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Gesangslegenden

SWR-Music, 6 CD’s; Bestellnr.: SWR 19436CD, EAN: 747313943685

Legendary Singers, so der Titel einer vom Label SWR-Music herausgegeben Box, erinnert an Martina Arroyo, Marilyn Horne, Peter Anders, Nicolai Gedda und Dietrich Fischer-Dieskau. Die Erklärung für die auf den ersten Blick beliebig erscheinende Auswahl liegt auf der Hand: der Südwestfunk hat in seinem Archiv Soloalben dieser historischen Gesangsgrößen aufgestöbert und bietet sie nun in einer preislich attraktiven Kassette an.

Mit einer Doppel-CD- wird Peter Anders gewürdigt. Der 1908 geborene Tenor gehörte bis zu seinem Unfalltod mit nur 46 Jahren zu den Publikumslieblingen der Nachkriegszeit. Er begann im lyrischen Fach und eignete sich allmählich jugendlich-heldische Partien an, besaß den Charme für die Operette und ein Gefühl für das Kunstlied. Die beiden Alben mit zwischen 1946 und 1952 entstandenen Aufnahmen versammeln einen Querschnitt aus Anders‘ Repertoire. Dramatische Arien, etwa Wagners Lohengrin und der Florestan aus Fidelio sind darunter, Duette von Verdi-, Puccini- und Bizet mit der hinreißenden Sena Jurinac, Szenen aus Der Zigeunerbaron und vorwiegend deutsche Lieder. Stimmlich ist Anders auf der Höhe seines Könnens, gelegentliche enge Spitzentöne fallen angesichts der vokalen Pracht und des eindringlichen Vortrags bei absoluter Textverständlichkeit nicht ins Gewicht.

Dietrich Fischer-Dieskau, auf Tonträgern so präsent wie kaum ein anderer Klassikkünstler, nahm im Frühstadium seiner Karriere Anfang der 50er Jahre Barock-Kantaten auf. Auch auf diesem Terrain, mit dem man den Bariton weniger verbindet, erweist er sich als gestalterische Kapazität und offen für abseitige Musikpfade. Mit frischem Organ, geschmeidigen Verzierungen, auch in der hier geforderten Basslage, und beispielhafter Diktion singt er Geistliches nicht nur von Buxtehude, sondern auch von weniger geläufigen Komponisten wie Franz Tunder, Nicolaus Bruhns und Adam Krieger.

Das Porträt des gleichaltrigen Nicolai Gedda dokumentiert die enorme stilistische Bandbreite des schwedischen Tenors. Von diesen Aufnahmen kann man nur schwärmen: wegen der durchgehenden Klangschönheit, der perfekten Artikulation in fünf Sprachen und der ausgefeilten Phrasierung. Imponierend, wie mühelos er die Stratosphärenhöhen des Sobinin in Glinkas Ein Leben für den Zaren oder des Chapelou in Adams Postillon von Lonjumeau erklimmt; meisterhaft, wie idiomatisch und elegant er so unterschiedliche Stücke wie PoulencMélodies, italienische Lieder der Spätromantik oder russische von Nikolai Rimski-Korsakow darbietet.

Die beiden weiblichen Gesangslegenden sind in Mitschnitten zweier Liederabende aus Schwetzingen zu hören. Martina Arroyo, zu ihrer Zeit eine der führenden Verdi-Soprane, doch für ihren Rang wenig dokumentiert, gab 1968 dort ein Solokonzert. Ihre üppige, dunkelgolden timbrierte Stimme beeindruckt auch in den Liedern von Rossini (mit federleichten Spitzentönen bei La Danza), Schubert, Brahms und Dvořák. Sie ist eine ausdrucksvolle, dynamisch variable Interpretin, nur hapert es ihr an einer klaren Aussprache. Abgerundet wird das Programm durch vier tief empfundene, mit Wärme gesungene Spirituals, die im hymnischen Witness gipfeln.

Ganz im Zeichen Gioacchino Rossinis stand das Schwetzinger Recital, mit dem Marilyn Horne 1992 dem „Schwan von Pesaro“ anlässlich seines 200. Geburtstags gratulierte. Die Mezzosopranistin mit der unverwechselbaren Stimmfarbe, die im Januar 2024 neunzig Jahre alt wurde, bekräftigte bei dieser Hommage noch im Karriere-Spätherbst ihre Ausnahmestellung als Belcantointerpretin. Mit verblüffenden Koloraturen und Verzierungen, wie in der feurigen Canzonetta spagnuola, mit lang gesponnenen Kantilenen und vollendeter Legatokultur, wie in der berühmten Tancredi– Arie Di tanti palpiti, beschenkte sie den Jubilar. Der vernehmbare Dank des Publikums: Jubel und Bravos zwischendurch und am Ende.

Karin Coper [August 2024]

Zwischen Kirche und Club

GP ARTS 201; EAN: 4 260213 912019

Arrangements von Dietrich Buxtehudes Präludium in g BuxWV 149, Georg Friedrich Händels Oboensonate c-Moll HWV 366 und Franz Tunders „An Wasserflüssen Babylon“ für Sopransaxophon, Orgel und Live Electronics finden sich neben vier eigenen Werken (teils ebenfalls mit entliehenem Material der Barockzeit) auf der CD buxtehude_21 On The Bridge von Bernd Ruf und Franz Danksagmüller.

Die Faszination der Barockmusik mit neuen Mitteln zu aktualisieren und in der Jetztzeit wirksam zu machen ist das Ziel des Projekts danksagmüller_ruf. Durch vielseitige Arrangements von Buxtehude, Händel und Tunder realisierte das Duo seinen Plan auf der CD buxtehude_21 On The Bridge.

Und tatsächlich schlagen die beiden Musiker eine Brücke zwischen alt und neu, quasi zwischen Kirche und Club – denn es passt in beides, oder doch in keines der beiden? Alleine die Besetzung verwundert: Eines der altehrwürdigsten Instrumente, die Orgel, neben ein Instrument des zwanzigsten Jahrhunderts, das (Sopran-)Saxophon, zu stellen und darüber hinaus mit Live Electronics anzureichern, ist ein recht gewagtes Unterfangen. Dabei reichen die Arrangements von exakt notengetreuer Wiedergabe bis hin zur relativen Unkenntlichkeit der originalen Sätze oder Passagen. Manches wirkt improvisiert, anderes aufwändig „rekomponiert“, die Übergänge zwischen dem einen und dem anderen sind fließend. Das Sopransaxophon übernimmt meist die Solostimme oder eine zentrale Stimme im polyphonen Satz, umspielt aber auch gerne frei die Orgelpartie.

Das klangliche Resultat besitzt eine große Eigenständigkeit, mag sich in keine Schublade so wirklich einordnen lassen. Die barockzeitliche Grundlage bleibt stets erhalten und doch gibt es sogar in den tongetreu gespielten Passagen durch die Besetzung und leichtes Hineinschleifen in die Töne durch das Sopransaxophon eine etwas jazzähnliche Atmosphäre. Manches mutet gar an, als könnte es auf einem „Rave“ mit experimenteller elektronischer Musik erklingen. Die Kirchenakustik von St. Jakobi Lübeck sorgt dabei für eine hallige und großräumige Atmosphäre, die auch auf mittelmäßigen Anlagen durchhörbar bleibt und Platz schafft, der mit dimensionsöffnenden Klängen gefüllt wird.

Bernd Ruf und Franz Danksagmüller offerieren musikalisch feinsinnigen Umgang auf ihren Instrumenten, reflektierte Phrasierung und eine außergewöhnliche Kreativität als Arrangeure und Komponisten. Lediglich die Eigenkomposition „Dow Jones – Danza Infernale“ mit der aufdringlichen Sprecherstimme mag nicht so recht zum Rest passen, sehr beschaulich hingegen „Lullaby for Anna Margaretha“. „BTB – BuxToccataBach“ ist eine herrliche Gegenüberstellung beziehungsweise Vermengung und bietet den strahlenden Abschluss eines spannenden Experiments, das uneingeschränkt empfohlen sei.

[Oliver Fraenzke, Dezember 2016]