Orfeo, C 929 181 A; EAN: 4 011790 929125
Zum Jubiläumsjahr publizierte Orfeo eine CD mit Werken Gottfried von Einems. Neben der Philadelphia Symphony op. 28 hören wir die Geistliche Sonate op. 38 und das Stundenlied op. 26 nach Bertolt Brecht. Franz Welser-Möst dirigiert die Wiener Philharmoniker und den ausschließlich im Booklet erwähnten Singverein der Gesellschaft der Musikfreude in Wien. In der Geistlichen Sonate singt Ildikó Raimondi, außerdem spielen hier Gábor Boldoczki an der Trompete und Iveta Apkalna an der Orgel.
Es wirkt doch alles recht auf die Schnelle zusammengeworfen: Die Aufnahmen der drei Stücke stammen aus unterschiedlichen Jahren, 2009, 2011 und 2016, und stehen weder inhaltlich noch bezüglich der Besetzung in einem schlüssigen Zusammenhang. Dieses Jubiläum wurde wohl etwas spät bedacht von den Verantwortlichen; da wurde also genommen, was gerade verfügbar war.
Am beachtlichsten gelingt dabei die Geistliche Sonate für Sopran, Trompete und Orgel op. 38, hier unzusammenhängend zwischen zwei Orchesterwerken platziert. Zwar ist ein gewisses Übermaß an Vibrato in der Singstimme zu beklagen, doch überzeugt die Triosonate im Gesamtbild durch Vitalität und Unverbrauchtheit. Gábor Boldoczki musiziert glasklar und nutzt die dynamisch-klanglichen Möglichkeiten seines Instruments souverän aus, Iveta Apkalna hält die Orgel kammermusikalisch im Zaum und besticht durch feine Registrierung.
Franz Welser-Möst belässt in den beiden Hauptwerken die Musik ungeschliffen, beinahe primitiv. Und wenn er doch einmal eingreift, herrscht Willkür – dass die Eingriffe aus einer tieferen Kenntnis der Werke hervorgingen, kann ich nicht erkennen. Die Philadelphia Symphony erstrahlt in Haydn’schem Witz, zeigt der fortschreitenden Avantgarde durch provozierend reine Tonalität die lange Nase. Warum also übertreibt Welser-Möst jede dynamische Akzentuierung und sabotiert dadurch die humoristischen Züge? Wieso fehlt dem Mittelsatz jegliche Unbeschwertheit und Sanglichkeit? Und weshalb muss das Finale zwingend so uncharmant und ernst wirken, wenn Einem die Symphonie dezidiert in klassischem Gestus schrieb und sie im Programm eher als Ouvertüre denn als Hauptwerk fungieren soll? Dies sind nur drei der vielen Fragen, welche diese Aufnahme in mir aufwirft, und die ich gerne verstehen würde.
Bekanntheit öffnet Türen, ob verdient oder nicht, doch von dieser Aufnahme würde ich letztlich abraten – wäre da nicht der Repertoirewert: drei hochkarätige Werke eines scheinbaren One-Hit-Wonders, der sich nicht nur als großartiger Opernkomponist, sondern in seinem gesamten Schaffen einschließlich Orchester- und Kammermusik als feinfühliger, umfassend begnadeter wie präzise formulierender Komponist entpuppt.
[Oliver Fraenzke, März 2018]