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Der schmale Pfad hindurch

Farao Classics, B 108108; EAN: 4 25438 081083

Hinter dem Titel „Skylla und Charybdis“ steckt eine Aufnahme von Kammermusikwerken des Komponisten und Cellisten Graham Waterhouse. Zu hören sind seine Rhapsodie Macabre für Klavier und Streichquartett, Bei Nacht op. 50 für Klaviertrio, Trilogy für Klavierquintett, Bells of Beyond für Klaviertrio, Kolomyjka op. 3a und Skylla und Charybdis je für Klavierquartett. Es spielen Katharina Sellheim am Klavier, David Frühwirth und Namiko Fuse an den Violinen, Konstantin Sellheim an der Viola und der Komponist selbst am Violoncello.

Die Kammermusik spielte für den 1962 in London geborenen und in Deutschland lebenden Komponisten und Cellisten Graham Waterhouse seit dem Beginn seiner Laufbahn eine wichtige Rolle. Die wechselnden Verhältnisse der Stimmen, das Changieren von Führungsrollen, die gegenseitige Orientierung und das generelle Wachsen aneinander inspirieren ihn zu Werken unterschiedlichster Ausrichtung. Mit dem Titel der CD „Skylla und Charybdis“ thematisiert er sein eigenes Ringen um den Kompositionsprozess. Hinter den Namen verbergen sich die Meeresungeheuer aus der Odysseus-Sage der griechischen Mythologie, zwischen denen der Seefahrer hindurchschiffen muss, ohne einem dieser zu nahe zu kommen und dadurch von ihnen in die Tiefe gerissen und verschlungen zu werden. Als Redewendung etablierte sich „Du hast die Wahl zwischen Skylla und Charybdis“ als „Du musst dich für eines von zwei Übeln entscheiden“. Für Graham Waterhouse stehen diese beiden bedrohlichen Ufer für verschiedene, jeweils gegensätzliche Aspekte des Komponierens in der heutigen Zeit: Tradition und Fortschritt, Tonalität und Atonalität, Regel und Freiheit. Wie Odysseus schifft er nun zwischen den gewaltigen Ungeheuern und bahnt sich seinen Weg. Dabei arten seine Werke vollkommen unterschiedlich aus, jedem Werk verleiht er eine andere Richtung und geht vollkommen unbefangen an es heran. Seinem facetten- und farbenreichen Kompositionsstil entspringen so ganz verschiedenartige Werke voll Frische und Lebendigkeit, die das Hören nie ermüden lassen.

Durch seine eigene rege Konzerttätigkeit als Cellist kommt Graham Waterhouse auch viel in Kontakt mit führenden Musikerinnen und Musikern, was die (für eine CD mit zeitgenössischer Musik erstaunlich) prominente Besetzung erklärt: David Frühwirth, seit diesem Monat Violinprofessor in Wien, ist ein gefragter Geigensolist und brachte durch Konzerte und Aufnahmen immer wieder auch seltenes Repertoire zu den Hörern. Die Geschwister Katharina und Konstantin Sellheim treten regelmäßig als Duo in Erscheinung, spielen altes wie neues Repertoire für Viola und Klavier; Katharina Sellheim ist zudem eine renommierte Liedbegleiterin. Namiko Fuso spielt zweite Geige bei den Münchner Philharmonikern und tritt ebenso als Kammermusikerin in Erscheinung, vor allem als Mitglied des Parnass-Quartetts.

Die CD beginnt mit der fünfsätzigen Rhapsodie Macabre, einer Art „Dialog-Klavierkonzert“ mit Streichquartett. In der Konzeption dieses Werks spiegelt sich Waterhouses Fahrt durch die Meerenge der Ungeheuer wider: Er sieht sich einerseits als Bestandteil der Tradition der Totentanzkomponisten inklusive des Einwebens der berühmten Dies-Irae-Melodie, andererseits beschreitet er innerhalb dieser gänzlich neue Wege. Als Grundelement dienen markante Motive und auch Klangfarben, die Waterhouse gegeneinander ausspielt, dynamisch auflädt und kulminieren lässt. Ein treibend rhythmisches Element zieht in seinen Bann. Interessanterweise wirkt der Tod bei aller Wildheit und Ungezügeltheit selten furchteinflößend, sondern bisweilen gar sympathisch; er scheint schelmisch zu lachen und sich diabolisch zu amüsieren.

Umso düsterer erscheint Bei Nacht op. 50, das mit dem Genre der Nocturne nichts mehr gemein hat. Inspiriert durch Kandinskys Ölgemälde Die Nacht mit deren gespenstischen Figuren schafft Graham Waterhouse eine imaginäre, furchteinflößenden Szenerie. Nicht eine Sekunde kommt Ruhe oder gar Behaglichkeit in der dunklen Landschaft auf, immer wieder überraschen flüchtige, unstete Figuren den Hörer und treiben durch ihre Unregelmäßigkeit die Spannung trotz der niedrigen Grunddynamik und der durchgehenden Introversion auf die Spitze.

Ein aufheiterndes Zwischenspiel stellt Trilogy für Klavierquintett dar, in welchem Graham Waterhouse anlässlich eines deutsch-französischen Galakonzerts die Nationalhymnen dieser beiden Länder als Material verwendet und sie in ein einträchtiges Miteinander verschmelzen lässt. Und plötzlich funkt auch die Hymne seines Heimatlandes England mit hinein und ergänzt das Stück zu einer Trilogie, einem harmonischen Zusammenspiel dreier Länder.

Bells of Beyond (Glocken des Jenseits) komponierte Waterhouse zum Angedenken an Dafydd Llywalyn, der 2013 verstarb. Es handelt sich um ein misteriös-gruseliges, dabei flächig schwebendes Werk, das die Schwingungen von Glockenklängen zum Stillstand zu zwingen scheinen. Obgleich es durch erweiterte Spieltechniken und geräuschhafte Passagen als „stilistisch modernstes“ Werk dieser Einspielung wirkt, basiert es auf melodiös-thematischem Material und führt auch die Klangflächen wie Themen durch. Erneut begibt sich Graham Waterhouse auf den schmalen Pfad zwischen den beiden Polen, zwischen Skylla und Charybdis.

Ein zweites Intermezzo stellt Kolomyjka op. 3a dar, bereits 1980 komponiert, als Graham Waterhouse gerade einmal 18 Jahre alt war. Im direkten Kontrast zu Bells of Beyond ist dies das tonalitätsgebundenste Werk dieser Einspielung, beschwingt durch seine heitere Stimmung und den tänzerischen Duktus, der die Stimmung eines polnisch-ukrainischen Tanzes evoziert.

Das titelgebende Werk Skylla und Charybdis für Klavier und Streichtrio steht an finaler Stelle dieser CD. Obgleich dem viersätzigen (jedoch in Einheit ohne Pausen vorzutragenden) Werk kein Programm zugrunde liegt, tun sich allein aufgrund des Titels sogleich abstrakte Bilder auf: Als Hörer sieht man das abgrundtiefe Meer, die sich schlängelnden Ungeheuer aufbäumen und um Vorherrschaft ringen, spürt die Gischt auf der Haut und die Furcht der Seefahrer aufwühlen. Jenseits dieser Bilder ist es vor allem die Bewegung, die den Höreindruck ausmacht; die Musik steht nie still, sondern kriecht, schlängelt, richtet sich auf, stürzt hinab, in stetigem Fluss. Dabei wägte Waterhouse präzise die Proportionen ab und schuf ein in sich völlig stimmiges, kompaktes Werk von überbordender Wirkung.

Das Facettenreichtum der Stücke spiegelt sich auch im Spiel der Musiker wider, die hingebungsvoll auf den vielseitigen Personalstil von Graham Waterhouse eingehen. In sämtlichen zu hörenden Konstellationen vom Trio bis zum Quintett agieren die Musiker im einheitlichen Atem und klanglich wohl austariert. Besonders die Rhapsodie Macabre und das Titelstück stellen das Zusammenspiel aufgrund der stetigen Führungswechsel und der vertrackten Dialogbeziehung zwischen den einzelnen Instrumenten auf eine harte Probe, welcher die fünf Instrumentalisten jedoch spielend gewachsen sind. Gerade das Klavier mischt sich fein mit dem kontrastierenden Streicherklang. Und auch die Streicher verlassen sich nicht rein auf einen homogenen Klang, sondern nutzen gerade die verschiedenartige Physionomie der Instrumente zur Herausmeißelung feinster Kontraste, die das Vielseitige im Einheitlichen hervorheben.

[Oliver Fraenzke, März 2021]

[Link zum gestreamten Konzert mit CD-Präsentation und anderen Werken von Graham Waterhouse]

Einer der besten Komponisten der alten Schule

Capriccio C5318; EAN: 8 45221 05318 9

Bei den auf dieser CD aufgenommenen Kammermusikwerken Karl Weigls handelt es sich hauptsächlich um Ersteinspielungen: Zu hören sind die zweite Violinsonate G-Dur, Zwei Stücke für Cello und Klavier op. 33 und Zwei Stücke für Violine und Klavier; lediglich das Klaviertrio d-Moll wurde bereits zwei Mal auf Platte festgehalten. David Frühwirth spielt die Geige, Benedict Kloeckner das Cello und Florian Krumpöck übernimmt den Klavierpart.

Karl Weigl gehört zu den großen Unzeitgemäßen, die bis zum Lebensende der Moderne den Rücken kehrten und die Tonalität fortleben ließen. Ausgebildet bei Zemlinsky, Fuchs und Adler befanden sich schon frühe Werke auf der Höhe der spätromantischen Ausdruckswelt, eine Stelle als Korrepetitor bei Mahler komplettierte dies. Auch mit Arnold Schönberg stand Weigl in gutem Kontakt, zumindest bis sich dieser der Atonalität verschrieb, was den Kontakt verstummen ließ – wenngleich Schönberg 1938 noch schrieb, er betrachte „Dr. Weigl immer für einen der besten Komponisten der alten Schule […]; einer von denen, die die glanzvolle Wiener Tradition fortsetzten. Er bewahrt zweifellos die alte Haltung jenes musikalischen Geistes, welcher einen der besten Teile der Wiener Kultur darstellt.“ Nach dem Anschluss Österreichs an das nazifizierte Deutschland wurde Weigls Musik verboten und er entkam nach Amerika, wo seine Karriere trotz großer Bemühungen von vielen Seiten einen Abbruch fand. Seitdem schlummert seine Musik, darunter sechs Symphonien, mehrere Solokonzerte, Lieder und Kammermusik, gänzlich unbeachtet und wurde erst in diesem Jahrzehnt vereinzelt wieder entdeckt.

Die Musik gibt deutlich die Einflüsse der Wiener Klassik und der spätromantischen Tradition Mahlers und Zemlinskys zu erkennen und bringt doch eine ganz eigene Note hinein. Weigl degradiert Virtuosität und klangliche Effekte nicht zum Selbstzweck, sondern benutzt sie ausschließlich im Sinne der Musik. Im Gegensatz zu Mahler hält sich Weigl an eine stringente Form ohne übermäßiges Eilen von Höhepunkt zu Höhepunkt; er geht ökonomischer mit Ausbrüchen um. Die zwei eingespielten Großformen bewahren die klassische Dreiteiligkeit und auch die Stücke für Violine und diejenigen für Cello und Klavier lassen klassische Modelle durchscheinen. Nie stürmt Weigls Musik ungehalten davon, selbst im „Wilden Tanz“ bewahrt sie Eleganz.

Der Pianist Florian Krumpöck hob 2002 bereits das Konzert für die Linke Hand und Orchester (das vom Auftraggeber Paul Wittgenstein – ebenso wie das bestellte Konzert von Hindemith – abgelehnt wurde) aus der Taufe und nahm es 2013 für Capriccio auf. In diesen teils bereits auf 2012 zurückgehenden Aufnahmen (die Stücke mit Cello sind auf 2016 datiert) hören wir ihn mit Kammermusik für Violine und Cello. Er durchdringt die Musik Weigls und entlockt ihr romantischen Flair und klassische Präzision, spielt sie nüchtern wie einfühlsam zugleich. Auch David Frühwirth hörten wir bereits mit Weigl, er spielte das Violinkonzert auf der gleichen CD, welche das Klavierkonzert beinhaltet. Hier glänzt er in der Violinsonate, den Zwei Stücken und dem Trio als akkurater und sensibler Geiger. Er verleiht seiner Stimme metallischen Glanz und subtile Schönheit, leitet merklich das Geschehen in allen Stücken. Neu hinzu kommt der rasant aufsteigende Newcomer Benedict Kloeckner, der bereits eine beachtliche Diskographie vorzuweisen hat. Sein Spiel ist bestimmt und kräftig, nicht weniger kann er jedoch auch die lyrische Seite zum Vorschein bringen; im Trio passt er sich bestens seinen Mitstreitern an und geht vor allem mit der Violine eine innig-klangliche Verbindung ein.

[Oliver Fraenzke, Juni 2019]

Frühlingskonzert des Jugendorchesters der Bayerischen Philharmonie

22. April 2018 im Carl-Orff-Saal im Gasteig

David Frühwirth, Violine; Henri Bonamy, Pianist und Leitung

An einem schönen Sonntag-Nachmittag begann das Konzert des Münchner Jugendorchesters im Carl-Orff-Saal der Münchner Philharmonie mit Mozarts Ouvertüre zu „La Clemenza di Tito“ KV 621, sehr energisch dirigiert von Henri Bonamy, der das Orchester der Bayerischen Philharmonie seit 2011 leitet. Beim nächsten Stück, dem dritten Klavierkonzert in c-moll op. 37 von Ludwig van Beethoven, setzte sich der Dirigent selber an den Flügel und war eben in Personalunion Solist und Dirigent. Das ist zwar heute nicht mehr außergewöhnlich, ist aber noch immer eine ganz besondere Herausforderung für Pianist und Orchester. Diese Herausforderung gelang in hohem Maß, die Aufführung glänzte durch spontanes Zusammenwirken und alle Beteiligten spielten mit größter Intensität und Aufmerksamkeit, und ließen so wieder einmal erleben, welch eine Musik aus Beethovens Komposition strömt und wie sie uns unwiderstehlich mitnimmt. Das Largo des zweiten Satzes gelang vorzüglich, auch dem Rondo des letzten Satzes fehlte es weder an rhythmischer Präzision noch an melodischer Eindringlichkeit. Hochverdienter Beifall für Henri Bonamy und das Jugendorchester der Bayerischen Philharmonie.

Nach der Pause dann die eigentliche Überraschung: Intendant Mark Mast sagte an, dass es sich beim Komponisten Schubert eben nicht um den berühmten Franz handle, sondern um einen der tragisch verschollenen Komponisten des 20. Jahrhunderts: Heinz Schubert, geboren 1905 in Dessau, gefallen in den letzten Kriegstagen 1945 im Oderbruch. Sein Werk harrt bis heute der Wiederentdeckung. So war die Begegnung mit seiner  Komposition „Concertante Suite für Violine und Kammerorchester“ von 1931/32 eine grandiose Erfahrung. Der Solist David Frühwirth – bei den anderen Stücken der Konzertmeister des Orchesters – begann mit zupackender Intensität, die durchaus vertrackten Herausforderungen dieses viersätzigen Werkes nicht nur zu bewältigen, sondern sie in all ihrer kompositorischen Größe darzustellen. Wunderbar begleitet vom Kammerorchester war vor allem der dritte Satz, eine Aria, eine wahre Offenbarung. Daran hatten auch die drei Holzbläser ihren Anteil. Vom beginnenden Rezitativ bis zur finalen Gigue gelang ein überzeugender Blick auf ein Werk der einstigen Moderne, das polyphon meisterlich gearbeitet, harmonisch komplex und durchgehend inspiriert ist. Es macht Lust auf mehr Musik des leider so tragisch früh Verstorbenen, von dem es auf Tonträger gar nichts gibt. Bravourös die Leistung vom Geiger David Frühwirth, der sich in dem heikel virtuosen Werk als Solist von Weltrang präsentierte, aber auch vom an die Grenzen geforderten Orchester. Bravos und großer Applaus!

Zum Abschluss Joseph Haydns Londoner Symphonie Nr. 99, die in allen vier Sätzen ansprechend gelang. Mit Verve und großer Begeisterung zeigte das Orchester, dass es im vergangenen Jahr nicht ohne Grund zu einem großen Festival in Italien eingeladen wurde. Das tänzerische Menuetto. Moderato überzeugte genau wie die anderen Sätze, dass der „alte“ Haydn nun wirklich einer der unübertrefflichen Großmeister war und ist.

Schluss-Applaus auch für die einzelnen Orchestergruppen, die allesamt auf beachtlichem Niveau uns diesen Sonntag-Nachmittag im Carl-Orff-Saal zum reichen Geschenk machten.

[Ulrich Hermann, April 2018]

Verschiedenste Einflüsse, wie aus einem Guss

Karl Weigl
Klavierkonzert für die linke Hand Es-Dur, Violinkonzert D-Dur

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Capriccio CD C 5232
ISBN: 845221052328

„Ich habe Karl Weigl immer als einen der besten Komponisten der alten Generation betrachtet; einer derer, die die glanzvolle Wiener Tradition weiterführen. Er bewahrt zweifellos die alte Haltung jenes musikalischen Geistes, welcher einen der besten Teile der Wiener Kultur darstellt.“ So urteilte kein Geringerer als Arnold Schönberg über diesen Komponisten, der sich nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 gezwungen sah, in Amerika neu zu beginnen. Doch sollten die Worte seines berühmten Kollegen Weigl nicht davor bewahren, ähnlich wie sein einstiger Lehrmeister Alexander von Zemlinsky, sein Leben und Werk 1949 im New Yorker Umfeld stillschweigender Ignoranz zu beschließen.

In Wien ein geschätzter Komponist und Lehrer, dessen Werke im Repertoire so berühmter Namen wie Furtwängler und Szell zu finden waren, blieb Musik des 1881 in Wien geborenen Weigl trotz prägender Freundschaft zum mehr als sechs Jahre älteren Schönberg der Spätromantik verhaftet. Das mag ein Grund dafür gewesen sein, warum der im 1. Weltkrieg am rechten Arm amputierte Pianist Paul Wittgenstein ihn 1924 damit beauftragte, ein Klavierkonzert für ihn zu schreiben. Zu einer Uraufführung kam es jedoch nicht. Während die von Wittgenstein ebenfalls abgelehnten Auftragskompositionen für die linke Hand von Ravel und Prokofjew früher oder später ihren Weg ins Standardrepertoire der Pianisten nahmen, verschwand Weigls Konzert (wie auch dasjenige Hindemiths, das erst Leon Fleisher 2004 in Berlin erstmals zu Gehör brachte) ungehört und wurde 2002 von dem Pianisten Florian Krumpöck uraufgeführt. Seiner Interpretation ist es zu verdanken, dass dieses Werk in seiner Konzeption des sinfonischen Klavierkonzertes auf dieser Ersteinspielung von 2013 plastischen Ausdruck findet. Im Gegensatz zu Ravel und Prokofjew begreift Weigl das Klavier nicht als Widerpart des Orchesters, sondern als Teil des sinfonischen Organismus. Er versucht gar nicht erst, die Einsamkeit der linken Hand hinter einer scheinbaren Vielstimmigkeit zu maskieren, sondern legt sie vor allem im zweiten Satz in einer entrückten Arie über den orchestralen Klangkörper. Krumböck, dessen Virtuosität und Gestaltungskraft niemals zum Selbstzweck verkommt, weiß die cantablen Linien empfindsam nachzuzeichnen und die Vielschichtigkeit des Konzertes, das in seinem Aufbau und dem heroischen Gestus Beethovens fünftem Klavierkonzert durchaus nachempfunden ist, gekonnt herauszuarbeiten.

Auch das 1928 entstandene Violinkonzert D-Dur ist nicht nur in der Tonart von Beethoven inspiriert. Das Orchestervorspiel zu Beginn scheint in seiner Länge eher einem klassischen Vorbild zu entspringen. Umso mehr überrascht der ganz im spätromantischen Tenor eines Max Bruch gehaltene Einsatz der Violine. David Frühwirth stürzt sich hier beherzt ins philharmonische Getümmel und beherrscht die Szenerie von der ersten Note an. Ist der solistische Part im Klavierkonzert noch mehr in den sinfonischen Satz integriert, so steht die Violine hier dem Orchester im Dialog gegenüber. Frühwirths wunderbar durchphrasiertes Spiel vermag, sich deklamatorisch gegen die vielen Register der großen Besetzung zu behaupten. Im zweiten Satz besticht sein biegsamer, gesanglicher Ton, der den großen Bogen nie verliert. So wirkt das Miteinander verschiedenster Einflüsse, die die epischen Klangflächen eines Mahler ebenso wie die instrumentale Vielfarbigkeit eines Strauss beheimaten, stets aus einem Guss.

Die Norddeutsche Philharmonie Rostock hätte im Violinkonzert Frühwirth unter Krumpöck, ebenso wie im Klavierkonzert Krumpöck unter Manfred Hermann Lehner, als sinfonisches Gegenüber in der Gestaltung mehr zur Seite stehen können. Bleibt zu hoffen, dass diese beiden im Ganzen gelungenen Darbietungen der Solisten zukünftig dem Hörer Augen und Ohren für die Musik Karl Weigls öffnen.

[Raphael Buber, Mai 2016]