor allem das ständige Wechselspiel zwischen den Instrumenten: Tsarina
Marinkova Krajnčan und Anna
Antipova stimmen den Klang ihrer Instrumente präzise aufeinander ab und bilden
die charakteristische Tongebung des Gegenübers so genau wie möglich nach, um
eine klangliche Einheit zu bilden. Mehr Gelassenheit hätte man sich in den
ersten beiden Sätzen gewünscht: Der Kopfsatz gerät rascher, als die komplexe
Rhythmik verträgt, und auch der Mittelsatz erhält nicht die notwendige Ruhe, um
die Cantilene der Romanze schweben zu lassen oder den Volkstanz im Mittelteil
genügend Bodenständigkeit zu verleihen. Hier hätten die Musikerinnen die
Herrlichkeit des Moments noch mehr genießen können. Am überzeugendsten gerät
das Finale mit rasenden Tremolobewegungen und erneuten Wechselspiel-Effekten. Krajnčans
technische Fähigkeiten in den rasenden Sprüngen und oktavierten Melodien bestechen.
Der
wechselhafte Charakter von Beethovens c-Moll-Violinsonate op. 30/2 kommt dem
Duo entgegen und stachelt es zu mitreißendem Spiel an. Hier wirkt die zuvor
noch teils störende Unruhe bezaubernd: die pulsierenden Unterstimmen treiben
und begehren auf, ohne Rast schleift uns die Musik von einem Erlebnis zum nächsten.
Erst im Adagio dürfen wir uns kurz erholen, bis erneut die Unterstimmen
beginnen, die Besinnlichkeit zu unterminieren. Umfassende Spannungsbögen
gelingen in den letzten beiden Sätzen der Sonate, besonders im Scherzo mit der
eleganten Tonrepetition, die sich immer weiter steigert. Brahms meistert Krajnčan
gänzlich ohne Härte und Antipova kann ihren brillanten Ton ihres Instruments
voll zur Geltung bringen, der von erstaunlicher Schönheit ist.
Es
ist dem Duo sehr zu wünschen, bald auch CDs bei größeren Labels zu produzieren,
in der nicht die Aufnahmetechnik gegen die Instrumente wirkt und dafür die
Musik mehr Menschen zugänglich sein wird.
Die von Tübingen aus wirkende
japanische Pianistin Sachi Nagaki hat sich auf der vorliegenden Hybrid-SACD von
‚Ars Produktion‘ einiger Brahms-Klavierwerke angenommen, die – direkt oder
indirekt – Clara Schumann gewidmet wurden, teilweise in bisher nicht auf Tonträgern
erhältlichen, zeitgenössischen Bearbeitungen. Das Ergebnis fällt leider sehr mäßig
aus.
Der Titel der CD „Hommage á Clara Schumann – Originalwerke und Bearbeitungen von Johannes Brahms“ wirft zunächst Fragen auf, denn es handelt sich nicht nur um Originalwerke (Fantasien op. 116) und Bearbeitungen eigener (2. Satz aus dem Streichsextett B-Dur) bzw. fremder Werke (Bach: Chaconne d-moll) aus Brahms‘ Händen, sondern auch um solche Brahmsscher Kompositionen von Bearbeitern aus dem engeren Umfeld: die Haydn-Variationen in zweihändiger (!) Fassung von Ludwig Stark sowie zwei Liedbearbeitungen von Theodor Kirchner und Robert Keller. Was dies alles mit Clara zu tun haben soll, wird jedoch in den ordentlichen Liner Notes fundiert geklärt. Auch aufnahmetechnisch entspricht die CD dem hohen Standard etlicher Veröffentlichungen des Labels.
Musikalisch kann mich Frau Nagakis Vortrag leider
kaum überzeugen. Bei op. 116 fehlt es ihrer Darbietung sowohl an Tiefe des Ausdrucks
wie vor allem an pianistischer, klanglicher Raffinesse. Alles plätschert mehr
oder weniger gleichförmig und belanglos dahin. Den schnelleren, energischen
Stücken kommt der nötige Druck und die Nervosität abhanden; die stückübergreifende
Bedeutung verminderter Septakkorde bleibt völlig unbeachtet – zudem wird alles
weichgespült und im Pedal ertränkt. Dafür gerät ausgerechnet im zartesten aller
Stücke (Nr. 4) der Anschlag zu hart, die Artikulation seltsam unkontrolliert –
das Wunder, das in diesem zauberhaften Intermezzo steckt, findet einfach nicht
statt!
Etwas besser gelingt Nagaki Bachs berühmte Chaconne
aus der Violinpartita BWV 1004 in Brahms‘ Bearbeitung für die linke Hand
allein. Aber auch hier wird der große Entwicklungsbogen derart nivelliert, dass
trotz konsequent umgesetzten Wohlklangs gerade im ersten Drittel Langeweile aufkommt.
Brahms‘ erst 1927 erschienene, weitgriffige zweihändige Bearbeitung des
langsamen d-Moll Variationssatzes aus dem Streichsextett op. 18 trägt dann immerhin
über weite Strecken.
Starks eigentlich recht geschickte Bearbeitung der
Haydn-Variationen für nur zwei Hände ist natürlich technisch anspruchsvoller
als je ein Klavierpart der vierhändigen Fassung von Brahms selbst. Was hier dargeboten
wird, ist aber schlicht inakzeptabel! Frau Nagakis technisches Vermögen bei den
schnellen und daher auch heiklen Variationen (Nr. 5 und 6) und beim Finale
reicht gerade mal für – gefühlt – das halbe Tempo! Auch wenn man die Orchesterversion
nicht kennt, wirkt dies geradezu lächerlich. An so ein Stück sollte man sich
doch bitteschön nur dann wagen, wenn man über die nötige Virtuosität verfügt: Das
wäre mal was für Yuja Wang! Nach diesem Rohrkrepierer mag man sich über die beiden
nicht nur ausgezeichnet gemachten, sondern auch wirklich schön gespielten
Liedbearbeitungen („Sandmännchen“ und „Wiegenlied“ op. 49, Nr. 4) nicht mehr
wirklich freuen. Insgesamt eine höchst überflüssige Einspielung…
Johannes Brahms‘ „Ein deutsches Requiem“ hören wir in der Londoner Version von 1871, also mit englischen Texten. Statt eines Orchesters begleiten die beiden Pianisten Madeline Slettedahl und Craig Terry den Chor Bella Voce unter Andrew Lewis. Die Solisten sind Michelle Areyzaga und Hugh Russell.
Dass die Sänger das Deutsche Requiem von Brahms auf Englisch
vortragen, lasse ich mir durchaus noch eingehen: schließlich ging es Brahms
nicht zuletzt um die Verständlichkeit des Textes, damit dieser auf den Hörer wirken
kann. Die Übersetzung von Lara Hoggard ist musikalisch auf die Originalpartien
abgestimmt, so dass sie den Gesangslinien nicht im Wege steht. Überhaupt nicht
nachvollziehen kann ich hingegen, dass diese Version auf Brahms‘ herrliche
Orchestration verzichtet, sondern auf eine Fassung für zwei Klaviere
zurückgreift. Wie damals üblich, arrangierte Brahms die Orchesterstimmen für
zwei Pianisten: dies war allerdings zu keiner Zeit für öffentliche Aufführungen
gedacht, sondern fürs häusliche Musizieren. Der hier zu hörende Chor Bella Voce
scheint die Berechtigung einer Aufnahme daraus zu ziehen, dass die erste
Aufführung des Requiems in England eben nur mit zwei Klavieren stattfand –
allerdings auch im Rahmen eines Hauskonzerts.
Die Klavierbesetzung rächt sich alleine schon durch den
gewählten Aufnahmeort, die St. Luke’s Episcopal Church. Durch die hohe und
bogenförmig zugeschnittene Decke entschwindet der Klavierklang, ohne dass die
Aufnahmetechnik ihn sauber einfangen könnte. Entsprechend fern und leer klingen
die Instrumente. Der Chor selbst hat ein gutes Gespür für die Polyphonie der
einzelnen Linien und für die zarten Dissonanzen in der Musik von Brahms – doch
er scheint sich etwas zurückzuhalten wegen des mangelnden instrumentalen
Unterbaus. Wenig begeistern können mich die beiden Solisten: Michelle Areyzaga
besitzt zwar ein herrlich klares und direktes Timbre, unterminiert dieses
allerdings durch ununterbrochenes Vibrato mit beachtlichem Ambitus; Hugh
Russell verkünstelt seine Stimme, die Partie und das Colorit seiner Stimme
allgemein wirken aufgesetzt und nicht echt beziehungsweise auch nicht echt
empfunden.
Mit der fahlen Akustik der Kirche, der auf Dauer eintönigen
Begleitung ohne dynamische Vielfalt und ohne deren Möglichkeit, Töne lange zu
halten, ermüdet die London Version des Deutschen Requiems schnell und wirkt
beinahe wie ein verstümmelter Abklatsch des Originals.