Schlagwort-Archive: Edward Baghdassarian

Ein musikalisches Panorama von den Hängen des Ararat

Farao Classics B 108086, ISBN: 4 025438 080864

 Views-002

An der Violine begibt sich Rebekka Hartmann zusammen mit der Pianistin Margarita Oganesjan auf eine Entdeckungstour rund um den Ararat mit Werken von Ahmed Adnan Saygun, Arno Babadschanjan und Edward Baghdassarian.

Eine Gegenüberstellung von türkischer und armenischer Musik erscheint gewagt, wenn man die Vorgeschichte dieser beiden Länder in Augenschein nimmt. Doch über alle politischen Abgründe hinweg betrachten Rebekka Hartmann und Margarita Oganesjan Komponisten beider Länder von einem geographisch zentralen und scheinbar unberührten Standpunkt, dem Ararat. Von hier aus können die beiden jungen Musikerinnen den türkischen Komponisten Ahmed Adnan Saygun auf zwei CDs Seite an Seite stellen mit den Armeniern Arno Babadschanjan und Edward Baghdassarian.

Beide Solistinnen profilieren sich in dieser Einspielung als herausragende Interpreten. Rebekka Hartmann kann ihrer frühen Stradivari aus dem Jahre 1675 eine phänomenale Bandbreite an verschiedensten Farbnuancen entlocken, die sich geschmeidig den jeweiligen musikalischen Situationen anpassen. Ihr Klang ist klar, feingliedrig und brillant, er kann sich mühelos an alle volksmusikalischen Momente anschmiegen, nur um plötzlich davon abzureißen und ganz ungehörte und faszinierende Wege zu beschreiten. Erwähnenswert ist vor allem auch Rebekka Hartmanns geschickter Umgang mit Vibrato, welches bis ins kleinste Details überdacht und zudem äußerst sparsam eingesetzt wird, so dass es immer einen Zweck erfüllt anstatt wie heute gewohnt jeden lang gehaltenen Ton in etwas Ungewisses aufzuweichen. An den Tasten steht ihr mit Margarita Oganesjan ein würdiger Widerpart zur Seite. Die Pianistin hat einen recht robusten und voluminösen Ton inne, der mit großem Nachdruck gesetzt ist. Selten wirkt es ein wenig hart und gleichförmig an manchen Stellen, bei denen eine etwas einfühlsamere und gebundenere Gestaltung wünschenswert wäre anstelle eines ein wenig uniformen Staccatos und Portatos, doch kommen die Stücke Margarita Oganesjan merklich entgegen, so dass diese gelegentliche Unausgewogenheit nicht wirklich ins Gewicht fällt – sogar sehr reizvoll macht die Werkauswahl den kräftigen Tonfall der gebürtigen Armenierin. Wahrlich zaubern kann Oganesjan bei der intelligent erfassten Ausgestaltung von Strukturen und Zusammenhängen, wodurch sie jeden noch so komplexen Satz gut verständlich darbietet. Bei allem Verständnis für das verbindende Element vernachlässigt sie auch zu keiner Zeit die pointierten Feinheiten, welche sie einfühlsam und treffend herausarbeitet. Bewundernswert ist das Zusammenwirken der beiden Musikerinnen, das deutlich spüren lässt, wie lange und intensiv Rebekka Hartmann und Margarita Oganesjan bereits zusammen spielen, dass ihre gemeinsame Arbeit eben nicht alleine auf diese Einspielung beschränkt ist. Durchgehend lässt sich eine perfekte Synchronizität der Darstellung feststellen, die Stimmen sind so exakt aufeinander abgehört, dass sie dynamisch und artikulatorisch genau abgestimmt erklingen. Es gibt einen unbeschreiblichen Effekt bei einem langen Decrescendo, wenn tatsächlich alle Stimmen im selben Maße abnehmen und scheinbar das gleiche Empfinden haben, so als wären sie unzertrennbar verbunden. Margarita Oganesjan versteht es neben der Rolle der gleichberechtigten Stimme auch, an entsprechenden Passagen in den Untergrund abzutauchen und eine gut ausgestaltete Begleitung für die improvisatorisch anmutenden Violinkantilenen abzugeben – diese Kunst sollte definitiv weiter verbreitet sein.

Eine wirklich große Entdeckung auf der vorliegenden Doppel-CD ist der Türke Ahmed Adnan Saygun, der gleich mit zwei Werken vertreten ist. Der d’Indy-Student war einer der wichtigsten Sammler türkischer Volksmusik und Gestalter einer modernen türkischen Kunstmusik, die einen Weg findet zwischen westlichen Vorbildern und regionaler Couleur. Sehr interessant ist beispielsweise seine erste Symphonie Op. 29 für kleines Orchester, die eine Synthese zwischen westlichen Formidealen und eindeutig türkischer Klanglichkeit bietet. Diese Eigenschaften weisen auch die beiden einzigen Werke Sayguns für Violine und Klavier auf, die Suite Op. 33 und die Sonate Op. 20. Streng pentatonische Themen und additive Rhythmen verschmelzen in klassischen Formmodellen und freitonal avancierter Harmonik, und resultieren in einer einmaligen Stilfusion. Davon abgesehen lässt sich auch Sayguns aktive Tätigkeit als Musikethnologe in seiner Musik entdecken, so erklingt – vor allem in der Suite Op. 33 deutlich – mal ein fast irisch anmutendes Thema, mal eine deutlich asiatisch angehauchte Melodie, doch immer derart, dass es rückbezüglich auf die türkische Volksmusik ist. In all diesen differenzierten nationalen und internationalen grazilen Komponenten findet sich Rebekka Hartmann, in deren Part sich die meisten dieser Elemente befinden, bestens zurecht und kann sie stets wachsam ins rechte Licht rücken. Margarita Oganesjan beeindruckt hier durch die abgestufte Ausarbeitung eines trockenen Klangs, der so nachvollziehbar ein östliches Lebensgefühl verbreitet und einen spannenden, divergierenden Gegenpart zu der melancholisch schwebenden Violine bildet. Sie beweist ein unbestechliches Einfühlungsvermögen für diese Musik und beherrscht sowohl das Herausmeißeln der mehr als ungewohnten Tongebilde als auch selbst die beziehungsreich komplexe Strukturanlage der Sonate mühelos und mit großer Natürlichkeit. Anders als die kommenden anderen Texte ist die schlicht gehaltene Einführung des türkischen Komponisten Hasan Uçarsu zu Ahmed Adnan Saygun durchaus informativ und steckt tief in der Materie der türkischen Folklore, die sich so vielgestaltig in den Werken des Komponisten spiegelt (die vier Sätze der Suite sind gar verschiedenen Regionen der Türkei gewidmet, deren Volksmusik sie entweder direkt zitieren oder ununterscheidbar vom Original imitieren).

Ebenfalls eine Musik, die unbedingt mehr Aufmerksamkeit verdient und eine intensive Auseinandersetzung damit wert ist, ist die von Arno Babadschanjan, dessen Violinsonate aus dem Jahre 1959 mit 28 Minuten das großformatigste Werk dieser Einspielung ist. Das effektgeladene Werk verbindet hohe Komplexität mit eingängigen Melodien, wobei insbesondere der dritte Satz, in welchem die apotheotisch für den Widmungsträger Dmitri Schostakowitsch stehende Symbolphrase heraushörbar ist, mit spürbarer Prägnanz im Ohr bleibt. Trotz dessen wird der Hörer immer wieder überrascht von plötzlichen neuen Einfällen, die einen unerwartet überrollen und die gesamte Struktur aufbrechen. Die schlagartigen Wechsel werden von beiden Musikerinnen mit überwältigender Genauigkeit ausgeführt, sofort fühlen sie sich wohl in jedem neuen Terrain, ohne dass ein noch so geringer Nachhall von Vorherigem vernehmbar wäre. In dieser Sonate demonstriert Magarita Oganesjan mancherorts auch einmal ihre weiche und lyrische Seite – umso intensiver wirkt es, wenn sie dann wieder mehr Härte dominiert.

Beschlossen wird die Einspielung von einem Werk, das ein Jahr vor der Sonate Babadschanjans entstand, der Rhapsodie für Violine und Klavier von Edward Baghdassarian, der auch Margarita Oganesjan als kleines Mädchen in Komposition unterrichtete. Nach den vorangehenden Geniestreichen fällt die Rhapsodie kompositorisch etwas ab. So schöne Momente sie auch haben mag, so weist sie auch etliche musikalisch flache und voraussehbare Passagen auf, wenngleich letztlich auch hier das Zauberhafte überwiegt. Nichts desto Trotz ist es ein besonderer Tribut an den ehemaligen Lehrer von Margarita Oganesjan und verdient somit durchaus einen Platz auf dieser mehr als empfehlenswerten musikalischen, exemplarischen Rundreise durch die Gebiete rund um den Ararat.

[Oliver Fraenzke, August 2015]