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Mit Musik wird alles noch besser: Gisela Höhnes Buch „Dann mit RambaZamba“

Mitteldeutscher Verlag 2024; ISBN 978-3-96311-956-9

Was hat eine Rezension des Theaterbuchs Dann mit RambaZamba in einem klassischen Musikmagazin zu suchen? Auf den ersten Blick eher nichts, auf den zweiten recht viel. Denn es handelt sowohl von der Überwindung von Grenzen, als auch von der Bedeutung der Musik bei der künstlerischen Arbeit mit seelisch, geistig oder körperlich eingeschränkten Menschen. Dafür steht beispielhaft das Schauspielkollektiv RambaZamba, das untrennbar verbunden ist mit der Regisseurin Gisela Höhne. In ihrer kürzlich erschienenen Autobiographie erzählt sie sehr persönlich vom „Theater und Leben zwischen Tiefen und Höhen“, wie der Untertitel heißt.

Gisela Höhne wird 1949 im thüringischen Suhl geboren, wächst in Stralsund auf und zieht 1967 nach Berlin. Hier lebt sie ihre Theaterbegeisterung aus und beginnt zunächst ein Filmregie-Studium in Babelsberg. Damit nicht zufrieden wechselt sie an die renommierte Schauspielschule Ernst Busch, macht in Studentenproduktionen auf sich aufmerksam und tritt 1974 ein Engagement in Neustrelitz an. Doch 1976 ändert sich ihr Leben schlagartig, als ihr erster Sohn Moritz mit dem Down-Syndrom geboren wird. Sie entscheidet sich, den Beruf hintanzustellen, um ihn intensiv betreuen zu können. In der ehemaligen DDR ist eine angemessene Förderung begrenzt, deshalb wird Gisela Höhne selbst aktiv, kämpft gegen Vorurteile und findet Möglichkeiten, die Entwicklung von Moritz positiv zu beeinflussen. Aber irgendwann merkt sie, wie ihr das Theater fehlt. Deshalb studiert sie, als die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind – 1979 kommt der zweite Sohn Jacob zur Welt –, Dramaturgie und Theaterwissenschaft. Parallel dazu entsteht die Idee, mit Menschen einer anderen geistigen Ordnung – wie Gisela Höhne sie nennt – künstlerisch zu arbeiten. Sie beginnt mit Moritz und Jugendlichen aus seinem Umfeld, kleine artistische Zirkusstücke zu erarbeiten.

Daraus entsteht 1990 die Kunstwerkstatt Sonnenuhr e.V. und 1991 das Theater RambaZamba, das Gisela Höhne zusammen mit ihrem langjährigen Partner, dem Regisseur Klaus Erforth entwickelt. Das Ensemble besteht aus Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, deren Potential die beiden in rund 40 Inszenierungen sensibel erwecken und dadurch ihr Selbstbewusstsein stärken.

Dass dazu ein langer Weg des Probierens und Herantastens und die Überwindung von Herausforderungen multipler Art gehören, verschweigt Gisela Höhne nicht. Sie kämpft um Finanzen, Räume, Stellen und leistet Überzeugungsarbeit bei politisch Verantwortlichen. Künstlerisch ist sie da schon längst etabliert. Die ausgewählten Stücke sind zwar anspruchsvoll –, etwa Shakespeares Wintermärchen, Medea oder Woyzeck neben Eigenkreationen – doch werden sie den darstellerischen Möglichkeiten der Truppe angepasst. Phantasie und Improvisation sind genauso Mittel wie die Einbeziehung von Musik und einer eigenen Band – auch wegen der eingeschränkten Artikulation mancher Mitspielenden. Nur drei Beispiele: Winterreise, eine poetische szenische Aufführung von Schuberts Liederzyklus, arrangiert für Schlagwerk, Geige und Gitarre mit tänzerischen Elementen; die freche Chanson-Revue Am liebsten zu dritt über ein Tabuthema: dass Menschen mit Down-Syndrom möglichst keine Kinder bekommen sollen; die eigenwillige Opernadaption Orpheus ohne Echo zu von Maria Callas gesungenen Arien.

Die Beschreibung der Inszenierungen macht einen besonderen Reiz des Buches aus, ein anderer sind die Porträts einiger Mitwirkenden mit ihren Stärken, Schwächen und Eigenarten. Gisela Höhne hat für ihre Idee gerungen und gewonnen. „Für mich erfüllt sich ein Traum“ beschreibt sie ihr Gefühl, als das RambaZamba am Anfang seines Bestehens im Deutschen Theater auftritt, dem sich später europaweite Gastspiele anschließen. Dank ihres unermüdlichen Einsatzes und dem vieler guter Geister – genannt sei stellvertretend die musikalische Allroundfrau Bianca Tänzer –, die mit Leib und Seele dabei sind, erreicht sie die Professionalisierung des RambaZamba. Auch dafür erhält sie 2009 das Bundesverdienstkreuz. Heute verfügt die vielfach ausgezeichnete Truppe über feste Arbeitsplätze, hat ihren Platz in der Berliner Kulturbrauerei gefunden und arbeitet mit Schauspiel- und Regiegrößen zusammen. 2017 übergibt Gisela Höhne die Geschäftsführung und Intendanz an ihren inszenierenden Sohn Jacob. Dann mit RambaZamba ist nicht nur für Kulturinteressierte lesenswert. Das mit zahlreichen Farbfotos angereicherte Buch bricht eine Lanze für gelungene Inklusion und richtet einen liebevollen Blick auf zu wenig beachtete Menschen.

[Karin Coper, April 2025]