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Tanz der Handschuhe

Edel Kultur, Neue Meister, 0301308NM; EAN: 88540013084

Der Pianist Ralf Schmid stellt seine erste CD des Projekts Pyanook vor. Mit speziellen Handschuhen verändert er live den Sound der zwei von ihm bespielten Klaviere und schafft so ein mehrdimensionales Klangerlebnis zwischen Akustik und Elektronik. Die selbst komponierten Titel dieser Produktion heißen: Impromptu Raggae, Winterstill, Erything in its right place, Ancient supernova, Zwei Elfen, Life in a nutshell, Silver lining, Waterborne, AirA, Do not worry.

Pyanook ist ein langjähriges Projekt des Pianisten Ralf Schmid, der den natürlichen Klang von zwei Flügeln einfängt und live bearbeitet, manipuliert, verzerrt und zu einer neuen Darstellungsform verschmilzt. Zunächst realisierte er dies über verschiedene Touchpads, Regler und Drumpads; später gerieten ihm die von Imogen Heap entwickelten mi.mu-Gloves in die Hände. Die Handschuhe reagieren durch feinste Sensoren auf Gesten, denen er Befehle zuordnen kann. So kann Schmid seinen gesamten Oberkörper einsetzen, um stufenlos alle Arten von Soundeffekten in sein Spiel einzubinden. Die Handschuhe können Bewegung, Drehung, Biegung selbst einzelner Finger erkennen und individuell in Klänge oder Modifikationen umsetzen. Da die Musik entsprechend nicht erst in der Postproduktion ihren Feinschliff erhält, sondern beim Spielen in ihrem vollen Glanz erstrahlt, kann das gesamte Album live aufgeführt werden.

Schmid nutzt die Technologie auf unterschiedliche Weise. Er verschmilzt den traditionellen Klang mit futuristischen Elementen und schafft so zumeist sphärische bis meditative Soundwelten. Das repetitive Element spielt dabei eine besondere Rolle, in erster Linie durch die Loop-Funktionen, die Schmid durch die Handschuhe jederzeit ein- und ausstellen kann. Einige Elemente der klassischen Musik verbindet er dabei mit Elektro- und Lounge-Anklängen und bezieht teils auch jazzige Charakteristika mit ein.

Das klangliche Resultat auf dieser CD liegt vor allem im Bereich sphärischer und leicht zu hörender Musik, die problemlos im Hindergrund laufen kann, auch wenn es sich natürlich spannend gestaltet, dem Werden der Musik zu lauschen. Es sind wahrlich anregende Experimente elektroakustischer Musik auf dieser CD zu hören. Mich persönlich würde interessieren, die Möglichkeiten der Handschuhe und der pianistischen Fähigkeiten Schmids auch in anderen Genres, in formal komplexeren und harmonisch weitschweifenderen, gerne dissonanteren Stücken zu hören und ihre scheinbar nicht existenten Grenzen auszuloten. Außerdem würde ich mir sehr wünschen, mehr von dieser Musik visuell erleben zu können, um die tänzerische Eleganz der Darbietung und die an ein Theremin erinnernde Bedienung der Handschuhe auch sehen zu können und so mitzuverfolgen, was Schmid aus den Klavierklängen herausholt.

[Oliver Fraenzke, Dezember 2019]

Imaginäre Bilder

Berlin Classics, Neue Meister; 0300950NM; EAN: 8 85470 00950 6

Mit seinem Album Ecartele taucht Damian Marhulets in die Welt eines nie realisierten Films ein, den er musikalisch ausdeutet. Er selbst ist an den Electronics tätig, es spielen das Szymanowski Quartet und die Pianistin Marina Baranova.

Filmmusik untermalt nicht nur die bewegten Bilder und gestaltet eine Atmosphäre aus, in vielen Fällen hat sie ganz eigenständigen Stellenwert, greift voraus und zurück, gibt Hinweise auf das Geschehen, verrät bislang Ungeklärtes oder bildet gar eine vollkommen neue Ebene, die parallel zur Filmhandlung eigenständig verläuft. Gut gemachte Filmmusik kommt auch ohne übergeordnetes Bildelement aus, besitzt eigenständigen Wert und ist manchmal sogar im Konzertsaal zu hören.

Damian Marhulets komponierte nun Musik zu einem Film der – nicht existent ist… Dieser Film war zwar in den 1970er-Jahren geplant, wurde allerdings nie umgesetzt. Aus den vorhandenen Informationen zeichnet Marhulets den Filmverlauf mit musikalischen Mitteln und stellt Szenen nach, die mit den Augen nicht zu sehen sein werden, dafür jetzt mit den Ohren.

Geheimnisvoll schwebend gibt sich die Atmosphäre, welche die Besetzung für Streichquartett, Klavier und Electronics aufspannt. Tatsächlich tun sich sogleich Bilder auf, wenn die Musik ansetzt, und man könnte meinen, es laufe ein Film ab und nur der Monitor fehle. Die Musik hat etwas Zartes und Nebliges, stellt bestimmte Stimmungen imaginativ und realitätsnah dar. Das Material von Ecartele ist auf ein Wesentliches reduziert, rasch ablaufende Passagen finden sich ebenso wenig wie Virtuosität oder klangliche Transparenz und Klarheit. Ein wolkenartig dichter wie zugleich zerbrechlicher Gestus ist charakteristisch für diese Musik. Es sind hauptsächlich statische Stimmungen, die erzeugt und durch langsames Voranschreiten in kleinen Schritten metamorphosiert werden. Dabei spielt das Geschehen niemals auf nur einer Ebene, immer gibt es mindestens eine zweite Schicht, die mit der anderen konkurriert. Marhulets beweist eine deutliche Klangvorstellung und weiß, diese umzusetzen. Dabei eignet der Ecartele-Musik auch etwas Hintergründiges, sie verliert nie den Bezug zum imaginär ablaufenden Film.

Die Instrumentalisten gestalten von der ersten Sekunde an einheitlich und wirken als ein geschlossener Klangkörper, der von den Electronics komplettiert wird. Das Spiel ist schlicht, dabei ausdrucksstark und von feinen Nuancierungen der Artikulation veredelt.

[Oliver Fraenzke, Juni 2017]