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Geschichten eines Engels

Rubicon, RCD1041; EAN: 5 065002 149404

Die Gambistin Johanna Rose stellt uns gemeinsam mit Josep Maria Martí Duran und Javier Núñes vierzehn Stücke aus den fünf Büchern „Pièces de viole“ von Marin Marais vor. Unterbrochen werden sie von einer Passacaille aus der Feder Robert de Visées, Passacaille ou Chaconne von François Couperin und von Jean-Philippe Rameaus La Marais: Rondement.

Der Tod Lullys brachte den sich bereits längere Zeit unterschwellig anbahnenden Konflikt zwischen dem traditionell französischen Stil und Einflüssen des affektgeladeneren italienischen Stils an die Öffentlichkeit und es herrschte beinahe etwas wie ein „Musikkrieg“. Gewinnen sollten schließlich die Vertreter der fortschrittlicheren italienischen Schule mit ihrer differenzierteren Harmonik, Virtuositäten und Sentimentalitäten. Wie ein Fels in der Brandung stand Marin Marais als einer der letzten Vertreter der französischen Tradition da und verbot sogar seinen Schülern, italienisch angehauchte Musik zu spielen.

Geboren 1656 als Sohn eines Schuhmachers, begann Marin Marais seine Karriere als Chorknabe und wechselte während seines Stimmbruchs zur Gambe. Schnell kam er zu Monsieur de Sainte-Colombe, einem der gefragtesten Gambisten seiner Zeit, der Marais aber schon nach einem halben Jahr nichts mehr beibringen konnte – oder wollte. Doch Marais schlich sich heimlich ins Haus des Meisters und hörte ihm all die feinen Tricks und Kniffe ab, die sein eigenes Spiel auszeichnen sollten. Jean-Baptiste Lully wurde auf ihn aufmerksam und nahm ihn in sein Ensemble auf, wo er oftmals für König Ludwig XVI spielte und an Lullys Opern mitwirkte. Gegen Ende seines Lebens zog Marais sich zurück, der italienische Stil hatte sich bereits durchgesetzt. Postum ehrte Hubert Le Blanc ihn, indem er schrieb, sein Spiel gliche dem eines Engels.

Die Musik Marais‘ besticht durch Schlichtheit und Klarheit, übermäßige Virtuosität und oberflächliche Triller oder Verzierungen lehnte er ab, ebenso harmonische Extravaganzen. Statt dessen fokussiert er sich auf den Melos, der sich rezitativartig weiterentwickelt; den zugrundeliegenden Themen werden immer neue Facetten abgerungen und sie wieder neu beleuchtet.

Johanna Rose ist eine Magierin auf ihrem Instrument. Sie spielt diese für uns fremd anmutende Musik in einer derart natürlichen und lebendigen Weise, dass wir keine Sekunde an ihrer Aktualität zweifeln. Die Stücke der Barockmeister werden entstaubt, aus den Sphären biederen Historizismus‘ befreit und mit einer Passion vorgetragen, die den Komponisten entspricht. Rose hat erkannt: Musik ist nichts, was Bücher und Aufzeichnungen uns lehren, sondern was aus den Noten heraus durch das Instrument und durch uns entsteht. Den Produzenten mag das aufreizende Coverbild als gute Vermarktungsstrategie für solch eher rare und heute vor allem als museumsreif betrachtete Musik gegolten haben, doch wäre dies nicht nötig gewesen, da die Musik für sich spricht und eben solch eine Oberflächlichkeit vom ersten Ton an negiert. Gestützt wird Johanna Rose von Josep Maria Martí Duran an der Theorbe und Javier Núñes am Cembalo, die ebenfalls nicht vergessen werden sollten. Ihre Stimmen wirken natürlich eher hintergründig vor dieser gambenbetonten Musik, doch bilden erst sie das Fundament, auf dem sich die Solistin entfalten kann. Dabei ist die entstehende Einheit unverkennbar, alles geschieht aus dem gleichen Puls und Atem heraus. Duran und Núñes haben die gleiche innerlich brodelnde Leidenschaft inne und beleben die oftmals nur pflichtbewusste Aufgabe des Continuos zu neuen Hochformen.

[Oliver Fraenzke, Februar 2020]

Musik – zeitlos

Baroque Masterpieces

Artis Gitarrenduo (Julia und Christian Zielinski); Musik von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Francois Couperin (1668-1733), Sylvius Leopold Weiss (1687-1750), Johann Sebastian Bach (1685-1750), Antonio Vivaldi (1678-1741)

Naxos 8551420; EAN: 73009914203

Seit dem internationalen Aufstieg des Naxos-Labels haben Gitarren-CDs schon immer eine große Rolle im Repertoire gespielt. Mal gelungener, mal misslungener, denn bei der klassischen Gitarre scheiden sich die Geister. Seit Julian Bream dieses Instrument zu einem vollwertigen „Musik-Vermittler“ gemacht hat, ist es ein Liebling für alle und jeden geworden, sei es in der Klassik, sei es im Jazz oder in der Pop-Musik. Was der klassischen Gitarre nicht immer gut bekommen ist, wie man an vielen CDs sehen resp. hören kann. Denn was bei der Geige oder mehr noch bei der Flöte selbstverständlich ist, nämlich die mitvollziehbare Gestaltung der Melodie, ist bei der Gitarre für viele Spielerinnen und Spieler unerreichbar, weil äusserst schwierig zu verwirklichen, was einerseits in der leichten Handhabung und andererseits in der absolut schwierigen Verfügbarkeit wurzelt.

Soweit erst einmal die Vorrede…!

Nun ist bei Naxos eine CD erschienen, die all’ diese Schwierigkeiten sich in Luft bzw. eben in Musik auflösen lässt. Was Julia und Christian Zielinski da nämlich mit ihren zwei Gitarren erleben lassen, habe ich seit dem berühmten Duo Julian Bream/John Williams nicht mehr gehört: Musik vom Feinsten, gespielt mit allem, was dazu gehört. Vom ersten bis zum letzten Ton ein hinreißender, dergestalt auch selten gehörter wunderbarer Klang, wie ihn eben nur zwei – nicht eine – Gitarren zusammen hervorbringen können. Dazu eine Agogik, die den Melodien und ihren Harmonien alle Freiräume geben, die gerade die Barockmusik so nötig hat, soll sie nicht nähmaschinenhaft – wie so oft – abschnurren. Dass die beiden auf ihren Gitarren wirklich „singen“, was bei ach so vielen „Klassikern“ leider nie zu hören ist, hebt diese Scheibe aus dem globalen Gitarrenpool himmelhoch heraus.

Besonders gelungen sind dabei die Stücke, wo die beiden ihre ganze Innigkeit ausspielen, also die langsamen Sätze, die oft berückend schön und berührend geraten. Kommt dann die Geschwindigkeit ins  Spiel, zeigen sie natürlich ebenso ihre stupende Virtuosität. Allerdings ist das dann eben auch der Punkt, der mich als einziger stört: Dann geht darüber die strukturelle und musikalische Feinheit ein wenig den Bach runter. Nicht unzutreffend sagte einst ein Gitarrist, dem immer wieder dieser Satz eines Kritikers einfiel: „Die Gitarristen mögen sich doch bitte nicht so anstrengen, ein Maschinengewehr ist doch immer noch viel, viel schneller!“

Fazit: Endlich mal wieder eine Gitarren-CD, die Musik in sich hat. (Was man von der zeitgleich erschienenen Naxos-CD „ Beethoven on Guitar“ übrigens nicht sagen kann!)

[Ulrich Hermann, September 2019]