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Auf sich alleine gestellt

NEOS 11709; EAN: 4 260063 117091

Marcus Antonius Wesselmann, solo works I: Bledsoe (Flöte), Rothbrust (Schlagzeug), Bergström (Gitarre), Knox (Viola), Otto (Saxophon), Schwarz (Fagott), Wesselmann (Tonband)

Sechs der bislang neunzehn Werke für Soloinstrumente von Marcus Antonius Wesselmann sind auf die CD „solo works I“ aus dem Hause NEOS gebrannt: Helen Bledsoe spielt SOLO 1 für Flöte, Dirk Rothbrust SOLO 2 für Schlagzeug, SOLO 3 für elektrische Gitarre hören wir mit Mats Bergström und SOLO 4 für Bratsche mit Garth Knox, SOLO 8 für Bariton Saxophon bietet Simone Otto dar und SOLO 10 für Fagott Johannes Schwarz. Als Bonustrack bedient der Komponist selbst das Tonband in seinem Stück „In the mix“.

Der 1965 geborene Marcus Antonius Wesselmann steht musikalisch zwischen den Stühlen, lässt sich in keine Schiene direkt einordnen. Das beginnt alleine schon bei der Namensgebung seiner Stücke, die auf die poetischen Bezeichnungen verzichtet, wie wir sie von moderner Musik gewohnt sind, und statt dessen nach den Besetzungen gehend durchnummeriert. Musikalisch setzt sich dies fort, denn die Musik klingt so unbeschwert, ist aber doch mathematisch exakt durchstrukturiert und basiert auf Logik. Von den Berechnungen ist wenig bis nichts hörbar; eher könnte der Eindruck entstehen, die Musik entwickle sich aus einer Art der Minimal Music heraus, wenngleich sie wesentlich organischer und fließender gehandhabt wird. Rhythmische Patterns bilden den Grundstein und aus ihnen entsteht nach und nach eine Form, die sich stetig weiterentwickelt. Dabei bleiben Fragmente der ursprünglichen Thematik omnipräsent und erscheinen immer wieder entweder offen oder hintergründig. Der Eindruck ist ansprechend, aber nicht anbiedernd; schroff und hart, aber doch in beinahe meditativer Gleichmäßigkeit.

Von Wesselmanns 19 Solostücken sind sechs für Klavier, jedes andere Instrument erhielt bislang nur ein einziges Stück. Die Klavierwerke wurden auf dieser CD ausgespart, deshalb gibt es Lücken zwischen den ansonsten chronologisch angeordneten Soli.  Das Flötensolo ist das schlichteste und meditativste: Hier können wir die ursprüngliche Idee herleiten, welche in größerer Komplexität auf die weiteren Stücke übertragbar ist. SOLO 2 ist vielschichtiger, die einzelnen Klangkörper bilden Ebenen, die miteinander agieren können oder gegeneinander kontrastieren. In kleine Abschnitte sind SOLO 3 und 4 unterteilt, beim Gitarren-Solo sind es Tempoeinheiten, beim Bratschensolo Widmungsträger. SOLO 3 lebt dabei von elektronischen Effekten, Delay und Verzerrung, sowie von rhythmischen Impulsen, SOLO 4 ist ein innig-trübes Stück, das als einziges der zu hörenden Werke außermusikalische Inspiration hat: Es ist Musik zu einem Dokumentarfilm von Volker Schröder „Wenn ich in die Tiefe schaue“, der die Schicksale von sechs Häftlingen aus den Arbeitslagern Emsland thematisiert. SOLO 8 und 10 sind wieder durchgehende Werke, wobei 8 meist in höchstmöglicher Lautstärke wiederzugeben ist und somit zu einem Kraft-Marathon ausartet und 10 auf einem kontinuierlichen Rhythmus beruht. Der Bonustrack „In the mix“ ist für Zweikanal-Tonband mit ausführendem Interpreten: Wesselmann selbst bedient das Band und mixt die Schnipsel an Musik und Sprache.

Die Instrumentalisten sind allesamt präzise und genau, lassen sich nicht von übermäßigen Emotionen hinreißen, sondern dienen als Sachwalter, wie es von den Stücken auch vorgesehen ist. Sie behalten die Ruhe und Gleichmäßigkeit, schaffen Kontraste und kreieren einen großen Bogen, mit dem sie die SOLI zusammenhalten.

[Oliver Fraenzke, Mai 2018]

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