conditura records, conrec012; EAN: 4 260401 710199
Unterstützt von Luna Martina Pracht (Klangschalen), Annette Winker (Fagott) und Katharina Uzal (Violoncello) führt Ute Schleich (Blockflöten) auf diesem bei conditura records erschienenen Album die Vielfalt der Minimal Music wie des Blockflötenklangs vor Ohren.
„Colors of Minimal Music“ präsentiert die Blockflötistin Ute Schleich auf ihrer gleichnamigen CD. Der Titel ist trefflich gewählt, lässt er sich doch gleich auf mehrere Aspekte beziehen, die dem Programm und den Darbietungen ihr Gepräge geben. Zunächst einmal zeugt die Auswahl der Kompositionen von Ute Schleichs profunder Kennerschaft des Spezialgebiets Minimal Music. Es finden hier Stücke von insgesamt sieben zeitgenössischen Komponisten verschiedenen Alters zusammen. Zwar sind alle Werke mehr oder weniger von der Idee des reduzierten Tonsatzes und der repetitiven Melodik bestimmt, unterscheiden sich in ihrer jeweiligen individuellen Gestalt jedoch voneinander ziemlich stark. Dieses Programm lädt dazu ein, die Kompositionen vergleichend zu hören, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede nachzudenken. Ein breites Farbspektrum zeigt sich auch in den Besetzungen, die auf der CD zu hören sind. Die zahlreichen kürzeren Stücke sind Soli für Blockflöte, die drei längeren hingegen Duos, die die Blockflöte jeweils mit einem anderen Instrument zusammenbringen: Violoncello, Fagott und Klangschalen. Nicht zuletzt sorgt Ute Schleich mit den von ihr verwendeten Instrumenten für klangfarbliche Abwechslung: So erklingen in den 65 Minuten des vorliegenden Albums nicht weniger als neun verschiedene Blockflöten (1 Sopran, 5 Alt, 2 Tenor, 1 Bass).
Unter den Solowerken erscheinen die beiden Stücke Hin- und Her und Signale aus Frans Geysens Sammlung City of Smile (2001) am strengsten minimalistisch gestaltet. Sie basieren beide auf einfachsten diatonischen, regelmäßig getakteten Motiven, die ständig wiederholt und dabei nach und nach von Verzierungen umrankt werden – was einige reizvolle dialogische Effekte einschließt, die sich zwischen hohen und tiefen Lagen ergeben. Bei Hin- und Her verschiebt sich im Laufe dieses Prozesses auch der metrische Schwerpunkt. Philip Glass, einer der Gründerväter der Minimal Music, ist mit der Arabesque in Memoriam (1988) vertreten, einem kapriziösen Stück, das mit Ausweichungen in Nebenharmonien arbeitet, die die Grundtonalität unterschiedlich beleuchten. Während man hier aus den raschen Figurationen einen akkordischen Satz heraushört, beginnt das Yamamoto Perpetuo Nr. 1 von Michael Nyman mit einer langen Monodie. Es geht über in einen Tanz, der im Yamamoto Perpetuo Nr. 3 wieder aufgegriffen wird. Beide 1993 entstandene Stücke hat Ute Schleich aus der ersten Violinstimme des Vierten Streichquartetts von Nyman für die Blockflöte gewonnen. Nyman und Glass sind Widmungsträger der beiden hier zu hörenden Minimal-Preludes von Karel van Steenhoven (2010). Wer dem schlicht Glass betitelten Stück Vorbild gewesen ist, lässt sich anhand einer Gegenüberstellung mit Glass‘ Arabesque leicht feststellen. Den Bezug unterstreicht Ute Schleich übrigens dadurch, dass sie zum Vortrag dieser beiden Werke Altblockflöten mit einer Stimmung von a=415 hz verwendet, für die übrigen jedoch Instrumente, die auf a=440 hz gestimmt sind. Das Nyman gewidmete Just a Song zeigt sich in der Verarbeitung seines Hauptgedankens durch geschickte Andeutung mehrerer Stimmen barocker Sololiteratur verwandt.
Ute Schleich stellt in all diesen Stücken im wahrsten Sinne des Worten unter Beweis, über welch langen Atem sie verfügt. Man hört hier nicht bloße Abfolgen kurzer Motive in variierten und nicht variierten Wiederholungen, sondern Melodien, die sich auf minimalistische Weise entfalten. Schleichs Gespür für melodischen Zusammenhang, melodische Entwicklung erfüllt jede dieser Miniaturen mit Leben.
Dies kommt auch den drei Duos zugute, die sämtlich Ute Schleich die Anregung zu ihrer Entstehung verdanken. Klanglich von besonderem Reiz sind dabei Ulli Göttes images (2012) für die höchst seltene, wenn nicht einmalige, Besetzung Blockflöte und Klangschalen. In den beiden äußeren Abschnitten spielt die Flötistin eine Tenorblockflöte, wohingegen die beiden Mittelsätze eine Bass- bzw. Altblockflöte verlangen. Auch kommen im Verlauf des Stückes verschiedene Klangschalen zum Einsatz. Wie Luna Martina Pracht es versteht, die Tonerzeugung auf diesen Instrumenten stets spannungsvoll zu gestalten, verdient besondere Erwähnung. Die vier Sätze wirken sämtlich ritualhaft, doch hat Götte jedem durch melodische und rhythmische Eigenheiten ein charakteristisches Profil gegeben und den Dialog zwischen dem Blasinstrument und den Klangschalen abwechslungsreich zu gestalten gewusst. Im dritten Satz, einem zuerst verhalten, dann ausgelassen tänzerischen Stück, gibt es zudem eine Passage, in der die Blockflöte vom Klatschen der Hände begleitet wird.
Auch in seinen dialogen für Blockflöte und Violoncello (2016) komponiert Götte mit sehr schlichtem melodischem Material, nutzt aber die Möglichkeiten zur polyphonen Gestaltung, die ihm zwei Melodieinstrumente bieten, sehr wohl aus. Zwei rhythmisch pulsierende Tanzsätze, in denen die beiden Instrumente durchaus auch „aufstampfen“ dürfen, rahmen zwei langsamere, aber nicht unbedingt ruhigere Sätze ein. Gerade der dritte Satz, in dem Blockflöte und Violoncello in freien Imitationen ein in sich kreisendes Motiv durchführen, steckt voller Nervosität. Katharina Uzal am Violoncello ist Ute Schleich bei der Aufführung eine zuverlässige Partnerin, die dem Klang der Blockflöte gerade in den leiseren Passagen genügend Raum zur Entfaltung lässt. Als Duo sind beide trefflich aufeinander eingespielt.
Jens Josefs Duettino für Blockflöte und Fagott (2017/18) kann man als das konstruktivistischste Stück dieser Anthologie bezeichnen. Bereits zu Beginn wird deutlich, dass der Kontrapunkt hier eine deutlich größere Rolle spielt als in Göttes dialogen. Die Instrumente scheinen zunächst völlig unabhängig voneinander zu spielen. Im weiteren Verlauf ist es, als würden sie nach und nach einander bemerken und auf unterschiedliche Weise aufeinander reagieren. Teils gibt das Fagott, teils die Flöte die Impulse. Unter klanglichen Gesichtspunkten wirken diejenigen Passagen problematisch, in denen die Blockflöte in ihren tiefen Registern spielt, da sie hier kaum aus dem Schatten des tonstärkeren Fagotts zu treten vermag. Der Effekt mag allerdings beabsichtigt sein, um den Kontrast zum Schlussteil zu verstärken, in dem durchweg die oberen Register der Blockflöte zu hören sind. Den technischen Herausforderungen des Duettinos sind Schleich und ihre Partnerin am Fagott, Annette Winker, jedenfalls völlig gewachsen.
Ute Schleich beschließt dieses Programm aus Soli und Duos mit Louis Andriessens Ende (1981), das sie gleichzeitig auf zwei Altblockflöten spielt. Gleichermaßen Solo wie Duo ist dies der effektvolle Abschluss einer geglückten CD.
[Norbert Florian Schuck, Februar 2021]