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Ausdruck puren Glücks

cpo 555 237-2; EAN: 7 61203 52372 6

Die Vorliegende CD stellt den zweiten Teil der Gesamtaufnahme aller Alfvén-Symphonien durch das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Łukasz Borowicz dar. Neben der 3. Symphonie op. 23 in E-Dur hören wir Bergakungen Orkestersvit (Suite aus: Der Bergkönig) op. 37 und die Uppsala Rhapsodie op. 34.

Hugo Alfvén schrieb die erste schwedische Symphonie, die sich in internationalen Konzertsälen etablieren konnte – noch vor seinen Kollegen Wilhelm Stenhammar und Wilhelm Peterson-Berger. Gerne angemerkt wird Alfvéns Meisterschaft der Instrumentation oder sein spätromantischer Stil unter Einbezug schwedischer Folklore. Was über all das vergessen wird, ist die Lebendigkeit und Leichtigkeit, die seine Musik verströmt. Allein durch die Inspiriertheit seiner Einfälle und die dadurch entstehende „Magie“ trägt der Komponist den Hörer selbst durch die längsten Formen. Der Hörer versteht sogleich die musikalischen Strukturen und kann dem Entstehen bewusst beiwohnen, eine gut dosierte Priese Effekthascherei lässt ihn dabei immer wieder aufhorchen und hält die Konzentration oben. Bildlichkeit und Lyrik in reinster Form durchziehen die Musik und halten sie auf der Waage zwischen konkret und abstrakt.

Die dritte Symphonie op. 23 soll kein architektonisches Meisterwerk darstellen, nicht die symphonische Form erneuern oder durch besonderen innermusikalischen Zusammenhalt beeindrucken – sie soll ausschließlich dem Glück Ausdruck geben, das Alfvén zur Zeit ihrer Skizzierung empfand, was ihr auch die sonnige Tonart E-Dur verlieh. Selbstverständlich geht die 40-minütige Symphonie weit über den Inhalt eines reinen Stimmungsbilds hinaus. Mit schlichten Mitteln spannt die Musik große Bögen über die Sätze und verbindet sie teils durch ähnliche Thematik. Zudem bezieht sie Elemente schwedischer Folklore mit ein, die im Rahmen dieses Werks nicht mehr der reinen Volksmusik zugeordnet werden können, andererseits aber auch nicht wie Kunstmusik wirken – was ihnen einen ganz eigenen Charme verleiht. Die Uppsala Rhapsodie op. 24 beinhaltet – ähnlich wie Brahms‘ Akademische Festouvertüre – verschiedene Studenten- und Trinklieder, Alfvén komponierte sie zur Gedächtnisfeier der Universität von Uppsala 1907 zum 200. Geburtstag des Botanikers Carl von Linné. In der Suite aus dem Ballett Der Bergkönig erwachen all die mythischen Figuren der nordischen Sagenwelt musikalisch zum Leben, die Trolle hüpfen und tanzen förmlich vorm inneren Auge. Die Suite gehört zu den feinsten und fragilsten Werken des Romantikers.

Die Bergkönig-Suite ist es auch, die das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin besonders beflügelt, der Musik so viel Farbe und Ausdruck wie möglich zu entlocken. Allgemein präsentiert das Orchester unter Führung von Łukasz Borowicz enorme Präzision und ist sowohl in den einzelnen Instrumentengruppen als auch zwischen ihnen minutiös abgestimmt. Mit dieser Genauigkeit meißelt Borowicz die einzelnen Linien aus der dichten Orchestration Alfvéns heraus und verleiht ihnen Kontur. So gelingt es dem Dirigenten, dass die Präzision nicht zum Selbstzweck degradiert wird, sondern die Massivität der Orchestration auflockert und aus ihr luzide Klänge hervorbringt. Bei der Uppsala-Rhapsodie verlässt sich das Orchester noch zu sehr allein auf die Wirkung der Musik, die Symphonie spornt die Musiker mehr an, als Gemeinschaft in ihr den Ausdruck des Glücks zu erforschen.

Schade bloß, dass die Aufnahmetechnik nicht mit der Interaktion der Musiker mithält, gerade die Tiefen verwässern und trüben sich ein durch unpräzise Klangdifferenzierung. Hier wurde wohl zu viel Aufmerksamkeit auf das Holz und die Geigen gelegt.

[Oliver Fraenzke, Mai 2019]

Die erste schwedischsprachige Symphonie

cpo 555 043-2; EAN: 7 61203 50432 9

Die erste CD der Gesamteinspielung aller fünf Symphonien des Schweden Hugo Alfvén von Łukasz Borowicz und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin für cpo umfasst die Erste Symphonie op. 7 in f-Moll, Midsommarvaka op. 19 und Drapa op. 27.

Einer der wenigen international einigermaßen bekannten Komponisten aus Schweden ist Hugo Alfvén, der vor allem durch seine Erste Schwedische Rhapsodie mit dem Titel Midsommarvaka op. 19 für Furore sorgte. Im Laufe seines achtundachtzigjährigen Lebens schuf Alfvén über 300 Werke, zumeist für große Besetzungen. Nach einer kleinen Anzahl von Klavierminiaturen und Kammermusikwerken trumpfte der Komponist 1896 (gerade einmal 24jährig) unerwartet mit einem ersten Orchesterwerk auf und wagte sich damit sogleich an die im Gefolge Beethoven nach wie vor ehrfurchtsvoll behandelte Großform der Symphonie. Ein Jahr später wurde diese Erste unter Conrad Nordqvist uraufgeführt, erschien allerdings erst 1951 nach zwei Revisionen im Druck. Die Symphonie gibt ein Bild auf einen weltoffenen, selbstbewussten und intuitiven Komponisten frei, der bereits über beachtliche technische Mittel verfügt, welche er jedoch nie dem innermusikalischen Gehalt vorzieht. Bereits diese frühe Symphonie stellt persönliche Aussage und Tonsprache unter Beweis, so dass er sie selbst später als „erste schwedischsprachige Symphonie“ bezeichnete, da sie im Gegensatz zu früheren Gattungsbeiträgen des Landes Anklänge an Volksmusik nicht verleugnet. Wichtiger Einfluss hierzu war zweifelsohne Svendsen, dessen Norwegische Rhapsodien und andere Werke folklorenaher Art seinerzeit populär waren. Interessanterweise kommt auch ein ganz unerwarteter Einfluss aus Böhmen zum Vorschein: Der Scherzo-Satz erinnert merklich an Dvořák; und das charakteristische und namensgebende Harfensolo im etwa zehn Jahre später entstandenen Drapa lässt erstaunliche Parallelen zu Smetanas Má vlast erkennen.

Weichheit und Flexibilität der Linie charakterisieren die Darbietung des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin unter Łukasz Borowicz. Der Klang ist voll und dicht, wobei eine stetige expressive Untergründigkeit mitschwingt. Phänomenal ist die sukzessive Zuspitzung und Wandlung ins Groteske der schwedischen Themen in Midsommarvaka. Lediglich der Siciliano-Rhythmus im ansonsten so schwungvollen Scherzo aus der Symphonie wurde ins Unpräzise aufgeweicht (eine der heikelsten Herausforderungen überhaupt für ein Symphonieorchester, womit sogar ein Solo-Musiker zu kämpfen hat). Abgesehen davon ist die Symphonie frisch und lebendig dargeboten und kommt in all ihrem schillernden Farbenreichtum zur Geltung, so dass wir gespannt sein dürfen auf die Fortsetzung dieser Reihe.

[Oliver Fraenzke, Februar 2018]