Ondine, ODE 1340-2; EAN: 0 761195 134023
Clara Andrada widmet sich tonalen Flötenkonzerten des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit der Frankfurt Radio Symphony unter Jaime Martín spielt sie für Ondine die Gattungsbeiträge von Carl Nielsen (1926), Jacques Ibert (1934) und Malcolm Arnold (1954) ein.
Der zarte, eloquente und unfassbar lyrische Ton, den die Flöte innehat, ist Fluch und Segen zugleich. Kein anderes Instrument kann derart überirdische Klänge erzeugen und ohne jede Härte den Hörer direkt ansprechen, bis in dessen Innerstes vordringen. Doch ebenso stören sich viele Komponisten eben am Mangel der Härte und der Unnachgiebigkeit, wie sie eine Geige charakterisiert. Spätestens die französischen Flötensoli um die Jahrhundertwende, namentlich Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune, festigten dieses Bild; und es fällt auf, dass es außerhalb Frankreichs erstaunlich wenige Flötenkonzerte gibt, besonders im direkten Vergleich zu den Violinkonzerten.
Dass dieses Bild der Flöte als Solist nicht der Wahrheit entspricht, beweist Clara Andrada auf ihrer neuesten CD mit Flötenkonzerten von Nielsen, Ibert und Arnold. Natürlich besticht die schwebende Zärtlichkeit der cantabile-Linien, doch ebenso kann Andrada ihr Spiel intensivieren und in rhythmisch aufstachelnden Passagen auch finsteren Tönen frönen. Hier erleben wir, wie dicht Flötenspiel doch sein kann, wenn sich die Flötistin eben nicht in den reinen Klang verliebt, sondern auch dessen Gegenstück erforscht. So gelingt Andrada ein kontrastreiches und beredtes Spiel, dass immer wieder durch schnelle Wechsel Aufsehen erregt. Gerade bei Nielsen kommen die dunklen Sphären gut zum Vorschein, sein Flötenkonzert nimmt vor allem im Kopfsatz symphonischen Charakter an und wallt die orchestralen Mächte gegen das Solistenpult auf. Ibert lässt zwar noch die Unbekümmertheit der französischen Schule zu, sucht aber ebenfalls bereits nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und beruft sich auf das leidenschaftliche Spiel, das er in Italien kennenlernte. Der heute in erster Linie als Oskar-gekrönter Filmmusikkomponist bekannte Malcolm Arnold (der überdies übrigens neun beachtliche Symphonien, zwanzig Solokonzerte und Kammermusik verfasste) beruft sich auf die Tonalität, bringt innerhalb der gefestigten Bahnen durch ‚filmische‘ Dur-Moll-Wechsel und rhythmische Finesse Würze in seine Musik – im Ohr bleibt vor allem der Bolero-Rhythmus des Kopfsatzes und der Wirbelwind des Finals. Der Frankfurt Radio Symphony gelingt es, den schmalen Grad zu finden zwischen Zurückhaltung gegenüber der Solistin und Aufbegehren zugunsten symphonischer Wucht der Orchesterstimmen. Unter Jaime Martín branden die orchestralen Kräfte enorm auf und erreichen große Plastizität, ohne dabei die Flöte klanglich zu erdrücken. Das Konzert Arnolds leitet Andrada selbst und präzisiert den Rhythmus der Streicher, was lebendigen Witz und Charme evoziert.
[Oliver Fraenzke, Februar 2020]