Konzertkritik des Streamingkonzerts des Sinfonieorchesters Liechtenstein am 13.05.2021 in Zürich in der Tonhalle Maag, Live-Übertragung via youtube:
Johannes Brahms (1833–1897)
Akademische Festouvertüre, op. 80
Astor Piazzolla (1921–1992)
Aus „L’Histoire du Tango“: II. Café 1930
Artie Shaw (1910–2004)
Klarinettenkonzert
Johannes Brahms (1833–1897)
Klavierquartett in g-Moll, op. 25, für Orchester gesetzt von Arnold Schönberg (1874–1951)
Sebastian Manz, Klarinette
Kevin Griffiths, Dirigent
Bei einem Gastspiel in Zürich wiederholte das Sinfonieorchester Liechtenstein gemeinsam mit dem Klarinettisten Sebastian Manz unter der Leitung von Kevin Griffiths am 13. Mai das Programm seines an den beiden vorangegangenen Tagen in Schaan gegebenen 2. Abonnementskonzerts (René Brinkmann berichtete). Wie diese wurde auch der Züricher Auftritt per Livestream auf Youtube übertragen, sodass nicht nur die (aufgrund der Pandemiesituation) wenigen Konzertbesucher Gelegenheit hatten, einen höchst abwechslungsreichen musikalischen Abend zu erleben – abwechslungsreich nicht nur hinsichtlich der aufgeführten Werke, sondern vor allem aufgrund der stark schwankenden Qualität der Darbietungen.
Man kann sagen, das Konzert stand und fiel mit Sebastian Manz. Je wichtiger der Anteil des Solisten an den einzelnen Programmnummern war, desto besser musizierte das Orchester. So markierte das Klarinettenkonzert von Artie Shaw unzweifelhaft den Höhepunkt des Abends. Man darf beim Titel des Werkes nicht an klassische Solokonzerte denken. Das Stück ist eine freie Fantasie in verschiedenen Jazz-Idiomen, eine gelenkte Improvisation. Bereits die Aufstellung der Musiker zeigte, dass etwas Außergewöhnliches zu hören sein würde: Der Klarinettist stand nicht neben dem Dirigenten, sondern am Rande des Orchesters, inmitten einer Rhythmusgruppe aus Klavier und Schlagzeug. Obwohl auch hier Dirigient Griffiths den Takt schlug und Einsätze gab, war Manz eindeutig der Band Leader. Artie Shaw pflegte bei seinen Auftritten als Primus inter Pares zu spielen und auch seinen Bandmitgliedern ausgiebig Gelegenheit zum Solospiel zu geben. Dieser Praxis folgt auch sein Klarinettenkonzert. Man konnte nun in Zürich erleben, wie Sebastian Manz mit seinem ungemein wandlungsfähigen Spiel seine Mitspieler dazu animierte, sich ebenfalls der Gnade des Augenblicks anzuvertrauen und spontan mit ihm in beseelten Dialog zu treten. Die Musiker lebten hier hörbar auf, der trotz der geringen Zuschauerzahl brausende Applaus war völlig berechtigt. Als Zugabe folgte die von Sebastian Manz für Streichorchesterbegleitung eingerichtete Israeli-Suite des Klezmer-Klarinettisten Helmut Eisel, dessen „sprechendem“ Spiel Manz nach eigenen Worten wertvolle Anregungen verdankt. Eine prominente Rolle kommt in diesem Stück dem Cajon zu, einem großen Holzkasten, auf dem der Schlagzeuger des Orchesters Platz nahm, um das Geschehen rhythmisch zu begleiten. Auch hier durfte das Orchester „ausrasten“ (Manz) und schien dies zu genießen. In den Programmpunkten mit Sebastian Manz merkte man, dass im Sinfonieorchester Liechtenstein hochmotivierte und leistungsfähige Musiker sitzen!
Demgegenüber fielen die Darbietungen der beiden Brahms-Werke qualitativ stark ab. Hier folgte das Orchester getreu den Weisungen Kevin Griffiths‘ – diese aber waren offensichtlich das Problem. Griffiths bot handwerklich ordentliche Aufführungen, aber es wurden bloß Noten gespielt, ein Takt reihte sich an den nächsten, alles sehr gleichförmig, spannungs- und zusammenhanglos, die Phrasen in ihre Einzeltöne zerhackt. Nirgends stellte sich der Eindruck ein, es hier mit mehr als technischer Routine zu tun zu haben. Besonders unschön wirkten die Stellen wiedergegeben, an denen Brahms demonstrativ kantabel schreibt. So gestattete der Dirigent den Musikern nicht, das „Gaudeamus Igitur“ in der Akademischen Festouvertüre auf ihren Instrumenten zu singen, sondern hielt sie dazu an, es zu skandieren. Es war angesichts dessen am Ende des Konzerts ganz und gar nicht überraschend, dass Arnold Schönbergs Orchesterbearbeitung des Klavierquartetts op. 25 zu einer Demonstration kalter Pracht geriet.
Sehr aufschlussreich waren die beiden Interviews während der Pause, denn es zeigte sich in ihnen, dass es sich bei Sebastian Manz und Kevin Griffiths um zwei ganz konträre Musiker handelt: Manz berichtete davon, auf welche Weise er Musik macht, was er während des Spiels mit seinem Körper tut, um die Klänge zu beseelen und zum Sprechen zu bringen; passend dazu betonte er, dass die Musik jedes Mal beim Vortrag neu entsteht und das Wesentliche nicht in den Noten zu finden ist. Griffiths blieb dagegen in seinen Äußerungen oberflächlich und schien gar nicht zu merken, dass er über die Schönbergsche Brahms-Bearbeitung Widersprüchliches erzählte (Schönberg hat sich eben nicht an den Brahmsschen Orchesterstil gehalten, sondern ist in der Instrumentierung des Quartetts ganz nach eigenem Gutdünken verfahren).
Abschließend bleibt festzuhalten, dass es in Liechtenstein ein fähiges, auch begeisterungsfähiges Orchester gibt, das zu hervorragenden Leistungen in der Lage ist. Es hätte verdient, dieses Programm unter einem Dirigenten zu spielen, der das ihm zur Verfügung gestellte Potential besser zu nutzen weiß.
Norbert Florian Schuck [Mai 2021]