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Johannes-Apokalypse eines Umweltaktivisten

Uraufführung der Endfassung der ‚Apokalypse‘ von Carl von Feilitzsch

Am 11. November 2018 fand im Münchner Herkulessaal der Residenz die Uraufführung der revidierten Fassung von 1972 von Carl von Feilitzschs Jazz-Kantate ‚Apokalypse‘ statt. Der in München geborene Feilitzsch (1901-81) war ab Ende der 1920er Jahre ein reger Theater-, Opern- und Filmkomponist, und nach dem Zweiten Weltkrieg machte er zudem zusehends auch als Umweltaktivist von sich reden, dem der Südosten Münchens mit zu verdanken hat, dass der Hofoldinger Forst nicht in einen Großflughafen verwandelt wurde. Feilitzsch hatte zunächst mit Strauss’ Jugendfreund Ludwig Thuille und dann vor allem mit Hermann Wolfgang von Waltershausen an der Münchner Akademie der Tonkunst Komposition studiert und wurde dann sehr stark von den sozialen Bewegungen der Weimarer Republik geprägt. So ist sein Tonfall denn auch offenkundig in Übereinstimmung mit einer massenkompatiblen Musik, wie sie um 1930 auch von Hanns Eisler, Carl Orff und vielen anderen verfolgt wurde. Zu gerne würde man da doch auch einmal seine Karl-Kraus-Oper ‚Die rote Fackel‘ von 1928 hören!

Im Dritten Reich verlor Feilitzsch die Protektion seiner Förderer, pflegte Kontakt zum Widerstand, wurde in den Russland-Feldzug eingezogen und nach Kriegsende bei der Entnazifizierung komplett entlastet. Nach dem Krieg entstanden mehrere Opern und er arbeitete intensiv u. a. mit Erich Kästner zusammen. Das damals entstandene, satirische Stück ‚Hurra, wir sterben‘ könnte auch für eine Wiederbelebung interessant sein. Nach dem Kriege komponierte er auch seine ‚Apokalypse‘. Sie ging zunächst 1949 im Bayerischen Rundfunk über den Äther und wurde 1951 im zerstörten Brunnenhoftheater der Residenz szenisch uraufgeführt. Klaus Kalchschmid bezeichnete sie nun im Programmhefttext der Neuaufführung als ‚Anti-Oratorium‘.

Es ist natürlich interessant und wäre bemerkenswert zu erwähnen, dass Feilitzsch mit dieser Thematik in die Fußstapfen seines Lehrers Waltershausen trat, dessen 1924 komponierte ‚Apokalyptische Symphonie‘ c-moll op. 20 seinerzeit großes Aufsehen erregt hatte. Feilitzsch jedenfalls unternahm nun eine klein besetzte, mit Sprechern und Sängern ausgestattete Vertonung der geheimen Offenbarung des lange nach Jesus’ Tod geborenen Apostels Johannes und reiht sich damit ein in eine Phalanx von bedeutenden Kompositionen, unter welchen außer dem berühmten, vor dem Krieg entstandenen ‚Buch mit sieben Siegeln: von Franz Schmidt vor allem die kurz nach Feilitzschs Werk vollendete 4. Symphonie ‚Johannes’ Offenbarung‘ (1940) des großen schwedischen Meisters Hilding Rosenberg herausragt. Doch hatte Feilitzsch nichts Symphonisches‘ im Sinne, sondern eher das Gegenteil, eine Collage unterschiedlicher Stile, die auch nicht auf ein durchgehendes musikalisches Kontinuum abzielt, sondern Zeitungsausschnitten gleich zum Hörer spricht. Es ist eine teils durchaus ambitionierte, teils auch lakonisch kunsthandwerkliche Arbeit im Kreuzfeuer zwischen damals, nach der Hitler- Zeit, überaus anregend empfundener Musik der Schwarzen Amerikas, als der nach wie vor rassistisch ins Abseits Gestellten, die freilich wie keine anderen die Identität einer urbanen Kultur verkörpern: also des Jazz und seiner Verwandten aus Blues, Slow-Fox, Boogie-Woogie, und karibischen Einschlägen (Rumba, wie so unvergleichlich wenige Jahre zuvor von Morton Gould in seiner Latin-American Symphonette um die Welt geschickt) – und des liturgischen Gesangs der katholischen Kirche. Der Charakter der Musik ist durchweg rituell und nicht symphonisch entwickelnd, und am schönsten gelungen ist zweifellos der ruhige Blues um die Stadt Babylon mit einem einschmeichelnden Saxophon-Solo in der Baritonlage, das von Markus Maier herausragend feinfühlig und flexibel dargeboten wurde. Neben zwei Sprechern, einem rezitierenden Kontratenor, einem Tenor und einem Bariton sowie Chor verwendet die Apokalypse ein fast gänzlich streicherloses Ensemble, das aus 2 Klarinetten, 2 Saxophonen, 3 Trompeten, 2 Posaunen, Fagott, 2 Kontrabässen und 3 Schlagzeugern besteht, und dieses darf – neben dem ausgezeichnet elegant und mühelos koordinierenden Grazer Dirigenten Patrick Hahn (geb. 1995), der bereits 2016 in der Münchner Jesuitenkirche St. Michael Feilitzschs Messe in Es von 1967 zur Uraufführung gebracht hat – als insgesamt exzellenteste Abteilung der Aufführenden gelten. Diese Musiker sind allesamt mit dem Orchester der Klangverwaltung des unlängst verstorbenen Milliardärs und Dirigenten Enoch zu Guttenberg affiliiert, und kein Wunder, das Konzert ist ja auch dem Gedenken Guttenbergs gewidmet. Denn Guttenberg war der prominenteste Schüler Feilitzschs, und damit Enkelschüler von Walterhausen und Thuille, und Urenkelschüler von Rheinberger und des Bruckner-Schülers Pembaur. Hätte er nur etwas mehr von deren Erbe weitergetragen – doch es war eben nicht Guttenberg, der sich rechtzeitig für das Schaffen seines Lehrers Carl von Feilitzsch einsetzte, sondern der junge Hahn.

Die Sänger – darunter Staatsoper-Bariton Christian Rieger – und Sprecher leisten bei dieser durchs dramatische Lichtspiel szenisch angehauchten konzertanten Aufführung auch Ansprechendes, und der Chor ist sehr engagiert. Dies war ein äußerst wertvolles Projekt von einer Art, von welcher man dem reaktionären München mit seiner mieterhöhungsfreundlichen ‚Sozialpolitik‘ weit mehr wünschen möchte. Der Herkulessaal war sehr gut besucht, die Menschen danach in rege Gespräche über die Bedeutung des soeben Gehörten verwickelt. Sogar der Chef von Forbes Classical war extra aus Wien angereist. Gezeigt wurde außerdem der von Feilitzschs ‚Apokalypse‘ angeregte abstrakte Kunstfilm gleichen Namens von Gisbert Hinke (1920-98), der bei der Biennale di Venezia 1956 ausgezeichnet wurde und bildmächtig die menschliche Ignoranz gegenüber der Umwelt anprangert, wie dies auch die großen italienischen Regisseure Pasolini und Antonioni taten. Außerdem stellte sich die Stiftung ‚Plant-for-the-Planet‘ vor, mit einer mutig vorgetragenen Rede des Jugendlichen Benedikt Eder, und so wird nicht nur der Umweltaktivist Feilitzsch geehrt, sondern seine Vision fortgesponnen für ein Gemeinwohl, das im Profittreiben der heutigen Welt fast keine Chance mehr hat und meist lediglich den Mächtigen als Feigenblatt dient, um in ihrer Gier nicht so leicht erkennbar zu sein.

Ob die Feilitz’sche Apokalypse‘ nun auch als Tonträger erscheint? Das wäre, angesichts des bereits betriebenen Aufwands, durchaus sinnvoll. Feilitzsch war zwar, nach dem Eindruck dieses Werkes mit seinen rituellen Längen und dem oftmals monotonen Skandieren zu urteilen, kein herausragender, aber doch gleichwohl ein mit seinem gesamtkunstwerklichen Wollen interessanter Komponist, für den sich – wie für einige andre Vergessene – eine so reiche Stadt wie München in ihrem behäbigen Überfluss durchaus etwas mehr interessieren dürfte.

[Christoph Schlüren, November 2018]