Schlagwort-Archive: George Gershwin

Ein Glaubensbekenntnis an die Musik

Zum Neustart der Klassikreihe im Bürgerhaus Eching spielen der Violinist Denis Goldfeld und die Pianistin Sofja Gülbadamova am 3. Juli 2021 ein hoffnungsvolles Programm fast ausschließlich in Dur. Sie eröffneten den Abend mit Schuberts Violinsonate D-Dur D 384, worauf Beethovens 8. Violinsonate in G-Dur op. 30/3 folgte. Nach der Pause fügten die Musiker ein modernes Werk, welches nicht auf dem Programm stand: Ein Andante Tragico der Komponistin Lera Auerbach, das für die Künstler ein Sinnbild der durchlittenen Coronapandemie darstellt. Als Hauptwerk des Abends spielten Goldfeld und Gülbadamova die Erste Violinsonate op. 78 von Johannes Brahms, rundeten mit dessen Scherzo aus der F.A.E.-Sonate ab.

Welch ein seltsamer Augenblick für uns Zuhörer, auf einmal wieder im Konzertsaal zu sitzen – und wie viel seltsamer noch für die auftretenden Musiker, die nun teils über ein Jahr nicht mehr vor Publikum standen. Das Erlebnis war somit in jeder Hinsicht ein Besonderes. Und dies wurde bei Künstlern wie Zuhörern spürbar: Als die Musik anhob, so waren wir wie in einer Parallelwelt, gebannt von den Klängen. Es fühlte sich zugleich vertraut an und dann fast neuartig. Denis Goldfeld und Sofja Gülbadamova rangen im positivsten Sinne um die aufsteigenden Emotionen, die gerade bei Komponisten wie Schubert und Brahms doppelbödiger kaum sein könnten. Doch gewannen sie den Kampf insofern, als dass sie sich nicht überrumpeln ließen von der geballten Macht der ertönenden Großformen, sondern es schafften, diese zu kanalisieren und dem Publikum zu vermitteln, ja zu verkünden. Denis Goldfeld schwelgte sichtbar auf den Tönen, kontrollierte sie empfindsam im Entstehen und stellte jede Zelle seines Körpers in den Dienst der Musik, was seinem Spiel größtmögliche Sinnlichkeit und Purität verlieh: Echter, ungekünstelter Ausdruck in jeder Schwingung. Sofja Gülmadamova verkörperte eine andere Herangehensweise: Sie näherte sich vom Bild auf die Gesamtform den einzelnen Passagen, um nie den Zusammenhang zu verlieren. Aller äußerlichen Virtuosität schwor sie ab, erwägte gar jede ihre Bewegungen, die nur der Tongebung gelten sollten. In der Symbiose der beiden Künstler verschwammen die unterschiedlichen Grundzüge zu einer durch und durch funktionierenden Einheit. Die Musiker gaben ihr Innerstes preis, was das Erlebnis dieses Konzerts umso intensiver und intimer gestaltete, den Zuhörer vollends in das Geschehen integrierte. Der gemeinsame Atem, der sich in 20-jähriger Kammermusikpartnerschaft etablierte, der nach dieser Pause nun wieder außergewöhnlich erschien, sprang auch auf das Publikum über.

Wohl dauerte es aus Sicht des Publikums teils noch, sich auf diese Situation neu einzustellen, aber spätestens im Mittelsatz der Beethoven-Sonate war auch der Letzte vom Alltag befreit in den Wogen der Musik gefangen. Diejenigen, die sich schon früher aus der normalen Welt zu lösen vermochten, erlebten vom ersten Ton an Großes: Die jugendliche D-Dur-Sonate Schuberts, mit 19 Jahren geschrieben, enthielt schon den Kern des späteren Melodik-Großmeisters, behielt dennoch unter den Fingern Gülbadamovas und Goldfelds die jugendliche Frische und Heiterkeit – wenngleich die scheinbare Fröhlichkeit bereits hier teils gebrochen erscheint. Der Kopfsatz von Beethovens G-Dur-Sonate brodelte und begehrte auf, konnte aber in seiner übermannenden Energie von den Musikern gebändigt werden, was uns davor bewahrte, von den Tönen überrannt zu werden. Im erwähnten Mittelsatz blieb die Zeit stehen, so dass man sprechen möchte: „Verweile doch, du bist so schön.“

Die Intimität noch gesteigert setzten Goldfeld und Gülbadamova in der zweiten Hälfte mit einem zeitgenössischen Werk von Lera Auerbach an, traten in Zwiegespräch mit den Tönen, die teils grelle Dissonanzen aufflammen ließen, dann aber auch wieder beschwichtigende Dur-Harmonien verwendeten, um den Kontrast aus Niedergeschlagenheit und Hoffnung zu extremisieren. Alles, was die Musiker über die Corona-Pandemie gerne sagen wollten: Es war in diesen Tönen. Die „Regenliedsonate“ op. 78 von Brahms folgte, die zwar in Dur geschrieben steht, wohinter sich aber ein tragisches Schicksal verbirgt, nämlich der Tod von Brahms‘ Patenkind Felix Schumann. In ihrer Ansprache nannte Sofja Gülbadamova sie ein „Lächeln durch die Tränen hindurch.“ Diese Musik zu beschreiben, entzieht sich nun doch letztendlich dem verbal Ausdrückbaren; es hätte ein Foto gebraucht vom Ausdruck auf den Gesichtern der Musiker nach der letzten Note – zutiefst betroffen, aufgerüttelt, erschüttert und doch friedlich –, um den entschwundenen Moment zu rekapitulieren.

[Oliver Fraenzke, Juli 2021]

Klarinetten-Kontraste

All Sound Around, EAN: 9 120094 930029

Mit ihrem „The GershWIEN Project“ begeben sich der Klarinettist Markus Adenberger und die Pianistin Maria Radutu auf eine abenteuerliche Reise durchs 19. und 20. Jahrhundert. Pendereckis satirische Drei Miniaturen öffnen den Vorhang, bevor wie zwei jazzige Solokonzerte in Arrangements hören: Gershwins Rhapsodie in Blue und Artie Shaws Klarinettenkonzert, wo Franz Hofferer als Gast am Drumset dazustößt. Sarasates Zigeunerweisen und Schumanns Drei Romanzen op. 94 bringen uns in die Welt der Romantik, bevor Poulenc uns nach Frankreich entführt: von ihm hören wie zunächst die Hommage à Edith Piaf für Klavier solo und schließlich die Klarinettensonate FP 184.

Über George Gershwins Aufenthalt in Wien gibt es eine Anekdote, deren Richtigkeit nicht nachgewiesen wurde: Nachdem er bereits in Paris Künstler wie Ravel, Prokofieff und Strawinsky getroffen hatte, besuchte er in Wien Kálmán, Lehár und Berg. Kálmán machte Gershwin die Überraschung, dass die örtliche Kapelle zum Nachtisch seine Rhapsody in Blue aufspielte, deren in Europa noch völlig unbekannte Klänge für sie eine gewaltige Herausforderung darstellten. Zum Dank schenkte der gerührte Gershwin seinem Kollegen den Kugelschreiben, mit dem er angeblich die Rhapsody geschrieben habe. Dieser Stift verblüffte die Anwesenden, die so etwas noch nie gesehen haben, denn dieses war der erste Kugelschreiber in Wien.

So hängt zumindest das hier zu hörende Werk Gershwins mit der Metropole Wien zusammen, aus der Klarinettist Markus Adenberger stammt. Die anderen der Titel haben meines Wissens keine Verbindung mit Gershwin oder der Hauptstadt Österreichs: dafür bieten sie umso mehr Kontraste und lebendige Musikgestaltung.

Innerlich aufgewühlt, unstet und gewissermaßen sarkastisch geben sich die Drei Miniaturen von Penderecki, die modernistischsten Stücke dieser Aufnahme, die zugleich direkt zu Beginn stehen und damit ein Statement setzen: auch freitonale, dissonante Musik kann ein Programm stilsicher eröffnen! Dann folgt das titelgebende GershWIEN-Stück, die Rhapsody in Blue, dem die beiden Musiker eine erstaunlich melancholische Note verleihen. Anstelle der großstädtischen Aufgeregtheit erhält das Werk hier eine warme, beinahe zärtlich liebevolle Note, die der Musik durchaus wohltut. Shaws Klarinettenkonzert führt uns vollends in den Bereich des Jazz, rhythmisch getragen von Franz Hofferer am Drumset. In diesem Stück kann sich vor allem die Klarinette klanglich entfalten, mit kleinen Zerrungen und Schleifen arbeiten, dabei einen vollkernigen Ton in den Raum projizieren; das Klavier errichtet bei Shaw die klangliche Basis für die Klarinette und sorgt für den nötigen Drive. Noch virtuoser trumpft die Klarinette bei Sarasate auf, dessen Zigeunerweisen wir hier für das Blasinstrument arrangiert hören, wodurch der beliebten Zugabe vieles an Schärfe und Direktheit genommen wird, was Markus Adenberger mit Innigkeit, Lyrik und Witz füllt. Introvertiert gelingen die Drei Romanzen von Schubert, in denen Radutu und Adenberger echtes Gefühl voller Wärme kundtun. Unvorstellbar sensibel gestalten sich die Stücke von Francis Poulenc, die alle Feinheiten und Nuancen der Klanggebung abverlangen, wofür sie aber auch mit fesselnder Wirkung und Unmittelbarkeit danken. Maria Radutu und Markus Adenberger nehmen jedes dieser Stücke für sich und gehen auf die individuellen Anforderungen an Klang und Gefühl ein, folgen je der Musik und erzielen so unverfälschte und reine Darstellungen all dieser verschiedenartigen Stilwelten.

[Oliver Fraenzke, Dezember 2019]

Gershwin parfümiert und geschminkt

Steinway & Sons 30132; EAN: 0 34062 30132 4

Die Pianistin Katie Mahan präsentiert den „Classical Gershwin“ mit ihrer bei Steinway & Sons veröffentlichten CD. Zu hören sind die Rhapsody in Blue und die Second Rhapsody sowie einige Songs des Komponisten in Klaviertranskriptionen: Embraceable you, Our love is here to stay, I got rhythm, They can’t take that away from me, Walking the dog, Fascinating rhythm und `s wonderful.

Die Idee, Gershwin als klassischen Komponisten darzustellen und nicht zu sehr in die Nähe der Jazz- und Unterhaltungsmusik zu bringen, kann nur zur Hälfte nachvollzogen werden: Einerseits sah sich Gershwin natürlich klar in der Tradition der europäischen klassischen Musik und träumte von großen Opern, Streichquartetten und Symphonien. Andererseits wollte er auch einen echt amerikanischen Stil schaffen und erkannte die Unumgänglichkeit, die Einflüsse des Jazz und der Light Music einzubeziehen, da sie fest mit der noch nicht alten amerikanischen Kultur zusammenhängen. Gershwin wirkte lange Zeit als Songwriter und hatte in dieser Anstellung regelmäßig Hits zu komponieren, weshalb prägnante Melodien und schmissige Rhythmen in seinem Stil verankert waren. Hören wir seine eigenen Aufnahmen am Klavier, so sticht der packende Swing hervor, mit dem er seine Hörer bannte: zwar notierte er Songs wie ‚I got rhythm‘ in ein klassisch-europäisches Dualsystem, seine Darbietung übersteigt die Notierbarkeit allerdings, indem er mehr in Richtung eines ternären Spiels geht, was erst den amerikanischen, swingenden und zwingenden Sog der Musik ausmacht. Gershwin vereinte beides und wir können nicht eine Seite von der anderen separieren.

Katie Mahan macht ihre Intention schon in den ersten Tönen der Rhapsody in Blue deutlich und nimmt Gershwins Musik wie schlecht gespielten Chopin: rhythmisch verzogen, gespickt mit verkopften, unorganischen Rubati und träumerisch frei. Wenn die Musik aufgewühlter wird, entarten diese Passagen zur Etüde, die nur so rauschen und äußeren Effekt darstellen. Alles wird übersteigert und überakzentuiert, die Musik also parfümiert und geschminkt, in eine unechte Maske gesteckt. Das Gefühl, das bleibt, hat nichts mit klassischer Musik zu tun; aber auch nichts mit Jazz – vielleicht am ehesten mit einer Art modernen Lifestyles, der auf Künstlichkeit beruht. Wenn überhaupt, so funktionieren noch die Arrangements von Embraceable you (arr. Wild) und Our Love is here to stay (arr. Mahan), die beinahe an Debussy gemahnen mit ihren schwebenden Klängen und fließenden Begleitfiguren. Die rhythmisch prägnanteren Songs I got rhythm und fascinating rhythm verlieren ihren Swing und damit ihren inneren Sog zugunsten oberflächlichen Effekten, Mahan beharrt präzise auf der Dualnotation und lässt die rauschenden Akkorde klirren. Die abschließende Second Rhapsody strotzt vor Härte und Unnachgiebigkeit – vielleicht ein Versuch, Brahms zu imitieren? Es bleibt definitiv ein Versuch, denn auch bei Brahms wäre solch eine Härte fehl am Platz.

[Oliver Fraenzke, November 2019]

Stilvolle Stilkopien

Toccata Classics, Tocc 0346; EAN: 5 060113 443465

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Drei „After-Concertos“ von David Deboor Canfield sind bei Toccata Classics eingespielt. Der amerikanische Komponist schrieb 2007 sein Concerto nach Glière für Altsaxophon und Orchester, 2013 folgte eines für Sopransaxophon nach Tschaikowsky und vergangenes Jahr legte er noch eine Rhapsody nach Gershwin nach, wo die Violine den Solopart erhält. Hayrapet Arakelyan am Saxophon und Rachel Patrick an der Violine übernehmen die Solostimmen, es spielt die Sinfonia Varsovia unter Ian Hobson.

Es ist bedauerlich, dass uns weder Reinhold Moritzewisch Glière noch Pjotr Iljitsch Tschaikowsky ein Saxophonkonzert geschenkt haben (Glasunow hingegen hat in späten Jahren noch eines nachgereicht), sind doch schließlich sämtliche von ihnen erhaltenen Solokonzerte (inklusive des nicht vollendeten Violinkonzerts Glières) wahre Meisterwerke. Und auch, dass George Gershwin nur sein eigenes Instrument, das Klavier, mit Konzert- und Konzertstückliteratur bedacht hat, ist für die anderen Instrumentalisten reichlich ungerecht. So dürfte sich das vielleicht David BeBoor Canfield gedacht haben, als er seine drei „After-  Concertos“ plante. Hier bekommt ein Saxophon endlich einmal die Gelegenheit, auch romantische Literatur im verblüffend originalgetreuen Stil von Glière und Tschaikowsky zu spielen und ein Violinist darf sich über eine gershwineske Solorhapsodie freuen. Nicht auf der CD erschienen sind eine Elegy nach Brahms für Altsaxophon oder Klarinette und Klavier, ein Quintett nach Schumann für Saxophonquartett und Klavier sowie eine Ragtime-Sonate nach Scott Joplin für Altsaxophon und Klavier. Auch Werke ohne „Vorlage“ gibt es aus der Feder des 1950 in Florida geborenen Komponisten, immer in einem zum Heiteren tendierenden, beschwingt-eingängigen Stil, der durchaus auch eine individuelle Note aufweist.

Die drei hier zu hörenden „After-Concertos“ waren eine wirkliche Überraschung für mich. Statt den erwarteten flachen und vermeintlich witzigen Aufgriffen einiger weniger Floskeln des jeweiligen Vorbilds in standardisiert übertriebener Scherzparaphrasierung erhält der Hörer hier drei vollwertige Solokonzerte, die tatsächlich eine ernst gemeinte Musik präsentieren. Es sind auch keine direkten Musikzitate zu finden (jedenfalls fielen mir keine auf), sondern es handelt sich um eigenständige Werke, welche lediglich einem bestimmten Stil huldigen. Oft entsteht der Eindruck, als wenn wirklich gerade ein Stück von Glière, Tschaikowsky oder Gershwin vorgetragen würde, so genau hat sich Canfield den jeweiligen Stil angeeignet. Natürlich gibt es einige Details, welche den „Betrug“ bei genauerem Hinhören sichtbar erscheinen lassen, wie etwa unübliche Instrumentierungen an einer bestimmten Stelle oder alleine schon die Tatsache, dass ein Tschaikowsky-Konzert wesentlich länger als 20 Minuten dauert. Doch das ist unwichtig, schließlich geht es nicht darum, dem Nachgeahmten ein Werk unterzujubeln, sondern vielmehr, eine eigene und unabhängige Stilkopie zu schaffen. Und diese ist, in dreifacher Ausführung, wahrlich gelungen. Canfield schuf drei vielseitige, farbenreiche und für den eingeweihten Hörer oft durchaus amüsante Werke (wobei angemerkt werden sollte: es ist zu keiner Zeit intendiert lustig, dieser Effekt stellt sich eher automatisch ein bei einer gut gemachten Stilkopie), die den nachgeahmten Komponisten eine besondere Würdigung angedeihen lassen und ihrem Genie in der Qualität der Hommage auch gerecht werden.

Beide Solisten, Hayrapet Arakelyan und Rachel Patrick, bieten ihre anspruchsvolle Stimme mit Bravour, sicherer Intonation und reinem Spiel dar. Bei Patrick erscheint es manchmal so, als wäre ihr Spiel vor allem auf äußeren Effekt angelegt und nicht innerlich mitempfunden, wenngleich Phrasierung und Linienführung solide sind. Hayrapet Arakelyan hingegen spielt hörbar mit voller Leidenschaft und Hingabe, ist vollkommen in die Stücke involviert und integriert sich aktiv in den Orchesterapparat. Seinem Instrument entlockt er ungeahnt feine Klangnuancen und lässt lange Dialoge mit dem Orchester, aber auch Monologe in eigenen verschiedenen Stimmlagen ausdrucksvoll entstehen. Die Sinfonia Varsovia unter Ian Hobson hält sich dezent im Hintergrund, bildet aber eine untadelige Klanggrundlage, über der sich die Solisten entfalten können. In mancher Tuttipassage fehlt es manchmal etwas an Klangfülle und -Dichte – doch dies zu kompensieren, sind die Solisten stets schnell wieder zur Stelle.

[Oliver Fraenzke, Juni 2016]